Die Teilnahmequoten an den Kinderfrüherkennungsuntersuchungen im Land Berlin sind nicht zufriedenstellend

Neben den bereits eingeführten Maßnahmen zum Gesamtkomplex des Kinderschutzes kommt den Früherkennungsuntersuchungen nach § 26 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch für den Schutz und das Wohl des Kindes eine besondere Bedeutung zu. Die nach den Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Früherkennung von Krankheiten bei Kindern bis zur Vollendung des 6. Lebensjahres (Kinder-Richtlinien) vorgesehenen und inzwischen um die Untersuchungsstufe U7a erweiterten Untersuchungen der Stufen U1 bis U9 bis zum sechsten Lebensjahr oder vergleichbare Untersuchungen sind ein Angebot der Gemeinschaft, um eine Gefährdung der körperlichen, geistigen oder seelischen Entwicklung der Kinder frühzeitig zu erkennen und ihr durch präventive Maßnahmen zu begegnen.

Die Teilnahmequoten an den Kinderfrüherkennungsuntersuchungen im Land Berlin sind nicht zufriedenstellend. Liegen die Teilnahmequoten der Untersuchungsstufe U1 noch bei annähernd 100%, so verringern sich diese bis zur Untersuchungsstufe U9 auf etwa 84% (vgl. Spezialbericht 2008-1; „Grundauswertung der Einschulungsdaten 2006 zur gesundheitlichen und sozialen Lage von Kindern in Berlin", S. 29, Senatsverwaltung für Gesundheit Umwelt und Verbraucherschutz, 2008). Die Ergebnisse der vom RobertKoch-Institut veröffentlichten Studien signalisieren zunehmend, dass gerade Menschen in schwierigen Lebenssituationen die Untersuchungen seltener wahrnehmen. Von den zwischen 1990 und 1999 geborenen Kindern nahmen 81% der Kinder an allen, 16% an einigen und 3% an keiner der Kinderfrüherkennungsuntersuchungen teil (vgl. Ergebnisse des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys [KiGGS], 2007). Mögliche Ursachen für die abnehmende Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen sowie Hinweise auf die jeweiligen Zielgruppen liefern die vorliegenden Ergebnisse der Einschulungsuntersuchungen, wonach die Inanspruchnahme der Früherkennungsuntersuchungen sich deutlich nach sozialer Lage und Migrationshintergrund der Familien, in denen die Kinder aufwachsen, unterscheidet (vgl. Spezialbericht 2008-1; „Grundauswertung der Einschulungsdaten 2006 zur gesundheitlichen und sozialen Lage von Kindern in Berlin", Senatsverwaltung für Gesundheit Umwelt und Verbraucherschutz, 2008). Menschen in schwierigen Lebenssituationen benötigen adäquate Hilfen und Unterstützungsangebote, mithin den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Dies bietet die Gewähr, dass im Falle einer drohenden Kindeswohlgefährdung schnell gehandelt werden kann.

An dieser Stelle ist die staatliche Gemeinschaft gefordert, die öffentliche Verantwortung im Rahmen des Kinderschutzes verstärkt wahrzunehmen. Das Abgeordnetenhaus von Berlin hat den Senat beauftragt, Maßnahmen zu entwickeln, mit denen die Teilnahmequote an den Früherkennungsuntersuchungen der Untersuchungsstufen U1 bis U9, insbesondere ab der Untersuchungsstufe U4, deutlich gesteigert werden kann (vgl. Beschluss vom 24. Januar 2008 zu den Drucksachen 16/0875 vom 2. Oktober 2007 und 16/1025 vom 21. November 2007). Zur Erreichung dieser Ziele hat sich der Senat nach Prüfung und Abwägung in Frage kommender Maßnahmen dafür ausgesprochen, Regelungen zur Umsetzung des Netzwerk Kinderschutz und eines verbindlichen Einladungswesens und Rückmeldeverfahrens zur Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen als sinnvolles Element des „Netzwerk Kinderschutz" gesetzlich zu verankern (vgl. Beschluss-Nr. S-1178/2008 vom 22. April 2008). Hierzu gehört insbesondere die Einführung von Mitteilungs- und Kooperationsverpflichtungen. Das Gesetz verbessert insgesamt die Regelungen zur Sicherung eines effizienten Kinderschutzes. Kinderschutz als Aufgabe des staatlichen Wächteramtes umfasst hierbei auch Jugendliche bis zur Volljährigkeit (vgl. § 7 Absatz 2 des Achten Buches Sozialgesetzbuch).

