Alkoholpsychose

Bei den Sozialpsychiatrischen Diensten stellte im Berichtsjahr 1994 der Personenkreis der Suchtkranken (ICD-Nr. 303 bis 304.9)7) die zweitgrößte Patientengruppe mit insgesamt 2 653 Fällen dar. Zu 90 % handelt es sich hier um Alkoholkranke; den größten Anteil (59,7 %) stellten Männer im Alter von 25 bis 65

Jahren.

Unter der Diagnose „Alkoholpsychose" (ICD-Nr. 291) wurden im Berichtsjahr insgesamt 153 Personen erfaßt; davon 106 Männer und 47 Frauen.

Im übrigen wurden unter der Diagnose „Drogen- und Medikamentenmißbrauch ohne Abhängigkeit" (ICD-Nr. 305) ­ worunter auch der Alkoholmißbrauch fällt ­ insgesamt 160 Personen aufgeführt (93 Männer; 67 Frauen).8)

Alkoholbedingte Krankenhaus- und Sterbefälle

Wie die Ergebnisse der Krankenhausstatistik-Verordnung (Teil II: Diagnosen) für das Jahr 1993 in Berlin zeigten, lagen bei den Männern Krankenhausfälle wegen Alkoholismus (ICD 9/303: 7 195 Fälle) und wegen Alkoholpsychosen (ICD 9/291: 1 152

Fälle) nach chronischen, ischämischen Herzkrankheiten an zweiter Stelle der Behandlungsdiagnosen. Bei den unter 65jährigen Männern waren sie sogar der Hauptgrund der stationären Versorgung. Diese Tatsache muss als alarmierend bezeichnet werden.

Hier ist ebenfalls mit einer Dunkelziffer zu rechnen, da zahlreiche Organschädigungen auf Grund des Alkoholkonsums auch zur Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit führen können.

In diesem Zusammenhang haben vor allem auch die alkoholbedingten Sterbefälle zugenommen, insbesondere bei den Frauen aus dem Westteil Berlins (1993 starben statistisch gesehen 5,4 Frauen je 100 000 an Alkoholismus-ICD 9/303 und 1994 7,7

Frauen; an alkoholbedingter Leberzirrhose-ICD 9/571.2 starben 1993 6,3 Frauen und 1994 7,6 Frauen). 1994 betrug der Anteil der alkoholbedingten Sterbefälle an der Gesamtsterblichkeit im Westteil der Stadt 2,3 % (660 Fälle) und im Ostteil der Stadt 3 % (373 Fälle). 83 % aller an Alkoholismus und 82 % aller an alkoholbedingter Leberzirrhose Gestorbenen waren jünger als 65 Jahre.

Die Diagnose ICD 9/303 (Alkoholabhängigkeit) ist mittlerweile bei den 45- bis 55jährigen Männern in Berlin die häufigste Todesursache. Auch hier muss mit einer Dunkelziffer gerechnet werden.

Es muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass wegen der bekannten Abwehr- und Verleugnungstendenzen auch von Familienangehörigen die Dunkelziffer bei den alkoholbedingten Sterbefällen recht hoch anzusiedeln ist. So wird sicherlich häufig Alkoholabhängigkeit auch dann nicht als Todesursache auf dem Totenschein benannt werden, wenn sie eindeutig primär Ursache für die Krankheitsentwicklung war, die zum Tode geführt hat.

Medikamente

Das Gesundheitsstrukturgesetz führte dazu, dass sich der Arzneimittelmarkt 1993 erstmals drastisch veränderte. Durch Festsetzung einer Verschreibungshöchstgrenze für den Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung kam es zu einem völlig veränderten Verschreibungsverhalten bei den Ärzten. Wäre die festgesetzte Höchstgrenze überschritten worden, hätten sowohl die verordnenden Ärzte als auch die pharmazeutischen Hersteller zumindest einen Teil des Zuvielverordneten aus eigener Tasche zahlen müssen. Dieser Rückgang im Verschreibungsverhalten von 1992 zu 1993, der fast ein Fünftel betrug, legt die Vermutung nahe, dass in den Jahren zuvor viele Verordnungen tatsächlich medizinisch nicht notwendig waren.

