Sachverhalt festgestellt Aufbau und Aufgaben der Finanzverwaltung. Die Finanzverwaltung des Landes ist dreistufig aufgebaut

Teil II Wesentliches Untersuchungsergebnis

A. Allgemeine Feststellungen

Zu dem Untersuchungsauftrag, die seit April 1999 von der Landesregierung zu verantwortende Praxis bei der Verfolgung von Steuerstraftaten im Zusammenhang mit dem so genannten Bankenverfahren zu überprüfen und zu klären, ob der hessische Finanzminister in seinen Ausführungen den Hessischen Landtag und seine Gremien sowie die Öffentlichkeit jeweils vollständig und wahrheitsgemäß informiert hat, wurde aufgrund der Aussagen der vernommenen Zeugen und sachverständigen Zeugen, insbesondere der sachverständigen Zeugen Oberfinanzpräsident Albrecht Pfister, Generalstaatsanwalt a. D. Dr. Hans-Christoph Schaefer, Ministerialdirigent Friedrich Brusch und Regierungsoberrat Falk Gerke sowie der Zeugen Regierungsdirektor Klaus Schmitz, Amtsrat Harald Wiegand, Staatsanwalt Markus Weimann, Regierungsdirektor Bernd Eichmann, Ltd. Regierungsdirektor Jürgen Schneider-Ludorff, Oberamtsrat Hans-Dieter Burkert, Amtsrat Michael Pfaff, Oberamtsrat Wolfgang Schad, Regierungsrat Willi Glowitzki, Ltd. Regierungsdirektor Harald Gebbers, Regierungsoberrat Thomas Gloe-Anheißer, Regierungsoberrat Eckard Pisch, Amtsrat Karl-Heinz Becker und Oberamtsrat Detlef Michaelis, des Inhalts der dem Untersuchungsausschuss vorgelegten Akten, insbesondere der Akten der Finanzbehörden zu 49 ausgesuchten Steuerverfahren (Band I ­ XCIV), der Akten der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main zu Statistiken der Steuerfahndungsstellen sowie der Bußgeld- und Strafsachenstellen (Band XCV

­ XCVI) und der weiteren Akten der Oberfinanzdirektion Frankfurt am Main, die in Bezug auf die Amtsverfügung 2001/18 vom 30.08.2001 des Finanzamtes Frankfurt am Main V im Hinblick auf die Bearbeitung der Verfahren der enttarnten Anleger angelegt und gefertigt wurden (Band CXVII ­ CXXII), der Akten des Hessischen Ministeriums der Finanzen, die in Bezug auf die Amtsverfügung 2001/18 vom 30.08.2001 des Finanzamtes Frankfurt am Main V im Hinblick auf die Bearbeitung der Verfahren der enttarnten Anleger angelegt und gefertigt wurden (Band CXXIII ­ CXLIII) und der Akten der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankfurt am Main zu den Verfahren 94 Js 33795.2/95 und 94 Js 19008.2/97 gegen Verantwortliche und Mitarbeiter von Kreditinstituten wegen des Verdachts der Beihilfe zur Steuerhinterziehung und dem Verfahren 7580 Js 244809/03 WI gegen unbekannte Mitarbeiter der Finanzverwaltung wegen des Verdachts der Strafvereitelung und Untreue, sowie der gutachterlichen Stellungnahmen der beiden Sachverständigen Prof. Dr. Hans Hugo Klein und Prof. Dr. Joachim Wieland. folgender Sachverhalt festgestellt: Aufbau und Aufgaben der Finanzverwaltung

Die Finanzverwaltung des Landes ist dreistufig aufgebaut. An der Spitze steht das Hessische Ministerium der Finanzen, darunter steht als Mittelbehörde die Oberfinanzdirektion in Frankfurt am Main und als untere Behörde bestehen die Finanzämter. In diesen Finanzämtern erfolgen die Steuerfestsetzung und auch deren Vollstreckung.

