Versorgungskapazitäten der Krankenhäuser

Einem Pressebericht der "Frankfurter Rundschau" vom 23. November 2004 war zu entnehmen, dass die Leitstelle 40 Minuten lang telefonieren musste, um für eine an Hirnblutung leidende Akut-Patientin aus dem Raum Alsfeld ein geeignetes Krankenhaus mit freier Bettenkapazität zu finden. Ob bzw. wie die so entstandene Zeitverzögerung das Behandlungsergebnis negativ beeinflusst hat, bleibt zu untersuchen.

Vorbemerkung der Sozialministerin:

In Hessen sind die Krankenhäuser nach § 9 Abs. 1 Hessisches Krankenhausgesetz 2002 verpflichtet, mit den Zentralen Leitstellen für den Brand- und Katastrophenschutz sowie für den Rettungsdienst Vereinbarungen über die Organisation eines Bettennachweises zu treffen. Als Grundlage dafür schließen die Träger der Zentralen Leitstellen mit den Krankenhäusern ihres Zuständigkeitsbereiches Vereinbarungen, in denen die Sicherstellung der jederzeitigen Aufnahme von rettungsdienstlich erstversorgten Patienten entsprechend § 4 Abs. 6 Hessisches Rettungsdienstgesetz (HRDG) gewährleistet ist.

Insbesondere ist ein Zuweisungsverfahren für den Fall zu regeln, dass die regelmäßig verfügbaren Versorgungskapazitäten belegt sind.

Mit den Beteiligten auf Landesebene ist Einvernehmen darüber erzielt worden, dass der ständige Nachweis aller jeweils verfügbaren Versorgungskapazitäten der Krankenhäuser eines Rettungsdienstbereiches (Positivnachweis) nicht zwingend notwendig ist und die freie Zuweisung von Patienten auch im Hinblick auf die freie Krankenhauswahl solange erfolgen soll, bis die regulären Aufnahmekapazitäten erschöpft sind.

Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage wie folgt:

Frage 1. Wie bewertet die Landesregierung den Vorfall in Alsfeld, wo die Leitstelle in einem Notfall ca. 40 Minuten telefonieren musste, bevor ein geeignetes Krankenhausbett für die verletzte Person gefunden werden konnte?

Sofort nach Bekanntwerden des Falles wurde der zuständige Rettungsdienstträger um Stellungnahme gebeten. Wie der Kreisausschuss des Vogelsbergkreises berichtete, teilte um 23.05 Uhr die Ehefrau des Hausarztes der Patientin der Leitstelle mit, dass ihr Mann zu einem Einsatz nach HombergDeckenbach gerufen wurde, da eine Patientin im Stall gefallen sei. Die Ehefrau des Hausarztes vertrat die Ansicht, dass es sich keinesfalls um einen Notfall handelte. Da ihr Mann aber noch zu anderen Hausbesuchen unterwegs war und seine Ankunft in Homberg-Deckenbach noch dauern werde, entschloss sich der Mitarbeiter der Leitstelle, vorsorglich einen Rettungswagen ohne Sonderrechte (Blaulicht und Signalhorn) zu schicken. Nachdem der Rettungswagen um 23.25 Uhr die Einsatzstelle erreicht hatte, teilte der Rettungsassistent mit, dass die Patientin nicht ansprechbar sei, soeben der Hausarzt eingetroffen war und es sich vermutlich um einen Appoplex (Schlaganfall) handelt. Daraufhin schickte die Leitstelle zur Unterstützung und Transportbegleitung ein Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) zur Einsatzstelle.

Um 23.48 Uhr teilte der NEF-Fahrer mit, dass die diensthabende Notärztin eine Hirnblutung vermute und dringend eine neurochirurgische Aufnahme erfolgen müsste. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Leitstellendisponent schon vorsorglich eine Abfrage in den neurochirurgischen Abteilungen der Universitätsklinik Marburg, der Universitätsklinik Gießen und den Städtischen Klinken Fulda gestartet. Er erreichte die diensthabenden Neurochirurgen, die einerseits die Diagnostik infrage stellten, andererseits eine Aufnahme aufgrund der Kapazitätsauslastung ablehnten. Das gleiche Ergebnis ergab sich bei dem Anruf in der Universitätsklinik Frankfurt am Main. Erst durch einen erneuten, energischen Anruf erklärten sich die Städtischen Kliniken Fulda bereit, die Patientin aufzunehmen.

Durch die Verkettung unglücklicher Umstände (Anruf der Angehörigen der Patientin beim Hausarzt statt bei der Zentralen Leitstelle, Herunterspielen des Vorfalles durch die Ehefrau des Hausarztes, Abwicklung erst von anderen Hausbesuchen des Hausarztes und verspätete Notzuweisung in die nächste neurochirurgische Klinik durch den Leitstellendisponenten) ist unvertretbar viel Zeit bis zur Einweisung der Patientin in die Städtischen Kliniken Fulda vergangen.

