Pluralisierung der Lebensformen

Die Sachverständige Andrea de Riz, bpw Deutschland e.V., hat ihre Organisation vorgestellt und sich, was die Pluralisierung der Lebensformen angeht, zum sog. "Stadt-LandGefälle" geäußert.

Insofern hat sie ausgeführt, bei ihrer Arbeit habe sie feststellen können, dass die traditionelle Rollenverteilung im ländlichen Bereich heftig verfochten werde und dies nicht nur von Seiten der Männer. Häufig wirke das gesamte Umfeld auf Frauen ein, um deren Berufstätigkeit zu verhindern. Das Stadt-Land-Gefälle sei mithin sehr groß.

Der Verein "Business and professionell women" sei ein Treffpunkt für Frauen aus verschiedenen Branchen und Arbeitsverhältnissen. Der Verein existiere seit 1918 international und seit 1931 in Deutschland. Hierzulande habe man derzeit 1.700 Mitglieder in 37 Städten. Ziel des Vereins sei es, mehr Frauen in leitende Positionen in Wirtschaft und Politik zu bringen, für Frauen mehr qualifizierte Arbeitsplätze bereit zu stellen, eine verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu realisieren, mehr weiblichen Einfluss in politische Entscheidungen hineinzutragen und eine weltweite Kooperation, Freundschaft und Verständigung zwischen Frauen in Beruf und Geschäft ins Werk zu setzen. Hierzu würden lokale, nationale und internationale Netze gepflegt.

Die Sachverständige de Riz hat verschiedene Projekte von bpw vorgestellt.

Der Sachverständige Prof. Dr. Lothar Bertels, Fernuniversität Hagen, hat einen besonderen Fokus auf die Stadtsoziologie gerichtet.

Er hat erläutert, dass durch den zunehmenden Wohlstand soziale Bindungen gelockert worden seien, während die erhöhte Mobilität auch die lokalen Bindungen zurück gehen lasse.

Die Gesellschaft sei insgesamt zunehmend horizontal denn vertikal gegliedert.

Lebensstile seien Formen der Selbstdarstellung und demonstrierten die Zugehörigkeit zu einem bestimmten sozialen Milieu. An vorherrschenden Lebensstilen seien derzeit zu beobachten:

- hochkulturell Interessierte und sozial Engagierte, 11 %,

- Arbeits- und Erlebnisorientierte, vielseitig Aktive, 9 %,

- expressiv Vielseitige, 12 %,

- sachlich pragmatische Qualitätsbewusste, 12 %,

- hedonistische Freizeitorientierte, 6 %,

- Häusliche, mit Interesse für leichte Unterhaltung und Mode, 10 %,

- einfach lebende, arbeitsorientierte Häusliche, 13 %,

- Sicherheitsorientierte, sozial Eingebundene mit Vorliebe für volkstümliche Kultur und Mode, 11 %,

- traditionelle, zurückgezogen Lebende, 16 %.

Es seien die Milieus, in denen Menschen aufwüchsen, die bestimmte Lebensstile und Haltungen hervorbrächten.

Gründe für den Geburtenrückgang seien:

- Struktur- und Funktionswandel der Familie,

- Emanzipation und Enthäuslichung der Frauen,

- mangelnde staatliche Versorgung mit Kinderbetreuungsplätzen,

- Konsumdenken und anspruchsvoller Lebensstil,

- strukturelle Rücksichtslosigkeit gegenüber den Familien,

- Scheu vor langfristigen Festlegungen und Erhalt von Wahlmöglichkeiten,

- emotionalisierte und verengte Paarbeziehungen,

- zunehmende Akzeptanz von Kinderlosigkeit,

- gestiegene Ansprüche an Elternrolle,

- ungünstige Wirtschaftslage und Arbeitslosigkeit.

Die Scheidungsentwicklung aus individualisierungstheoretischer Perspektive könne damit begründet werden, dass derjenige, der eine Ehe aufrechterhalte, dies heutzutage stets in dem Wissen tue, dass es Alternativen gebe. Die Beibehaltung einer Ehe werde mehr und mehr als ein bewusste Wahlentscheidung wahrgenommen, die sich im Lichte alternativer Optionen als "bestmögliche" ausweisen müsse.

Zunehmend entstünden daher Singlehaushalte. Dies sei vor allem in Städten mit mehr als 500.000 Einwohnern festzustellen. Spitzenreiter sei hierbei die Stadt München mit einer Singlequote von 51,8 %. Singles suchten, auch was den Erwerb von Produkten angehe, das Erlebnis und nicht den Nutzen.

