In Berlin haben wir nicht festgestellt dass die hier tätigen Forscher hinsichtlich des Datenschutzes ein Feindbild

Ansprüche an eine hinreichende Anonymisierung umgesetzt werden können. Diese Diskussion ist noch nicht abgeschlossen und wird 1998 fortgesetzt.

In Berlin haben wir nicht festgestellt, dass die hier tätigen Forscher hinsichtlich des Datenschutzes ein Feindbild kultiviert hätten.

Beispiele aus der Forschung

Im vergangenen Jahr suchte wiederum eine Vielzahl von Wissenschaftlern unsere Behörde auf und bat um datenschutzrechtliche Beratung zu ihren häufig sehr komplex angelegten Forschungsprojekten. An den nachfolgenden Beispielen soll verdeutlicht werden, dass es sehr wohl möglich ist, auch bei komplizierten Forschungsvorhaben die legitimen Interessen der Betroffenen, insbesondere ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung und die Wünsche der Wissenschaftler nach Datenzugang und freier Forschung durch im Einzelfall häufig sehr unterschiedliche Verfahren zum Ausgleich zu bringen.

Im Jahre 1976 befragte eine Forschergruppe der Freien Universität Berlin fast 400 Strafgefangene in Berliner Justizvollzugsanstalten. Die damalige Untersuchung lieferte wertvolle Erkenntnisse über subjektive Ursachenkonstellationen einer kriminellen Entwicklung und zu persönlichen Einstellungen und Zukunftsabsichten155. Es wurde der Wunsch an uns herangetragen zu prüfen, unter welchen Bedingungen es möglich ist, die weiteren Lebensverläufe der seinerzeit Befragten, insbesondere eine mögliche „kriminelle Karriere" der letzten 20 Jahre nachzuzeichnen.

Zu diesem Zweck erteilte die Senatsverwaltung für Justiz die Genehmigung, nach Bestimmung dieser Personen die Haftunterlagen, insbesondere die Gefangenenpersonalakten der Betroffenen, so sie im weiteren Verlauf ihres Lebens in Berlin inhaftiert waren, nach bestimmten Kriterien durchzusehen.

Wir empfahlen dazu, einen standardisierten Erhebungsbogen zu entwickeln, der schon einen hohen Anonymisierungsgrad aufwies. Gesondert davon wurden die unmittelbar auf die Person zeigenden Daten erhoben. In einem zweiten Schritt baten die Wissenschaftler die Dienststelle des Bundeszentralregisters um eine unbeschränkte Auskunft zu wissenschaftlichen Zwecken nach dem Bundeszentralregistergesetz. Auch für diesen Arbeitsschritt unterbreiteten wir Vorschläge, um eine zügige und sichere, jegliche unberechtigte Einsichtnahme ausschließende Verfahrensweise zu finden. Im weiteren gingen die Wissenschaftler der Frage nach, warum für eine recht große Anzahl der Betroffenen kein Bundeszentralregisterauszug mehr vorliegt. Sie beantragten für diese Personen eine Auskunft aus dem Melderegister und erfuhren so, dass ca. 15 % der Probanden zwischenzeitlich in einem Alter, das nur etwa 50 % der durchschnittlichen statistischen Lebenserwartung entspricht, verstorben waren. Resultierend aus der Brisanz dieser Datenerhebung haben wir bereits mehrfach sowohl die datenschutzrechtlichen als auch technisch-organisatorischen Aspekte dieses Projekts geprüft. Dies betraf sowohl die Datenerhebung in der entsprechenden Justizvollzugsanstalt als auch den Sicherheitsstandard bei den auswertenden Forschern im Institut selbst.

Im Unterschied zu dem zuvor beschriebenen Forschungsprojekt, das vom Forschungsansatz her eine Einwilligung der Betroffenen ausschloß, beabsichtigte das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung eine komplexe Untersuchung mit Einwilligung der Betroffenen. Dabei sollten bestimmte Grundüberzeugungen von Schülern, ihre Auswirkungen auf die Schulleistung und ihre Freundschaften zu anderen Kindern untersucht werden. Im Rahmen dieses Projektes sollten sowohl die Kinder selbst als auch ihre Eltern befragt werden. Um die Auswirkungen auf die Schulleistungen zu analysieren, wurden auch die Lehrer gebeten, sich zu den Leistungen und Einstellungen sowie zum Verhalten der einzelnen Schüler zu äußern.

Wir gaben den Wissenschaftlern eine Reihe von Hinweisen, die es erlaubten, auf den einzelnen Schüler bezogen, die Daten codiert, d. h. bei frühestmöglicher Löschung des Personen155 JB 1981, 2.7; JB 1982, 4.1

Bericht des Berliner Datenschutzbeauftragten Stellungnahme des Senats bezuges zusammenzuführen. Dieses Verfahren wurde den Eltern, von deren Einwilligung die Teilnahme der Schüler an diesem Projekt abhing, ausführlich dargelegt. Auf unsere Anregung hin gestalteten die Wissenschaftler die Erhebungsbögen so, dass sie unmittelbar nach der Datenerhebung eine Codierung vornehmen und die Namen sowie den Hinweis auf die einzelne Schule löschen können.

