Konzepte zur Standortqualifizierung auf den 21 Industrieflächenarealen

Die Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie sowie Wirtschaft und Betriebe legen nachstehende Mitteilung dem Abgeordnetenhaus zur Besprechung vor:

Das Abgeordnetenhaus hat in seiner Sitzung am 17. Oktober 1996 folgendes beschlossen: „Der Senat von Berlin wird aufgefordert, das Konzept zur Industrieflächensicherung von 1992 fortzuentwickeln und ergänzend ein Konzept der Standortqualifizierung bis zum 31.Oktober 1996 vorzulegen.

In diesem Konzept muss gewährleistet sein, daß:

- die Flächen wirtschaftlich breiter genutzt werden können,

- die Nutzungen standortbezogen zu den industriellen Kernkompetenzen passen,

- auch Nutzungsflächen von weniger als einem Hektar für produzierendes Handwerk und handwerkliche Dienstleistungen angeboten werden."

Hierzu wird berichtet:

1. Vorbemerkungen Flächensicherung und -vorsorge für Betriebe des verarbeitenden Gewerbes gehören zu den ständigen Aufgaben des Berliner Senats zur Stärkung der Wirtschaftskraft der Stadt.

Das im November 1992 vom Berliner Senat beschlossene „Konzept zur Sicherung von Gewerbe- und Industrieflächen in wichtigen Bereichen Berlins (Industrieflächensicherungskonzept)" war seinerzeit dringend erforderlich geworden, da sich infolge der deutschen Wiedervereinigung, der Wiedergewinnung des Berliner Umlandes und der euphorischen Erwartungen hinsichtlich der Entwicklung des Dienstleistungssektors im Zusammenhang mit der Hauptstadtentscheidung erhebliche Umnutzungstendenzen in den historisch gewachsenen großen Industriearealen der Stadt vollzogen, die den strukturellen Anpassungsprozeß der Berliner Wirtschaft ­ insbesondere der industriellen Basis ­ erheblich erschwerten.

In dieser Situation mußte kurzfristig in Form des Industrieflächensicherungsbeschlusses wirtschaftspolitisch reagiert werden.

Die Erarbeitung eines sektoralen Stadtentwicklungsplanes Gewerbe war zum einen aus Zeitgründen ­ da alle Kraft auf die zügige Erarbeitung des (ersten) gesamtstädtischen Flächennutzungsplanes vereint werden mußte ­ nicht möglich und zum anderen hätte ein solches Instrument auf Grund unzureichender planungsrechtlicher Verbindlichkeit keine bessere Wirksamkeit entfalten können.

Seit 1992 wird der Industrieflächensicherungsbeschluß durch die Erarbeitung wirtschaftspolitischer und stadtentwicklungsplanerischer Konzepte inhaltlich ausgestaltet. Dazu wurden insbesondere folgende Arbeiten bereits erstellt oder sind in Erarbeitung:

a) „Stadträumliches Konzept der gewerblichen Entwicklung" (abgeschlossen),

b) planungsrechtliche Prioritäten und Handlungsbedarfe in den 21 Schwerpunktbereichen (in Erarbeitung),

c) „Berliner Industrie- und Gewerbeflächenprogramm, Laufzeit 1996 bis 2000 (BIG 2000)" (in Vorbereitung),

d) Gutachten „Eingestreute Gewerbestandorte" (abgeschlossen),

e) „Stadtentwicklungsplan Gewerbe" (StEP Gewerbe) (in Erarbeitung).

2. Zielsetzungen und Wirkungen des Senatsbeschlusses zum „Konzept zur Sicherung von Gewerbe- und Industrieflächen in wichtigen Bereichen Berlins"

Mit dem „Konzept zur Sicherung von Gewerbe- und Industrieflächen in wichtigen Bereichen Berlins (Konzept zur Industrieflächensicherung)" wurden 21 Schwerpunktbereiche mit einer Fläche von etwa 3 300 ha mit ihrer flächen- und wirtschaftsbezogenen Infrastruktur für das verarbeitende Gewerbe stabilisiert und gesichert.

Der Industrie kommt für die wirtschaftliche Entwicklung Berlins auch künftig große Bedeutung zu. Eine moderne und leistungsfähige Industrie ist eine wichtige Voraussetzung für die Expansion des Dienstleistungsangebots im unternehmerischen Bereich. Überdurchschnittliches Wachstum von Wertschöpfung und Beschäftigung der unternehmensbezogenen Dienste zeigt sich vor allem in solchen Regionen, in denen Fühlungsvorteile zu innovativen Industrieunternehmen verwirklicht werden konnten.

