Krankenhaus

Das Krankenhaus Am Urban ist wegen der geographischen Lage in Kreuzberg (Nähe zur „Szene") eines der Krankenhäuser, in dessen Rettungsstelle besonders viele drogenabhängige Patienten eingeliefert werden. Die Krankenhausleitung und die beteiligten Ärzte des Krankenhauses beteiligten sich an dem Modellversuch. Es wurde ein Beratungsdienst in den Räumen des Krankenhauses eingerichtet, in dem Drogenberater zu festgesetzten, am Bedarf orientierten Zeiten anwesend waren. Die Anbindung der Drogenberater an eine zentrale Drogenberatungsstelle, die über langjährige Erfahrungen verfügt und in das Hilfesystem gut eingebunden ist, war notwendig. Aus diesem Grund wurden beim Drogennotdienst zwei Sozialarbeiterstellen für diese Aufgabe eingerichtet, die durch Zuwendungen der Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport finanziert werden.

Die Sozialarbeiter sollten mit den als Notfall eingelieferten Patienten Kontakt aufnehmen und im Sinne einer Krisenintervention zur Situationsklärung beitragen und Motivationsarbeit leisten, um Behandlung möglich zu machen. Neben konkreter Vermittlungsarbeit ging es bei einigen Patienten auch um die Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung von Kontakten zu helfenden Institutionen.

Die Vermittlung einer sofortigen Entzugs- und Entwöhnungsbehandlung war innerhalb von 24 Stunden möglich. Im UrbanKrankenhaus wurde die Zahl der Entgiftungsplätze dem Bedarf von „Therapie sofort" entsprechend erweitert. Weiterhin beteiligte sich das vom Drogentherapiezentrum Berlin e. V. betriebene Entgiftungshaus „Count Down" an dem Modell, indem Betten für Notfälle im Rahmen von „Therapie sofort" zur Verfügung gestellt wurden.

Weil es notwendig war, den betroffenen Patienten für die Zeit nach der körperlichen Entgiftung eine verbindliche Therapieplatzzusage zu geben, wurde mit der LVA Berlin und der BfA eine schnelle, unbürokratische Kostenregelung vereinbart. Es genügte eine mündliche Anfrage, der lediglich ein parallel gestellter Rehabilitationsantrag zugrunde liegen mußte. Nach telefonischer Klärung der Zuständigkeit konnte die Kostenzusage gegenüber der Therapieeinrichtung dann sofort abgegeben werden. In den Fällen, in denen weder ein Träger der Rentenversicherung noch der Krankenversicherung zuständig war, sollte die Kostenübernahme in ebenso unbürokratischer Weise durch die Sozialhilfeträger erfolgen.

Am Modell beteiligten sich folgende Therapieeinrichtungen, denen für die Dauer dieses Modells eine Überbelegungsquote von 10 % seitens der LVA Berlin und der BfA zugesichert wurde:

- Anti-Drogen-Verein e. V. (alle Wohngemeinschaften);

- Drogenhilfe Tannenhof Berlin e. V. (Tannenhof und Landhaus Oppenheim);

- Daytop Berlin (Haus Wernerstraße);

- Drogentherapiezentrum Berlin e. V. (Kompakttherapie).

Die Möglichkeit der Überbelegung war notwendig, damit für „Therapie sofort" zusätzliche Plätze zur Verfügung standen.

Andernfalls hätten sich die ohnehin langen Wartezeiten für die nicht vom Modellversuch betroffenen Drogenabhängigen noch verlängert.

Das Modell wurde zunächst während der Dauer eines Jahres erprobt, um Aussagen darüber treffen zu können, ob

- mit dieser schnellen und unbürokratischen Hilfe mehr und andere Drogenabhängige erreicht werden können;

- die auf diese Weise angebotene Hilfe wirksam ist und zu einer Verbesserung der Lebensqualität der Drogenabhängigen beiträgt;

- über „Therapie sofort" Einfluß auf die Mortalität Drogenabhängiger genommen werden kann.

