Gesetz über die Förderung der kommunalen Kulturarbeit in den Berliner Bezirken

In der Überzeugung, dass der Freiheit des geistigen Lebens und der Freiheit der Künste in Berlin als Hauptstadt des geeinten Deutschlands ein besonderer Stellenwert zukommt, in dem Wissen um die Bedeutung von Kunst und Kultur für das Zusammenleben der Bürgerinnen und Bürger und für die Entwicklung eines zivilen Gemeinwesens in der ehemals geteilten Stadt, unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlich fixierten Gebotes, möglichst vielen Menschen aus allen Bevölkerungsteilen den Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen und zu erleichtern und dem Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf kulturellen Pluralismus zu genügen, in der Erkenntnis, dass kommunale Kulturarbeit und Kulturförderung in den Bezirken nicht nur regionale, sondern gesamtstädtische Bedeutung für den Erhalt bzw. den Ausbau einer durchgängigen kulturellen Infrastruktur im Land Berlin besitzt, und daß bei Respektierung der Eigenverantwortlichkeit der Bezirke nicht nur die Schaffung einheitlicher Organisations- und Aufgabenstrukturen, sondern die Koordination zwischen gesamtstädtischer und bezirklicher Kulturarbeit und Kulturförderung unverzichtbar und insbesondere nach Übergang der Bezirke zur Globalhaushaltsfinanzierung geboten sind, beschließt das Abgeordnetenhaus von Berlin das folgende Gesetz über die Förderung der Kommunalen Kulturarbeit in den Berliner Bezirken:

Kommunale Kulturarbeit und Kulturförderung als Pflichtaufgabe

§ 1:

(1) Die kommunale Kulturarbeit und Kulturförderung ist Pflichtaufgabe des Landes Berlin und seiner Bezirke.

(2) Bezirkliche Kulturarbeit umfaßt die Tätigkeit der kommunalen Kultureinrichtungen der Kunst- bzw. Kulturämter, die Förderung der Kulturarbeit freier Träger, von Projektgruppen und Kulturinitiativen, die Förderung der im Bezirk tätigen Künstlerinnen und Künstler sowie die Tätigkeit der bezirklichen Volkshochschulen, Musikschulen und Bibliotheken.

§ 2:

(1) Die Bezirke sind berechtigt und im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit verpflichtet, die Aufgaben bezirklicher Kulturarbeit in eigener Verantwortung zu erfüllen.

(2) Die für Kultur zuständige Senatsverwaltung bzw. die in öffentlicher Trägerschaft des Landes befindlichen Kultureinrichtungen sollen nur jene Aufgaben von gesamtstädtischer Bedeutung wahrnehmen, die von den Bezirken im Rahmen der übertragenen Pflichtaufgabe nicht wahrgenommen werden können.

(3) Die Bündelung der zur Aufgabenerfüllung vom Bezirk beabsichtigten Maßnahmen erfolgt in einem von jedem Bezirk aufzustellenden Kulturentwicklungsplan, der unter Mitwirkung der kulturellen Öffentlichkeit erarbeitet, von der Bezirksverordnetenversammlung zu beschließen und mit dem Land abzustimmen ist (vgl. § 9).

(4) Zur Wahrnehmung der kommunalen Kulturaufgaben können die Bezirke kooperieren und gegebenenfalls regionale öffentliche Trägerstrukturen bilden.

Aufgaben der bezirklichen Kulturämter

§ 3:

(1) In allen Berliner Bezirken werden Kulturämter eingerichtet.

(2) Das Kulturamt koordiniert die Kulturarbeit des Bezirksamtes und ist zuständig für die Zusammenarbeit mit anderen im Bezirk befindlichen Kultureinrichtungen.