Insgesamt mit sechs Forschungsprojekten wandten sich Sexualwissenschaftler und Sexualmediziner der Charite? zur Beratung an uns. Dabei sollten Frauen zu nachfolgenden Komplexen befragt werden:

- In-vitro-Fertilisation und Erfolgsaussichten bei anderen Formen von künstlicher Befruchtung,

- das Wohlbefinden von Frauen nach einer Gebärmutterentfernung,

- zu sexuellen und psychosomatischen Ursachen bei auftretenden Schmerzen,

- Befragungen zur familiären Vorbelastung bei Brustkrebs,

- eine Untersuchung zum erhöhten Risiko für Herz-, Kreislaufund Stoffwechselerkrankungen bei Frauen in den Wechseljahren.

Das Gemeinsame dieser Projekte bestand darin, dass die Frauen auf Grundlage früherer Behandlungsunterlagen durch den behandelnden Arzt angeschrieben und um ihre Einwilligung zur Teilnahme am jeweiligen Forschungsprojekt gebeten wurden. Die Einwilligung umfaßte auch die Befugnis, an verschiedenen Stellen vorliegende Einzelangaben oder Laborergebnisse zum Zwecke der Untersuchung anonymisiert zusammenführen zu dürfen. Den Forschern war also vor Erteilung der Einwilligung weder der Name noch irgendein anderes Datum der betroffenen Frauen bekannt. Erst nach Eingang der Einwilligungserklärung wurden die Daten in einer anonymisierten Form zusammengefügt und ausgewertet. Jeglicher Personenbezug wurde dann gelöscht.

Eine datenschutzrechtlich interessante Lösung wurde bei einer Befragung Jugendlicher zur Drogenaffinität in der Techno-PartySzene gefunden.

Die Sozialwissenschaftler befragten vor Ort in den einzelnen Diskotheken die Jugendlichen. In diesem Zusammenhang baten sie die Jugendlichen um ihre Einwilligung für ein mögliches Interview. Es wurde eine Antwortkarte ausgegeben. Die Jugendlichen setzten ihre Personalien darauf und der Sozialwissenschaftler signierte den Antwortbogen mit einem Code, der auf der Antwortkarte wiederholt wurde. Die Personenbeziehbarkeit war hier nur solange gegeben, bis die Jugendlichen mit der von ihnen selbst ausgefüllten Karte um einen Interviewtermin gebeten wurden. Für diesen Termin stand es ihnen frei, zuzusagen oder ihre Einwilligung zu einem Interview zurückzuziehen, indem sie nicht erschienen. Ein Bezug zum Erhebungsort (d. h. zur einzelnen Diskothek) war damit weder notwendig noch möglich.

Aus Unachtsamkeit kann die zugesicherte Anonymität gefährdet werden.

Die Hochschule eines anderen Bundeslandes führte im vergangenen Jahr eine Umfrage zur Nutzung von Telekommunikationsmedien in Berlin durch. Die Forscher erklärten, dass es sich dabei um eine anonyme Untersuchung handle. Zugleich schlugen sie aber vor, die anonymen Antwortbögen an die angegebene Faxnummer zu senden. Dabei wurde offenbar von den Forschern übersehen, daß regelmäßig die absendende Faxnummer, die bei privaten Anschlüssen häufig mit dem Namen versehen ist, im Fax-Ausdruck dem Empfänger mit übermittelt werden. Die eingangs den Wissenschaftlern versicherte Anonymität wird bei diesem Rücklaufverfahren ad absurdum geführt.

Ein ähnliches Problem zeigte sich auch bei einem Projekt der Frauenforschung. Leider wurde im Begleitschreiben nicht darauf verwiesen, dass weder die zurückzusendenden Umschläge noch die Erhebungsbögen einen Hinweis auf die absendende Einrichtung enthalten sollten.

Aus der Sicht des Senats wird die Auffassung des Berliner Datenschutzbeauftragten geteilt.

Bericht des Berliner Datenschutzbeauftragten Stellungnahme des Senats

DDR weiterhin Forschungsprojekt

Im Jahresbericht 1996156 legten wir die datenschutzrechtlichen Probleme eines Forschungsprojekts zur justitiellen Bewältigung der DDR-Vergangenheit dar. Zwischenzeitlich wurde für die EnqueteKommission des Deutschen Bundestages zur „Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der Deutschen Einheit" ein umfangreiches Gutachten erstellt. Das bislang angewandte Verfahren der Anonymisierung hat sich bewährt. Es wurde, um künftige Forschungen zu erleichtern, um einen wichtigen Aspekt ergänzt. Die zum Zwecke der Anonymisierung erstellten Zwischenkopien werden nun nicht mehr wie ursprünglich vorgesehen nach erfolgtem zweiten Kopieren vernichtet, sondern für die Nutzung bei künftigen Projekten der staatsanwaltschaftlichen Akte beigefügt.

