Wie lange die Beitrittsverhandlungen dauern werden ist heute noch nicht abzuschätzen

Da Zypern die konkrete Zusage gemacht wurde, spätestens sechs Monate nach dem Ende der Regierungskonferenz die Beitrittsverhandlungen aufzunehmen, werden somit auch die Beitrittsverhandlungen mit den einzelnen MOE-Staaten spätestens Anfang 1998 aufgenommen. Der Europäische Rat hat auf seiner Tagung in Dublin am 13./14. Dezember 1996 diesen Zeitplan nochmals unterstrichen.

Wie lange die Beitrittsverhandlungen dauern werden, ist heute noch nicht abzuschätzen. Ein Blick auf die Geschichte der Gemeinschaft zeigt, dass teilweise mit sehr langen Verhandlungszeiträumen gerechnet werden muß. Mit Österreich, Schweden und Finnland waren die Verhandlungen nach dreizehn Monaten abgeschlossen, während mit Spanien und Portugal fast sieben Jahre verhandelt wurde.

Da eine gleichzeitige Aufnahme aller Beitrittsländer auf Grund der heterogenen Ausgangslage in den einzelnen MOE-Staaten und auf Grund der begrenzten Aufnahmefähigkeit der EU ausgeschlossen werden kann, dürfte eine der schwierigsten Fragen in Zusammenhang mit der Erweiterung die Auswahl der zuerst beitretenden MOE-Staaten sein. Die Entscheidung wird sich dabei an den politischen und wirtschaftlichen Kriterien zu orientieren haben, die der Europäische Rat in Kopenhagen im Juni 1993 definiert hat.

3. Vorbereitung der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion

In praktisch allen Mitgliedstaaten werden inzwischen erhebliche Anstrengungen unternommen, um durch eine solide Finanz- und Haushaltspolitik die erforderlichen Bedingungen für den Eintritt in die dritte Stufe der EWWU zu erfüllen. Zwar sind die rigorosen Sparbemühungen in den Mitgliedstaaten nach Jahrzehnten laxer Haushaltsführung volkswirtschaftlich ohnehin in hohem Maße angeraten. Dennoch ist das EU-weit zu beobachtende Phänomen der „Stabilitätskultur" auch ein Beleg dafür, daß eine gemeinsame, stabile europäische Währung in vielen Mitgliedstaaten mittlerweile als wichtiger Baustein im europäischen Integrationsprozeß und als notwendiges Instrument angesehen wird, um die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen und Finanzmärkte langfristig zu sichern.

Das Szenario für den Übergang in die dritte Stufe der EWWU wurde bereits durch den Beschluß des Europäischen Rats von Madrid im Dezember 1995 festgelegt. Demnach wird Anfang 1998 geprüft, welches Mitgliedsland auf der Grundlage der Ist-Zahlen des Jahres 1997 die Konvergenzkriterien erfüllt. Gemäß Artikel 109j EG-Vertrag und gemäß der dem EU-Vertrag beigefügten Protokolle („Protokoll über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit" und „Protokoll über die Konvergenzkriterien nach Artikel 109j des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft") sind folgende Konvergenzkriterien Bedingung für den Eintritt in die dritte Stufe der EWWU:

- Der Anstieg der Verbraucherpreise darf das Mittel der drei preisstabilsten Länder um nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte übersteigen.

- Die jährliche Neuverschuldung darf drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) nicht übersteigen.

- Die gesamte Staatsschuld darf nicht über 60 Prozent des BIP liegen.

- Die Währung des betroffenen Landes muss dem Europäischen Währungssystem (EWS) angehören und muss die im EWS vorgesehenen normalen Bandbreiten zumindest in den letzten beiden Jahren vor der Prüfung ohne starke Spannungen eingehalten haben.

- Das Niveau der langfristigen Zinsen muss zeigen, dass die Kapitalmärkte der Stabilitätspolitik des Landes vertrauen.

Der durchschnittliche langfristige Nominalzinssatz darf das Mittel der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten nicht um mehr als zwei Prozentpunkte überschreiten.