§ 4:

In Wahrnehmung ihres kommunalen Kulturauftrages übernehmen die bezirklichen Kulturämter insbesondere folgende Aufgaben:

- die Präsentation eines vielfältigen und allgemein zugänglichen Kulturangebots in einer Vielzahl künstlerischer Sparten unter besonderer Berücksichtigung der Bevölkerungsgruppen, die stärker als andere an den Lebensraum des Bezirkes gebunden sind oder nicht die Möglichkeit haben, ein selbstbestimmtes Verhältnis zur Kultur zu entwickeln (kulturelle Versorgung),

- die Entwicklung einer generationen- und schichtenübergreifenden, themen- und zielgruppenorientierten Kulturarbeit (kulturelle Vielfalt),

- die Stadtteilgeschichtsarbeit, die Vermittlung kulturellen Erbes in öffentlichen Institutionen, sowie die Sicherung des kulturellen Bestandes (kulturelle Tradition),

- die Förderung von Künstlerinnen und Künstlern und Kulturschaffenden sowie die Schaffung und Erhaltung ihrer räumlichen Entfaltungsmöglichkeiten (kulturelle Infrastruktur),

- die Beratung und Information sowohl der Bürgerinnen und Bürger als auch der Künstlerinnen und Künstler im Bezirk (kulturelle Information),

- den Kulturaustausch besonders im Rahmen von Städtepartnerschaften des Bezirks (kulturelle Außenkontakte),

- die Künstlerinnen- und Künstlerförderung und die Förderung der freien Kulturszene im Bezirk (kulturelle Innovation),

- die Koordination und Vernetzung der kulturellen Aktivitäten im Bezirk (kulturelle Koordination).

§ 5:

Die personelle, sachliche und finanzielle Ausstattung des Kulturamtes und der bezirklichen Kultureinrichtungen soll sich an den in § 4 umrissenen Aufgaben orientieren und darüber hinaus Größe und stadträumliche Lage, soziales Profil und die vorhandene bzw. zu entwickelnde kulturelle Infrastruktur des jeweiligen Bezirkes berücksichtigen.

§ 6:

(1) In jedem Bezirk sind unter maßgeblicher Beteiligung des Kulturamtes geeignete Beratungsgremien innerhalb des Bezirksamtes zu schaffen, die ressortübergreifend die Bearbeitung kommunaler Kulturaufgaben gestatten. Die Einbeziehung externer Sachverständiger, von Vertreterinnen und Vertretern relevanter Interessengruppen und der weiteren kulturellen Öffentlichkeit sollte ausdrücklich angestrebt und ermöglicht werden.

(2) Die Beratungsgremien sollten insbesondere folgende Querschnittsfragen erörtern und für den Prozeß der Erstellung, Umsetzung bzw. kritischen Revision des bezirklichen Kulturentwicklungsplan aufarbeiten:

- die Beratung von inhaltlichen, regionalen, kulturellen und sozialen Schwerpunkten kommunaler Kulturarbeit und Kulturförderung,

- die Beratung von Investitionsmaßnahmen im Bereich der kulturellen Infrastruktur,

- die Beratung von einrichtungs- und abteilungsübergreifenden Projekten,

- die Programmabstimmung zwischen den Einrichtungen,

- die Beratung von Stadtplanung im Bereich Kultur, - die Beratung über den Kulturaustausch,

- die Koordination von Kunst-am-Bau- bzw. im-StadtraumMaßnahmen.

§ 7:

(1) In jedem Bezirk ist ein Kulturbeirat einzurichten.

(2) Der Kulturbeirat berät das für Kultur zuständige Mitglied des Bezirksamtes bei der Vergabe von Projektmitteln an freie Träger der bezirklichen Kulturarbeit. Er begleitet die Arbeit des Kulturamtes und beteiligt sich an der Entwicklung kulturpolitischer Leitlinien und an der Ausarbeitung des Kulturentwicklungsplanes für den Bezirk.

(3) Die Beiratszusammensetzung und die Arbeitsrichtlinien (Vergaberichtlinien) werden von der BVV beschlossen.

§ 8:

(1) Die Aufgaben der Volkshochschulen, der Musikschulen und der Bibliotheken in den Berliner Bezirken sowie die Aufgaben der für Kultur zuständigen Senatsverwaltung sind gesondert durch Gesetz zu bestimmen.

(2) Die Wahrnehmung dieser Aufgaben als Pflichtaufgaben des Landes und seiner Bezirke, wie sie durch dieses Gesetz bestimmt werden, bleibt hiervon unberührt, sofern nicht ausdrücklich anderes durch Gesetz bestimmt wird.

