Schutz des Charakters von Ein- und Zweifamilienhausgebieten

Gemäß § 22 Absatz 2 Satz 3 Baunutzungsverordnung (BauNVO) können im Bebauungsplan Flächen festgesetzt werden, auf denen nur Einzelhäuser, nur Doppelhäuser oder nur Hausgruppen oder nur zwei dieser Hausformen zulässig sind. Einzel- und/oder Doppelhausfestsetzungen sind allein im Bezirk Wandsbek in über 100 Bebauungsplänen enthalten. Dennoch entstehen trotz dieser Festsetzungen in letzter Zeit immer mehr Neubauten, die sich für den Betrachter als Reihenhäuser/Hausgruppen darstellen. Die Baugenehmigungsbehörden stützen sich dabei auf eine Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (OVG) vom 8. Dezember 1995 (Az. 1 L 3209/94), wonach § 22 Absatz 2 BauNVO als Vorschrift über die Bauweise (nur) die Stellung der Baukörper zur Grenze regelt. Das Einzelhaus im Sinne des § 22 Absatz 2 BauNVO sei daher ein Baukörper, der aus mehreren selbstständig nutzbaren baulichen Anlagen bestehen kann. Die Festsetzung „nur Einzel- und Doppelhäuser zulässig" regelt demnach nur für die Frage der Grenzbebauung; auf einem ungeteilten Grundstück kann in solchen Fällen auch ein Einzelhaus errichtet werden, das den Eindruck einer Reihenhauszeile/Hausgruppe vermittelt. Das OVG Hamburg hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen. Der Begriff des Einzelhauses unterscheide sich damit insbesondere vom Begriff des Einfamilienhauses, wie er in der Begründung des Bebauungsplanes zugrunde gelegt worden ist, so die Begründung des OVG (Beschluss vom 28. Januar 2008, Az. 4 Bs 207/07).

Diese Genehmigungspraxis steht im Widerspruch zu den Zielen des Plangebers in zahlreichen in den 1980er und 1990er Jahren festgestellten Bebauungsplänen. Dieser verfolgte den Schutz von gewachsenen Einfamilienhausoder Doppelhausstrukturen und interpretierte die Begriffe Einzel- und Doppelhaus dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend als Ein- und Zweifamilienhäuser beziehungsweise als Gebäude mit einem oder zwei Hauseingängen. Eine verdichtete Bebauung mit augenscheinlichen Hausgruppen/Reihenhäusern läuft diesem Ziel jedoch zuwider und zerstört unwiederbringlich die gewachsenen städtebaulichen Strukturen, um deren Erhaltung willen viele Bebauungspläne überhaupt erst aufgestellt wurden. So heißt es in den Bebauungsplan-Begründungen beispielsweise:

- Bebauungsplan Rahlstedt 78/Volksdorf 25 vom 30. November 1982: „Der Bebauungsplan wurde aufgestellt, um den gewachsenen Charakter als Einfamilienhausgebiet zu erhalten und auf Dauer zu sichern (...)." (Drs. 10/371)

- Bebauungsplan Tonndorf 24 vom 15. November 1988: „Auf der Grundlage der Stadtteilentwicklungsplanung für den Stadtteil Tonndorf ist es wesentliche Zielsetzung, die vorhandene Nutzungsstruktur (überwiegend Einfamilienhäuser) zu erhalten und nur eine maßvolle Verdichtung zuzulassen. (...) Darüber hinaus soll eine weitergehende, den Einfamilienhauscharakter des Plangebiets beeinträchtigende Errichtung von Mehrfamilienhäusern verhindert werden." (Drs. 13/1736)

- Bebauungspläne Rahlstedt 92 bis 96 vom 15. Januar 1993: „Mit dem Bebauungsplan soll der Charakter von Einfamilienhausgebieten erhalten und auf Dauer geschützt werden." (Drs. 14/2574)

Vor diesem Hintergrund frage ich den Senat:

1. Dem Beschluss des OVG Hamburg vom 28. Januar 2008 liegt die Rechtsauffassung zugrunde, dass ein Einzelhaus aus mehreren aneinandergebauten, funktional selbstständigen Gebäuden bestehen kann.