Die Erfahrungen aus dem einjährigen Modell zeigten, dass das Angebot zwar prinzipiell sinnvoll ist, jedoch in Teilbereichen modifizierungsbedürftig war.

Im wesentlichen wurden zwei Probleme deutlich: Zum einen konnte die eigentliche Zielgruppe, nämlich Patienten, die aufgrund eines Drogennotfalls in die Rettungsstelle des Krankenhauses eingeliefert wurden, so gut wie nicht erreicht werden.

Nach wie vor wird bei einer Überdosierung in der Regel vom behandelnden Arzt des Rettungswagens der Opiatantagonist Narcanti XR eingesetzt, der zwar rasch eine stabilisierende Wirkung auf Atmung und Kreislauf bringt, aber auch sofortige, extreme Entzugssymptome bewirkt. In dieser Situation ist der Patient meist für Gespräche nicht erreichbar, da er bemüht ist, die Entzugssymptome zu bekämpfen. Aus diesem Grund erreichen die Patienten oft gar nicht erst das Krankenhaus, und wenn sie doch eingeliefert werden, so verlassen sie es meist sofort gegen ärztlichen Rat, sobald der körperliche Zustand ihnen dies ermöglicht.

Das zweite Problem bestand darin, dass für die Patienten, die von den Mitarbeitern im Urban-Krankenhaus erreicht wurden, das sofortige Therapieplatzangebot nicht die adäquate Maßnahme war. Sie hatten oftmals ganz andere Bedürfnisse nach Unterstützung, etwa hinsichtlich einer Hilfe wegen bestehender Obdachlosigkeit, Aufnahme einer Methadonbehandlung oder Herstellung von Kontakt zu einer Beratungsstelle.

Mit Ablauf des ersten Jahres wurden aus diesem Grund die Zugangsbedingungen von „Therapie sofort" verändert. Als Zielgruppe wurde neben den Drogennotfallpatienten die Gruppe der akut gefährdeten Drogenabhängigen in einer Krisensituation aufgenommen. Neben dem Zugang über das Urban-Krankenhaus besteht an zwei Tagen in der Woche in den Räumen des Drogennotdienstes eine Sprechstunde „Therapie sofort". Somit kann auch für diejenigen Drogenabhängigen bei entsprechender Indikationsstellung, die nicht in die Rettungsstelle gekommen sind, die sofortige Vermittlung in eine Entgiftungs- und Entwöhnungsbehandlung angeboten werden.

Ein Vergleich der Vermittlungszahlen der beiden Jahre macht deutlich, dass es für das Programm „Therapie sofort" sinnvoll war, die Voraussetzungen zu modifizieren.

Während im Jahre 1993 zu 307 Patienten Kontakt aufgenommen worden war, von denen 203 Interesse für „Therapie sofort" angaben, wurden lediglich 92 Personen in eine Entgiftung und 42 in eine Langzeittherapie vermittelt. 18 Personen befanden sich Ende 1993 noch in Therapie.

Im Jahre 1994 wurden 194 Klienten über den Drogennotdienst erreicht, die sich für „Therapie sofort" interessierten. Hiervon wurden 69 in Langzeittherapie vermittelt, und 36 Personen befanden sich Ende des Jahres noch in Therapie.

Das heißt, die Quote der Erreichbarkeit war zwar erheblich geringer als im ersten Jahr, jedoch kamen von dieser Gruppe wesentlich mehr Personen für das Programm in Frage (d. h., die sogenannte „Haltequote" lag höher). Da diese neue Konzeption sich nach wie vor als erfolgreich erweist, wird „Therapie sofort" mit Einverständnis aller Vereinbarungspartner auch 1997 weitergeführt.