Als Teil der industriepolitischen Zielsetzungen Berlins dient das Industrieflächensicherungskonzept vor allem dazu,

- den strukturellen Umbruch im produzierenden Gewerbe abzufedern,

- ein eigenes Marktsegment für Industrieflächen zu schaffen und zu pflegen,

- die Errichtung von reinen Dienstleistungsvorhaben nur in städtebaulich und stadtstrukturell gewünschten räumlichen Lagen (z. B. in zentralen Innenstadtbereichen, am S-Bahnring oder in bezirklichen Zentren) sicherzustellen und

- spekulative Käufe von Industriegrundstücken zu unterbinden.

Die Entscheidungen und Maßnahmen im Rahmen des Industrieflächensicherungskonzepts haben schnell Wirkung gezeigt.

Die Verkehrswerte für Gewerbe- und Industrieflächen sind in allen Teilen der Stadt im Vergleich zu den Vorjahren gesunken.

In einer Vielzahl intensiver Individualgespräche zwischen Wirtschaft und Politik wurden und werden rund 200 Umnutzungswünsche diskutiert. Dabei steht stets das Ziel im Vordergrund, die Interessen der Region und des Unternehmens miteinander in Einklang zu bringen. Gemeinsam mit den Unternehmen und allen Betroffenen in der Stadt konnten in vielen Fällen konsensfähige Einzelkonzepte erarbeitet und Lösungen erreicht werden.

Zugleich wurden durch das Industrieflächensicherungskonzept die Betriebe innerhalb der 21 Schwerpunktbereiche gestärkt.

Der Abbau von Arbeitsplätzen im verarbeitenden Gewerbe und Baugewerbe war innerhalb der 21 Schwerpunktbereiche deutlich geringer. So betrug der Arbeitsplatzabbau im Zeitraum zwischen 1992 und 1994 innerhalb der Schwerpunktbereiche 14 %, in der Gesamtstadt lag er bei 19 %. Nur auf das verarbeitende Gewerbe bezogen, gingen innerhalb der Schwerpunktbereiche in demselben Zeitraum 18 % der Arbeitsplätze verloren, in der Gesamtstadt 23 %. Gleichzeitig ist jedoch die Zahl der Arbeitsplätze bei den Kleinbetrieben innerhalb der Schwerpunktbereiche um 5 % gestiegen. Allein im Jahr 1993 wurden zudem in den 21 Schwerpunktbereichen rund 2 Mrd. DM an Neuinvestitionen getätigt.

Ebenfalls wurde die Abwanderung von Industriebetrieben und Arbeitsplätzen in das Umland aus spekulativen Gründen gestoppt. Die negativen Einschätzungen von 1991 haben sich dank des Industrieflächensicherungskonzeptes in dem damals geschätzten Umfang nicht bestätigt.

Insgesamt hat das Industrieflächensicherungskonzept einen Denkprozeß eingeleitet. Investoren suchen Nutzungskonzepte, die den Strukturwandel vorantreiben. Solche Nutzungskonzepte wurden gemeinsam mit der Wirtschaft diskutiert und teilweise erfolgreich auf den Weg gebracht:

- Der traditionelle Industriestandort Oberschöneweide wird qualifiziert durch ein Technologiezentrum, ein Gewerbezentrum und vor allem durch die zusätzlichen Aktivitäten von Samsung.

- Mit dem Gründerzentrum der DIBAG an der Rhinstraße in Marzahn wurden neue Möglichkeiten für Existenzgründer geschaffen.

- Der Borsig-Block in Berlin-Tegel erfährt eine grundlegende Wandlung.

Während das Industrieflächensicherungskonzept in seiner ersten Phase davon ausging, Produktion an allen Standorten durch Zulassung ausschließlich produzierender Nutzungen zu sichern, ist dieser Standpunkt entsprechend den wirtschaftlichen Erfordernissen fortgeschrieben worden. Zum einen hat sich in den letzten Jahren der klassische Industriebegriff geändert, zum anderen sind neben Betrieben des verarbeitenden Gewerbes auch andere gewerbe- und industriegebietstypische Nutzungen auf Standorte in der Stadt angewiesen. Das betrifft Speditionen, Großhandelsunternehmen, Logistikbetriebe, Bauunternehmen ebenso wie Ver- und Entsorgungsunternehmen. Für diese Nutzungen reicht die Kulisse der außerhalb der 21 Schwerpunktbereiche liegenden gewerblichen Bauflächen nicht aus. Auch solche Nutzungen sind sinnvoll, wenn sie eine jeweils dem Standort angepaßte Mischung gewerblicher Betriebe erlauben.