Frage 2. Welche Konsequenzen will die Landesregierung aus diesem Vorfall ziehen und wie gedenkt sie künftig solche Verzögerungen landesweit auszuschließen?

Die Problematik wurde bereits 2002 in einer Arbeitsgruppe unter Federführung des Hessischen Sozialministeriums mit Vertretern der Krankenhäuser und Trägern des Rettungsdienstes sowie der Landesärztekammer Hessen eingehend beraten. Zur Verbesserung des Kommunikationsweges (Zentrale Leitstelle/Krankenhaus) und der zeitlichen Abwicklung der Einsätze wurde als Grundlage für weiterführende qualitätssichernde Maßnahmen eine landeseinheitliche Vorgehensweise im Hinblick auf die Abfrageinhalte und den Kommunikationsaufbau erarbeitet.

Mit Erlass vom 7. März 2003 wurde den Trägern der Notfallversorgung ein entsprechendes Abfrageschema vorgegeben.

Die Leitstelle erfragt in einer für den jeweiligen Bereich festgelegten Reihenfolge die Akutversorgungs- und Unterbringungskapazitäten der nächstgelegenen neurochirurgischen Kliniken. Im Gegensatz zur bisher oft üblichen Praxis der "Bettensuche" wird insbesondere nach der Möglichkeit der Akutdiagnostik (CT) und der Akuttherapie (OP) im Sinne der Sofortintervention gefragt und erst anschließend nach der danach gegebenenfalls erforderlichen Unterbringungsmöglichkeit (Intensivbett). Die jeweiligen Ansprechpartner der neurochirurgischen Kliniken sind auf die Abfrage nach dem so genannten "DTU"Prinzip (Diagnostik - Therapie - Unterbringung) vorbereitet. Die Abfrage des DTU-Status der neun hessischen neurochirurgischen Kliniken erfolgt grundsätzlich über diejenige Zentrale Leitstelle, in deren Bereich die neurochirurgische Klinik liegt. Hierdurch sollen die meist vorhandenen oder einfach zu schaffenden Möglichkeiten einer schnellen Kontaktaufnahme mit dem abzufragenden Arzt (z.B. über Direktleitungen des Klinik-Telefonnetzes, Funkrufempfänger etc.) genutzt werden und Mehrfachabfragen aus verschiedenen Leitstellenbereichen kanalisiert werden. Lediglich bei der Suche nach einer landesübergreifenden Akutversorgungsmöglichkeit ist noch eine unmittelbare Kontaktaufnahme mit einer externen Klinik erforderlich.

Sollte keine der in (nach Einschätzung des Rettungsteams vor Ort) vertretbarer Zeit erreichbaren Kliniken über eine adäquate Erstversorgungsmöglichkeit verfügen, kann von der Einsatzstelle aus die Entscheidung zu einer Notzuweisung in die "örtlich zuständige Neurochirurgie" getroffen werden.

Als mittelfristiges Ziel soll eine papierlose, in das Einsatzleitsystem der Zentralen Leitstellen integrierte Variante dieser Vorgehensweise entwickelt werden. Dies stellt die Voraussetzung für die Ausweitung dieses bereichsübergreifenden Koordinationsverfahrens auch auf andere Bereiche der Notfallmedizin dar.

Mit dem vorgenannten Erlass vom 7. März 2003 hat das Sozialministerium den Einsatzkräften einen Handlungsrahmen vorgegeben, um neurochirur gisch zu versorgende Patienten schnellstmöglich der erforderlichen Diagnostik, Therapie und Unterbringungsmöglichkeit zuzuführen. Das Sozialministerium ist überzeugt, dass durch die Anwendung dieses Handlungsrahmens ähnliche Vorfälle wie in Alsfeld vermieden werden können.

Frage 3. Wie beurteilt die Landesregierung die in Rheinland-Pfalz durch das Innenministerium eingesetzte Kommunikationstechnik und den dort im Internet bereitgestellten "zentralen Bettennachweis", mit dessen Hilfe die aktuelle freie Bettenkapazität in den einzelnen Krankenhäusern, nach Fachabteilungen getrennt, von jeder Leitstelle kurzfristig abgefragt werden kann?

Was die Frage nach einem Zentralen Bettennachweis im Internet, wie er derzeit in Rheinland-Pfalz existiert, anbelangt, ist zu sagen, dass nicht "das Bett" im Vordergrund zu stehen hat, sondern die Behandlungskapazitäten.

Ein "freies Bett" nützt nichts, wenn nicht auch die erforderlichen Diagnoseeinrichtungen (z.B. Computertomographie), die durchzuführenden Therapiemaßnahmen (z.B. Operation) und die Unterbringung (z.B. Intensivpflegeplatz) zur Verfügung stehen. Deshalb wurde in einer am 20. Februar 2003 geführten Diskussion zu dem angestrebten Verfahren in Rheinland-Pfalz einvernehmlich die Auffassung vertreten, dass der von Hessen vorgesehene Weg schneller zum Ziel führen wird.