Künftig sollen die Personensorgeberechtigten der in Betracht kommenden Kinder unabhängig vom Versichertenstatus schriftlich und umfassend über Inhalt und Zweck der Früherkennungsuntersuchungen informiert werden (Einladung). Die Personensorgeberechtigten sollen darüber hinaus über bestehende Unterstützungsangebote unterrichtet und zu deren Nutzung angeregt werden (Frühförderung). Bei Bedarf sollen den Personen, deren Herkunftssprache nicht Deutsch ist, die erforderlichen Informationen in ihrer Herkunftssprache zur Verfügung gestellt werden. Den Personensorgeberechtigten müssen bereits im Rahmen der Einladung die gesetzlich vorgesehenen Verfahrensabläufe bei Nichtteilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen dargelegt werden. Dabei geht es insbesondere auch um Informationen zur Dokumentation der Inanspruchnahme der Früherkennungsuntersuchungen durch eine Zentrale Stelle und zur Weitergabe von Daten an die Jugend- und Gesundheitsämter.

Das Abgeordnetenhaus von Berlin fordert die Sicherstellung einer Kontaktaufnahme bei den Kindern, die nicht an den Früherkennungsuntersuchungen teilnehmen (vgl. Beschluss vom 24. Januar 2008 zu den Drucksachen 16/0875 vom 2. Oktober 2007 und 16/1025 vom 21. November 2007). In Umsetzung dieser Forderung ist im Gesetzentwurf ein Hausbesuch durch eine geeignete Fachkraft des Gesundheitsamtes (Kinder- und Jugendgesundheitsdienst) vorgesehen, um den Personensorgeberechtigten des betreffenden Kindes Inhalt und Zweck der Früherkennungsuntersuchungen in einem Beratungsgespräch zu erläutern. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass zum Beispiel in Schweden Teilnahmequoten von nahezu 99% erreicht werden, da die dortigen Untersuchungen insbesondere durch engmaschige aufsuchende Systeme (Hausbesuche) sichergestellt werden. Vor diesem Hintergrund ist vorgesehen, Näheres zu den Hausbesuchen in Ausführungsvorschriften, mithin in gemeinsame Ausführungsvorschriften über die Durchführung von Maßnahmen zum Kinderschutz in den Jugend- und Gesundheitsämtern der Bezirksämter des Landes Berlin (AV Kinderschutz Jug Ges) vom 8. April 2008 (ABI. S. 1210) zu regeln, damit die Fachkraft einen persönlichen Eindruck vom gesundheitlichen Zustand des Kindes und nach Möglichkeit von dessen Umfeld gewinnen kann. Diese Regelung ist eine weitere Maßnahme für einen wirksamen Kinderschutz; sie steht im Einklang mit der vom Bundesgesetzgeber beabsichtigten Novellierung des § 8a des Achten Buches Sozialgesetzbuch (vgl. Ergebnisprotokoll der Regierungschefs der Länder am 12. Juni 2008 in Berlin).

Die Aufgaben im Zusammenhang mit den Regelungen zur Teilnahme an den Früherkennungsuntersuchungen werden einer Zentralen Stelle bei der Charite - Universitätsmedizin Berlin übertragen. Die Charite - Universitätsmedizin Berlin als landesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts ist angesichts ihrer Kompetenz und Erfahrungen geeignet, diese Aufgaben zu erfüllen.

Im Sinne eines vorsorgenden Gesundheitsschutzes für möglichst alle Kinder mit dem Ziel, frühzeitig kindliche Gefährdungen durch die unmittelbare Umwelt und durch veränderte Lebensstile zu erkennen und entsprechend intervenieren zu können, sind eine regelmäßige Untersuchungsfrequenz und eine möglichst vollständige Teilnahme aller Kinder an den Früherkennungsuntersuchungen notwendig. Dazu gehört auch die bessere Einbindung der Personensorgeberechtigten der Kinder. Die Steigerung der Wahrnehmung der Früherkennungsuntersuchungen ist durch die vorgelegte Gesamtkonzeption in Gestalt des Gesetzentwurfs zum Schutz und Wohl des Kindes eingebettet in ein Netzwerk enger Kooperationen und Hilfestellungen für einen wirksamen Kinderschutz.