Insgesamt wurden je Bundesbürger (West) im Durchschnitt 22 Packungen Medikamente verordnet mit insgesamt 1 150 Arzneimitteldosierungen. Die umsatzstärksten Medikamente waren 1993 erstmals die Gruppe der Psychopharmaka, Schlaf- und Beruhigungsmittel. Einen hohen Anteil am Arzneimittelumsatz hat nach wie vor die Selbstmedikation, hier insbesondere mit rezeptfreien Schmerzmitteln. In diesem Zusammenhang ist es sehr problematisch, dass nach wie vor Kombinationsschmerzmittel (u. a. Schmerzmittel mit Coffein-Anteil wie z. B. Thomapyrin oder Spalt N) die größte Rolle spielen, obwohl längst das Mißbrauchspotential dieser Kombinationspräparate und Folgen wie schwere, zum Teil irreversible Begleiterkrankungen bekannt sind.

1993 betrug der Anteil von Selbstmedikationen bzw. Privatrezepten an allen verkauften Packungen (West) 47 %, während 53 % auf die verordneten Packungen der Gesetzlichen Krankenversicherungen entfielen.10)

Das Problem der Medikamentenabhängigkeit scheint bisher deutlich unterschätzt worden zu sein. Nach einer Studie des Bundesverbandes der Innungskrankenkassen11) wurde ein hypothetischer Wert von 2,9 Mio. Medikamentenabhängigen errechnet. Allein für Benzodiazepine wurde bei ca. 850 000 Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherungen eine Abhängigkeit diagnostiziert. Dabei waren Frauen viermal häufiger betroffen als Männer, vor allem Frauen über 40.12) Langzeitkonsumenten von Benzodiazepinen entwickeln auch nach Einnahme von therapeutisch kleinen Mengen eine Abhängigkeit. 740 000 Menschen leiden unter einer „low-dose-dependency". Insbesondere Frauen und ältere Menschen nehmen Schlaf- und Beruhigungsmittel. Zwei Drittel aller Verordnungen gehen an Frauen; insgesamt 60 % aller Verordnungen gehen an Menschen über 60 Jahre.13) Aber auch in der Gruppe der 25- bis 39jährigen hat vor allem der Verbrauch an Antidepressiva stark zugenommen. In diesem Zusammenhang kritisiert die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), „daß Pharmafirmen offensiv mit Diazepamhaltigen Tranquilizern jugendliche Zielgruppen bewerben und ihre Produkte als Mittel zur Überbrückung von Kummer oder anderen Alltagsproblemen anbieten. Damit werden frühzeitig die Weichen für eine Suchtkarriere gestellt".14)

Eßstörungen

Seit einigen Jahren besteht die Tendenz, Eßstörungen ebenfalls unter die Süchte zu fassen, oft im Zusammenhang mit anderen nichtstoffgebundenen Süchten wie z. B. Arbeitssucht, Kaufsucht oder Fernsehsucht.

Im allgemeinen werden drei Formen von Eßstörungen unterschieden:

- Adipositas (Fettsucht)

- Bulimia nervosa (Eß- und Brechsucht)

- Anorexia nervosa (Magersucht).

Als besonders problematisch kann die Zuordnung der Adipositas zu den Suchterkrankungen gelten, da auch unter Zuhilfenahme diagnostischer Kriterien wie DSM15) oder ICD sich keine vergleichbaren Störungen im Eßverhalten dieser Menschen finden wie in den beiden anderen Gruppen. Es hat sich nachweisen lassen, dass adipöse Menschen in der Regel nicht mehr essen als normalgewichtige, die Ursachen für ihr Dickwerden sind trotz aller Forschungen weitgehend unbekannt. Die Adipositas gilt im Unterschied zu den beiden anderen Eßstörungen auch nicht als psychische Erkrankung und lässt ihre Zuordnung zu den Suchterkrankungen im Grunde nicht erklären.