Nach der Festlegung des genauen Teilnehmerkreises beginnt zum 1. Januar 1999 die dritte Stufe der EWWU, indem das Europäische Währungsinstitut (EWI) in der Europäischen Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt am Main aufgeht und die Wechselkurse der teilnehmenden Währungen durch den Ministerrat endgültig fixiert werden. Da alle Geldgrößen wie Bargeld, Sparguthaben, Schulden, Löhne, Gehälter, Renten und Pensionen, Preise und Versicherungen mit demselben Umstellungsfaktor von DM in EURO umgerechnet werden, ändert sich am realen Wert der Geldgrößen nichts. Mit anderen Worten: Nur die Zahlen ändern sich, aber der Wert bleibt gleich. Die Einführung des EURO ist deshalb auch nicht mit einer Währungsreform zu verwechseln. Auch dürfte der verschärfte Wettbewerb im EUROWährungsgebiet verhindern, dass in dem einen oder anderen Fall versucht wird, die Umstellung auf den EURO für eine heimliche Preiserhöhung zu nutzen.

Im Zeitraum zwischen 1999 und 2002 bleibt es den Bürgern und Institutionen überlassen, ihre bargeldlosen Zahlungen in der jeweiligen Landeswährung oder in EURO abzuwickeln. Die nationalen Währungen bleiben während des Übergangszeitraums gesetzliches Zahlungsmittel in den jeweiligen Mitgliedstaaten.

Durch eine überzeugende und dauerhaft stabile Geld- und Finanzpolitik im gemeinsamen Währungsraum soll die Akzeptanz und Glaubwürdigkeit der neuen Währung und somit eine im Laufe der Zeit steigende Nachfrage nach dem EURO sichergestellt werden. Die öffentliche Hand muss in der Phase zwischen 1999 und 2002 bekanntgeben, ab wann ihre Transaktionen in der Gemeinschaftswährung getätigt bzw. die staatlichen Altschulden auf den EURO umgestellt werden. Spätestens am 31. Dezember 2001 soll der Übergang zur Gemeinschaftswährung erfolgt sein.

Ab dem 1. Januar 2002 werden innerhalb von sechs Monaten die nationalen Währungen durch die EURO- Banknoten und EURObzw. Cent-Münzen abgelöst werden und somit der Übergang zur einheitlichen Währung endgültig abgeschlossen sein.

Nach intensiven Gesprächen und Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission, dem EWI sowie den Mitgliedstaaten und ihren Zentralbanken ist es auf dem Europäischen Rat in Dublin am 13./14. Dezember 1996 gelungen, auch über die letzten noch offenen Fragen des Übergangs in die dritte Stufe der EWWU eine politische Einigung zu erzielen. Zum einen betrifft dies den Rechtsrahmen für die Einführung des EURO (z. B. Rundungsregelungen). Zum anderen betreffen die Dubliner Vereinbarungen die Regelungen der Wechselkursbeziehungen zwischen dem EURO und den Währungen derjenigen Länder, die den EURO noch nicht ab 1999 einführen (EWS II). Es wurde festgelegt, dass das EWS II zum 1. Januar 1999 mit dem EURO als Ankerwährung und relativ weiten Bandbreiten zwischen dem EURO und den nicht an der EWWU teilnehmenden Währungen in Kraft tritt. Bei Überschreitung dieser Bandbreiten interveniert die weisungsunabhängige EZB an den Devisenmärkten. Die Teilnahme am EWS II ist freiwillig, jedoch zugleich eine Voraussetzung für einen späteren Beitritt zur EWWU.

Die vielleicht wichtigste Vereinbarung von Dublin bezieht sich auf das Verfahren bei mitgliedstaatlichen Verstößen gegen die Haushaltsdisziplin nach Inkrafttreten der EWWU. Zentraler Eckpunkt des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ist die Festlegung auf die Automatik des Haushaltsüberwachungsverfahrens. Die EU-Kommission verpflichtet sich, das Verfahren der Haushaltsüberwachung bei Überschreiten der 3 %-Defizitobergrenze in einem Jahr in einem Mitgliedstaat immer auszulösen. Sofern der Mitgliedstaat keine wirksamen Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung unternimmt, kann der Rat die Hinterlegung einer unverzinslichen Zwangseinlage verlangen (0,2 % des BIP als Sokkelbetrag und 0,1 % pro Prozentpunkt der Defizitverfehlung bei einer Obergrenze von 0,5 % des BIP), die nach zwei Jahren in eine Geldbuße umgewandelt werden kann.

