Ausbau des „Geschützten Marktsegments" für obdachlose Menschen

„Der Senat wird aufgefordert, zur Wiedereingliederung und Vermeidung von Obdachlosigkeit durch die Wohnungsbaugesellschaften weiterhin Wohnungen bereitstellen zu lassen („Geschütztes Marktsegment") und die Zahl um eintausend auf dreitausend Wohnungen jährlich so bald als möglich zu erhöhen.

Dabei ist zu prüfen, inwieweit der belegungsgebundene Wohnungsbestand der privaten Wohnungswirtschaft mitgenutzt werden kann.

Mit diesem zusätzlichen Potential sollen vorrangig Familien mit Kindern, Alleinerziehende und Schwangere mit Wohnraum versorgt werden können. Bei allen Eingliederungsmodellen ist eine Nachbetreuung zu sichern.

Der Senat soll hierfür einen Bericht erstellen. Dieser soll auch eine Darstellung der Nachfragesituation enthalten. Der Senat soll über das Prüfergebnis bis zum 30. Juni 1996 berichten."

Hierzu wird berichtet:

1. Soziale Wohnungsversorgung (gesetzliche Regelung)

Das „Geschützte Marktsegment" ist eine Sonderform vertraglicher Regelungen zur Versorgung Obdachloser oder von Obdachlosigkeit bedrohter Personen mit Wohnraum.

Die soziale Wohnraumversorgung ist durch das Wohnungsbindungsgesetz (Bundesgesetz) und das Belegungsbindungsgesetz (Land) geregelt. Es sieht eine Erteilung von Wohnberechtigungsscheinen vor an Antragsteller mit einem Einkommen, innerhalb der Einkommensgrenze von 23 000,00 DM (dies entspricht einem Bruttoeinkommen von 34 857,00 DM/Arbeitnehmer oder 24 468,00 DM/Rentner), zuzüglich 10 400,00 DM für den zweiten und weitere 8 000,00 DM für jeden weiteren zur Familie rechnenden Angehörigen (§ 25 Abs. 1 Satz 2 WoBauG) mit einer möglichen Überschreitung bis 5 v. H.

2. Allgemeine Wohnungsversorgung Antragsteller, die zu einer besonderen Berechtigungsgruppe gehören (AV-WoBindG Nr. 4, neugefaßt durch Rundschreiben der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen vom 7. März 1990 und 2. April 1991), erhalten einen Wohnberechtigungsschein mit sog. „Dringlichkeit" ­ 1996 in Berlin: 109 399 Inhaber von Wohnberechtigungsscheinen, davon 23 277 mit besonderer Dringlichkeit (Berechtigungsgruppe) ­. Hierzu zählen auch Personen, die in Einrichtungen der sozialen Wohnhilfe oder sonstigen Behelfsunterkünften der Jugend-, Frauen- und Sozialverwaltungen leben.

Die Ausstellung eines Wohnberechtigungsscheines mit Berechtigungsgruppe nimmt das jeweilige Bezirksamt vor, in dem die Personen gemeldet sind. Eine Aufschlüsselung befindet sich am Schluß des Berichts. Die Inhaber der Wohnberechtigungsscheine versorgen sich über die städtischen Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften oder private Unternehmen mit Wohnraum, wobei den Inhabern eines WBS mit Berechtigungsgruppe (Dringlichkeit) in der Regel Vorrang eingeräumt wird.

Mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften wurden vor 9 Jahren sog. „Kooperationsverträge" abgeschlossen, einerseits um den dringlich Wohnungsuchenden durch Vereinbarung einer anteiligen Versorgungsquote in höherem Maße eine Versorgung mit Wohnraum zu gewährleisten, andererseits wurde den Gesellschaften eine Verteilung innerhalb des gesamten Bestandes ­ und nicht nur im geförderten Bestand ­ eingeräumt.

Dieser Kooperationsvertrag wurde 1995 modifiziert, so daß gegenwärtig nach vertraglicher Vereinbarung 33,3 % (ein Drittel) des freiwerdenden Bestandes an Wohnberechtigte mit dringendem Wohnbedarf vermietet werden soll.