Hierzu hat der sachverständige Zeuge Oberfinanzpräsident Albrecht Pfister in Ausführung des Beweisantrages Nr. 4 in der 3. Sitzung des Untersuchungsausschusses am 19. Dezember 2003 ausgesagt, dass die Rechtsgrundlage für die Aufbaustruktur das Finanzverwaltungsgesetz sei. Er fuhr wie folgt fort:

Wir haben einen dreistufigen hierarchischen Aufbau, der das Ministerium, die Oberfinanzdirektion als Mittelinstanz und die Ortsebene, die Finanzämter, umfasst. All das ist jeweils festgelegt in den §§ 2 und 3 FVG. § 2 beschäftigt sich mit dem Ministerium. Da heißt es relativ dürr: „Die für die Finanzverwaltung zuständige oberste Landesbehörde", also das Ministerium, „leitet die Landesfinanzverwaltung." Daraus wird im Grunde genommen schon klar, dass es eine sehr einzelfallbezogene Ferne darstellt.

Dann haben wir die Mittelinstanz, die Oberfinanzdirektion. Sie hat ihre Aufgabe, die Durchführung der Aufgaben, die den Finanzämtern zur Erledigung übertragen sind, ebenfalls zu leiten, also auch hier eine Leitungs- und Lenkungsfunktion.

Dann schreibt § 17 FVG den Finanzbehörden ­ das sind hier die Finanzämter ­ die eigentliche Erledigung der Aufgaben zu. Die Finanzämter sind als die jeweilige örtliche Landesbehörde für die Verwaltung der Steuern zuständig. Sie sind diejenigen, die die Steuerfestsetzung ­ das ist sozusa11 gen das Resultat ihres Bemühens ­ vornehmen und für die Erhebung der in diesen Steuerbescheiden festgesetzten Steuern verantwortlich sind.

Da sehen Sie schon gleich einen Dualismus auf der Ortsebene. Wir haben so genannte Festsetzungsverfahren. Das ist all das, was der Subsumierung eines steuerlich relevanten Sachverhaltes dient. Dann muss man sich gedanklich einen Trennstrich vorstellen. Dann beginnt das so genannte Erhebungsverfahren. Das ist alles, was sich im Kassenbereich abspielt, in der Vollstreckung.

Die örtlichen Finanzämter haben sowohl für den Festsetzungs- als auch für den Erhebungsbereich verschiedene Sachgebiete gebildet. Hierzu teilte der sachverständige Zeuge Oberfinanzpräsident Albrecht Pfister mit:

Nun gliedern sich diese Finanzbehörden in verschiedene Arbeitsbereiche. Wie gesagt, an der Spitze trägt der Vorsteher die Gesamtverantwortung. Er bedient sich einer so genannten mittleren Führungsebene, das sind die Sachgebietsleiter. Dann haben wir in großen Finanzämtern noch Hauptsachgebietsleiter, die Koordinierungsfunktionen sozusagen in der Horizontalen wahrnehmen. Sie müssen sich vorstellen: Ein Amt wie Frankfurt I, in dem die Veranlagung sehr konzentriert ist, hat im Bereich dieser Veranlagung eine Fülle von einzelnen Sachgebieten, die jeweils durch einen Sachgebietsleiter geleitet werden. Da es sich um gleichwertige Aufgaben handelt, nämlich Veranlagung von Arbeitnehmern beispielsweise, ist ab einer bestimmten Zahl ­ drei, vier ­ Sachgebiete ein Hauptsachgebietsleiter zuständig, der intern auf der Finanzamtsebene eine Koordination herbeiführt, um eine gleichmäßige Rechtsanwendung auf der Ortsebene zu gewährleisten.

Zu den verschiedenen Arbeitsbereichen führte der sachverständige Zeuge weiter aus:

Da ist, wie gesagt, der Veranlagungsbereich.... Wir sprechen da von VTBs, das sind die Veranlagungsteilbezirke. Dann haben wir natürlich den großen Bereich der Betriebsprüfung. Innerhalb der Betriebsprüfung, weil das den Außendienst darstellt, findet sich auch die Steuerfahndung in einer spezifischen Form. Dann haben wir noch weitere Spezialstellen, die Lohnsteuerstellen und Vollstreckungsstellen. In manchen Ämtern gibt es zentrale Stundungsstellen.... Wichtig für Sie ist nur, dass eine relativ arbeitsteilige Struktur vorhanden ist, eine starke Arbeitsteilung, die ihre Klammer durch den Vorsteher findet, und der ist beraten durch die Sachgebietsleiter.