Bundesmodellprojekt „Drogennotfallprophylaxe/Nachgehende Sozialarbeit":

Das Berliner Modell „Therapie sofort" machte deutlich, daß weitergehende Maßnahmen zur Prävention des Drogentodes notwendig sind. Insbesondere sollte die nachgehende Sozialarbeit nach einem Drogennotfall erprobt werden.

Im Jahre 1994 standen Mittel des Bundesministeriums für Gesundheit zur Verfügung, um in fünf Großstädten und einer ländlichen Region das Modell „Drogennotfallprophylaxe/Nachgehende Sozialarbeit" zu beginnen. Beteiligt sind Hamburg, Frankfurt, Bremen, Berlin und Oldenburg.

Die Zielsetzungen des Modells sind:

- Drogentod und Drogennotfälle in jedem Einzelfall zu verhindern,

- den Drogenabhängigen in der Zeit des Krankenhausaufenthaltes medizinisch und psychosozial intensiv zu betreuen, damit er im Krankenhaus gehalten wird,

- Kontakte zu Bezugspersonen herzustellen, die den Patienten nach dem Krankenhaus auffangen,

- Kontakte zu Einrichtungen herzustellen, die dem Klienten in seiner Lebensplanung weiterhelfen,

- wo immer vorhanden, Selbsthilfeorganisationen von Abhängigen (evtl. auch Elternkreise) in die Betreuung einzubinden,

- Klienten, die trotz aller Bemühungen die Behandlung vorzeitig abbrechen, so weit wie möglich „nachzugehen", um sie auf die akute Gefährdung, der sie sich aussetzen, hinzuweisen. (Modellkonzeption Drogennotfallprophylaxe/Nachgehende Sozialarbeit).

In Berlin wurde dieses Modell ­ wie auch „Therapie sofort" ­ beim Drogennotdienst eingerichtet, da somit eine enge Einbindung in das bestehende Drogenhilfesystem gewährleistet war.

Zudem ist die Drogennotfallprophylaxe eine sinnvolle Ergänzung zu „Therapie sofort".

Der Einsatzort ist das Urban-Krankenhaus in Berlin-Kreuzberg, mit dem der Drogennotdienst einen entsprechenden Kooperationsvertrag abgeschlossen hat. 21/2 Sozialarbeiterstellen stehen dem Drogennotdienst für diese Aufgaben zur Verfügung.

Die Mitarbeiter sind auf der Rettungsstelle des Urban-Krankenhauses tätig und bieten dort Beratung und Vermittlung an. Darüber hinaus besteht die Aufgabe der Mitarbeiter darin, wenn erforderlich, die entlassenen Drogenabhängigen zu Hause, auf der Szene oder in niedrigschwelligen Einrichtungen aufzusuchen, Hilfe anzubieten und im Rahmen von Krisenintervention erneuten Drogennotfällen vorzubeugen.

Das Modellprojekt „Drogennotfallprophylaxe/Nachgehende Sozialarbeit" war zunächst auf zwei Jahre befristet und ist jetzt bis Ende 1997 verlängert worden. Es wird wissenschaftlich begleitet.

Bundesmodellprogramm „Integrative gemeindenahe Hilfe für Suchtkranke ­ INTHIS"

Bis 1989 war das Problem der Ausbreitung illegaler Drogen quasi ein ausschließlich „westliches", während in der DDR vor allem Alkoholabhängigkeit als Suchterkrankung eine Rolle spielte.

Die Situation in den neuen Bundesländern ist inzwischen durch die Entwicklung einer Konsumbereitschaft für illegale Drogen vor allem bei jungen Menschen gekennzeichnet. Gleichzeitig ist ­ bedingt durch eine Reihe von Faktoren ­ das Problem der Alkoholabhängigkeit weiter angestiegen. Das bestehende Beratungs- und Behandlungsangebot der DDR für Suchtkranke wurde mit Einführung des bundesdeutschen Sozialleistungs- und Sozialhilfesystems sowie vorgenommener Strukturveränderungen starken Belastungen ausgesetzt.

