Mutter-Kind-Abteilung in der neuen Frauenabteilung der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim

Am 26. Mai 2009 eröffnete die bayerische Justizministerin Beate Merk die neue Frauenabteilung der Justizvollzugsanstalt in München-Stadelheim. Die neue Teilanstalt bietet Platz für 160 weibliche Gefangene und 60 Jugendarrestanten. Zehn Plätze einer Mutter-Kind-Abteilung sind für Frauen mit kleinen Kindern reserviert. Laut Justizministerin Merk soll die neue Abteilung verhindern, dass Kleinkinder von ihren inhaftierten Müttern getrennt werden müssen, und den Frauen helfen, Verantwortung für ihre Kinder zu übernehmen. Im Alter von drei Jahren sollen die betroffenen Kinder automatisch von den Müttern getrennt und in einem Heim oder in einer Pflegefamilie untergebracht werden.

Ich frage die Staatsregierung:

1. a) Gibt es eine pädagogische und psychologische Konzeption für den Betrieb der Mutter-Kind-Abteilung in der JVA Stadelheim?

b) Nach welchen Kriterien werden Mütter oder hochschwangere Frauen in die Mutter-Kind-Abteilung verlegt?

c) Wie viele Frauen mit kleinen Kindern bis zu drei Jahren sitzen gegenwärtig in bayerischen Haftanstalten ein?

2. a) Welche pädagogische und psychologische Hilfe und Unterstützung wird den Müttern bei der Erziehung ihrer Kinder angeboten?

b) Wie wird eine qualifizierte therapeutische Begleitung von Müttern und Kindern sichergestellt?

c) Wie viel Personal ist in der JVA Stadelheim und bei anderen Trägern für die Wahrnehmung dieser Aufgaben vorgesehen?

3. a) Auf welche psychologischen Erkenntnisse stützt sich die Regelung, Kinder ab einem Alter von drei Jahren automatisch von den Müttern zu trennen?

b) Gefährdet diese Regelung nicht das von Justizministerin Merk proklamierte Ziel, die Resozialisierung der Gefangenen fördernde Haftbedingungen zu schaffen?

c) Wie bewertet die Staatsregierung die Aussage der erfahrenen Psychiaterin und Gerichtsgutachterin Hanna Ziegert, Kinder würden durch die Trennung von ihren Müttern traumatisiert?

4. a) Sind eine konstante Umgebung und konstante Bezugspersonen aus entwicklungspsychologischer Perspektive für kleine Kinder nicht wichtiger als der konkrete Ort der Unterbringung?

b) Gibt es die Möglichkeit, im Einzelfall zu prüfen, ob die Stabilisierung der Mutter-Kind-Beziehung und die Option, dass das Kind langfristig bei der eigenen Mutter bleiben kann, nicht Vorrang vor der automatischen Trennung von Mutter und Kind haben sollte?

c) Wer beurteilt nach welchen Kriterien vor einer Entscheidung zur Entfernung der Kinder die Qualität der Mutter-Kind-Beziehung?

5. a) Sind Pflegeeltern nicht häufig mit dem Umgang mit vorbelasteten und durch die Trennung von den Müttern gestörten Kindern überfordert?

b) Nach welchen Kriterien wird über Pflegefamilien oder andere Formen der Unterbringung entschieden?

c) Welche Unterstützung erhalten Pflegefamilien oder Heime beim Umgang mit schwierigen Kindern?

6. a) Welche wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Auswirkungen des Strafvollzuges auf Kinder liegen der Bayerischen Staatsregierung vor?

b) Gibt es Gutachten oder Studien zu den Erfahrungen mit den Mutter-Kind-Plätzen im geschlossenen Vollzug der JVA Aichach?

Sind die Erfahrungen aus Aichach in die Konzeption der Mutter-Kind-Abteilung in Stadelheim eingeflossen?

Antwort des Staatsministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 09.09.