Der Sachverständige Prof. Dr. Bertels hat sich ferner zum Thema "bürgerschaftliches Engagement" geäußert.

Er hat erklärt, bürgerschaftliches Engagement werde immer wichtiger, da staatliche Ressourcen weniger würden. Durch eine zunehmende Individualisierung sei eine Erosion von Pflichtwerten und der Aufstieg von Selbstverwirklichungswerten zu verzeichnen. Freiwillige Dienste würden durch professionelle Angebote ersetzt, wachsende Mobilität, ein Strukturwandel der Familienformen und veränderte Geschlechterrollen wirkten sich ebenfalls negativ auf ehrenamtliche Tätigkeiten aus.

Bürgerschaftliches Engagement müsse belohnt und nicht entlohnt werden. Dabei sei daran zu denken, dass bürgerschaftliches Engagement auf die Rente und Krankenversicherung angerechnet werde, Punkte für Numerus-Clausus-Fächer einbringe und Einkommen für Arbeiten geschaffen würden, die dem Wohl der Gesellschaft dienten. Daneben sei an öffentliche Ehrungen und Versicherungsschutz für ehrenamtlich Tätige zu denken.

Um das soziale Engagement zum Erfolg zu führen, bedürfe es folgender Voraussetzungen:

- Berücksichtigung der Grundprobleme von Bürgerbeteiligung: Motivation, Zeitumfang, Problembelastung, Informationsmangel,

- Ansetzen an den Eigeninteressen der Betroffenen als wesentlicher Erfolgsmaßstab für die Stärkung bürgerschaftlichen Engagements,

- ausgeglichene Balance zwischen Individualinteressen und Gemeinschaftswerten,

- Förderung durch aktivierende Kommunalpolitik.

Das Engagement von Ehrenamtlichen sei zunehmend projektgebunden und nicht mehr organisationsgebunden. Bereitschaft zu ehrenamtlicher Tätigkeit bestehe vor allem dort, wo dem ehrenamtlich Tätigen ein ausgeglichenes Verhältnis von Aufwand und Nutzen angeboten werden könne.

Der Sachverständige H. J. Müller, LAG Pro Ehrenamt, hat ebenso zum Thema "Ehrenamtliches Engagement" Stellung genommen.

Er hat angemerkt, die Engagementquote sei zwischen 1999 und 2004 von 34 auf 36 % gestiegen. Gleichzeitig habe das Engagementpotential der Menschen, die bisher nicht engagiert sind, von 26 auf 32 % zugenommen. Der Anteil bereits Engagierter sei im gleichen Zeitraum von 37 auf 42 % angestiegen. Aktuell engagierten sich immer mehr Männer im sozialen Bereich. Auch bei den über 60-Jährigen sei eine Zunahme des Engagements zu verzeichnen, gleichwohl seien aber 70 % dieser Altersgruppe immer noch nicht engagiert.

Freiwilliges Engagement werde vorrangig von einer gut ausgebildeten Mittelschicht ausgeübt, Migranten engagierten sich hingegen deutlich weniger. Das Engagement von Männern und Frauen erfolge weiterhin in traditionellen Geschlechterrollen.

Die Motive der neuen Ehrenamtlichkeit könnten wie folgt beschrieben werden:

- "Ich will mitbestimmen können, was ich tue",

- "Ich muss davon überzeugt sein, dass es wichtig für die Gesellschaft ist",

- "Ich will meine besonderen Fähigkeiten einbringen",

- "Ich muss sehen, ob dieses Engagement etwas bringt",

- "Es muss Spaß machen",

- "Ich muss jederzeit wieder aussteigen können",

- "Das Ziel muss in angemessener Form erreicht werden können",

- "Ich will neue Freunde kennen lernen",

- "Ich will dabei etwas für mein weiteres Leben lernen",

- "Es soll etwas ganz anderes sein, als ich in der Schule oder im Beruf mache". Voraussetzung für eine erfolgreiche ehrenamtliche Arbeit seien die Bereitstellung von finanziellen Mitteln und geeigneten Räumen, Weiterbildungsmöglichkeiten, die fachliche Unterstützung der ehrenamtlichen Tätigkeit, menschliche und psychische Unterstützung, unbürokratische Kostenerstattung sowie die Anerkennung der Tätigkeit.