Für Bulimia nervosa wird nach einer Studie der Deutschen Gesellschaft für Ernährung eine Gesamtprävalenz von 2,4 % angegeben, der Erkrankungsgipfel liegt zwischen 20 und 30

Jahren, 80 % der Erkrankten sind Frauen. Neben wiederholten Attacken von Heißhunger, bei denen große Nahrungsmengen in kurzer Zeit aufgenommen werden, kommt es zu verschiedensten Versuchen, dem dickmachenden Effekt dieses Eßverhaltens zu entgehen: selbstinduziertes Erbrechen, Diäten, Abführmittel, Appetitzügler etc. Immer ist eine übertriebene Beschäftigung mit Figur und Körpergewicht vorhanden.

Diese Symptome treffen oft auch für Anorexia nervosa zu, allerdings einhergehend mit teilweise dramatischem Untergewicht. Die tiefverwurzelte Angst, dick zu werden, führt in vielen Fällen auch zu Hungerperioden. Betroffen sind in erster Linie heranwachsende Mädchen und junge Frauen. Die Prävalenzrate wird mit 0,2 bis 2 % angegeben, betroffen sind zu 95 % Frauen.

Die Mortalitätsrate liegt nach verschiedenen Literaturanalysen bei ca. 4 %.

Die meisten Erklärungsmodelle der Anorexia sowie der Bulimia nervosa gehen nicht von einem Suchtmodell aus, auch wenn in den Erkrankungen, vor allem aber bei den Hilfeangeboten und Selbsthilfegruppen, suchtspezifische Aspekte zu finden sind.

Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass Eßstörungen häufig von Alkohol-, Medikamenten- und Drogenmißbrauch begleitet sind, die nicht selten in eine Suchtmittelabhängigkeit münden.

Spielsucht Ausgehend vom gegenwärtigen Forschungsstand hat die Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (DHS) eine Definition für die „Spielsucht" erarbeitet.

Danach kann von pathologischem Spielen gesprochen werden, wenn

1. der Zeit- und/oder Geldaufwand für das Spielen ein derartiges Ausmaß annimmt, dass ein subjektiver (und ökonomischer) Leidensdruck entsteht;

2. die alltägliche Lebensführung eingeengt ist auf eine übermäßige gedankliche, emotionale und verhaltensmäßige Ausrichtung auf das Spielen;

3. im sozialen Umfeld Störungen auftreten.

Bei Auftreten oder Vorliegen von mindestens zwei der drei Kriterien wird das Verhalten als problematisches Spielen bezeichnet.

Vor diesem Hintergrund wird die Zahl der Problemspieler in der Bundesrepublik auf ca. 200 000 bis 500 000 geschätzt. Über den Anteil der pathologischen Spieler liegen ­ u. a. auch wegen des „fließenden Übergangs" von „problematischem" zu pathologischem Spielen keine aussagekräftigen Zahlen vor.

Die Tatsache, dass ca. 10 000 Spieler sich selbst bei Spielbanken haben sperren lassen, gibt einen Hinweis auf den „sucht-typischen" Verlust von Selbstkontrolle.

Als mögliche Folgeschäden der Spielsucht sind neben erheblichen psychischen und familiären Problemen vor allem auch Verschuldung, Arbeitsplatzverlust, Kriminalität sowie eine erhöhte Suizidalität zu nennen; Spielsucht ist häufig auch von Alkoholmißbrauch begleitet.

Generelle Entwicklungstendenzen zum Konsum und Mißbrauch von psychoaktiven Substanzen bei Kindern und Jugendlichen in Berlin:

In Berlin lebten am 31. Dezember 1995 624 377 Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis 18 Jahren.

