Unterlassungsanspruch

Nach §906 Abs.1 BGB kann der Eigentümer den negatorischen Unterlassungsanspruch nach § 1004 BGB wegen Störung seines Eigentums nicht geltend machen, soweit es sich um unwesentliche Beeinträchtigungen durch Immissionen handelt. §906 Abs. 1 BGB enthält somit eine Ausnahme vom Grundsatz des § 1004 BGB, dass der Eigentümer jede Beeinträchtigung seines Eigentums durch eine Unterlassungsklage abwehren kann. Bei wesentlichen Beeinträchtigungen normiert § 906 Abs. 2 BGB eine Duldungspflicht des Nachbarn, wenn die Beeinträchtigung ortsüblich ist und nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindert werden kann. Die Rechtsprechung des BGH geht bisher davon aus, dass sich die Wesentlichkeit und Ortsüblichkeit einer Beeinträchtigung ausschließlich nach den tatsächlichen Verhältnissen richtet und die Festsetzungen eines Bebauungsplans nur ein allgemeiner Anhaltspunkt für die ortsübliche Nutzung darstellen. Die konsequente Folge dieser Rechtsprechung ist allerdings, dass ein Bebauungsplan nur die bestehenden Verhältnisse wiedergeben kann, weil jede Veränderung, insbesondere auch eine Umstufung an der Möglichkeit einer zivilrechtlichen Unterlassungsklage scheitern würde.

In der Literatur wird vielfach verlangt, dass ein Bebauungsplan auch für die Zivilgerichte bei nachbarlichen Abwehrklagen beachtlich sein müsse. Dies wird zum Teil damit begründet, die Ortsüblichkeit richte sich nicht nur nach den tatsächlichen Verhältnissen, sondern enthalte auch Elemente einer Wertung; eine nach den Festsetzungen eines Bebauungsplans zulässige Nutzung sei ortsüblich, sofern sie nicht ausnahmsweise gegen § 15 BauNVO verstoße. Dem lässt sich freilich entgegenhalten, dass die Ortsüblichkeit schon begrifflich ausschließlich auf die bestehenden, also am Ort üblichen Verhältnisse abstellt. Mit der Annahme, der Bebauungsplan bestimme die Ortsüblichkeit einer Beeinträchtigung eng verwandt ist die Theorie, der Bebauungsplan lege die Schwelle der Wesentlichkeit fest. Schließlich wird angenommen, der Bebauungsplan begründe eine Duldungspflicht nach § 1004 Abs. 2 BGB bzw. der Bebauungsplan bestimme Inhalt und Schranken des Eigentums, so dass durch eine dem Bebauungsplan entsprechende Grundstücksnutzung das Eigentum gar nicht beeinträchtigt werde. Die drei angeführten Theorien weichen nur in Nuancen voneinander ab. Entscheidend ist letztlich, dass die Qualität, die Nutzungsmöglichkeit und damit auch die Schutzbedürftigkeit eines Grundstücks durch einen Bebauungsplan festgelegt wird. Der Bebauungsplan ist als Norm sowohl im öffentlichen Recht als auch im Zivilrecht beachtlich, denn er stellt eine Konkretisierung des Eigentums im Sinn des Art. 14 Abs. l GG dar. Das Eigentum ist kein vorgegebener Begriff, sondern bedarf der Ausfüllung durch normative Regelungen. Eine solche Inhaltsbestimmung des Eigentums erfolgt durch den Bebauungsplan. Da aber § 1004 BGB einen Eingriff in das Eigentum voraussetzt, kann eine Maßnahme, die mit der inhaltlichen Bestimmung des Eigentums durch den Bebauungsplan übereinstimmt, nicht nach § 1004 BGB untersagt werden. Etwas anderes gilt freilich, soweit im Einzelfall die nach dem Bebauungsplan an sich zulässige Nutzung wegen ihrer Auswirkungen auf die Umgebung nach § 15 BauNVO unzulässig ist. Da eine derartige Nutzung nicht durch den Bebauungsplan gedeckt wird, kann sich der Nachbar dagegen gemäß § 1004, 906 BGB zur Wehr setzen. Ebenso kann natürlich nur ein wirksamer Bebauungsplan eine Bindung des Eigentums in dem Sinn bewirken, dass Immissionen durch eine plankonforme Nutzung hingenommen werden müssen. Damit erledigt sich der Einwand, der Bebauungsplan könne eventuell die Immissionen nur unvollständig berücksichtigt haben oder auf einer fehlerhaften Prognose beruhen. Ein solcher Bebauungsplan ist wegen eines Abwägungsfehlers nichtig - wobei freilich die Regelung des §2l5 Abs. 1 Nr.2 gewisse Probleme aufwerfen könnte. Die Duldungspflicht des Nachbarn bezieht sich nur auf eine den Festsetzungen des Bebauungsplans entsprechende Nutzung, nicht dagegen auf eine erst durch eine Befreiung nach §31 Abs. 2 ermöglichte Nutzung. Denn die Befreiung stellt entgegen der Ansicht von keine Rechtssetzung dar, sondern eine baurechtliche Einzelentscheidung, die anders als die Festsetzung des Bebauungsplans den Inhalt des Eigentums nicht bestimmen kann.