Die Wandlung des Industriebegriffs, die die Identifizierung der spezifischen standörtlichen Vorteile als Basis für einen adäquaten Nutzungsmix erfordert, ist deshalb eine der zentralen Aufgaben von Gegenwart und Zukunft. Leitbilder unterstützen die Identifizierung von Standortdefiziten und -vorteilen. Konsequent gilt es, die Defizite auszugleichen und die Vorteile für neue wirtschaftliche Aktivitäten zu nutzen.

Insbesondere vor dem Hintergrund der gescheiterten Fusion der Länder Berlin und Brandenburg muss Berlin seine Standortvorteile nutzen und seine Flächenangebote verbessern.

3. Konzepte zur Fortschreibung und Qualifizierung des Industrieflächensicherungskonzeptes

Stadträumliches Konzept der gewerblichen Entwicklung

Das im Juni 1996 fertiggestellte Gutachten „Stadträumliches Konzept der gewerblichen Entwicklung" bildet die wichtigste Grundlage für den in Erarbeitung befindlichen Stadtentwicklungsplan Gewerbe (StEP Gewerbe). Ziel dieses Konzeptes war es, einzelne Stadträume, Lagen und Gewerbestandorte im Hinblick auf ihre spezifischen Qualitäten und ihre Eignung für gewerbliche Nutzungen zu bewerten, vorhandene Potentiale darzustellen, Vorschläge für eine differenzierte Angebotsplanung zu formulieren und wesentliche Handlungsfelder für die öffentliche Verwaltung aufzuzeigen.

Dazu wurden unterschiedliche räumliche Betrachtungsebenen einer kritischen Bewertung unterzogen, in deren Ergebnis neben einer Vielzahl von Eignungskarten (bezogen auf Erschließungskriterien wie Verkehr oder Technische Infrastruktur, aber auch bezogen auf Synergieaspekte wie die Nähe zu Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen, oder zu Flächenerweiterungs- bzw. verdichtungspotentialen) vor allem

- ein gesamtstädtisches Modell der gewerblichen Entwicklung,

- ein Maßnahmenkonzept und

- erste Vorschläge für Stadtraum- und Standortprofile herausgearbeitet wurden.

Insbesondere die weitere Verfeinerung der Stadtraum- und Standortprofile und die notwendigen Maßnahmen müssen im Rahmen der StEP-Erarbeitung geleistet werden.

Das Stadträumliche Konzept ist allen Bezirken (Bau- und Wirtschaftsabteilungen) zur Verfügung gestellt worden, um kurzfristig in die Diskussion zum StEP Gewerbe zu treten. Ebenso liegt es inzwischen allen Mitgliedern der Ausschüsse für Stadtplanung und Stadtentwicklung sowie Wirtschaft und Technologie des Abgeordnetenhauses vor:

Planungsrechtliche Prioritäten und Handlungsbedarfe in den 21 Schwerpunktbereichen Vierzig Jahre getrennte Entwicklung ­ auch in planungsrechtlicher Hinsicht ­ haben die beiden Stadthälften Berlins in unterschiedlicher Weise geprägt.

Im ehemaligen Westteil der Stadt wurde die vorhandene und beabsichtigte Bodennutzung für das gesamte Gebiet durch den Flächennutzungsplan 84 dargestellt. Verbindliches Planungsrecht bestand und besteht durch den übergeleiteten Baunutzungsplan (von 1958/1961) und festgesetzte Bebauungspläne.

Vergleichbares war für den ehemaligen Ostteil der Stadt nicht vorhanden. Es galt der 1969 beschlossene und 1981 durch eine modifizierte Neufassung abgelöste Generalbebauungsplan. Er war allerdings nach der Wiedervereinigung aus formalen und inhaltlichen Gründen für eine vorübergehende Fortgeltung als vorbereitender Bauleitplan nicht geeignet und wurde für obsolet erklärt. Auf Grund des fehlenden verbindlichen Planungsrechts wird die Zulässigkeit von Vorhaben daher gem. § 34 BauGB in im Zusammenhang bebauten Ortsteilen bzw. gem. § 35 BauGB im Außenbereich beurteilt.