Aufgeschlüsselt nach Ost und West ergibt sich folgendes Bild:

Am 31. Dezember 1995 lebten 362 714 Kinder und Jugendliche im Westteil, jeder Vierte von ihnen war Ausländer. In den östlichen Bezirken Berlins lebten am 31. Dezember 1995 261 663

Kinder und Jugendliche, von denen 17,4 % ausländischer Herkunft waren.

Im Westteil der Stadt war der Bezirk Kreuzberg mit 20,6 % Kindern und Jugendlichen gemessen an der Gesamtbevölkerung der „kinderreichste" Bezirk. Im Ostteil waren die Bezirke Hellersdorf mit 30,2 %, Marzahn mit 26,0 % und Hohenschönhausen mit 26,8 % die Bezirke mit dem höchsten Kinder- und Jugendlichenanteil.

Die Struktur und die soziale Situation der Familie spielen eine wichtige Rolle für die Entwicklungschancen eines Kindes. In den letzten Jahren hat sich der Anteil der Kinder, die von einem Elternteil erzogen werden, ständig erhöht. 1994 lebten in den westlichen Bezirken 60 800 Kinder und Jugendliche in Haushalten mit alleinerziehenden Elternteilen, in den östlichen Bezirken 67 300. Das heißt, etwa jedes 6. Kind im Westteil der Stadt lebt mit nur einem Elternteil, im Ostteil trifft dies bereits auf jedes

4. Kind zu.

Insgesamt erhielten Ende 1995 im Westteil Berlins 34 636 Kinder und Jugendliche bis unter 18 Jahren Sozialhilfe. Im Ostteil der Stadt bezogen 14 080 Kinder und Jugendliche Sozialhilfe. % der jungen Menschen im Westteil und 35 % im Ostteil zwischen 12 und 24 Jahren sind Raucher (zur aktuellen Entwicklung s. Kapitel 3.1). 17 % in den westlichen Bezirken Berlins und 18 % in den östlichen Bezirken trinken regelmäßig Alkohol. Davon müssen mindestens 5 % als potentiell alkoholgefährdet angesehen werden. % der Kinder und Jugendlichen im Westteil und 3,7 % im Ostteil der Stadt haben in ihrem Leben jemals illegale Drogen probiert. Diese Erfahrung bezieht sich in 95 % aller Fälle auf Cannabiskonsum.

3 % der Kinder und Jugendlichen im Westteil und 3,9 % im Ostteil nehmen regelmäßig Medikamente mit Suchtpotential, 46 % tun dies gelegentlich.

Durchschnittlich werden illegale Drogen in den westlichen Bezirken im Alter von 17 Jahren zum ersten Mal probiert. In den östlichen Bezirken liegt das Alter beim ersten Cannabiskonsum bei über 18 Jahren.

Erstkonsumenten beziehen illegale Drogen vorwiegend von Freunden, der Clique oder Bekannten. Weibliche Konsumenten geben zusätzlich den Beziehungspartner an. In den östlichen Bezirken sehen Jugendliche derzeit die Möglichkeiten, sich illegale Drogen zu beschaffen, als eher schwierig bzw. gar nicht möglich an. Leichte bzw. sehr leichte Beschaffungsmöglichkeiten werden nur von 2 % der jungen Menschen im Alter von 12 bis 24 Jahren angegeben. Diese Daten wurden Mitte des Jahres 1990 erhoben.16)

Eine Wiederholungsbefragung17), die Mitte 1992 in den neuen Bundesländern durchgeführt wurde, kommt zwar zu dem Ergebnis, dass die Verbreitung illegaler Drogen insgesamt zugenommen hat und sie auch leichter zugänglich geworden sind, die Probierbereitschaft jedoch immer noch sehr gering ist. 80 % der Personen ohne Drogenerfahrung sehen sich nicht in der Lage, innerhalb von 24 Stunden illegale Stoffe zu beschaffen. Auch im Westen haben 80 % der Drogenunerfahrenen keinen schnellen Zugang zu „harten" Drogen ­ die Prozentwerte für Cannabis liegen etwas niedriger. Große Unterschiede gibt es beim Vergleich derer, denen es leicht fallen würde, Drogen zu beschaffen. Nur 2,1 % der bisher Drogenunerfahrenen im Osten glauben, leicht Haschisch besorgen zu können, während es in den alten Bundesländern 11,2 % waren.