Zur Aufgabe der Oberfinanzdirektion als Mittelinstanz gab der sachverständige Zeuge in der Vernehmung an:

Wir haben also heute eine Oberfinanzdirektion, die aus drei Abteilungen besteht: einer Landeszentralabteilung, einer Steuerabteilung und einer Bauabteilung ­ noch muss ich sagen; sie verändert sich ja stark. Aber es wird eine dritte Abteilung bestehen bleiben, denn dort kommt das so genannte HCC, das Hessische Competence Center, als eine Außenstelle der Frankfurter OFD in Wiesbaden dazu. Wir behalten Landesdienste bei, die sich dann für Bundesaufgaben der Bauverwaltung verwenden müssen. Der Bund hat sich in dieser Beziehung noch nicht verabschiedet.

Diese Oberfinanzdirektion hat einen Leiter; den haben Sie vor sich. Es ist meine Aufgabe, mit einer entsprechenden Gliederung in Referate dafür zu sorgen, dass ­ wir sprechen immer von einem nachgeordneten Bereich; damit sind die Finanzämter gemeint ­ dies ordnungsgemäß funktioniert. Da gibt es zwei Begriffe, das sind die Dienst- und die Fachaufsicht. Die Dienstaufsicht bezieht sich auf den ordnungemäßen Ablauf innerhalb der dienstlichen Wahrnehmung der Aufgaben bis hin zur Disziplinargewalt. Die Fachaufsicht erstreckt sich auf die Gleichmäßigkeit der Rechtsanwendung.

Ich erwähnte eine Zentralabteilung. Das ist ähnlich wie im Ministerium. Da gibt es auch eine Zentralabteilung. Die sorgt im Wesentlichen dafür, dass die Finanzämter mit dem Personal- und den Sachressourcen ausgestattet werden.

Die unteren Finanzbehörden, die Finanzämter, berichten jeweils an die Oberfinanzdirektion.

Auch im Rahmen des Steuerstraf- und Ermittlungsverfahrens handelt die untere Finanzbehörde, also das örtlich zuständige Finanzamt. In diesem speziellen Bereich der Finanzverwaltung ist neben der Steuerfestsetzungsstelle insbesondere die Steuerfahndung und die Buß- und Strafsachenstelle zuständig. Damit zeigt sich, dass für diesen Bereich innerhalb der Finanzbehörden eine starke Spezialisierung vorgenommen wurde. Finden sich in einem Steuerfall Hinweise, die den Anstoß geben können, ein Steuerstrafverfahren einzuleiten, so werden diese spezialisierten Stellen eingeschaltet.

Hauptbeispiel und Regelfall eines solchen Anstoßes ist die anonyme Anzeige, die üblicherweise in einem Veranlagungsbezirk eingeht. Des Weiteren werden oftmals im Rahmen der Festsetzung, wiederum bei den Veranlagungsbezirken, erste Anhaltspunkte für ein strafrechtlich relevantes Verhalten gefunden. Von den VTBs erfolgt dann eine Weiterleitung an die spezialisierten Stellen zur Bearbeitung und Prüfung.

Innerhalb der Finanzverwaltung erfolgt dann eine Prüfung in der Zuständigkeit der Buß- und Strafsachenstelle. Diese ist vergleichbar der Staatsanwaltschaft, auch was ihre grundsätzlichen Befugnisse angeht, allerdings beschränkt auf die Verfolgung von Steuerstraftaten. Liegen weitere strafrechtliche Delikte vor, so etwa Untreue, Unterschlagung oder Betrug, so erfolgt eine Abgabe an die Staatsanwaltschaft. Befugnisse und Grenzen der Aufgaben der Bußgeld- und Strafsachenstelle sind in § 386 der Abgabenordnung geregelt.

Die hierzu grundsätzlich gemachten Angaben der sachverständigen Zeugen Oberfinanzpräsident Albrecht Pfister, Generalstaatsanwalt a. D. Dr. Hans Christoph Schäfer, Regierungsoberrat Falk Gerke und Ministerialdirigent Friedrich Brusch im Rahmen der Beweisanträge 4 bis 7 in der 3. und 4. Sitzung des Untersuchungsausschusses wurden von dem Zeugen Staatsanwalt Weimann im Rahmen der Beweiserhebung zu Beweisantrag Nr. 8 in der 12. Sitzung des Untersuchungsausschusses am 20. Juni 2005 wie folgt ergänzt:

Die Bearbeitung von Verfahren gegen Steuerpflichtige aufgrund nicht versteuerter, nicht erklärter Kapitalanlagen erfolge in der eigenen Zuständigkeit der Finanzverwaltung nach § 386 Abs. 2 der Abgabenordnung. Er fährt fort:

Es handelt sich hier um ausschließliche Steuerstraftaten, für die eine eigene Zuständigkeit, auch was die Strafverfolgung anbelangt, der Bußgeld- und Strafsachenstelle besteht, wenn es um Geldoder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr geht. Das ist eine Beschränkung. Insbesondere nach Abs. 3 von § 386 bestand auch keine Zuständigkeit, weil es sich bei diesen Steuerstrafsachen auch nicht um Haftsachen gehandelt hat.

