Beitreibungsversuche im Wege der Amtshilfe verursachen einen ganz erheblichen Arbeitsaufwand und sind zudem wenig erfolgreich

Die Beschränkung des Vollstreckungsinnendienstes auf die formale Abwicklung des Amtshilfeersuchen-Verfahrens führt u. a. dazu, dass Erkenntnisse über Vollstreckungsmöglichkeiten, die dem Vollstreckungsinnendienst bei der Beitreibung der eigenen Steuerrückstände bekannt geworden sind (z. B. über Forderungen und andere Vermögensrechte), nicht für die Beitreibung der Rückstände aus Amtshilfeersuchen genutzt werden. § 249 Abs. 2 AO lässt jedenfalls die Verwendung von bekannten, nach § 30 AO geschützten Daten seit 1994 auch für die Beitreibung nichtsteuerlicher Ansprüche ausdrücklich zu. Eine auf Stichproben beschränkte Auswahl von Fällen hat gezeigt, dass das Finanzamt mehr als die Hälfte der in den Amtshilfeersuchen bezeichneten Vollstreckungsschuldner auch als Steuerschuldner registriert hatte. Bei diesen Fällen hätte die Zusammenführung der Amtshilfeersuchen mit den für die Beitreibung der Steuerrückstände angelegten Vorgängen zu einer erheblichen Arbeitsvereinfachung geführt; das Finanzamt hätte die Vollstreckungsmaßnahmen aufeinander abstimmen und eine doppelte Bearbeitung vermeiden können. Zudem wäre es bei durchaus nicht wenigen Amtshilfeersuchen wegen nichtsteuerlicher Ansprüche erheblich zweckdienlicher gewesen, wenn der Vollstrekkungsinnendienst neben oder anstelle des Vollstreckungsaußendienstes in Forderungen und andere Vermögensrechte vollstreckt hätte.

Beitreibungsversuche im Wege der Amtshilfe verursachen einen ganz erheblichen Arbeitsaufwand und sind zudem wenig erfolgreich. So hat der Vollstreckungsaußendienst des Finanzamts Kreuzberg 1996 nur 7 v. H. der erledigten 22 912

Vollstreckungsaufträge aufgrund von Amtshilfeersuchen durch Zahlung oder Sachpfändung abgeschlossen, während er im Vergleich hierzu wenigstens 22 v. H. der 8 646 Vollstrekkungsaufträge wegen eigener Steuerrückstände in dieser Weise abschließen konnte.

Eine Ursache für die wenig erfolgreiche Bearbeitung der Vollstreckungsaufträge aufgrund von Amtshilfeersuchen liegt darin, dass die Vollziehungsbeamten wegen der hohen Zahl der ihnen insgesamt erteilten Vollstreckungsaufträge gehalten sind, bei deren Erledigung betragsmäßige Prioritäten zu beachten; hierbei weisen die Vollstreckungsaufträge wegen der eigenen Steuerrückstände regelmäßig deutlich höhere Beträge aus als die der Amtshilfeersuchen. Allein die Zahl der 1996 an das Finanzamt Kreuzberg gerichteten 32 369 Amtshilfeersuchen würde ausreichen, die gesamte Arbeitskraft des Vollstreckungsaußendienstes zu binden.

Ein weiterer Grund dürfte darin bestehen, dass die Vollziehungsbeamten die Vollstreckungsschuldner oftmals nicht in ihrer Wohnung angetroffen haben. Dem Rechnungshof war es nur eingeschränkt möglich, dies zu überprüfen; nach Durchsicht von Rechenschaftsvermerken geht er aber davon aus, dass die Vollziehungsbeamten die Wohnungen der Vollstreckungsschuldner regelmäßig nur während ihrer normalen Dienstzeit aufgesucht haben. Bei den Vollstreckungsschuldnern im Amtshilfeersuchen-Verfahren handelt es sich häufig um Arbeitnehmer, die während der Dienstzeit der Vollziehungsbeamten ihrer Arbeitnehmer-Tätigkeit nachgehen und daher nicht in ihren Wohnungen anzutreffen sind. Der Rechnungshof hat daher vorgeschlagen, darauf hinzuwirken, daß die Vollziehungsbeamten ihre Vollstreckungshandlungen verstärktauch in der Zeit von 16.00 bis 21.00 Uhr durchführen.