Die Schriftliche Anfrage beantworte ich im Einvernehmen mit dem Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen wie folgt:

Der bayerische Justizvollzug verfügte bis vor Kurzem über insgesamt 769 Haftplätze für weibliche Gefangene in insgesamt neun Justizvollzugsanstalten. Hierunter sind 16 Haftplätze in der Mutter-Kind-Einrichtung in der Justizvollzugsanstalt Aichach. Von diesen 16 Haftplätzen befinden sich zehn Haftplätze im geschlossenen und sechs Haftplätze im offenen Vollzug. Durch die Inbetriebnahme der neuen Frauenabteilung der Justizvollzugsanstalt München im Sommer 2009 ist es nicht nur gelungen, die Gesamtbelegungsfähigkeit für weibliche Gefangene im bayerischen Justizvollzug um 86 Haftplätze auf insgesamt 855 Haftplätze zu erhöhen, sondern damit auch zehn weitere Haftplätze im geschlossenen Vollzug in der neuen Mutter-Kind-Abteilung der Frauenabteilung der Justizvollzugsanstalt München zu schaffen.

Damit stehen für weibliche Gefangene mit Kindern bayernweit nunmehr insgesamt 26 Haftplätze zur Verfügung.

Nach Art. 86 Abs. 1 in Verbindung mit der Verwaltungsvorschrift zu Art. 86 kann das Kind einer Gefangenen in eine Mutter-Kind-Abteilung in der Regel bis zum Ablauf des zweiten Lebensjahres aufgenommen werden und dort bis zum Ablauf des dritten Lebensjahres verbleiben. Dies bedeutet jedoch ausdrücklich nicht, dass mit Vollendung des dritten Lebensjahres die betroffenen Kinder sodann von ihren Müttern getrennt und in einem Heim oder in einer Pflegefamilie untergebracht werden müssten. Vielmehr wird bereits bei der Entscheidung über die Aufnahme in eine solche Abteilung darauf geachtet, dass möglichst nur solche Kinder aufgenommen werden, bei denen sichergestellt ist, dass die Haft ihrer Mutter bei Vollendung ihres dritten Lebensjahres beendet ist.

Zu 1.: a) Für die Mutter-Kind-Abteilung in der neuen Frauenabteilung der Justizvollzugsanstalt München wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Jugendamt der Landeshauptstadt München und in Anlehnung an die bestehende Konzeption der Mutter-Kind-Abteilung der Justizvollzugsanstalt Aichach eine Leistungsbeschreibung erstellt, in der unter anderem auch die pädagogische und psychologische Konzeption der Abteilung enthalten ist.

Darüber hinaus wird derzeit durch die Fachdienste der Mutter-Kind-Abteilung (Psychologin, Sozialpädagogin und Erzieherin) ein Konzept für den Betrieb der erarbeitet, in dem die pädagogische, sozialpädagogische und psychologische Betreuung und Arbeit mit den inhaftierten Müttern und ihren Kindern geregelt wird.

b) Die Mutter-Kind-Abteilung der neuen Frauenabteilung der Justizvollzugsanstalt München verfügt über 10 Plätze für inhaftierte Frauen und 14 Plätze für Kinder. Diese Plätze im geschlossenen Vollzug werden grundsätzlich nach folgenden Kriterien belegt:

­ Die Unterbringung der Mutter und ihres Kindes muss dem Wohl des Kindes entsprechen. Bei Müttern, die vor der Inhaftierung das Wohl ihres Kindes erheblich gefährdet haben und von denen nicht zu erwarten ist, dass durch therapeutische Maßnahmen dauerhaft eine gute Mutter-Kind-Beziehung entwickelt werden kann, wird daher eine Aufnahme nicht erfolgen.

Ebenso wird die Aufnahme ausgeschlossen werden, wenn die Kinder vor der Inhaftierung der Mutter nicht mit dieser zusammengelebt haben oder nach Entlassung der Mutter nicht mit dieser zusammenleben können und die Kinder bereits tragfähige Beziehungen zu anderen Personen in einer Pflegefamilie oder einem Heim entwickelt haben.

­ Aufgenommen werden in der Regel nur Kinder, bei denen eine Trennung von der Mutter und eine Fremdunterbringung vermieden werden soll und die förderungswürdig erscheint.

­ Die inhaftierte Mutter muss persönlich in der Lage und willens sein, das Kind während des Aufenthaltes in Haft und nach der Entlassung zu betreuen. Unter anderem darf die Mutter in der Regel nicht alkoholoder drogenabhängig sein und ihr Gesundheitszustand darf nicht befürchten lassen, dass sie nicht dauerhaft in der Lage ist, sich und ihr Kind zu versorgen.