Die andere Grundlage der Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft in Abgrenzung zur Zuständigkeit der Finanzbehörden ist die Verfahrensevokation, die nach § 386 Abs. 4 Satz 2 der Abgabenordnung ausgesprochen wird.

Damit werden reine Steuerstrafverfahren grundsätzlich im Bereich der Finanzverwaltung bearbeitet, gegebenenfalls bis hin zu einer strafrechtlichen Anklage bei Gericht. Das Ermittlungsmonopol der Staatsanwaltschaft als Herrin des Ermittlungsverfahrens, das sich insbesondere aus den §§ 160, 161 StPO ergibt, ist damit durch § 386 Abgabenordnung für das Steuerstrafverfahren eingeschränkt. Hier tritt die Finanzbehörde in Form der Buß- und Strafsachenstelle als Ermittlungsbehörde an die Stelle der Staatsanwaltschaft und nimmt deren Rechte und Pflichten im Ermittlungsverfahren wahr. Diese Ermittlungsverfahren werden von der Buß- und Strafsachenstelle selbständig und ohne Weisungsgebundenheit gegenüber der Staatsanwaltschaft durchgeführt.

Die Staatsanwaltschaft kann solche Strafsachen aber jederzeit an sich ziehen (so genanntes Evokationsrecht, § 386 Abs. 4 Satz 2 AO).

Aufgrund dieser Aufgabenstellung und Befugnisse wird die Buß- und Strafsachenstelle auch als Steuerstaatsanwaltschaft oder „kleine Staatsanwaltschaft" bezeichnet. Diese Bezeichnungen finden sich auch in den diversen Zeugenaussagen wieder.

Die Steuerfahndung als weitere involvierte Stelle im Bereich der Finanzverwaltung übernimmt im Steuerstrafverfahren „polizeiliche" Aufgaben. Die Steuerfahndung besitzt aber eine Doppelaufgabe: Eine steuerstrafrechtliche nach den §§ 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 404 AO und eine steuerrechtliche nach § 208 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, 3 AO. § 208 Abs. 1 Satz 1 AO unterscheidet zwischen: 1. der Erforschung von Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten (Nr. 1), 2. der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen im Zusammenhang mit der Erforschung von Taten im Sinne von Nr. 1 (Nr. 2) und 3. der Aufdeckung und Ermittlung unbekannter Steuerfälle (Nr. 3).

§ 208 Abs. 1 Satz 1 AO stellt damit die Doppelfunktion der Steuerverwaltung fest, die sowohl im Besteuerungs- wie auch im Steuerstrafverfahren Zuständigkeiten hat.

Die steuerstrafrechtliche Ermittlungsarbeit der Steuerfahndung betrifft zahlreiche Bereiche; die so genannten Kapitalanlegerverfahren, also Fällen von Kapitalflucht, sind dabei ein ­ üblicherweise nicht auffallend großer und vor allem arbeitsintensiver ­ Fahndungsbereich. Dazu kommen Ermittlungs- und Prüfungstätigkeiten zum Beispiel auf den Gebieten der Geldwäsche-Kriminalität, der Steuerkriminalität bei Subunternehmern in der Baubranche, der so genannten Umsatzsteuerkarusselle und Fällen der illegalen Arbeitnehmerbeschäftigung.

Auf dem Gebiet der Strafverfolgung besitzt die Steuerfahndung die Stellung einer Steuerkriminalpolizei, insoweit sind sie Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft (§ 404 AO). So stehen ihr auch im Strafverfahren die in der Strafprozessordnung vorgesehenen Ermittlungsbefugnisse zu. Voraussetzung für das Handeln im Steuerstrafverfahren ist, dass zumindest ein Anfangsverdacht einer Steuerstraftat vorliegt (§ 385 AO),

§ 163 Abs. 1 in Verbindung mit § 160 Abs. 1 StPO).