Vermutlich hätte sich bei entsprechender Handhabung die Zahl der Amtshilfeersuchen, die wegen Nichtantreffens der Vollstreckungsschuldner unerledigt an die ersuchenden Stellen zurückgesandt worden sind, deutlich reduzieren lassen.

Die ersuchenden Behörden richten regelmäßig für jeden rückständigen Betrag ein gesondertes Amtshilfeersuchen an das Wohnsitzfinanzamt. Dieses erhält oftmals zeitgleich (insbesondere vom Polizeipräsidenten) ­ zumeist aber nacheinander ­ Amtshilfeersuchen, die denselben Vollstreckungsschuldner betreffen. Die Dienstkräfte des Vollstreckungsinnendienstes beim Finanzamt Kreuzberg haben jedes Amtshilfeersuchen getrennt registriert, so dass sie bei der Vielzahl der beim Finanzamt eingehenden Ersuchen keinen Überblick darüber hatten, welche Amtshilfeersuchen denselben Vollstreckungsschuldner betreffen und aufwelchen Betrag sich der jeweilige Gesamtrückstand beläuft. Sie haben letztlich auch derartige „Mehrfach-Amtshilfeersuchen" jeweils dem Vollstreckungsaußendienst getrennt zur Beitreibung zugewiesen. Die Vollziehungsbeamten haben die „Mehrfach-Amtshilfeerersuchen" dann zwar zusammen bearbeitet und den jeweiligen Vollstreckungsschuldner insoweit nur einmal aufgesucht. War es aber in diesen Fällen angezeigt, die Vollstrekkungsschuldner zur Zahlung aufzufordern, haben sie häufig getrennte Zahlungsaufforderungen einzeln im Postwege an die Vollstreckungsschuldner gerichtet; dies führte zu vermeidbaren Portokosten. Auch hat das Finanzamt Erkenntnisse über einen Vollstreckungsschuldner, die es bei der Bearbeitung vorhergehender Amtshilfeersuchen erlangt hatte, zumeist nicht genutzt. So hätte sich beispielsweise die fortwährende Auftragserteilung an die Vollziehungsbeamten und deren jeweils erfolgloses Vollstreckungsbemühen in den Fällen vermeiden lassen, in denen aus der Bearbeitung älterer Amtshilfeersuchen bereits bekannt war, dass der Vollstrekkungsschuldner unbekannt verzogen ist oder seinen Wohnsitz in den Bezirk eines anderen Finanzamts verlegt hat. Diese selektive Bearbeitungsweise, die das einzelne Amtshilfeersuchen und nicht den Vollstreckungsschuldner in den Vordergrund stellt, verhindert geradezu den für eine wirksame Vollstreckungstätigkeit notwendigen Überblick über den Gesamtfall.

Das Finanzamt Kreuzberg hat die ihm übersandten Amtshilfeersuchen nur unzureichend bearbeitet. So hatte es bei etwa 22 000 der im Zeitpunkt der Prüfung durch den Rechnungshof vorliegenden 29 000 Amtshilfeersuchen noch keine Beitreibungsmaßnahmen ergriffen, obwohl die Amtshilfeersuchen dem Finanzamt teilweise bereits vor mehr als zwölf Monaten zugegangen waren. Fälle, mit deren Bearbeitung das Finanzamt begonnen hatte, wiesen häufig unvertretbar lange Bearbeitungspausen auf. Wiederholt hat das Finanzamt ihm bekannte erfolgversprechende Beitreibungsmöglichkeiten nicht, zumindest nicht zeitnah, ergriffen. So lagen dem Finanzamt beispielsweise mehrere Amtshilfeersuchen vor, bei denen die ersuchenden Stellen auf Vollstreckungsmöglichkeiten, wie Kontenverbindungen oder die genaue Bezeichnung des Arbeitgebers, ausdrücklich hingewiesen hatten. Gleichwohl hatte der Vollstreckungsinnendienst esunterlassen, diese Fälle zeitnah zu bearbeiten.