Ferner einigte sich der Europäische Rat in Dublin auf die Definition der Ausnahmen von der 3 %-Defizitobergrenze. Nur bei einem Rückgang des nationalen BIP von mindestens 2 % wird dem vom übermäßigen Haushaltsdefizit betroffenen Mitgliedstaat eine Ausnahme eingeräumt. Bei einem BIP-Rückgang zwischen 0,75 % ­ 2 % liegt es im Ermessen des Rates, darüber zu ent scheiden, ob eine Ausnahme vorliegt oder Sanktionen ergriffen werden. Bei einem BIP-Rückgang unter 0,75% wird dem vom Defizit betroffenen Mitgliedstaat generell keine Ausnahme gewährt.

Nicht zuletzt konnte im Stabilitäts- und Wachstumspakt von Dublin sichergestellt werden, dass Sanktionen spätestens zehn Monate nach Bekanntwerden des übermäßigen Haushaltsdefizits ergriffen werden. Nach derzeitiger Vertragsauslegung würde zwischen der Feststellung eines übermäßigen Defizits und der Verhängung von Sanktionen ein Zeitraum von bis zu vier Jahren verstreichen.

Mit den Vereinbarungen des Europäischen Rates von Dublin, die 1997 noch als Entschließungen bzw. Verordnungen verabschiedet werden müssen, sind die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die künftige gemeinsame europäische Währung stabil ist und auch langfristig stabil bleibt.

Die Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung ist ein elementarer Baustein auf dem Weg zu einer vertieften europäischen Integration. Für den Wirtschaftsstandort Berlin, der mit dem Regierungsumzug aufgewertet wird, sind mit der Einführung einer gemeinsamen europäischen Währung große Hoffnungen verbunden. Durch eine Währungsunion können beachtliche ökonomische Vorteile erzielt werden (u. a. Wegfall der Wechselkursschwankungen und der währungsbedingten Transaktionskosten, Verbesserung der Markt- und Preistransparenz und damit des Wettbewerbs auf den Güter- und Finanzmärkten, Nutzung der neuen Währung als internationale Reservewährung). Diese ökonomischen Vorteile können ohne den Standortnachteil einer überbewerteten D-Mark für die deutsche ­ und damit auch für die exportorientierte Berliner Wirtschaft ­ Spielraum für neue Investitionen und damit für die Schaffung dringend benötigter neuer Arbeitsplätze mit sich bringen.

B. BERLINER ERFAHRUNGEN AUF DEM WEG ZUR EUROPÄISCHEN UNION

1. Europäische Beschäftigungspolitik

a) Auswirkungen des Binnenmarktes auf die Berliner Beschäftigungslage

Die Berliner Wirtschaft befand sich auch 1996 inmitten eines schmerzhaften strukturellen Wandlungsprozesses. Noch immer geht der Abbau von Arbeitsplätzen, die dem Wettbewerb nicht standhalten können, schneller voran, als der Aufbau neuer zukunftssicherer Arbeitsplätze gelingt. Auch der Aufbau von Dienstleistungsarbeitsplätzen verläuft nicht in dem erwarteten Tempo. Die Exportquote der Berliner Wirtschaft beträgt nur 40% des Durchschnitts der westdeutschen Länder. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Berliner Wirtschaftsstruktur in hohem Maße eine Überkommenschaft von 40 Jahren Teilung der Stadt und Deutschlands ist. War die Ostberliner Wirtschaft integraler Bestandteil der Arbeitsteilung im Rahmen des RGW, deren Geschäftsgrundlage mit dem Zusammenbruch des sozialistischen Systems entfallen ist, so war die Westberliner Wirtschaft auf Hilfen im Rahmen des Berlinförderungsgesetzes (als Ausgleich für die teilungsbedingten Standortnachteile) angewiesen. Diese teilungsbedingten Nachteile, die sich vor allem in mangelnder regionaler Verflechtung niederschlagen, wie sie für Ballungsräume typisch ist, konnten auf Grund des schleppenden Verlaufs des Angleichungsprozesses zwischen Ost- und Westdeutschland noch nicht behoben werden. Als Teil Ostdeutschlands wird Berlin trotz seiner gegenüber den neuen Ländern besseren Ausgangslage auf absehbare Zeit noch auf Hilfen zur Bewältigung des Strukturwandels angewiesen bleiben.

Dessenungeachtet kann im vierten Jahr des Bestehens des EU-Binnenmarktes eine positive Zwischenbilanz gezogen werden. Trotz der schwierigen Ausgangslage ist in der EU nicht nur höheres Wirtschaftswachstum, expandierender Handel und sinkendes Preisniveau, sondern auch eine Zunahme an Arbeitsplätzen zu verzeichnen. Positiv stellt sich auch die Entwicklung des innergemeinschaftlichen Handels dar: Mittlerweile werden innerhalb der EU Waren im Wert von 700 Mrd. DM umgesetzt. Der Anteil des EU-internen Handels am gesamten Außenhandel der Mitgliedstaaten ist damit von 61% auf 68% gestiegen.