Wie bewerten der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde diese Rechtsprechung vor dem Hintergrund, dass in zahlreichen Bebauungsplänen die Festsetzung „nur Einzel- und Doppelhäuser zulässig" getroffen wurde, um Einfamilienhausgebiete in ihrem Charakter zu erhalten und auf Dauer zu schützen?

Der Beschluss des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 28. Januar 2008 entspricht der herrschenden Meinung sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur.

2. Wie bewerten der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde die gegenwärtige Praxis der Bezirksämter, in Gebieten, wo nur Einzel- und Doppelhäuser zulässig sind, Vorhaben zu genehmigen, die nach ihrem städtebaulichen Erscheinungsbild und ihrer städtebaulichen Wirkung Hausgruppen auf einem Grundstück gleichkommen?

3. Teilen der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde die Meinung, dass diese Entwicklung städtebaulich nicht erwünscht ist?

Wenn nein: Warum nicht?

Die Bauprüfdienststellen entscheiden über Bauanträge nach geltendem Recht. Über Abweichungen wird im gesetzlichen Rahmen unter Abwägung aller Belange im Einzelfall entschieden. Die zuständige Behörde sieht dabei keine Entwicklung, die einer Bewertung bedürfte. Im Übrigen hat sich der Senat hiermit nicht befasst.

4. Welchen Sinn und Zweck hat nach Auffassung des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des OVG noch die Festsetzung „nur Einzel- und Doppelhäuser zulässig" in Bebauungsplänen?

5. Inwieweit kann nach Auffassung des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde die Festsetzung „nur Einzel- und Doppelhäuser zulässig" in Bebauungsplänen, die mit dieser Festsetzung den Zweck verfolgen, Einfamilienhausgebiete in ihrem Charakter zu erhalten und auf Dauer zu schützen, angesichts der Rechtsprechung des OVG wegen städtebaulicher Zweckverfehlung fehlerhaft sein? Inwieweit ist diese Festsetzung von den Baugenehmigungsbehörden dann überhaupt noch als Baugenehmigungsmaßstab heranzuziehen?

6. Sehen der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde auf der Grundlage der Rechtsprechung des OVG überhaupt noch die Möglichkeit, Einzel- und Doppelhausgebiete im Sinne des ursprünglichen Willens des Plangebers (also Ein- und Zweifamilienhäuser) in Bebauungsplänen rechtsverbindlich auszuweisen?

Wenn ja:

a) Durch welche Festsetzungen?

Die Festsetzung „nur Einzelhäuser und Doppelhäuser zulässig" ist geeignet, im Zusammenhang mit anderen Festsetzungen, wie zum Beispiel Baugrenzen oder Mindestgrundstücksgröße pro Wohngebäude gegebenenfalls das Ziel zu erreichen, vorhandene Einfamilienhausgebiete in ihrer vorhandenen Struktur zu erhalten.

b) Inwieweit stellt die Bezeichnung von städtebaulichen Erhaltungsgebieten (§ 172 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 BauGB) diesbezüglich eine geeignete Maßnahme dar?

Ein städtebauliches Erhaltungsgebiet nach § 172 Absatz 1 Nummer 1 Baugesetzbuch (BauGB) kann geeignet sein, die vorhandene Struktur eines Gebietes zu erhalten. Die Festsetzung eines solchen Gebietes setzt einen entsprechenden Bebauungsplan oder eine Verordnung voraus, in der für das Gebiet entsprechende Festsetzungen getroffen werden. Das Ziel eines solchen Erhaltungsgebiets ist allerdings der Erhalt eines bestehenden Ortsbilds, der Stadtgestalt oder des Landschaftsbilds und nicht die Anzahl der vorhandenen Wohnungen. Die Versagung einer Baugenehmigung ist auch nur möglich, wenn die bauliche Anlage die städtebauliche Gestalt des Gebiets beeinträchtigt (§ 172 Absatz 3 BauGB).

c) Durch welche Verfahren können bestehende Bebauungspläne an die Rechtsprechung des OVG Hamburg so angepasst werden, dass zur Sicherung des Strukturerhalts nur noch als solche wahrnehmbare Ein- und Zweifamilienhäuser genehmigt werden können? Inwieweit ist dies im Rahmen des vereinfachten Verfahrens nach § 13 BauGB möglich?