Mit der wachsenden Zahl der beim Finanzamt Kreuzberg eingehenden Amtshilfeersuchen hat sich die Dauer ihrer Bearbeitung deutlich verlängert. Dies ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass die Zeitspanne, die der Vollstreckungsinnendienst benötigt, um die Vollziehungsbeamten mit der Beitreibung zu beauftragen, sich erheblich vergrößert hat. So hatte der Vollstreckungsinnendienst in den Jahren 1994 bis 1996 die Amtshilfeersuchen durchschnittlich innerhalb von drei Monaten dem Vollstreckungsaußendienst zur Erledigung zugewiesen. Dieser Zeitraum hat sich bei den im ersten Halbjahr 1997 erledigten Amtshilfeersuchen auf durchschnittlich fünf Monate und bei den noch nicht erledigten Amtshilfeersuchen sogar auf durchschnittlich neun Monate vergrößert.

Es ist zu befürchten, dass sich diese Zeiten in Anbetracht der 11 000 noch nicht erfaßten Amtshilfeersuchen weiter verlängern werden. Dies bedeutet, dass die ersuchenden Stellen unvertretbar lange warten müssen, bis das Finanzamt überhaupt mit der Bearbeitung ihrer Amtshilfeersuchen beginnt.

Selbst gewichtige Amtshilfeersuchen mit Rückständen von mehr als 5 000 DM hat das Finanzamt bei einem durchschnittlichen Zeitraum von etwa vier Monaten bis zur Zuschreibung nicht kurzfristig bearbeitet, obwohl dies bei einer sachgerechten Arbeitsorganisation gerade in einem Massenverfahren unerläßlich ist. Auch eine entsprechende Anweisung der Oberfinanzdirektion an die Finanzämter im Mai 1997 hat nicht bewirken können, dass das Finanzamt diese nur wenigen Fälle (etwa 2 v. H. aller Amtshilfeersuchen) umgehend bearbeitet.

Die unbearbeiteten Amtshilfeersuchen ­ im Zeitpunkt der Prüfung 22 000 ­ haben beim Finanzamt Kreuzberg ein unvertretbares Ausmaß erreicht, das eine effektive Beitreibung der Rückstände ausschließt. Daher ist zu befürchten, daß öffentlich-rechtliche Ansprüche von mehreren Millionen DM nicht zeitgerecht beigetrieben werden. Selbst bei Zugrundelegung der bei der derzeitigen Arbeitsorganisation erzielten unbefriedigenden Ergebnisse muss davon ausgegangen werden, dass in den unbearbeiteten Amtshilfeersuchen Forderungen von mindestens 1,3 Mio. DM enthalten sind, die ohne weiteres hätten eingezogen werden können.

Darüber hinaus kann die Art und Weise, wie der Vollstrekkungsaußendienst des Finanzamts Kreuzberg die Amtshilfeersuchen zumeist abgeschlossen hat, nicht hingenommen werden. So haben die Vollziehungsbeamten 17 875 (fast 80 v. H.) der in 1996 erledigten 22 912 Vollstreckungsaufträge durch Rückgabe an den Vollstreckungsinnendienst oder in sonstiger Weise, nicht aber durch Zahlung, Sachpfändung oder fruchtlose Pfändung erledigt. Bei diesen 17 875 Amtshilfeersuchen haben zwar noch in etwa 23 v. H. der Fälle die Vollstreckungsschuldner nach entsprechender Zahlungsaufforderung von sich aus die Rückstände durch Zahlung ausgeglichen. In den übrigen Fällen ist aber der Ausgleich unterblieben. Nach Rückgabe der nicht erledigten Amtshilfeersuchen an die ersuchenden Stellen werden diese, da sie nicht über eine eigene Vollstreckungsstelle verfügen, letztlich die den Amtshilfeersuchen zugrunde liegenden Rückstände als uneinbringlich niederschlagen müssen. Wegen der Haushaltslage Berlins kommt daher einer Verbesserung der Arbeitsabläufe und -ergebnisse des Amtshilfeersuchen-Verfahrens besondere Bedeutung zu.