Nach § 34 BauGB ist ein Vorhaben dann zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Der Maßstab der vorhandenen Umgebung bildet den Ersatz für den nicht vorhandenen Bebauungsplan. Da aber im ehemaligen Ostteil der Stadt überwiegend keine homogenen Industriestrukturen vorhanden waren, d. h. die „nähere Umgebung" in aller Regel verschiedene Arten und Maße der baulichen Nutzung aufweist, ist eine eindeutige Zuordnung zu einem Baugebiet der BauNVO und die damit einhergehende Eingrenzung auf bestimmte Nutzungsarten kaum möglich. Es müssen daher in Gewerbegebieten zum Teil wirtschaftspolitisch nicht gewünschte Nutzungen wie Wohnen, selbständige Bürogebäude und produktionsunabhängige Dienstleistungsunternehmen hingenommen werden, da sie sich „in die Eigenart der näheren Umgebung" einfügen. Die gewünschte Sicherung von Industrie- und Gewerbegebieten in den Schwerpunktbereichen des Industrieflächensicherungskonzeptes konnte somit nicht in dem erforderlichen Maße geschehen.

Ziel muss es daher sein, alle zur Verfügung stehenden planungsrechtlichen und planerischen Möglichkeiten in vollem Umfange zu nutzen. Dies betrifft zum einen die Sicherung der Flächen über die verbindliche Bauleitplanung, um insbesondere dem Grundsatz des Baugesetzbuches nachzukommen, „die Belange der Wirtschaft" angemessen zu berücksichtigen. Dazu ist es notwendig, in Zusammenarbeit mit den Bezirken im Rahmen der rechtlichen Grundlagen beispielsweise neue textliche Festsetzungen in den Bebauungsplänen zu entwickeln. Zum anderen betrifft dies auch die Aktivierung gewerblicher Bauflächen. Um die Intensivierung der betreffenden Flächen vorantreiben zu können, muß vor allem auf die so dringend notwendigen infrastrukturellen Erschließungsmaßnahmen hingewirkt werden.

Auch bei der Vorbereitung und Durchführung von städtebaulichen Entwicklungsmaßnahmen ist eine Einflußnahme aus wirtschaftspolitischer Sicht von großer Bedeutung. In den Entwicklungsgebieten muss auf die Sicherung bestehender und Entwicklung neuer gewerblicher Bauflächen hingewirkt werden. Die dringend notwendige Festsetzung von GE-Gebieten innerhalb von Entwicklungsbereichen in Berlin findet nur sehr zögerlich statt.

Ein Umdenkprozeß ist dringend geboten.

Insbesondere wird die Schaffung verbindlichen Planungsrechts, d. h. vor allem die (Neu-) Aufstellung von Bebauungsplänen in den Schwerpunktbereichen, ein wichtiger Aspekt bei der Umsetzung der geplanten Ziele sein. Da auf Grund der personellen und finanziellen Engpässe bei den für die Aufstellung von Bebauungsplänen zuständige Bezirksämtern nur ein geringer Teil der Schwerpunktbereiche mit konkretem Planungsrecht ausgestattet werden kann, muss ein Prioritätenkatalog erarbeitet werden. In mehreren Arbeitssitzungen zwischen den Senatsverwaltungen für Wirtschaft und Betriebe sowie Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie wurden hierfür die Voraussetzungen geschaffen:

a) Überprüfung der Abgrenzungen der Schwerpunktbereiche Zunächst mußten die 1992 im Industrieflächensicherungskonzept vorgenommenen Schwerpunktbereichsabgrenzungen aktuellen Entwicklungen in der Stadt angepaßt werden. In bestimmten Bereichen waren Änderungen in den Abgrenzungen ­ auch auf Grund abweichender Darstellungen im geltenden Flächennutzungsplan ­ erforderlich. Die jetzt vorliegenden Abgrenzungen wurden anhand folgender Kriterien vorgenommen:

- Darstellung als gewerbliche Baufläche im Flächennutzungsplan

- bestehende Nutzungen

- geplante Nutzungen

b) Erhebung der planungsrechtlichen Situation

Die aktuelle planungsrechtliche Situation wurde erfaßt und, unterschieden nach

- Gebieten mit verbindlichem Planungsrecht und

- unbeplanten Gebieten, sowie differenziert hinsichtlich Planungsstatus, kartografisch aufbereitet. Ebenfalls dargestellt wurden die innerhalb der Schwerpunktbereiche gelegenen gemischten Bauflächen des FNP.

c) Neubewertung der gefährdeten Bereiche Anhand der bei den Senatsverwaltungen für Wirtschaft und Betriebe sowie Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie vorhandenen Kenntnisse wurden daraufhin alle Bereiche identifiziert, bei denen

- auf Grund eines aktuellen unerwünschten Umnutzungsdrucks oder

- auf Grund fehlenden oder den aktuellen Erfordernissen (zur Genehmigung wirtschafts- und stadtentwicklungspolitisch gewollter bzw. abgestimmter Ansiedlungsvorhaben) nicht entsprechenden Planungsrechts dringender Planungsbedarf besteht.