Die Verbreitung von illegalen Drogen ist in den alten Bundesländern ungleich größer. Dennoch wird auch hier die Trennung der Hilfesysteme für von legalen oder illegalen Drogen Abhängige zunehmend kritisch bewertet. Somit sollte mit Hilfe eines Modellprogramms für die neuen Bundesländer erprobt werden, inwieweit es möglich ist, integriert alle Suchtkranken zu beraten und zu betreuen und gleichzeitig den unterschiedlichen Bedürfnissen der jeweiligen Personengruppen gerecht zu werden.

Berlin wurde in die Lage versetzt, im Rahmen dieses Modells neue Strategien einer integrierten Betreuung Suchtmittelgefährdeter und -abhängiger zu entwickeln. Fünf Einrichtungen beteiligen sich mit unterschiedlichen Konzepten an diesem Programm:

1. Verein zur Förderung suchtmittelabhängiger Frauen e. V.:

Der Verein unterhält neben zwei therapeutischen Wohngemeinschaften für Frauen seit 1991 die Einrichtung „Stoffbruch", eine Koordinationsstelle zum Aufbau der Frauensuchtarbeit in den östlichen Bezirken. Durch die Arbeit im Projekt „Stoffbruch" wurde die Notwendigkeit eines ambulanten Therapieangebotes, insbesondere für Mütter bei gleichzeitiger Gewährleistung einer adäquaten Versorgung der Kinder, deutlich.

Mit dem Modell sollen insbesondere im Hinblick auf folgende Aspekte neue Erkenntnisse gewonnen werden:

- Betreuungsbedarf der Klientinnen und ihrer Kinder,

- Varianz der therapeutischen Verfahren,

- Behandlungsstandards für legal/illegal mißbrauchende Frauen unter Berücksichtigung ihrer Lebenskultur.

2. Odak e. V. ­ Verein zur Förderung der türkischen Kultur-, Theater- und Sozialwerkstatt Odak e. V. unterhält in Berlin bisher eine Drogenberatungsstelle, die speziell drogenabhängige Klienten aus dem türkischen und arabischen Kulturraum betreut, sowie eine therapeutische Wohngemeinschaft für diese Gruppe der Abhängigen. Ein weiterer Schwerpunkt der Beratungsstelle ist ein Streetworker-Projekt für die offene Drogenszene am Kottbusser Tor und Mariannenplatz im Bezirk Kreuzberg.

Mit Personal- und Sachkosten für zwei Streetworker und einer Ausweitung des Stützpunktes „SKA 43" zur Kontaktstelle/Teestube sollen vor allem Jugendliche aus der Umgebung erreicht und betreut werden, die exzessiv sowohl illegale als auch legale Drogen mißbrauchen. Daneben sollen die Kooperation und der Austausch mit den Institutionen aufgebaut bzw. intensiviert werden, die diese Jugendlichen zum Teil ebenfalls betreuen (JGH, BWH, Schulen, Ausbildungsstätten, Jugendfreizeitheime, aber auch die Jugendstrafanstalt Plötzensee). So soll der Stützpunkt „SKA 43" neben der Funktion einer Kontaktstelle für die drogenund alkoholkonsumierenden Jugendlichen aus der Umgebung auch als Anlaufstelle für haftentlassene Jugendliche dienen, um deren erneutes Abgleiten in Drogen- bzw. Alkoholkonsum und Kriminalität möglichst zu verhindern.

3. Integrative Suchtberatung Lichtenberg ­ Sozialpädagogisches Institut Berlin

Das SPI, unter dessen Trägerschaft sich die Integrative Suchtberatung Lichtenberg seit 1993 befindet, unterhält darüber hinaus eine Drogenberatungsstelle, eine Alkohol- und Medikamentenberatungsstelle sowie Projekte im Bereich der Suchtprophylaxe und Nachsorge.