Daß die Dienstkräfte des Finanzamts Kreuzberg die Amtshilfeersuchen wenig erfolgreich bearbeiten, liegt auch an der unzulänglichen IT-Unterstützung. Die Grundkonzeption der „ADV-Unterstützung der Vollstreckungsstellen" entspricht bei weitem nicht den Erfordernissen, die an ein Verfahren zur Unterstützung der Bearbeitung in einem Massenverfahren wie der Beitreibung im Amtshilfewege gestellt werden müssen. So beschränken sich die Projektvorgaben weitgehend darauf, es technisch zu ermöglichen, die Erledigung der Amtshilfeersuchen zu überwachen und die Dienstkräfte bei der Erstellung standardisierter Schriftsätze (Zahlungsaufforderungen, Vollstreckungsaufträge, Pfändungs- und Einziehungsverfügungen u. a.) zu unterstützen. Eine darüber hinausgehende IT-Unterstützung sehen die Verfahrensabläufe hingegen nicht vor.

Das IT-Verfahren ist zudem nur wenig anwendergerecht konzipiert. Die Datenerfassung ist mit einer Vielzahl unnötiger Dateneingaben belastet, da selbst programmtechnische Hilfen und Ausgestaltungen, die heute bei Standard-Datenbankanwendungen selbstverständlich sind, nicht bereitgestellt werden. So kann beispielsweise das Datum nur sehr umständlich eingegeben werden; zudem erhöhen fehlende Wiederholfunktionen den Erfassungsaufwand. Außerdem ist der Menüaufbau des Programms ergonomisch ungünstig gestaltet. Nachhaltig wurde die Erfassungstätigkeit der Dienstkräfte auch durch das ungenügende Laufzeitverhalten des Programms beeinträchtigt. Obwohl das Finanzamt die Oberfinanzdirektion bereits seit langem aufgefordert hatte, dieses Verhalten umgehend deutlich zu verbessern, hat sie erst im August 1997 ­ nach mehr als zwei Jahren ­ dem Finanzamt einen ausreichend leistungsfähigen Zentralrechner zur Verfügung gestellt.

Die Oberfinanzdirektion hat trotz der mehrmaligen deutlichen Hinweise des Finanzamts noch immer keine hinreichenden Maßnahmen ergriffen, die IT-Unterstützung des Amtshilfeersuchen-Verfahrens entscheidend zu verbessern.

Sie hat es nicht für notwendig erachtet, im Rahmen der 1997 bei einigen Finanzämtern im Vollstreckungsbereich durchgeführten Organisations- und Fachgeschäftsprüfungen die Organisation und den Arbeitsstand der für die Bearbeitung der Amtshilfeersuchen zuständigen Arbeitsplätze zu untersuchen. In Anbetracht des drastischen Fallzahlenanstiegs bei den Amtshilfeersuchen hätte sich die Steuerverwaltung mit der Frage beschäftigen müssen, ob die IT-Unterstützung noch ausreicht oder ob es geboten wäre, in das System weitere Arbeitsabläufe zu integrieren, die über bloße Überwachungsaufgaben hinausgehen. So würde es die Arbeit der Dienstkräfte beispielsweise erheblich erleichtern, wenn bereits programmgesteuert im Zuge der Erfassung der Amtshilfeersuchen festgestellt werden könnte, ob ein Vollstreckungsschuldner beim Finanzamt steuerlich geführt wird.

In besonderem Maße umständlich und entsprechend arbeitsunökonomisch ist jedoch das Verfahren bei den vom Polizeipräsidenten an die Steuerverwaltung gerichteten Amtshilfeersuchen, welche etwa 40 v. H. der von den Finanzämtern zu bearbeitenden Amtshilfeersuchen ausmachen. So haben es die beiden am Verfahren beteiligten Verwaltungen seit Jahren nicht vermocht, ein angestrebtes Datenträgeraustauschverfahren tatsächlich einzurichten. 1996 hat der Polizeipräsident Amtshilfeersuchen an die Finanzämter gerichtet.