Aber auch dieser Vertrag sieht nur vor, dass die Gesellschaften diejenigen aus ihren Bewerbern auswählen können, die ihnen zusagen und die der zu vermietenden Wohnung angemessen sind.

3. „Geschütztes Marktsegment":

Die Inhaber eines Wohnberechtigungsscheines (ohne oder mit Dringlichkeit) sind zum Bezug einer mit öffentlichen Mitteln geförderten Sozialwohnung berechtigt. Die Vermieter können sich jedoch aus dem Bewerberkreis die ihnen zusagenden Personen auswählen ­ Obdachlose hatten wenig Chancen auf dem Markt. 1993 wurde deshalb das „Geschützte Marktsegment" eingerichtet, die Senatsverwaltung für Soziales schloß Verträge mit den städtischen Wohnungsbaugesellschaften, jährlich insgesamt 2 000 Wohnungen für Obdachlose oder von Obdachlosigkeit bedrohte Personen zur Verfügung zu stellen.

Seit Inkrafttreten des Vertrages sind rund 5 100 Wohnungen für ca. 9 300 Personen vermittelt worden (Anlage: Wohnungsvergabe 1996). Schwierigkeiten bei der Erfüllung der Quote ergaben sich aus folgenden Gründen:

- ca. 78 % der Bewerberinnen und Bewerber suchten eine 1-Raum-Wohnung (Alleinstehende), nur jeweils ca. 7 % Wohnungen mit 3, 4 und mehr Räumen.

- Der freiwerdende Bestand der Wohnungsbaugesellschaften entsprach nicht diesen Anforderungen. Gerade in den Großsiedlungen wurden von den Gesellschaften mehr große Wohnungen angeboten, als benötigt wurden.

Im 4. Quartal 1996 waren 9 872 Personen (Haushalte: 7 956) bei den Bezirksämtern (ohne Schöneberg) als obdachlos gemeldet. Von einer weiteren Zahl von rund 3 000 Personen, die „auf der Straße" leben, geht die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales aus.

Die gemeldeten Obdachlosen sind vorläufig von den Bezirken mit Unterkunft versorgt worden, d. h., sie befinden sich in städtischen Obdachlosenunterkünften, Heimen oder angemieteten Pensionen.

Zur Wohnraumversorgung der Obdachlosen über das „Geschützte Marktsegment" wurden in den Bezirken Organisationsstellen eingerichtet, die auch die sog. „(M)-Berechtigung" erteilen. Als Merkmal dieser Zugangsberechtigung zum „Geschützten Marktsegment" ist Obdachlosigkeit oder drohende Obdachlosigkeit ausreichend.

Zur Abwicklung des Verfahrens ist bei der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales die „Zentrale Koordinationsstelle (ZEKO)" eingerichtet worden. Sie nimmt die Meldungen freier Wohnungen von den Wohnungsbaugesellschaften entgegen. Die Bezirke melden der ZEKO (M)-Berechtigte.

Diese Bedarfsmeldungen und die Berliner Wohnungslosenstatistik sind für die ZEKO Maßstab der Wohnungsverteilung an die einzelnen Bezirksämter von Berlin. Dabei wird, auf der Grundlage der durch die städtischen Gesellschaften bereitgestellten Wohnungen versucht, diesem Bedarf durch Angebote der entsprechenden Wohnungsgrößen Rechnung zu tragen.

Eine Aufschlüsselung der (M)-Berechtigten der einzelnen Bezirke befindet sich in der Anlage.

Daraus ergibt sich, dass mehr als 75 % (76,5) der zu versorgenden Personen zum Personenkreis der Alleinstehenden gehören, diesem Personenkreis stehen bei 2 000 WE jährlich nur 1 100 zu erwartende 1-Raum-Wohnungen (Wohnungen bis 50 m2 Wohnfläche) aus dem Angebot der Gesellschaften zur Verfügung. Dagegen ist zu erwarten, dass die laut Beschluß des Abgeordnetenhauses vorrangig zu versorgenden Personen (Familie mit Kindern, Alleinerziehende) schon in proportional größerem Umfang mit Wohnraum versorgt werden können. Die städtischen Gesellschaften haben aber auch bezüglich der allgemeinen Wohnraumnachfrage den größten „Bewerberstau" im Bereich der 1-Raum-Wohnungen (Wohnungen bis zu 50 m2), was die Haushaltssituation der Stadt Berlin insgesamt widerspiegelt (46,7 % der Bevölkerung sind sog. „Single-Haushalte" ­ Berliner Statistik 1996).