Zur Erreichung des Ziels der Erhöhung der Teilnahmequoten wurde alternativ die Einführung eines Bonusmodells sowie die verstärkte Teilnahme an Aktivitäten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) geprüft.

Einführung eines Bonusmodells

Ein Bonusmodell, das mit den Bonussystemen der Krankenkassen zusammengeführt wird, könnte ein Belohnungssystem für die Personensorgeberechtigten vorsehen, deren Kinder an allen Früherkennungsuntersuchungen bis einschließlich der Untersuchungsstufe U9 teilgenommen haben. Um eine Evaluation gewährleisten zu können, müsste ein solches Programm eine mindestens fünfjährige Laufzeit haben. Ein heute geborenes Kind muss während der Gesamtlaufzeit des Programms die Untersuchungsstufen U1 bis U9 durchlaufen können. Erst danach kann geprüft werden, ob diese Maßnahme zu einer Erhöhung der Teilnahmequoten führt.

Aktionen der BZgA, die im Land Berlin durchgeführt werden Alternativen zu einem verbindlichen Einladewesen sind Programme der BZgA wie „Ich geh zur U und Du?" oder der „Elternordner". Hier wird das Setting Kita genutzt, um die Teilnahmequoten zu erhöhen; Personensorgeberechtigte werden mit Hilfe des „Elternordners" intensiv über den Sinn und die Inhalte der Früherkennungsuntersuchungen informiert. Die Aktion läuft bereits in verschiedenen Einrichtungen mehrerer Bezirke. Da die BZgA Träger der Aktion ist und die Durchführung auf der Initiative beispielsweise von Kita-Erziehern/innen und Eltern beruht, entstehen hierbei keine Personal- und Verwaltungskosten. Allerdings würde eine landesweite Koordinierung und Organisation dieser Aktion Personalkapazitäten binden. Hierbei fallen folgende Aufgaben an:

a) Organisation von Netzwerk-Treffen mit Kitas, Kinder- und Jugendärzten/innen und weiteren Multiplikatoren/innen des Gesundheitsamtes, Jugendamtes u.a.,

b) Ausfüllen des Anmeldebogens und Absenden an die BZgA,

c) Bestellung - nach Rücksprache mit den Kitas ­ der benötigten Materialien bei der BZgA und zentrale Lagerung der Materialien an einer Stelle,

d) Verteilung der Materialien und T-Shirts an die Kitas beim Start der Aktion,

e) Organisation der Öffentlichkeitsarbeit zur Aktion (Streuung der Poster und Infoflyer in Kitas, Supermärkten, Apotheken, Ämtern, Beratungsstellen und anderen geeigneten Lokalitäten, Information der örtlichen Presse und anderer Medien über die Aktion und eventuell über Fototermine in den einzelnen Kitas),

f) Einsammeln und Absenden der Wettbewerbs-Fotos an die BZgA,

g) Übermittlung vorhandenen Datenmaterials über die Früherkennungsuntersuchungen und den Impfstatus vor Beginn und nach Beendigung der Aktion an die BZgA,

h) Verteilung der Preise und Präsente an die Kitas zum Abschluss der Aktion.

Abwägung der vorstehenden Alternativen

Die geprüften Alternativen betreffen lediglich Maßnahmen zur Erhöhung der Teilnahmequoten. Weitere Maßnahmen des „Netzwerk Kinderschutz" sind nicht berührt.

Nach Abwägung der Vor- und Nachteile der beschriebenen Alternativen fiel die Entscheidung zum einen darauf, für eine verstärkte Teilnahme an den Aktivitäten der BZgA zu werben und zum anderen auf das vorgelegte Berliner Gesetz zum Schutz und Wohl des Kindes.

Das Bonussystem wurde nach umfänglicher Prüfung verworfen, da ein von der BZgA EU-weit durchgeführter Vergleich der Teilnahmequoten an Früherkennungsuntersuchungen ergab, dass in den Ländern der EU, die die Auszahlung monetärer Leistungen von der Wahrnehmung der Früherkennungsuntersuchungen abhängig machen oder gar