Eine Tendenz, die auf eine Zunahme der Probierbereitschaft bzw. des Konsums von illegalen Drogen in der Gruppe der jungen Menschen im Ostteil Berlins hinweist, lässt sich allerdings aus den Ergebnissen der „Längsschnittstudie Biogramm-Ost" erkennen, die die Epidemiologische Forschung Berlin (EFB) 1994 im Auftrag der damaligen Senatsverwaltung für Jugend und Familie durchführte. Es wurden diejenigen Jugendlichen ­ soweit sie erreichbar waren und sich zu einer erneuten Befragung bereitfanden ­ befragt, die 1992 im Rahmen der ersten Wiederholungsbefragung im Ostteil erreicht worden waren. Vor allem folgende Entwicklungsveränderungen sind hier von Bedeutung:

Während der Anteil der Haschischerfahrenen in der Gesamtkohorte 1990 1 % betrug, waren es 1993 11 %. Die Anzahl der Drogenerfahrenen insgesamt stieg im gleichen Zeitraum von 4 auf 13 %. In der Gruppe der 21- bis 24jährigen betrug der Anteil der Haschischerfahrenen 9 %, allerdings gab es erhebliche Unterschiede nach Geschlechtern. Während die Frauen über gar keine Erfahrung mit Haschisch verfügten, wiesen 19 % aller Männer dieser Altersstufe Haschischerfahrung auf. Auch die Akzeptanz von Haschischkonsum veränderte sich. Insgesamt stieg der Anteil derjenigen, die den Konsum von Cannabis allgemein eher tolerieren, von 4 % im Jahre 1990 auf 14 % 1993 an. Frauen gaben allerdings nur zu 9 % an, dass sie den Haschischkonsum akzeptabel finden, während es bei den Männern 19 % waren.18) Bestätigt werden diese Ergebnisse durch die jüngste Studie des Instituts für Therapieforschung (IFT) in München, der „Repräsentativerhebung zum Gebrauch psychoaktiver Substanzen bei Jugendlichen und Erwachsenen in Berlin 1995/96". Nach dieser Erhebung haben 27,2 % der Altersgruppe der 18- bis 39jährigen im Westteil Berlins Erfahrung mit illegalen Drogen, im Ostteil sind es 12,4 %. Auch in dieser Studie werden die Geschlechterunterschiede sehr deutlich: Während im Westteil in dieser Altersgruppe 31,7 % aller Männer über Drogenerfahrung verfügen, sind es bei den Frauen 22,5 %. In Ostteil haben 15,3 % aller Männer und 9,6 % aller Frauen dieser Altersgruppe Drogenerfahrung. Ins gesamt überwiegt die Erfahrung mit Cannabis. Allerdings zeigt sich ein starker Trend in bezug auf den Konsum von Ecstasy u. a. in den jüngeren Altersgruppen. Als Lifetime-Prävalenz weisen insbesondere sehr junge Menschen schon Ecstasy-Erfahrung auf: 13,8 % aller 15- bis 17jährigen und 16 % aller 18- bis 24jährigen im Westen Berlins haben Erfahrung mit Ecstasy. Hier liegen die Werte zum Teil sogar höher als für Cannabiserfahrung. Im Ostteil der Stadt haben immerhin noch 3,4 % aller 15- bis 17jährigen und 7,1 % aller 18- bis 24jährigen mindestens einmal Ecstasy konsumiert.19)

Diese Ergebnisse weichen ab von der im Jahre 1994 durchgeführten Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), in der bundesweit die Altersgruppe der 12- bis 25jährigen jungen Menschen zur Drogenaffinität befragt wurde.