­ Die Mutter muss nach ihrer spezifischen Persönlichkeit in der Lage sein, sich in die Abteilung einzugliedern, und zur Mitarbeit an der Behandlung ausreichend motiviert sein.

­ Die Entlassung von Mutter und Kind sollte gemeinsam erfolgen können, sodass die Haftdauer der Mutter letztlich keine Trennung von Mutter und Kind erforderlich macht.

­ Vor der Aufnahme sind die Krankenversicherung des Kindes sowie die Kostenübernahme durch das zuständige Jugendamt sicherzustellen.

­ Der Inhaber/Mitinhaber des Aufenthaltsbestimmungsrechts muss der Unterbringung des Kindes in der Mutter-Kind-Abteilung zustimmen (Art. 86 Abs. 1 Satz 1

c) Anfang August des Jahres 2009 waren im bayerischen Justizvollzug in der Mutter-Kind-Abteilung der Justizvollzugsanstalt Aichach neun Mütter mit ihren Kindern im geschlossenen sowie zwei Mütter mit ihren Kindern im offenen Vollzug untergebracht.

Zu 2.: a) bis b) Grundsätzlich begründet weder die Strafffälligkeit noch die Inhaftierung einer Mutter zwingend deren Erziehungsunfähigkeit. Jedoch besteht bei inhaftierten Müttern vor dem Hintergrund einer oftmals problematischen eigenen biografischen Entwicklung sowie der Sondersituation in Haft erhöhter Bedarf an Hilfestellungen bei der Erziehung ihrer Kinder. Das Personal einer Mutter-Kind-Abteilung versucht daher in der täglichen Arbeit mit den Müttern, deren Erziehungsfähigkeit nachhaltig zu stärken und den Aufbau, die Aufrechterhaltung sowie Stabilisierung der Mutter-Kind-Beziehung zu unterstützen. Hierzu erhalten die Mütter sowohl die Gelegenheit, mit dem Fachpersonal der Abteilung konkrete Einzelgespräche zu führen, als auch an besonderen Gruppenveranstaltungen mit der Zielrichtung teilzunehmen, sie in ihren Möglichkeiten im Umgang mit ihren Kindern zu stärken und ihnen sinnvolle Handlungsalternativen aufzuzeigen. Insbesondere sollen den Müttern Möglichkeiten der sinnvollen Beschäftigung und der Förderung ihrer Kinder aufgezeigt werden.

Neben der Unterstützung der Mütter bei der Erziehung und der Betreuung ihrer Kinder ist es Aufgabe der Fachdienste der Anstalt, durch das Zusammenleben in einer Wohngruppe im täglichen Alltag die Eigenkompetenz der Mütter hin zu einer selbstständigen und eigenverantwortlichen Lebensführung zu stärken. Während des Aufenthaltes in der Mutter-Kind-Abteilung der neuen Frauenabteilung der Justizvollzugsanstalt München sollen die Mütter durch gezielte sozialpädagogische und psychologische Maßnahmen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützt und ihre soziale Kompetenz gestärkt werden. Die Mütter sollen dadurch befähigt werden, die Zusammenhänge zwischen ihrer biografischen Entwicklung und ihrer Straffälligkeit zu erkennen, um künftig ein Leben in gesellschaftlicher Verantwortung zu führen.

c) Die Mutter-Kind-Abteilung der neuen Frauenabteilung der Justizvollzugsanstalt München verfügt personell über eine Sozialpädagogin (1/2 Stelle), eine Erzieherin, eine Kinderkrankenschwester sowie eine Bedienstete des allgemeinen Vollzugsdienstes. Darüber hinaus ist eine Psychologin der Anstalt auch spezifisch für diese Abteilung zuständig.

Die personelle Ausstattung in Einrichtungen anderer Träger ist hier nicht bekannt.

Zu 3.: a)­c): Es entspricht nicht den Tatsachen, dass in den bayerischen Mutter-Kind-Abteilungen in den Justizvollzugsanstalten Aichach und München Kinder ab einem Alter von drei Jahren von ihren Müttern getrennt würden.