Auch der Landesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR im Land Berlin bemüht sich im Rahmen seiner Aufgabe zur Errichtung und Unterhaltung eines Dokumentations- und Ausstellungszentrums darum, durch Zeitzeugenbefragungen authentische Daten für die gegenwärtigen und künftigen Nutzungen zu speichern. Dies geschieht mit Einwilligung der Betroffenen. Um den Betroffenen jedoch die Tragweite ihrer Einwilligung klarzumachen, war es erforderlich, eine tiefgegliederte Einwilligungserklärung zu erarbeiten. Dabei ging es einmal um das Einverständnis in die Archivierung von Tonbändern bzw. abgeschriebenen Texten, aber auch um eine nichtanonymisierte Nutzung dieser Daten hinsichtlich des eigenen Namens, aber auch anderer vom Betroffenen genannten Namen. Der befragte Zeitzeuge kann sich entscheiden, ob er damit einverstanden ist, dass seine Angaben personenbezogen oder anonym zur Information der Öffentlichkeit und zur wissenschaftlichen Forschung genutzt werden können. Eine kommerzielle Nutzung dieser Unterlagen wird explizit ausgeschlossen.

Ein anderer Aspekt der Beforschung der DDR-Vergangenheit zeigte sich bei einem Projekt der Hochschule eines anderen Bundeslandes zum Einfluß der Staatssicherheit auf ehemalige Bezirkszeitungen in der DDR. Von dieser Untersuchung war auch eine Zeitung aus Berlin betroffen. Das Projekt selbst wirft eine Reihe von Fragen zur wissenschaftlichen Nutzung und Veröffentlichung von Unterlagen der ehemaligen Staatssicherheit bei der „Gauck-Behörde" auf. Einer der Forscher, vormaliger Personalchef der ebenfalls untersuchten Zeitung aus Berlin, erhielt als Wissenschaftler Einsicht in die personenbezogenen Unterlagen gegenwärtiger und ehemaliger Mitarbeiter dieser Zeitungen. Dieser Zugang war ihm zuvor als Personalchef nicht zugänglich. Da dieses Forschungsprojekt mittlerweile auch zu personalrechtlichen Konsequenzen geführt hat, liegt die Vermutung nahe, daß unter dem Mantel wissenschaftlicher Forschung oder publizistischer Aufbereitung die vom Gesetzgeber im Stasi-Unterlagengesetz vorgesehene Beschränkung der Auskünfte für Mitarbeiter nicht-öffentlicher Stellen umgangen werden sollen.

Schule

Immer wieder Unklarheiten beim Schülerbogen

Auf den Deckeln von Schülerbogen fanden wir u. a. folgende Eintragungen:

- Gespräch mit Mutter über... Verhaltensauffälligkeiten und Herumtreiben am Nachmittag. Empfehlung: Hortplatz beantragen... Phosphatfreie Diät wurde abgebrochen.

- der Mutter mitgeteilt, dass... häufig im Unterricht träumt. Es ist nicht klar, ob es nur auf Hörprobleme zurückzuführen ist.

-... leidet unter Neurodermitis. Gespräch mit Frau...: Sie leidet unter Haarausfall. Soziales Verhalten und Arbeitsverhalten lassen keine Rückschlüsse auf psychisches Verhalten durch die Schule zu.

-... ist unruhig, kippelt mit seinem Stuhle. Er ist oft desorientiert, kennt sein Material nicht und kann Arbeitsanweisungen nur unvollständig umsetzen. Seine Feinmotorik ist unausgeprägt und er schreibt nur unvollständig von der Tafel ab.

JB, 3.2

Die Auffassung des Berliner Datenschutzbeauftragten, auf dem Pappdeckel des Schülerbogens sollten keine Vermerke über das Verhalten des Schülers und über die Inhalte von Gesprächen mit den Erziehungsberechtigten aufgenommen werden, wird geteilt.

Das LSA Berlin ist bereits gebeten worden, die Schulen anzuweisen, derartige Eintragungen zu unterlassen.

Nicht geteilt wird die Aussage, dass der Schulleiter periodisch und bei jedem Schulwechsel verpflichtet sei, den Schülerbogen zu bereinigen. Nach § 11 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über die Verarbeitung personenbezogener Daten nach § 5a des Schulgesetzes für Berlin (SchuldatenVO) vom 13. Oktober 1994 (GVBl. S. 435) erfolgen solche Überprüfungen nur auf Antrag der Erziehungsberechtigten oder des volljährigen Schülers.