Ausgehend von einer durchschnittlichen Bearbeitungszeit von drei Minuten für die bloße Datenerfassung eines Amtshilfeersuchens bindet diese bei allen Berliner Finanzämtern etwa 650 000 Arbeitsminuten. Bei einer Umstellung auf ein Datenträgeraustauschverfahren könnten somit insgesamt mehr als sechs Dienstkräfte eingespart bzw. diese tatsächlich zur Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen im Bereich der Bearbeitung von Amtshilfeersuchen eingesetzt werden.

381Ohne grundlegende strukturelle Änderung des Verfahrens zur Beitreibung der den Amtshilfeersuchen zugrunde liegenden Rückstände drohen dem Land Berlin Zinsverluste und

­ durch zu spät ergriffene Vollstreckungsmaßnahmen ­ auch erhebliche Forderungsausfälle. Das Amtshilfeersuchen-Verfahren ermöglicht, wie jedes andere Massenverfahren auch, nur dann eine effiziente Bearbeitung der Vorgänge, wenn sämtliche Verfahrensabläufe so organisiert sind, dass die notwendigen Arbeitsschritte möglichst vereinfacht ­ ggf. auch automatisiert ­ werden und unnötige Doppelarbeit vermieden wird.

Das Finanzamt Kreuzberg ist aufgefordert worden, die Ursachen für das unbefriedigende Ergebnis des Vollstreckungsaußendienstes bei der Beitreibung von Ansprüchen aus Amtshilfeersuchen auszuräumen. Es wird sich zudem unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen intensiv bemühen müssen, die Arbeitsrückstände zügig abzubauen. Dies wird ohne tatkräftige Unterstützung der Oberfinanzdirektion und ohne vorübergehende personelle Verstärkung durch Dienstkräfte anderer Finanzämter nicht möglich sein. Der Rechnungshof erwartet darüber hinaus, dass die Oberfinanzdirektion die beim Finanzamt Kreuzberg getroffenen Feststellungen zum Anlaß nimmt, auch bei den anderen Berliner Finanzämtern zu untersuchen, inwieweit dort vergleichbare Mängel vorhanden sind. Sie sollte zudem das IT-Verfahren zur Unterstützung der Vollstreckungsstellen deutlich verbessern und die Umsetzung des seit Jahren angekündigten Datenträgeraustauschverfahrens mit dem Polizeipräsidenten vorantreiben. Die Steuerverwaltung sollte zur Verbesserung der Beitreibung von nichtsteuerlichen Ansprüchen auch Überlegungen anstellen, die sich von den bisherigen Verfahrensstrukturen lösen und alle rechtlich zulässigen Möglichkeiten einschließen, um das Verfahren entscheidend zu verbessern. Der Schriftwechsel mit der Verwaltung dauert an.

d) Erhebliche Einnahmeverluste durch Versäumnisse bei Bewertung und Verkauf eines landeseigenen Grundstücks durch das Bezirksamt Wedding

Das Bezirksamt Wedding veräußerte im April 1997 für 7,84 Mio. DM ein mit einem Erbbaurecht belastetes bebautes Grundstück an den Erbbauberechtigten. Der von diesem entrichtete Kaufpreis entspricht nur dem für den Grund und Boden ermittelten Verkehrswert. Aufgrund besonderer vertraglicher Vereinbarung hatte Berlin aber die ihm sonst erst beim Erlöschen des Erbbaurechts obliegende Verpflichtung, dem Erbbauberechtigten eine Entschädigung für sein dann Berlin zufallendes Bauwerk zu leisten, bereits 1992 erfüllt. Das Bezirksamt hätte auch den Wert des Bauwerkes berücksichtigen und daher einen entsprechend höheren Kaufpreis vereinbaren oder vom Verkauf absehen müssen. Für Berlin hat sich aus der Unterlassung ein finanzieller Schaden in Millionenhöhe ergeben.

Das Bezirksamt Wedding veräußerte mit Kaufvertrag vom 30. April 1997 dem Erbbauberechtigten das mit seinem Erbbaurecht belastete Grundstück für 7,84 Mio. DM. Der vereinbarte Kaufpreis umfaßte ausdrücklich auch die auf dem Grundstück befindlichen Baulichkeiten. Er entspricht jedoch lediglich dem gutachterlich ermittelten Verkehrswert für den Grund und Boden eines unbebauten Grundstücks abzüglich eines Abschlags wegen eines Wegerechts und einer Baubeschränkung, umfaßt aber nicht den Wert der Baulichkeiten.