Mit den städtischen Gesellschaften wurde bereits mehrfach über die Notwendigkeit gesprochen, das Angebot kleiner Wohnungen entsprechend der Bewerbernachfrage zu erhöhen, dem auch teilweise entsprochen wurde.

Eine Erweiterung des „Geschützten Marktsegments" kann aus den genannten Gründen nicht der quantitativen Versorgung des im Beschluß genannten Personenkreises dienen.

Ein Vorrang in der Versorgung von Familien mit Wohnraum ist praktiziert worden und wird auch weiterhin beachtet.

4. Erweiterung des „Geschützten Marktsegments" um 1 000 WE

Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften werden weiterhin Wohnungen zur Wiedereingliederung Obdachloser und zur Vermeidung von Obdachlosigkeit bereitstellen.

Weitere Wohnungen könnten aus dem Bestand der privaten Wohnungsunternehmen und Eigentümer bereitgestellt werden, die öffentliche Mittel für den Wohnungsbau in Anspruch genommen haben. Da aber diese nur die Belegungsverpflichtung für Wohnberechtigte eingegangen sind (Wohnungssuchende mit WBS), können sie nur über Vereinbarungen oder vertragliche Regelungen zur Versorgung Obdachloser verpflichtet werden. Bisher konnten entsprechende Regelungen zwischen der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales und den privaten Wohnungsunternehmen nicht vereinbart werden. Grundsätzlich können alle Vermietungen im Rahmen des „Geschützten Marktsegments" auf die Belegungsverpflichtungen angerechnet werden, da es sich um dringlich Wohnungssuchende handelt.

Auch die Wohnungsbaugenossenschaften können nicht zur Überlassung von Wohnraum an Obdachlose verpflichtet werden, wie es der Gesellschaftsvertrag mit den städtischen Gesellschaften zuläßt.

Die Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales wird in Abstimmung mit der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr anstreben, derartige Vereinbarungen zu treffen.

Die städtischen Gesellschaften sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht allein in der Lage, eine Erhöhung der Quote zu versorgender Obdachloser zu tragen.

Zum einen ist in den Großsiedlungen im Moment bereits, um eine ausgewogene Mieterstruktur erhalten zu können, eine Gebietsfreistellung von Belegungsverpflichtungen vorgesehen, zum anderen stellen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften noch jährlich eine Anzahl von 3 000 WE über „Einzelverträge" mit den Bezirksämtern, Freien Trägern und sozialen Einrichtungen (z. B. Jugend-Wohngemeinschaften, Aidskranke, Haftentlassene, psychisch Kranke) zur Verfügung und übernehmen somit bereits einen großen Teil der Wohnraumversorgung für besondere Bedarfsgruppen.

5. Umsetzung des Beschlusses des Abgeordnetenhauses

Trotz der gegenwärtigen Bestrebungen zu Freistellungen in größeren Siedlungen (und entsprechender Anwendung des § 7 WoBindG) werden die städtischen Gesellschaften auch eine weitergehende Versorgung der obdachlosen Haushalte mit Wohnraum bis zur Hälfte der geforderten 1 000 WE übernehmen.

Über von der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales abzuschließende Verträge mit den privaten Wohnungsunternehmen, die über geförderten Wohnraum verfügen, soll die Wohnungsversorgung weiterer 500 Haushalte sichergestellt werden.

Die Umsetzung ist einerseits wegen der vorgesehenen Modifizierung der Belegungsbindungen mit den städtischen Gesellschaften und wegen der notwendigen Vertragsverhandlungen mit den privaten Unternehmen nicht kurzfristig erreichbar, soll aber im Rahmen der politischen Verpflichtung des Senats von Berlin, eine Wohnungsversorgung breiter Schichten der Bevölkerung in sozial verträglicher Weise zu gewährleisten, durch Verhandlungen zeitnah durchgesetzt werden.