In Rheinland-Pfalz wird neben den insgesamt in den Krankenhäusern zur Verfügung stehenden Betten auch freie Bettenkapazität angezeigt. Um 7. Uhr werden alle Betten freigeschaltet und es liegt dann am jeweiligen Krankenhaus, die freien Kapazitäten zu aktualisieren. Da die Mitarbeiter in den Leitstellen nicht davon ausgehen können, dass diese Meldung zu jeder Tageszeit stimmt, müssen auch in Rheinland-Pfalz die Leitstellendisponenten zusätzlich in den Krankenhäusern anrufen und sich nach der Aufnahmemöglichkeit erkundigen.

Deshalb weist das Ministerium des Innern und für Sport des Landes Rheinland-Pfalz auf der entsprechenden Internetseite darauf hin: "Während für die nicht zeitkritischen Krankentransporte und Rettungseinsätze der Vorteil eines solchen Systems auf der Hand liegt, ergeben sich für zeitkritische Rettungseinsätze Einschränkungen, die beachtet werden müssen. Hier gilt nach wie vor der wichtige Grundsatz der Notfallmedizin, dass in diesen Fällen das nächste geeignete Krankenhaus angefahren werden muss. Hier bezieht sich die zeitkritische Phase auf die Akutdiagnostik und Akuttherapie, die unabhängig von der aktuellen Bettensituation der Krankenhäuser so schnell wie möglich durchgeführt werden müssen."

Aus den vorgenannten Gründen hält sowohl die Hessische Krankenhausgesellschaft als auch die Landesregierung die in Rheinland-Pfalz praktizierte Kommunikationstechnik in der gegenwärtig zur Verfügung stehenden Form für nicht geeignet, um die Suche nach einem aufnahmebereiten Krankenhaus wesentlich zu verbessern.

Frage 4. Ist der Landesregierung bekannt, dass Rheinland-Pfalz seit 1995 positive Erfahrungen mit dieser Kommunikationstechnik gemacht hat und das "Suchen" nach entsprechenden Krankenhausbetten erheblich beschleunigt werden konnte?

Eine echte Erleichterung für den Rettungsdienst und hier insbesondere für die Zentralen Leitstellen ist erst dann gegeben, wenn die zum jeweiligen Zeitpunkt benötigten Untersuchungs-, Behandlungskapazitäten und freien Intensivbetten abrufbar wären. Dies würde aber bedeuten, dass alle Krankenhäuser sofort im Moment einer Bettenbelegung oder dem Freiwerden eines Bettes diese Änderung auch im Internet anzeigen würden. Dies hält auch die Hessische Krankenhausgesellschaft derzeit nicht für realisierbar.

Im Übrigen erklärte die Hessische Krankenhausgesellschaft auf Anfrage, dass auch die hessischen Krankenhäuser auf der Homepage der Hessischen Krankenhausgesellschaft präsent sind. Dort gibt es eine Datenbank mit der Darstellung der insgesamt zur Verfügung stehenden Betten der hessischen Krankenhäuser.

Auf die Antworten zu den Fragen 2 und 3 wird verwiesen.

Frage 5. Warum nimmt die Landesregierung nicht das Angebot von Rheinland-Pfalz an, sich diesem System (kostenlos) anzuschließen, wie es beispielsweise das Saarland bereits getan hat?

Ein Aufbau eines Zentralen Bettennachweises im Internet bzw. Anschluss an das rheinland-pfälzische System ist jederzeit möglich. Dabei muss allerdings bewusst sein, dass dies mit einem erheblichen personellen und kostenintensiven Aufwand auf der Seite der Krankenhäuser verbunden sein wird. Insbesondere bestehen derzeit kaum entsprechende Möglichkeiten, die Krankenhäuser zu verpflichten, sich an ein derartiges System anzuschließen. Deshalb hat auch die Hessische Krankenhausgesellschaft den Aufbau eines Bettennachweises im Internet abgelehnt.

Außerdem weise ich darauf hin, dass auch Baden-Württemberg bisher von einem Anschluss an das rheinland-pfälzische System abgesehen hat.

Frage 6. Teilt die Landesregierung die Auffassung der Fragestellerin, dass eine länderübergreifende Zusammenarbeit und Vernetzung eine größere Bettenauswahl und schnellere Versorgung der Hilfesuchenden gewährleisten würden?

Die länderübergreifende Zusammenarbeit mit allen angrenzenden Bundesländern wird im Rettungsdienst bereits seit langem praktiziert. Davon profitiert insbesondere auch Rheinland-Pfalz, da sich gerade im südhessischen Raum die meisten Krankenhäuser mit einer neurochirurgischen Abteilung befinden.

Frage 7. Wie will die Landesregierung die bekannten Probleme bei der Akut-Versorgung insbesondere in Mittel- und Nordhessen entschärfen?

Siehe Antwort zu Frage 2.