Der ursprüngliche Erbbaurechtsvertrag vom 7. April 1955 sah vor, dass die auf dem Erbbaugrundstück befindlichen Baulichkeiten nach Ablauf von 33 Jahren seit der ­ am 27. Mai 1959 vollzogenen ­ Eintragung des Erbbaurechts in das Grundbuch in das Eigentum Berlins übergehen. Erlischt ein Erbbaurecht durch Zeitablauf, so hat der Grundstückseigentümer dem Erbbauberechtigten eine Entschädigung für dessen Bauwerk zu leisten (§ 27 Verordnung über das Erbbaurecht). Abweichend hiervon vereinbarten die Parteien, daß von dem seinerzeit als angemessen angesehenen Erbbauzins von 2,75 DM/m2 jährlich für die Dauer der Bestellung des Erbbaurechts tatsächlich nur 4/11 (1,00 DM/m2 jährlich) zu zahlen waren. Dabei gingen sie davon aus, dass die Baulichkeiten nach Beendigung des Erbbaurechts ohne Zahlung einer Entschädigung in das Eigentum des Grundstückseigentümers (Land Berlin) übergehen und der Anspruch auf Gebäudeentschädigung durch den Unterschiedsbetrag zwischen angemessenem und gezahltem Erbbauzins abgegolten ist, ohne dass es einer besonderen Verrechnung bedarf. Damit wäre das Erbbaurecht nach dem ursprünglichen Vertrag mit Ablauf des 27. Mai 1992 erloschen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Berlin durch den Verzicht auf denvollen Erbbauzins etwa 2,2 Mio. DM als Gebäudeentschädigung aufgewendet.

Bereits am 21. April 1981 schlossen die Vertragsparteien einen „Erbbaurechtsverlängerungsvertrag". Sie vereinbarten zunächst eine Anpassung des Erbbauzinses an die damalige Marktlage und behielten die Regelung, dass bis zum 31. Mai 1992 nur 4/11 des Erbbauzinses tatsächlich zu zahlen sind, bei.

Zugleich vereinbarten sie die Bestellung eines Erbbaurechts für weitere 50 Jahre, beginnend am 1. Juni 1992 und endend am 31. Mai 2042.

Der Rechnungshof beanstandet, dass das Bezirksamt mit dem Kaufvertrag vom 30. April 1997 vom Erbbauberechtigten und Käufer keinen Erlös für die Baulichkeiten verlangt hat.

Mit dem Abschluß des Kaufvertrages stand fest, dass der Erbbauberechtigte endgültig Eigentümer der Baulichkeiten blieb, obwohl Berlin durch Verzicht auf den vollen Erbbauzins als vorweggenommene Gebäudeentschädigung etwa 2,2 Mio. DM aufgewendet hatte. Im Ergebnis hat Berlin dem Erbbauberechtigten die Baulichkeiten damit finanziert.

Zumindest den Ausgleich dieser Aufwendungen hätte das Bezirksamt im Rahmen der Kaufpreisgestaltung durchsetzen müssen. Denn hätte es den ursprünglichen Erbbaurechtsvertrag nicht verlängert, wären ihm die Baulichkeiten ohne zusätzlichen Wertausgleich 1992 zugefallen. Bei einer Veräußerung hätte dann der Verkehrswert (= Kaufpreis) für das bebaute Grundstück, einem ertragbringenden Renditeobjekt, im Wege des Ertragswertverfahrens ermittelt werden müssen.

Eine überschlägige Ermittlung durch den Rechnungshof zeigt auf, dass in diesem Fall je nach Höhe der Jahresrohmiete und des Liegenschaftszinssatzes sogar ein um bis zu 17 bis 23 Mio. DM höherer Kaufpreis hätte erzielt werden können.

Dies macht deutlich, dass Berlin durch die Verlängerung des Erbbaurechts um weitere 50 Jahre seine Position, von Juni 1992 an für das Grundstück einen auch den Wert der Baulichkeiten einschließenden angemessenen Kaufpreis erzielen zu können, entscheidend verschlechtert hat.