Koordination bezirklicher und gesamtstädtischer Kulturförderung

§ 9:

(1) Die Kulturämter der Bezirke und die für Kultur zuständige Senatsverwaltung koordinieren ihre kulturfördernden Aktivitäten in den jeweiligen Regionen auf der Basis der von den Bezirken aufzustellenden Kulturentwicklungspläne bzw. des von der für Kultur zuständigen Senatsverwaltung auszuarbeitenden und vom Berliner Abgeordnetenhaus zu beschließenden Kulturentwicklungsplan für das Land Berlin.

(2) Diese Kulturentwicklungspläne sind spätestens zwei Jahre nach Verkündung dieses Gesetzes und dann alle fünf Jahre von den Bezirksverordnetenversammlungen bzw. dem Berliner Abgeordnetenhaus zu beschließen. Abweichende Stellungnahmen des Abgeordnetenhauses zu bezirklichen Kulturentwicklungsplänen bzw. der Bezirksverordnetenversammlungen zum Berliner Kulturentwicklungsplan, die jeweils empfehlenden Charakter haben, sind in den hierfür zuständigen parlamentarischen Gremien nochmals innerhalb einer Frist von sechs Monaten zu behandeln.

§ 10:

Die Unterhaltung bzw. Förderung von Kultureinrichtungen durch das Land mit relevanter bezirklicher Bedeutung ist zwischen zuständiger Senatsverwaltung und bezirklichen Kulturämtern abzustimmen. Gegebenenfalls sind gemeinsame Formen der Trägerschaft zu entwickeln.

Überbezirkliche Strukturförderung

§ 11:

(1) Für einzelne bezirksspezifische Aufgaben, insbesondere solche, die sich auf die Förderung des multikulturellen Lebens, den Aufbau kultureller Infrastruktur in bislang schlecht ausgestatteten Stadtteilen oder die Förderung neuartiger kultureller Projekte beziehen, und die die Finanzierungsmöglichkeiten einzelner Bezirke übersteigen, werden im Geschäftsbereich der für kulturelle Angelegenheiten zuständigen Senatsverwaltung Sondermittel für die bezirkliche Kulturförderung bereitgehalten.

(2) Die Vergabe erfolgt in Absprache mit einem vom Rat der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister zu berufenen Beirat aus unabhängigen Fachleuten und Bezirksvertreterinnen/Bezirksvertretern. Antragsberechtigt sind die Bezirksämter. Sie müssen bei der Beantragung erklären, dass sie mindestens ein Drittel der Projektkosten selbst tragen werden oder eine verbindliche Finanzierungszusage darüber von dritter Seite vorlegen können.

(3) Die Sondermittel für Kulturförderung in den Bezirken sind ausschließlich zur Projektfinanzierung und zur Anschubfinanzierung für höchstens zwei Jahre zu verwenden.

Begründung:

Mit Schreiben vom 26. Februar 1993 teilte der Vorsitzende des Ausschusses für Kulturelle Angelegenheiten des Abgeordnetenhauses dem Rat der Bürgermeister und dem Senator für Kulturelle Angelegenheiten mit: „Der Kulturausschuß begrüßt einstimmig den Bericht der vom Senat eingesetzten Strukturkommission zur Weiterentwicklung der Kulturarbeit in den Berliner Bezirken. Er empfiehlt dem Senat, in Abstimmung mit denBezirken, die rasche Umsetzung der darin enthaltenen Vorschläge."