Der Begriff des Nachbarn - Betroffene Grundstückseigentümer - Der Begriff des Nachbarn ist im Baurecht nicht näher definiert. Im Bauplanungsrecht wird der Nachbar nur in §§3I Abs. 2, 34 Abs. 3 erwähnt. Bauordnungsrechtlich enthalten die meisten Landesbauordnungen die Regelung, dass die Eigentümer angrenzender Grundstücke als Nachbarn am Baugenehmigungsverfahren zu beteiligten sind; diese Regelung stellt aber eine reine Verfahrensvorschrift dar und sagt nichts über den materiell-rechtlichen Nachbarbegriff aus. Der Kreis der Nachbarn ist nach allgemeiner Ansicht nicht auf die sog. Angrenzer beschränkt, d. h. diejenigen Grundstückseigentümer, die mit dem Baugrundstück eine gemeinsame Grenze haben. Es ist deshalb zumindest missverständlich, wenn das BVerwG den Nachbarn als Nebenwohner bezeichnet; damit sollte lediglich klargestellt werden, dass jedenfalls derjenige nicht Nachbar ist, der sich nur ganz gelegentlich im Bereich des Bauvorhabens aufhält. Der Begriff des Nachbarn dient dazu, diejenigen Personen festzulegen, die berechtigt sind, Einwendungen gegen das Bauvorhaben zu erheben. Dies wiederum bestimmt sich nach den Auswirkungen, die von dem Bauvorhaben ausgehen. Dabei muss es sich aber um Auswirkungen handeln, die in die rechtlich geschützten Interessen eines Dritten eingreifen; rein tatsächliche Auswirkungen reichen nicht aus. So wird z. B. der Spaziergänger davon betroffen, wenn auf seiner üblichen Wanderroute ein Gebäude oder ein Zaun errichtet wird. Gleichwohl ist er nicht Nachbar im baurechtlichen Sinn, weil er keine rechtlich geschützte Position innehat, die ihn dazu berechtigt, diese Beeinträchtigung seiner Wanderroute abzuwehren. Nachbar ist also derjenige, der von den Auswirkungen des Bauvorhabens in seinen rechtlich geschützten Interessen betroffen wird. Dieser Personenkreis kann sich auf sehr wenige Bewohner der Grundstücke im engsten Umkreis des Bauvorhabens beschränken; bei einem Einfamilienhaus wird z.B. in der Regel der Kreis der Nachbarn mit dem der Angrenzer identisch sein; hinzu kommt eventuell noch der Eigentümer des auf der anderen Straßenseite gelegenen Grundstücks. Bei Großprojekten kann sich die Nachbarschaft im Rechtssinne auf einen sehr großen Kreis von Personen erweitern, weil Einwirkungen, die etwa von einer Chemischen Fabrik ausgehen, sich über viele Kilometer erstrecken können. Beispielhaft hierfür ist das Atomrecht. Das BVerwG hat zunächst sogar einen 375 km entfernt wohnenden Kläger als Nachbarn angesehen; ebenso das OVG Lüneburg einen 200 km entfernt wohnenden Kläger. Die Rechtsprechung hat allerdings später klargestellt, dass eine Beeinträchtigung, die praktisch jedermann trifft, nicht ausreicht. So wurde z.B. bei einer Klage gegen die Genehmigung eines 150 km entfernt gelegenen Kohlekraftwerks die Klagebefugnis mit der Begründung verneint, der Nachbar müsse ein enges räumliches Verhältnis zum Genehmigungsgegenstand haben. Im Schrifttum wird zum Teil die Ansicht vertreten, die Frage, wer Nachbar sei, müsse für die jeweils heranziehende Vorschrift unterschiedlich beantwortet werden. Dem kann in dieser Form nicht zugestimmt werden, weil dabei zwei verschiedene Probleme miteinander vermengt werden, nämlich die Frage, wer als Nachbar überhaupt Abwehrrechte geltend machen kann und die davon zu trennende Frage, auf welche Vorschriften er sich dabei berufen kann. Wer etwa in einer Entfernung von mehreren hundert Metern unter den Gerüchen einer Schweinemastanstalt zu leiden hat, ist Nachbar, auch wenn er sich nicht auf sonstige Baurechtswidrigkeiten der Schweinemastanstalt, etwa die Verletzung des Grenzabstands berufen kann. Wer in irgendeiner Weise von den Auswirkungen des Bauvorhabens in seinen rechtlichen Interessen betroffen wird, ist Nachbar im Sinne des Baunachbarrechts und damit zum Einlegen von Rechtsmitteln berechtigt; über den Umfang der ihm zustehenden Abwehrrechte ist damit freilich noch nichts ausgesagt.