Vielmehr wird bereits bei der Aufnahmeentscheidung durch die Anstalt darauf geachtet, dass die Haftdauer der Mutter und das Lebensalter ihres Kindes es zulassen, dass beide die Anstalt bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes verlassen können. Zudem wird diese Altersgrenze nicht starr gehandhabt und ermöglicht in Einzelfällen eine flexible Handhabung. In der Regel wird jedoch bei inhaftierten Müttern, die nicht vor Vollendung des dritten Lebensjahres ihres Kindes entlassen werden können, eine Aufnahme in eine jedenfalls im geschlossenen Vollzug nicht in Betracht kommen. Maßgebend für diese Grenze sind die in der Praxis gewonnenen Erfahrungswerte, dass Kinder mit zunehmendem Alter eine weitergehende Bewegungsfreiheit und vermehrt Sinneseindrücke für eine positive Entwicklung ihrer Persönlichkeit benötigen. Die geschlossene Einrichtung einer Justizvollzugsanstalt kann dies jedoch nur schwer ermöglichen, da hier die Lebenswirklichkeit naturgemäß nur in Ausschnitten nachgebildet werden kann, während ältere Kinder die Möglichkeit haben müssen, ihre Umwelt zu erkunden und eigene Bereiche zu erschließen.

Praxiserfahrungen und wissenschaftliche Erkenntnisse (vgl. nur Arloth, Strafvollzugsgesetz, 2. Auflage, § 80 Randziffer 2, sowie Steinhilper in Schwind/Böhm/Jehle, Strafvollzugsgesetz, 4. Auflage, § 80 Randziffer 11, m.w.N.) sprechen deshalb dafür, dass für Kinder, die bei der Entlassung ihrer Mutter bereits älter als drei Jahre sein werden, vorrangig nach einer Unterbringungsmöglichkeit außerhalb des Justizvollzugs gesucht werden soll, da wegen der eingeschränkten Bewegungsfreiheit im Vollzug und des Erkennens der Gefängnissituation durch die Kinder die Gefahr einer emotionalen Verunsicherung und der Entwicklung von Verhaltensstörungen deutlich ansteigt. Ab dem dritten Lebensjahr kommt somit im wohlverstandenen Interesse des Kindes allenfalls noch eine zeitweise Unterbringung im Rahmen des offenen Vollzuges in Betracht. Zwar ermöglicht Art. 86 Abs. 1 Satz 1 grundsätzlich die Unterbringung von Kindern in Justizvollzugsanstalten bis hin zum schulpflichtigen Alter, doch gibt es tatsächlich im gesamten Bundesgebiet lediglich drei Vollzugseinrichtungen, die Kinder aufnehmen, welche beim voraussichtlichen Entlassungszeitpunkt der Mutter deutlich älter als drei Jahre sind. Nach den hier vorliegenden Erkenntnissen entspricht es vielmehr den ganz überwiegenden Regelungen der im geschlossenen Vollzug, dass Kinder grundsätzlich nur bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres in diesen Abteilungen untergebracht werden.

Vor diesem Hintergrund ist die Vorgehensweise in der Mutter-Kind-Abteilung der neuen Frauenabteilung der Justizvollzugsanstalt München zwanglos mit dem Ziel, die der Resozialisierung der Gefangenen fördernde Haftbedingungen zu schaffen, zu vereinbaren, weil gerade durch die Aufnahme in die Mutter-Kind-Abteilung sowie die dort angebotenen Behandlungsmaßnahmen erreicht werden soll, dass die Mütter künftig ein selbstständiges, eigenverantwortliches Leben in gesellschaftlicher Verantwortung führen. Eine Traumatisierung von Kindern wird durch diese sachgerechte Handhabung gerade vermieden.

Zu 4.: a) Die Mutter-Kind-Einrichtungen des bayerischen Justizvollzugs tragen dem Gesichtspunkt der Konstanz von Umgebung und Bezugspersonen besonders Rechnung.

Gerade durch die Möglichkeit, Mütter zusammen mit ihren Kindern in eine Mutter-Kind-Abteilung aufzunehmen, wird die Mutter als konstante Bezugsperson erhalten und die Mutter-Kind-Bindung durch gezielte Hilfestellungen des Personals weiter gestärkt. Durch den Einsatz eines festen Personalstamms in der Mutter-Kind-Abteilung wird zudem gleichzeitig die Umgebung des Kindes konstant gestaltet.