Junge Menschen im Ostteil Berlins scheinen sich eher als andere ostdeutsche Jugendliche an die westlichen Gewohnheiten „anzupassen", was allerdings mit zunehmendem Zusammenwachsen der beiden Stadthälften Berlins nicht verwundert.20)

Konsumenten harter Drogen

Neben Untersuchungen zum Mißbrauchverhalten bei Kindern und Jugendlichen sind in Berlin weitere wissenschaftliche Studien durchgeführt worden. Diese Studien haben sich vorrangig mit der Gruppe der von harten Drogen Abhängigen beschäftigt:

1. Die Epidemiologische Forschung Berlin (EFB) hat über eine Befragung niedergelassener Ärzte der medizinischen Basisversorgung den Auftrag gehabt, die Gesamtzahl der i. v. Drogenabhängigen zu schätzen.21)

2. Die Interdisziplinäre Sozialforschung in Anwendung (Intersofia) hatte den Auftrag, als Wiederholung einer bereits 1979 durchgeführten Studie (Skarabis/Patzak) den Umfang und die Sozialstruktur der Berliner Opiatszene zu schätzen.22)

3. Das Institut für Tropenmedizin führte in Kooperation mit dem Institut für medizinische Statistik der Freien Universität Berlin die Studie „Infektionskrankheiten bei i. v. Drogenkonsumenten" (K. Stark u. a.) durch.23)

Da der Mißbrauch illegaler Drogen in Berlin nach wie vor besorgniserregend ist, weitere Maßnahmeplanungen jedoch stark davon abhängig zu machen sind, welches Problemausmaß vorliegt und welche Detailkenntnisse über verschiedene Konsumentengruppen und ihre akuten Versorgungsprobleme zu gewinnen sind, sollen im folgenden einige wesentliche Ergebnisse aus den zitierten Untersuchungen dargestellt werden. Es ist anzumerken, daß sich die Ergebnisse der einzelnen Untersuchungen zum Teil erheblich unterscheiden. Dies ist auf methodisch unterschiedliche Untersuchungsansätze zurückzuführen.

Gesamtzahl i. v. Drogenabhängiger in Berlin

Die EFB schätzt die Zahl i. v. Drogenabhängiger im Jahr 1992 im Minimum auf 4 500 und im Maximum auf 6 000 ohne Personen in Haft und Therapie.

Intersofia kommt zu dem Ergebnis, dass in Berlin zwischen 5 780 und 7 123 Personen i. v. drogenabhängig sind. Auch diese Zahl ist errechnet ohne Personen in Therapie. Die bisherige Annahme, dass in Berlin etwa 7 000 bis 8 000 i. v. Drogenabhängige leben, kann somit weiter als realistisch angesehen werden.

Daten zur Struktur der Drogenszene 64 % der von illegalen Drogen Abhängigen sind männlichen, 36 % weiblichen Geschlechts. Das Durchschnittsalter beträgt 30 Jahre. Das Einstiegsalter bei „weichen" Drogen liegt etwa bei 14 Jahren, beim Konsum „harter" Drogen zwischen 18 und 19 Jahren; der i. v. Konsum beginnt durchschnittlich mit 20

Jahren.

Der Mehrfachkonsum legaler und illegaler Drogen ist vorherrschend. Lediglich 1,4 % konsumieren nur eine Droge ­ 67 % hingegen fünf oder mehr Drogen nebeneinander. Hier haben im Vergleich zu den 70er und frühen 80er Jahren starke Veränderungen in den Konsumgewohnheiten stattgefunden. Reine Heroinabhängige sind inzwischen eine Ausnahmeerscheinung auf der Drogenszene. In mündlichen Interviews wurde auch die Frage gestellt, welche Drogen mit welcher Häufigkeit konsumiert werden.

Danach konsumieren 98 % Heroin, 76 % Kokain, 70 % Cannabis, 68 % Medikamente mit Suchtpotential, 57 % Cocktails aus Heroin und Kokain, 47 % Alkohol, 26 % Amphetamine.