Der Rechnungshof beanstandet ferner, dass das Bezirksamt weder zum Zeitpunkt der Verlängerung des ursprünglichen Erbbaurechtsvertrages im Jahre 1981 noch zum Zeitpunkt der Veräußerung im Jahre 1997 Gründe dafür aktenkundig gemacht hat, warum die Erzielung eines Erlöses für die Baulichkeiten unterblieb. Bereits 1981 hätte das Bezirksamt versuchen müssen, einen Erlös zu erzielen. Wegen der erheblichen Tragweite, die die Verlängerung des Erbbaurechtsvertrages für Berlin hatte, hätte das Bezirksamt 1981 alle Gründe, die für oder gegen eine Verlängerung und eine Erlöserzielung für die Baulichkeiten sprachen, sorgfältig abwägen und das Ergebnis aktenkundig machen müssen. Dies gilt erst recht für die Situation im Vorfeld der Grundstücksveräußerung im Jahre 1997.

Das Bezirksamt hat in seiner Stellungnahme folgendes ausgeführt: Es habe im April 1994 die Senatsverwaltung für Finanzen davon in Kenntnis gesetzt, dass der Erbbauberechtigte das Grundstück zu erwerben beabsichtige. Hierbei habe es darauf hingewiesen, dass bei der Ermittlung des Verkehrswertes nicht nur der Grund und Boden, sondern auch das dem Land Berlin inzwischen gehörende Gebäude zu berücksichtigen sei. Die Senatsverwaltung für Finanzen habe die Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, die aus Kapazitätsgründen hiermit einen Dritten beauftragt habe. Das Bezirksamt hat zugestanden, daß die Ermittlung des Kaufpreises nach dem Ertragswertverfahren die zutreffendere Wertermittlungsmethode gewesen wäre. Es habe jedoch keinen Anlaß gesehen, die Richtigkeit des Wertgutachtens und der Plausibilitätserklärung der Senatsverwaltung für Bauen, Wohnen und Verkehr zu bezweifeln. Da die Baulichkeiten in keinem guten Instandhaltungszustand seien, könne es durchaus Gründe geben, daß bei negativem Ertragswert nur der Bodenwert verbleibe.

Dies werde durch die Aussage des Gutachters aus dem Jahre 1998 gestützt, wonach der Wert der Baulichkeiten zum Jahre 2042 „angesichts der einfachen Bauweise und des Alters... gegen Null strebt". 389Diese Einlassungen sind ungeeignet, die Vorhaltungen des Rechnungshofs zu entkräften, dass die Verwaltung beim Abschluß des Kaufvertrages zum Nachteil Berlins nicht versucht hat, einen angemessenen Kaufpreis zu erzielen. Selbst wenn es zutreffen sollte, dass die Baulichkeiten im Jahre 2042 jeden Wert verloren haben werden, blieb zu klären, welcher Wert ihnen im April 1997 zukam. Auch hat das Bezirksamt noch im Frühjahr 1996 im Rahmen einer Ortsbesichtigung mit Ausnahme von Mängeln am Wasser- und Abwassersystem keine gravierenden Baumängel festgestellt. Das Bezirksamt selbst hat im April 1994 die Senatsverwaltung für Finanzen ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass die Verkehrswertermittlung auch den Wert des Gebäudes einschließen müsse. Da das Gutachten, für das Bezirksamt erkennbar, diesen Wert nicht berücksichtigt hatte, hätte es der Plausibilitätserklärung nicht stillschweigend folgen dürfen.

Letztlich machen die Einlassungen des Bezirksamtes auch deutlich, dass es bereits 1981 ganz entscheidend darauf angekommen wäre, mit besonderer Sorgfalt abzuwägen, wie im Interesse Berlins künftig mit diesem Vermögenswert umgegangen werden soll.

Der Rechnungshof hat das Bezirksamt aufgefordert zu klären, wer für den erheblichen finanziellen Schaden zum Nachteil Berlins verantwortlich ist, wobei er davon ausgeht, dass der eingetretene Schaden sich zwischen mindestens 2,2 Mio. DM und höchstens 23 Mio. DM beläuft. Der Schriftwechsel dauert an.