Das von der Senatsverwaltung für Kulturelle Angelegenheiten daraufhin intern entwickelte Papier „Zur legislativen Umsetzung der Vorschläge der Strukturkommission zur Kulturarbeit in den Bezirken" stellte die politische Notwendigkeit und die juristischen Rahmenbedingungen für eine Gesetzesinitiative zur Fixierung der Kulturförderung als einer Pflichtaufgabe heraus: „Die umfassende und effektive Kulturförderung ist ein legitimes Ziel, das durch den aus dem Grundgesetz (Art. 5 Abs. 3 GG) abgeleiteten Anspruchs des Bürgers auf Kulturteilhabe Verfassungsrang besitzt. Eine Formulierung der Kulturförderung als Pflichtaufgabe (auch) der Bezirke hätte die haushaltsrechtliche Gleichstellung dieser Aufgabe mit anderen Pflichtaufgaben zur Folge. Die Qualifizierung der Kulturarbeit als Pflichtaufgabe führt zur Vereinheitlichung, Konsolidierung und rechtlichen Absicherung des bezirklichen Kulturetats (bei Annahme des künftigen Globalhaushaltes der Bezirke) und dient damit der Umsetzung des Kulturteilhabeanspruchs des Bürgers. In Zeiten finanzieller Engpässe könnten nicht ­ wie bisher allzu üblich ­ die Einsparungen zuerst im Kulturbereich angesetzt werden. Es gäbe sich jedenfalls ein erhöhter Erklärungsbedarf, der Verweis auf die vorrangige Erledigung der Pflichtaufgaben wäre dann unmöglich. Das Gesetz wäre also geeignet, dem Kulturteilhabeanspruch des Bürgers verstärkt zur Durchsetzung zu verhelfen.

Die Erforderlichkeit eines solchen Gesetzes könnte sich vor allem aus der städtepolitischen Besonderheit Berlins ergeben. Insbesondere in der Hauptstadt Berlin, die sich noch immer im Prozeß des Zusammenwachsens des ehemaligen Ost- und Westteils befindet, spielt die Kultur eine herausragende integrative Rolle im Zusammenleben der Bürger. (...) Eine gewisse einheitliche Strukturierung der bezirklichen Kulturarbeit, auch in Beziehung zu übergeordneten Verwaltungsträgern, ebenso die Einsetzung von Koordinierungs- und Beratungsgremien erscheint... unerläßlich. Dies entspricht nicht zuletzt auch dem verfassungsrechtlichen Auftrag zur Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse für die Bürger eines Landes." Die Verhältnismäßigkeit bei der Einschränkung der Eigenverantwortlichkeit der Bezirke durch Festsetzung einer bezirkseigenen Aufgabe als Pflichtaufgabe ist zu wahren: „Inhaltlich darf sich das Gesetz ­ um noch angemessene Einschränkung zu sein ­ daher in jeder Hinsicht nur auf die Festsetzung von Rahmenbedingungen über die Art und Weise der Aufgabenerfüllung beschränken." Die Kulturpflicht kann sich daher lediglich auf das „ob" der Aufgabenerfüllung, die Verwirklichung allgemein gültiger Ziele kommunaler Kulturarbeit beziehen, das „wie" bezirklicher Kulturarbeit steht nach wie vor im politischen Ermessen des einzelnen Bezirks.

Die Entwicklung der letzten Jahre hat die Notwendigkeit der rechtlichen Stärkung der kommunalen Kulturarbeit in den Bezirken nachdrücklich unterstrichen.

Vor dem Hintergrund der mittelfristig absehbaren Auswirkungen der Haushaltslage des Landes Berlin auf die bezirkliche Kulturarbeit ­ der Gefahr des unwiederbringlichen Wegsparens der kulturellen Substanz der Bezirke ­ forderte erst kürzlich der Bezirksbürgermeister von Friedrichshain Helios Mendiburu „eine Gesetzgebung über die Wahrnehmung gesamtstädtischer Verantwortung für die bezirkliche Kulturarbeit. Für Berlin wird eine gemeinsame, aus den Beiträgen der Bezirke und des Senats zusammengeführte Kulturentwicklungsplanung immer dringlicher, um die Hauptstadtkultur kostengünstig und trotzdem attraktiv und zukunftsorientiert gestalten zu können."

Der hier vorgelegte Gesetzesentwurf resümiert die in den letzten Jahren intensiv geführte, aber bislang parlamentarisch folgenlos gebliebene Debatte.

Unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlich fixierten Gebotes, möglichst vielen Menschen aus allen Bevölkerungsteilen den Zugang zu Kunst und Kultur zu ermöglichen und zu erleichtern und dem Anspruch der Bürgerinnen und Bürger auf kulturellen Pluralismus zu genügen, sollten nun die rechtlichen Grundlagen der kommunalen Kulturarbeit in den Bezirken gestärkt werden.

Berlin, den 14. August 1996

Carola Freundl Harald Wolf Dr. Thomas Flierl und die übrigen Mitglieder der Fraktion der PDS