Ziel dieses Modells ist es, Erkenntnisse über folgende Fragestellungen zu gewinnen, indem eine Kontakt- und Begegnungsstätte für Suchtgefährdete und Suchtkranke in Lichtenberg aufgebaut wird:

- Kann durch aufsuchende Sozialarbeit für Alkoholabhängige deren Zugang zu niedrigschwelligen, tagesstrukturierenden Hilfen verbessert werden?

- Sind alkoholabhängige sozial deklassierte Erwachsene und suchtmittelmißbrauchende ­ ebenfalls sozial deklassierte ­ Jugendliche in einer Kontakt- und Begegnungsstätte gemeinsam zu betreuen?

- Ist das Hilfeangebot geeignet, um die Chronifizierung der Suchtmittelabhängigkeit aufzuhalten?

- Welche weiterreichenden Interventionsstrategien müssen im therapeutischen Feld entwickelt werden, um die Zielgruppen längerfristig zu rehabilitieren, bzw. sind tagesstrukturierende Hilfen ausreichend, um Klienten zu befähigen, eigenverantwortlich zu leben?

4. Karuna ­ „Freizeit ohne Drogen international e. V.": Karuna ist der Trägerverein einer Reihe von Projekten, die im Ostteil der Stadt Hilfe für stark alkohol- und drogengefährdete, verwahrloste Kinder und Jugendliche anbieten.

Im Rahmen von INTHIS soll in enger Kooperation mit der Kontaktstätte der Integrativen Suchtberatung Lichtenberg die Ausweitung und Professionalisierung der aufsuchenden Arbeit erreicht werden. Angebunden an das Karuna-Mobil können so neben Jugendlichen auch alkoholkranke Erwachsene erreicht werden.

5. Kokon ­ Verein für ambulante Drogentherapie e. V.:

Im Rahmen des Modellprogramms hat Kokon eine Konzeption für das Projekt „Integriertes ambulantes Behandlungsprogramm für Kokaingefährdete und -abhängige" entwickelt und mit dem Umzug in größere Räume 1994 die Voraussetzung für eine inhaltliche und personelle Ausweitung des bisherigen Angebots geschaffen. Mit diesem speziellen Angebot für Kokainabhängige, für das sich in den letzten Jahren ein zunehmender Bedarf herauskristallisierte, wird dem Teil des Modellprogramms nach der Entwicklung und Erprobung neuer Angebote für diese Abhängigengruppe Rechnung getragen.

Zusätzlich zu diesen fünf längerfristigen Modellprojekten, die auf drei Jahre angelegt sind, wurde durch einmalige Sachkosten das Synanon-Projekt in Berlin-Lichtenberg in die Lage versetzt, die dringend benötigte Grundausstattung für Notschlafstellen, Wohn- und Schlafräume anzuschaffen, die Haustischlerei auszustatten und eine Erweiterung des Arbeitsprojekts „Transporte" zu erreichen.

Bundesmodellprogramm „nachgehende Sozialarbeit"

­ zur Verbesserung der Drogen- und Suchthilfe, insbesondere für „chronisch abhängige" Suchtkranke

Dieses Bundesmodell wurde entwickelt, um in ausgewählten Regionen die Hilfeangebote für sogenannte „schwerstabhängige Suchtkranke" zu verbessern bzw. diesen den Weg (zurück) ins Hilfesystem (wieder) zu eröffnen. Für Berlin wurden seit Anfang 1996 zwei „case-worker" sowie ein „Koordinator" für die Laufzeit von drei Jahren bewilligt.

