Normenkontrollklage durch Berlin wegen Mauergrundstücksgesetz

Das Abgeordnetenhaus fordert den Senat auf, im Wege der Normenkontrollklage nach Artikel 93 Abs. 1 Nr. 2 Grundgesetz die Verfassungsmäßigkeit des „Gesetzes über den Verkauf von Mauer- und Grenzgrundstücken an die früheren Eigentümer (Mauergrundstücksgesetz ­ MauerG) vom 15. Juli 1996 (BGBl. I 980)" überprüfen zu lassen.

Begründung:

Mit dem „Gesetz über den Verkauf von Mauer- und Grenzgrundstücken an die früheren Eigentümer" hat der Bundesgesetzgeber die Enteignungen von Grundstücken zum Bau der Berliner Mauer im nachhinein als rechtmäßige Akte der DDR anerkannt.

Die DDR hatte zum Zweck des Mauerbaus und für die Anlage des Todesstreifens die Eigentümer der entsprechenden Grundstücke zumeist auf der Grundlage des „Gesetzes zur Verteidigung der DDR vom 20. September 1961 (Gbl. DDR I S. 175) enteignet.

Mit der Anwendung des Verteidigungsgesetzes in Berlin verstieß die DDR gegen den entmilitarisierten Status von Gesamt-Berlin.

Gegen diesen Verstoß haben in der Zeit bis zum 3. Oktober 1990 sämtliche Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland und die drei Westmächte ständig Protest erhoben. Dennoch wurde nach der Wiedervereinigung im Vermögensgesetz nicht geregelt, dass die Grundstücke den Enteigneten zurückzugeben sind, sondern dass sie dem Bund als Bundesvermögen anheimfallen.

Gegen diese zweite Enteignung haben sich das Abgeordnetenhaus und der Senat von Berlin wiederholt ausgesprochen. Auf Initiative des Senats von Berlin hatte der Bundesrat im Dezember 1994 einen Gesetzentwurf vorgelegt, der die Rückgabe der Mauergrundstücke an die Enteigneten ohne Wenn und Aber beinhaltete. In der Begründung des Gesetzentwurfs heißt es: „Wenn der Staat diese Grundstücke nicht zurückgibt, setzt er sich dem Vorwurf aus, dass er sich an Unrecht bereichert hat."

Dieser Vorwurf ist nun zu erheben. Der Gesetzentwurf des Bundesrates stieß auf den Widerstand von Bundesregierung und der Mehrheit des Bundestages. Stattdessen wurde im Sommer 1996 vom Bundestag das „Gesetz über den Verkauf von Mauer und Grenzgrundstücken an die früheren Eigentümer (Mauergrundstücksgesetz)" beschlossen. Danach werden die Mauergrundstücke als bundeseigene Grundstücke behandelt, die den früheren Eigentümern zum Rückkauf angeboten werden. Gegen Zahlung von 25 % des heutigen Verkehrswertes können die früheren Eigentümer ihr von der DDR enteignetes Grundstück vom Bund zurückkaufen, falls der Bund die Grundstücke nicht für dringende eigene öffentliche Zwecke benötigt oder im öffentlichen Interesse an Dritte veräußern will. In diesen Fällen erhalten die früheren Eigentümer 75 % des heutigen Verkehrswertes, der sich ­ so die Rechtsmeinung des Bundes ­ nach der heute vorgesehenen Nutzung richtet.

Gegen dieses Gesetz ist von Betroffenen Verfassungsbeschwerde erhoben worden. Gegen das Gesetz sprechen zum einen die rechtspolitischen Gesichtspunkte, die im Gesetzentwurf des Bundesrates formuliert wurden. In diesem Zusammenhang ist auf den makaberen Umstand hinzuweisen, dass inhaltlich die Regelung des Mauergrundstücksgesetzes hinter die Grenzordnung der DDR von 1982 zurückfällt, die in § 9 vorsah: „Grundstücke, die nicht mehr für Maßnahmen zum Schutz der Staatsgrenze benötigt werden, sind an die Eigentümer zu übertragen."

Gegen das Mauergrundstücksgesetz sprechen auch staats- und völkerrechtliche Argumente. Gemäß dem Londoner Protokoll von 1944 war Berlin eine eigene Besatzungszone. Wesentlicher Bestandteil des Viermächtestatus der Stadt war die Entmilitarisierung, die auch die Ausdehnung von Militärgesetzgebung ­ einschließlich der Gesetzgebung über Landbeschaffung für Verteidigungszwecke ­ auf Gesamt-Berlin untersagte. Mit der Anwendung des Verteidigungsgesetzes in Ost-Berlin für die Enteignung von Grundstücken für den Bau der Mauer verstieß die DDR ­ wie auch von der Bundesregierung stets betont ­ gegen den Viermächtestatus. Die Bundesregierung vertritt nun die Rechtsposition, dass die völkerrechtswidrige Enteignung der Mauergrundstücke durch den Einigungsvertrag geschützt wird. Diese Rechtsposition ist umstritten. Auch in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 3.Mai 1996 wird erklärt, dass durch von der Bundesrepublik Deutschland übernommene völkerrechtliche Verpflichtungen die Rechtsgültigkeit der von den Alliierten in Berlin begründeten Rechtsposition diskriminierungsfrei anzuerkennen sind.

Nach Artikel 25 GG sind die „allgemeinen Regeln des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes." Berlin darf auf Grund seiner Geschichte nicht hinnehmen, dass die Folgen des Völkerrechtsbruchs durch die DDR für den Bau der Mauer im Nachhinein durch ein Bundesgesetz legalisiert werden.

Das Abgeordnetenhaus von Berlin fordert deshalb den Senat auf, in einer Normenkontrollklage die Verfassungsmäßigkeit des Mauergesetzes überprüfen zu lassen.