Als besondere EU-Vorhaben im Bereich des Binnenmarkts im Jahre 1996 sind die Bemühungen um eine „Verschlankung" der Gesetzgebung, die Beseitigung letzter Hemmnisse beim freien Warenverkehr sowie eine Aktion zur Information der Bürger über ihre Rechte in Europa zu nennen. Trotz dieser positiven Zwischenbilanz fehlen noch einige wesentliche Schritte zur Vollendung des Binnenmarktes. Neben der teils unvollständigen Umsetzung der EU-Richtlinien durch die Mitgliedstaaten gibt es weitere Vorhaben, die der Verabschiedung durch den Ministerrat bedürfen. Dazu zählt u. a. das Statut der europäischen Aktiengesellschaft sowie die Festlegung der rechtlichen Rahmenbedingungen für Biotechnologie und grenzüberschreitende Energieversorgung.

Der europäische Binnenmarkt bedeutet offene Grenzen und damit verschärften Wettbewerb in den schon liberalisierten Sektoren. Um konkurrenzfähig zu bleiben und Arbeitsplätze zu erhalten bzw. zu schaffen, müssen sich Unternehmen an die neuen Rahmenbedingungen anpassen. Die zukünftige Stellung der Berliner Unternehmen im europäischen Markt wird insbesondere davon abhängen, wie gut ihnen die Umstellung auf das sich verändernde wirtschaftliche Umfeld gelingt und ob sie die sich bietenden Chancen, z. B. zur grenzüberschreitenden Firmenkooperation, nutzen.

Nicht zuletzt kommt es verstärkt darauf an, „europäisch" denkende Fachkräfte auszubilden und ein solide ausgebildetes europäisches Management für die Ausgestaltung des Binnenmarktes zu entwickeln. Leider ruft gerade in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die Frage nach dem „Euro-Beauftragten" bzw. „EU-Berater" in vier von fünf Fällen einen ratlosen Blick hervor, obwohl gerade die KMU von der Wirtschafts- und Währungsunion profitieren können. Um diesem Bedarf zu entsprechen, bietet die im Bildungszentrum am Müggelsee GmbH ansässige Akademie für Internationale Wirtschaft im Rahmen der Weiterbildung Euro-Kurse zum Wirtschaftsassistenten für Außenhandel/Europa an, die mit dem „Euro-Diplom" abschließen. Zusätzlich kann ein Certificate der Londoner Chamber of Commerce and Industry für Business English erlangt werden. 1996 wurde der fünfte Jahreskurs mit einem gelenkten Praktikum über drei Monate in Unternehmen des In- und Auslands (darunter in französischen, englischen und skandinavischen Unternehmen) erfolgreich abgeschlossen.

b) Beschäftigungspolitische Auswirkungen der EU-Beihilfenkontrolle

Die EU-Kommission unterstützt seit 1990 den wirtschaftlichen Aufbauprozeß in den neuen Ländern durch eine flexible Anwendung der Artikel 92 ff. EG-Vertrag über die Kontrolle staatlicher Beihilfen, d. h. nationaler Subventionen an Unternehmen. In einem Europa auf dem Weg zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion können jedoch staatliche Beihilfen in verstärktem Maße wettbewerbsverzerrende Wirkungen entfalten. Andere Mitgliedstaaten verfolgen durchaus kritisch den Aufbau einer leistungsfähigen Wirtschaft in den neuen Ländern und drängen die EU-Kommission, für Deutschland bestehende Sonderregelungen, z. B. hinsichtlich der Interventionen seitens der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BVS, Nachfolgerin der Treuhand) auslaufen zu lassen. In diesem Zusammenhang haben spektakuläre Fälle wie „Bremer Vulkan" und „VW-Sachsen" in der Gemeinschaft Irritationen ausgelöst. Das Umfeld für die Genehmigung staatlicher Beihilfen für die neuen Länder und Berlin wurde hierdurch komplizierter.