In Umsetzung der Modellkonzeption wurden für Berlin zwei Modellregionen festgelegt: Modellregion 1: Schöneberg, Kreuzberg, Tiergarten, Mitte Modellregion 2: Charlottenburg, Wedding, Prenzlauer Berg, Friedrichshain

Die Modellregion 1 ist bereits seit dem 1. November 1995 mit einem „case-worker" (angebunden an das Hepatitis-Impfmobil/ Träger: Fixpunkt e. V.) ausgestattet. Im Rahmen eines Werkvertrages mit der Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport ist seit dem 1. Mai 1996 zusätzlich ein Koordinator für diese Region eingesetzt. In der Modellregion 2 ist seit 1. Juli 1996 ein zweiter „case-worker" (angebunden an den Trägerverbund „Stadtrand") tätig. Die „case-worker" haben die Aufgabe, durch nachgehende Sozialarbeit die einzelnen Klienten aufzusuchen und sie in gezielte Hilfen ­ im sozialen, medizinischen und/oder suchtspezifischen Sektor ­ zu vermitteln. Gleichzeitig sollen bestehende Mängel in den verschiedenen Versorgungsbereichen aufgezeigt werden.

Die Funktion des Koordinators besteht vor allem darin, in der Modellregion die Vernetzung sowohl der Angebote der Suchthilfe untereinander als auch der Suchthilfe mit der allgemeinen psychosozialen Versorgung und dem medizinischen Hilfesystem voranzutreiben.

Für das Land Berlin knüpfen sich an dieses Modell vor allem die Erwartungen,

- dass der Zugang zur Gruppe der Schwerstabhängigen (Altfixer) verbessert wird und

- dass mit einer gezielten, problemspezifischen Vernetzung der einzelnen Versorgungsträger den unterschiedlichen Hilfebedarfen (medizinische Grundversorgung, Wohnraumversorgung, Drogenberatung) adäquater begegnet werden kann.

5.10 Frauenspezifische Angebote:

Mit wenigen Ausnahmen von Suchterkrankungen (Medikamentenabhängigkeit, Eßstörungen) sind Frauen sowohl in der Gesamtgruppe der Alkoholabhängigen als auch bei den Abhängigen von illegalen Drogen deutlich unterrepräsentiert. Bei Drogenabhängigen macht der Frauenanteil etwa 1/3 aus. Dies führt dazu, dass sie in allen Einrichtungen der Drogenhilfe auch eine Minderheit darstellen.

Darüber hinaus haben abhängige Frauen in ihrer Vor- bzw. Frühgeschichte sehr oft spezielle Gewalt- und Mißbrauchserfahrungen erlebt oder befinden sich auf Grund der Tatsache, dass sie ihren Drogenkonsum in der Regel durch Prostitution finanzieren, aktuell oft in besonders problematischen Gewaltsituationen.

Daher sind folgende Schlußfolgerungen für die Versorgung suchtkranker Frauen zu ziehen:

Die Suchtkrankenhilfe muss Frauen die Chance geben, vor dem Hintergrund ihrer spezifisch weiblichen Biographie die Ursachen ihres süchtigen Verhaltens zu verstehen, die dahinter liegenden Bedürfnisse zu akzeptieren und neue Zukunftsperspektiven zu entwickeln. Nur so können suchtkranke Frauen die notwendige Selbständigkeit und ein angemessenes Selbstbewußtsein erlangen, das zur Überwindung der Sucht von zentraler Bedeutung ist.

Konkret heißt das:

- Frauenspezifische Angebote sollten in allen Institutionen der Suchtkrankenhilfe bestehen. Dies zum einen deshalb, damit die Rahmenbedingungen einer therapeutischen Auseinandersetzung mit Sucht nicht bereits dieselben Abhängigkeits- und Anpassungsverhältnisse vorgeben, die es aufzuarbeiten gilt. (So berichten z. B. Frauen mit Erfahrungen aus gemischten Gruppen, dass sie gegenüber den viel dominanteren männlichen Teilnehmern kaum über ihre Probleme zu sprechen wagten und sie sich bald in der Rolle der Fürsorgenden, Schlichtenden wiederfanden.) Zum anderen kann nur ein frauenspezifisches Angebot eine adäquate Möglichkeit bieten, sich mit wichtigen Themen wie „sexueller Mißbrauch", „Prostitutions- und Gewalterfahrung", „Abhängigkeit in Partnerbeziehungen", „Weiblichkeit und Körperbewußtsein" usw. zuerst unter Frauen auseinanderzusetzen.