Wenn nein: Warum nicht?

7. Was wird seitens des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde getan, um Einzelhaus- und Doppelhausgebiete im Sinne der ursprünglichen Interpretation in zukünftigen Bebauungsplänen wieder rechtsverbindlich festsetzen zu können?

Durch Änderung eines Bebauungsplans können ­ sofern städtebaulich erwünscht ­ ergänzende Festsetzungen getroffen werden, die dazu beitragen können, die Struktur eines Gebiets weitgehend zu erhalten (siehe auch Antwort zu 4. bis 6. a)).

Ein Bebauungsplan lässt sich auch im vereinfachten Verfahren nach § 13 BauGB ergänzen, sofern die Grundzüge der Planung nicht berührt werden.

8. Inwieweit beabsichtigt der Senat, im Bundesrat einen Verordnungsantrag einzubringen, der eine Klarstellung des § 22 Absatz 2 BauNVO im Sinne der ursprünglichen Interpretation bezweckt, beziehungsweise inwieweit ist die zuständige Behörde damit befasst, einen entsprechenden Verordnungsantrag vorzubereiten?

Die zuständige Behörde verfolgt solche Pläne nicht.

9. Umgang mit der neueren Rechtsprechung des OVG

a) Inwieweit können der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde im Rahmen der Rechtsaufsicht oder durch Globalrichtlinien und Fachanweisungen sowie durch Arbeitshilfen auf die Bezirksämter einwirken, um Hausgruppen oder Reihenhäuser in ausgewiesenen Einzel- und Doppelhausgebieten zukünftig zu verhindern?

Die zitierte Rechtsprechung des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts ist in ihrer Aussage nicht neu. Die Bezirksämter kennen die Möglichkeiten planungsrechtlicher Festsetzungen und haben im Einzelfall hiervon auch Gebrauch gemacht, sofern sie dies für notwendig hielten. Vor diesem Hintergrund sieht die zuständige Behörde für Aktivitäten im Sinne der Fragestellung kein Erfordernis.

b) Inwieweit sehen der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde Möglichkeiten für die Baugenehmigungsbehörden, in begründeten Einzelfällen (beispielsweise in einem vollständig intakten Einbeziehungsweise Zweifamilienhausgebiet wie dem Komponistenviertel Meiendorf ­ Leharstraße-Heubergerstraße-Raimundstraße ­) von der grundsätzlichen Anwendung der Rechtsprechung abzuweichen und entsprechende Bauanträge für augenscheinliche Reihenund Mehrfamilienhäuser abzulehnen?

Die Baugenehmigungsbehörden ­ das sind mit Ausnahme des Bereichs der HafenCity die Bezirksämter ­ können in begründeten Einzelfällen nach § 15 Baunutzungsverordnung Vorhaben verhindern, die nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen.

10. Wie schätzen der Senat beziehungsweise die zuständige Behörde die aus der Rechtsprechung des OVG resultierende Gefahr einer unwiederbringlichen Zerstörung von schützenswerten und derzeit noch intakten Ein- und Zweifamilienhausgebieten durch den ungehemmten Bau maßstabssprengender Reihen- und Mehrfamilienhäuser ein? Ergibt sich hieraus aus Sicht des Senats beziehungsweise der zuständigen Behörde ein dringender Handlungsbedarf insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich die neue Rechtslage bei Bauträgern und Bauherren schnell herumspricht und dadurch der den Plangeberzielen zuwiderlaufende Prozess weiter beschleunigt wird?

Die zuständige Behörde sieht die beschriebene Gefahr nicht, da nach der geltenden Rechtslage die Möglichkeit besteht, maßstabsprengende Gebäude zu verhindern.