Vor diesem Hintergrund ist es als großer Erfolg anzusehen, daß die EU-Kommission der vollständigen Einbeziehung der westlichen Bezirke der Stadt in das Fördergebiet der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur" ab

1. Januar 1997 zugestimmt hat. Die EU-Kommission hat außerdem am 12. Februar 1997 die Ausdehnung der Regelungen für Sonderabschreibungen und Investitionszulagen auf West-Berlin für Betriebe mit nicht mehr als 250 bzw. nicht mehr als 50

Beschäftigten unter bisher im Detail noch nicht bekannten Bedingungen genehmigt.

c) Beschäftigungspolitische Auswirkungen des Binnenmarktes auf den Baumarkt Berlins

Der Prozeß der Europäisierung im Baugeschehen hat sich 1996 weiter verstärkt, d. h. ein ständig zunehmender Anteil am Berliner Bauvolumen wird von Kapazitäten anderer EU- Staaten erstellt. Da die Nachfrage nach Bauleistungen nicht weiter angestiegen ist, sondern weitgehend stagniert, hat sich die Konkurrenzsituation auf dem Berliner Arbeitsmarkt weiter verschärft.

Für einheimische Bauarbeiter sind die Vermittlungschancen schlechter geworden und die Bauarbeitslosigkeit ist im Vergleich zum Jahre 1995 nochmals angestiegen. Im Vorgriff auf die am 24. September 1996 vom Rat der Europäischen Union ergangene Entsende-Richtlinie sowie im Vorgriff auf das nationale Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen bei grenzüberschreitenden Dienstleistungen, hat Berlin eigene Regelungen entwickelt, um mehr Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt herzustellen.

Baumaßnahmen des Landes werden nur bei Einhaltung der geltenden Berliner Lohntarife an Auftragnehmer vergeben; diese müssen entsprechende vertragliche Verpflichtungen eingehen.

Die Erwartungen Berlins richten sich auf eine schnelle Wirksamkeit der europäischen Regelung, die bei Erbringung von länderübergreifenden Dienstleistungen Verwerfungen auf den regionalen Arbeitsmärkten ausschließen bzw. abmildern soll. Die Entsende-Richtlinie der EU, für deren Umsetzung die Mitgliedstaaten drei Jahre Zeit haben, bedeutet für die Bundesrepublik Deutschland in einigen Punkten eine Änderung bzw. Ergänzung des im Februar 1996 im Vermittlungsausschuß ausgehandelten nationalen Entsendegesetzes. Betroffen sind insbesondere die Aufhebung der Befristung, das geeignete Verfahren für die Arbeitnehmer zur Durchsetzung ihrer Ansprüche am Arbeitsort (einschließlich der Klagebefugnis) sowie die Benennung von Verbindungsbüros zur Auskunftserteilung über alle einzuhaltenden Arbeitsbedingungen.

Die EU-Entsende-Richtlinie beläßt darüber hinaus aber auch die Möglichkeit, weitergehende nationale Regelungen zu erlassen. Dies könnte insofern von Interesse sein, als sich das mit dem 1. März 1996 in Kraft getretene deutsche Entsendegesetz bisher als nicht sehr wirkungsvoll erwiesen hat. Danach werden ausgehandelte Mindestlöhne erst dann wirksam, wenn sie ­ nach Zustimmung des Tarifausschusses beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung ­ für allgemeinverbindlich erklärt werden. Insbesondere an der lange Zeit fraglichen Zustimmung des Tarifausschusses schien das Zustandekommen des Entsendegesetzes lange Zeit zu scheitern. Am 12. November 1996 konnte schließlich die Allgemeinverbindlichkeitserklärung des neu ausgehandelten Tarifvertrages ausgesprochen werden. Hiernach soll vorerst in der Zeit vom 1. Januar bis 31. August 1997 in den neuen Ländern ein Mindestlohn von 15,64 DM und in den alten Ländern von 17,00 DM gelten. Eine wirksame Bekämpfung des Sozialdumpings zum Schutz insbesondere der kleinen und mittleren Baubetriebe bleibt bei dieser kurzen Frist jedoch weiterhin fraglich, zumal Vertreter der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände erwarten, dass der für die Zeit ab September 1997 auzuhandelnde Mindestlohn niedriger sein wird.

d) Europäischer Beschäftigungspakt

Auf EU-Ebene konnten 1996 wichtige Maßnahmen zugunsten der europäischen Beschäftigungspolitik initiiert werden. Zum einen beschloß der Arbeits- und Sozialministerrat der EU auf seiner Sitzung vom 2. Dezember 1996 die Einsetzung eines Ausschusses für Beschäftigung und Arbeitsmarktpolitik, der die bestehende Ad-hoc-Gruppe der Beauftragten der Arbeitsminister ablöst. Der Ausschuß soll die Beschäftigungsentwicklung in der Gemeinschaft aufmerksam verfolgen, die Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitiken der Mitgliedsstaaten überprüfen, den Informations- und Erfahrungsaustausch erleichtern und dem Rat Berichte und Vorschläge unterbreiten.