- Dem Bedürfnis von Frauen, auf Grund ihrer Erfahrungen nicht in der verletzlichen Phase von Auseinandersetzung mit ihrer weiblichen Identität mit Männern konfrontiert werden zu wollen und in Konkurrenz zu ihnen unbeachtet zu bleiben, ist zusätzlich mit entsprechenden überregionalen Frauenprojekten Rechnung zu tragen.

Berlin hat mit der Errichtung und Förderung frauenspezifischer Angebote auf diese besondere Problematik reagiert. Im einzelnen sind die Einrichtungen in den jeweiligen Kapiteln ausführlich beschrieben.

5.11 Selbsthilfe:

Der Anteil von Selbsthilfeaktivitäten ist sehr ungleich auf die einzelnen Abhängigkeitsarten verteilt. Die in der Rehabilitation Alkoholkranker erprobte und bewährte Mitwirkung von Selbsthilfegruppen wie Anonyme Alkoholiker (AA), Blaues Kreuz, Guttempler, Kreuzbund, Freundeskreise etc. findet keine Entsprechung in der Drogenhilfe. Selbsthilfeinitiativen Drogenabhängiger entstanden immer nur sporadisch und waren ­ abgesehen von Ausnahmen wie Synanon, der Release-Bewegung oder Almedro ­ selten in der Lage, eine Tradition zu entwickeln. Erst seit Mitte der 80er Jahre gibt es in Berlin nach dem Vorbild der AA-Gruppen die NA-(Narcotics Anonymous-)Bewegung, die Drogenabhängigen regelmäßige Treffen anbietet. NA-Gruppen erhalten von den Drogenberatungsstellen vorrangig logistische Unterstützung. Daneben existiert Selbsthilfe in (professionell) angeleiteten Gruppen in ambulanten und stationären Therapieeinrichtungen und im Zusammenschluß Betroffener zu Wohngemeinschaften, die entweder durch Ex-User oder durch Fachkräfte angeleitet werden. Angehörigengruppen, für die die Aufarbeitung von eigenen spezifischen Problemen im Vordergrund stehen, ergänzen das Selbsthilfespektrum.

Elternarbeit Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass die Mehrzahl der Drogenabhängigen regelmäßig Kontakt zu ihren Eltern hält.

Eltern sind also in das Suchtgeschehen involviert, sind einem enormen Leid ausgesetzt, versuchen zu helfen und sind dennoch häufig mit der Tatsache konfrontiert, dass sie ihren Kindern nicht helfen können.

Die Arbeit der Elterngruppen ist von unschätzbarem Wert. Sie sind als eine Selbsthilfegruppe organisiert und erhalten nur selten professionelle Anleitung. Die Eltern sollen die Dynamik der Abhängigkeitsentwicklung verstehen lernen, Ängste und Schuldgefühle verlieren und ihren drogenabhängigen Kindern wieder selbstbewußt und klar begegnen können.

Die „Elternkreise drogenabhängiger Jugendlicher Berlin (EkB) e. V." sowie die Elternselbsthilfe der „Arbeitsgemeinschaft Drogenprobleme (AGD) e. V." organisieren in Berlin flächendeckend Hilfe für Eltern und Angehörige durch Einzel- und Gruppengespräche, Wochenendtagungen mit Familientherapeuten. Die Elterngruppen erhalten in Berlin Zuwendungen durch die Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport für Sachmittel und Personalkosten.

Die Elternkreise sind in einem Bundesverband zusammengeschlossen und beteiligen sich aktiv auch bei Diskussionen um die Drogenproblematik in der Öffentlichkeit.