Berichtet wird auch von verändertem Konsumverhalten vor allem junger Neueinsteiger, die Einnahmeformen wie Rauchen, Schnupfen, Inhalieren wählen. Damit einher geht häufig auch die falsche Einschätzung, dass sich bei diesen Einnahmeformen keine Abhängigkeit entwickelt.

Zwei Drittel der Drogenabhängigen sind ledig, ein Viertel lebt getrennt oder ist geschieden, 8 bis 13 % sind verheiratet. % der Drogenabhängigen geben an, keinen Kontakt zur Familie zu haben, 49 % haben Kontakte zu einem oder zwei Familienangehörigen, und 28 % sind eng mit ihren Herkunftsfamilien verbunden. % der Abhängigen haben Kinder, etwa die Hälfte lebt in gesicherten Wohnverhältnissen, ein Viertel in unsicheren Wohnverhältnissen, und ca. 10 % sind obdachlos.

Ihren Lebensunterhalt bestreiten Drogenabhängige in erster Linie über Sozialhilfe, gefolgt von Kleinkriminalität, Prostitution und finanzieller Unterstützung durch die Familie.

Mehr als ein Drittel der Drogenabhängigen verfügt über einen Hauptschulabschluß, mittlere Reife haben ca. 39 % der untersuchten Personengruppe, und 13 % haben keinen Schulabschluß. Niedrige Schulabschlüsse sind im Vergleich zur Berliner Allgemeinbevölkerung überrepräsentiert, hohe Schulabschlüsse klar unterrepräsentiert.

In den mündlichen Interviews gaben 42 % der Abhängigen an, eine Berufsausbildung abgeschlossen zu haben ­ 38 % haben mehrere Ausbildungen begonnen, aber keine beendet.

Knapp zwei Drittel der Abhängigen kommen aus einem familiären Umfeld, in dem Suchtmittelmißbrauch stattfand. Auch Vergleichsuntersuchungen belegen, dass Drogenabhängige in ihrer Kindheit und Jugend wesentlich häufiger mit einem Suchtmittelmißbrauch in ihrer familiären Umgebung konfrontiert sind als nicht abhängige junge Menschen.

Weitere Ergebnisse der mündlichen Befragung Drogenabhängiger:

Etwa 80 % der Befragten hatten Hafterfahrung; die durchschnittliche Haftdauer liegt bei 2,9 Jahren. Der Drogenkonsum wurde von 41 % der Befragten in Haft aufgegeben, 30 % haben den Konsum zwangsläufig verringert, 4 % geben an, ihren Konsum den Bedingungen in Haft angepaßt und genommen zu haben, was erhältlich war, und nur bei 7 % der Befragten ist der Konsum in Haft gleichgeblieben.

In Haft gefixt hat etwas mehr als ein Drittel (38 %) der Untersuchungsgruppe (Männer 59 %; Frauen 41 %)24). Bei Stark gaben 70 % der Untersuchten an, in Haft gewesen zu sein. 33 % haben in der Haft intravenös Drogen konsumiert, 25 % mit fremden Bestecken (jeweils bezogen auf die Gesamtgruppe). 87 % der Befragten haben das Drogenhilfesystem freiwillig in Anspruch genommen ­ 10 % aller Interviewpartner waren unbetreut.

Drogenabhängige nehmen das Hilfeangebot vor allem deshalb in Anspruch, weil sie

- Beratung, Aussprache, Hilfestellung benötigen

- einen Therapieplatz suchen, Informationen über Therapie brauchen

- Substitution wollen

- clean werden wollen

- Unterstützung in einer Krisensituation brauchen

- Harm-Reduction (Spritzentausch, kostenlose med. Untersuchung, Essen) wollen

- neugierig sind, Informationen wollen

- einen Entzug wünschen

- Gesundheitsprobleme haben

- die Familie, Freunde sie dazu drängen

- finanzielle Probleme haben.