Zum anderen legte der Präsident der EU-Kommission, Jacques Santer, einen Vorschlag für einen Europäischen Beschäftigungspakt vor. Dieser soll beschäftigungsorientierte Politik (Schaffung von Arbeitsplätzen durch nachhaltiges Wachstum, stabile Währung und gesunde Haushaltspolitik) mit der Vollendung des Binnenmarktes und einer Reform der Beschäftigungssysteme der Mitgliedstaaten verbinden.

Gegen Ende des Jahres 1996 wurde nach zwischenzeitlichen landesinternen Entwicklungen sowie zunehmender Konkretisierung der Verfahrensmodalitäten entschieden, eine Beteiligungsoption des Landes Berlin am Europäischen Beschäftigungspakt zu eröffnen. Berlin übermittelte der Kommission einen Projektvorschlag ­ „Aktive Region. Vernetzung der Potentiale regionaler Akteure zur Mobilisierung und gezielten Entwicklung der Wirtschaft und der Beschäftigung". Der weitere Verlauf des Verfahrens ist derzeit noch nicht einzuschätzen.

Auch die deutschen Länder haben 1996 eine Initiative im Rahmen der Begleitung der Regierungskonferenz gestartet, um der europäischen Beschäftigungspolitik neue Impulse zu verleihen.

Der Bundesrat hat daher von seiner Mitwirkungsmöglichkeit im Rahmen des Art. 23 Grundgesetz in bezug auf beschäftigungspolitische Reformen Gebrauch gemacht. Er verabschiedete unter Mitantragstellung Berlins zu diesem Thema eine Stellungnahme.

Zwar soll hiernach die konkrete Handlungskompetenz für die Beschäftigungspolitik bei den Mitgliedstaaten verbleiben. Durch eine Verpflichtung der Europäischen Union zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit sowie durch die Verpflichtung zur Festlegung der Grundzüge der Beschäftigungspolitik in der gesamten Gemeinschaft und deren Koordinierung durch die EU soll deren Rolle bei der Schaffung von mehr Beschäftigung jedoch gestärkt und einem wesentlichen Anliegen der Bürger Rechnung getragen werden.

2. Soziales Europa

a) Arbeitsschutz

Das Jahr 1996 brachte für den Bereich des Arbeitsschutzes bedeutsame gesetzgeberische Erfolge, die auch als Beitrag zur sozialen Dimension des europäischen Binnenmarktes nicht unterschätzt werden dürfen. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der EG-Rahmenrichtlinie Arbeitsschutz und weiterer Richtlinien vom 7. August 1996 ist es erstmals gelungen, ein eigenständiges Arbeitsschutzgesetz zu erlassen, welches allgemeine Grundpflichten für Arbeitgeber und Beschäftigte enthält und in allen Betrieben und Verwaltungen gilt. Auf Grund dieses Gesetzes konnten bereits weitere Arbeitsschutz-Einzelrichtlinien der EU in nationales Recht umgesetzt werden, insbesondere die Richtlinie über Bildschirmarbeitsplätze und die Richtlinie über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der manuellen Handhabung von Lasten, deren Regelungsgegenstand neu ist und die somit für den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer echte Fortschritte versprechen.

Die für Arbeitsschutz zuständige Abteilung der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales hat intensiv an der schwierigen Kompromißlösung zwischen Regierungskoalition und Bundesrat sowie an der Umsetzung von Einzelrichtlinien mitgewirkt.

Gemeinsam mit dem Landesamt für Arbeitsschutz und technische Sicherheit und dem Landesinstitut für Arbeitsmedizin hat die Umsetzung des neuen Rechts in Berlin begonnen, insbesondere durch Informationen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, u. a. durch eine Seminarveranstaltung anläßlich der Europäischen Arbeitsschutzwoche. Um dem hohen fachlichen Anspruch des europäischen Arbeitsschutzrechts Geltung zu verschaffen, wurde darüber hinaus beschlossen, die nachgeordneten Arbeitsschutzbehörden zusammenzuführen und nach fachlichen Gesichtspunkten neu zu organisieren.