Arbeitslosigkeit

Informationsreise nach Serbien-Montenegro vom 02.10.2004 bis 07.10.

Vorsitzender: Wolfhard Ploog

Der Eingabenausschuss hat in seiner Sitzung am 06.04.2004 beschlossen, eine Informationsreise nach Serbien-Montenegro durchzuführen. Da der Eingabenausschuss über eine Vielzahl von Eingaben serbisch-montenegrinischer Petenten zu beraten und zu entscheiden hat, hielt er es für geboten, sich selbst vor Ort ein Bild über die allgemeinen Lebensbedingungen, die medizinische Versorgung und die soziale Lage der aus Deutschland zurückgeführten Flüchtlinge zu machen. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei der Situation von Angehörigen der Minderheiten gelten.

Infolgedessen hielt sich eine Delegation des Eingabenausschusses in der Zeit vom 02.10.2004 bis zum 07.10.2004 in Serbien-Montenegro auf. An der Reise nahmen die Abgeordneten Wolfhard Ploog (CDU), Ingrid Cords (SPD), Jens Grapengeter (CDU), Antje Möller (GAL) sowie eine Mitarbeiterin der Bürgerschaftskanzlei teil. Begleitet wurde die Delegation in Belgrad durch Herrn Dr. Bernhard Hauer von der Deutschen Botschaft, in Prishtina durch Herrn Frank Wellna, einen Mitarbeiter des Deutschen Verbindungsbüros im Kosovo und in Podgorica durch den Leiter der Außenstelle der Deutschen Botschaft, Herrn Bernhard Zobel.

02./03./04.10.2004: Kosovo

Nachdem die Delegation am 02.10.2004 in Belgrad angekommen war und dort von Herrn Dr. Bernhard Hauer, dem Vertreter des Botschafters der Bundesrepublik Deutschland in Empfang genommen worden war, verbrachte die Delegation die ersten Tage der Reise in Prishtina, der Hauptstadt des Kosovo. Gemäß UNO-Resolution 1244 vom 12.06.1999 wird das Kosovo von den Vereinten Nationen (VN) verwaltet.

Völkerrechtlich ist es weiterhin als Teil der Republik Serbien auch Bestandteil der Staatenunion Serbien und Montenegro.

Die Delegation wurde am Mittag des 03.10.2004 am Kontrollpunkt in Merdare, dem Übergang zum Verwaltungsgebiet Kosovo, von einem Mitarbeiter des Deutschen Verbindungsbüros in Prishtina, Herrn Frank Wellna, in Empfang genommen. Auf der Fahrt zum ersten Gesprächstermin in Vushtrri begrüßte Herr Wellna die Delegation und gab allgemeine Informationen über die Arbeit des deutschen Verbindungsbüros in Prishtina, die Situation von Angehörigen von Minderheiten, die sozialen Verhältnisse und die politische Lage im Kosovo.

Am 17. und 18.03.2004 war es an mehreren Orten im Kosovo zu schweren Unruhen gekommen. Herr Wellna teilte dazu mit, dass der Tod dreier albanischer Kinder, der Angehörigen der Serben angelastet worden sei, als Auslöser für die Unruhen gelte.

Nach offiziellen Schätzungen hätten bis zu 58 000 Kosovo-Albaner mit Gewalt gegen die serbische Minderheit demonstriert, die sich in diesem Gebiet bis dahin noch gehalten hatte bzw. zurückgekehrt war. Opfer der von kosovo-albanischer Seite geführten Ausschreitungen seien neben der serbischen Minderheit auch Angehörige anderer, kleinerer Minderheiten wie Roma und Ashkali (albanisch-sprachige Roma) gewesen.

Erstmals habe es auch organisierte Angriffe gegen die internationalen Sicherheitsorgane UNMIK-Polizei und KFOR gegeben. Bei diesen schwersten Ausschreitungen seit dem Ende des Kosovo-Krieges seien 19 Menschen getötet und mehr als 800

Personen verletzt worden. Nach Ansicht von Herrn Wellna hat sich die Lage im Kosovo nach den gewalttätigen Ausschreitungen mittlerweile wieder stabilisiert. Es gehe jetzt um den Wiederaufbau der im März zerstörten Häuser, Schulen, Krankenhäuser, Kirchen und um die Rückkehr der Vertriebenen in ihre Häuser.

Vor dem Hintergrund der Unruhen im März 2004 traf die Delegation zunächst deutsche Polizeibeamte, die derzeit als Ausbilder an der Polizeischule der UNMIK-Police in Vushtrri tätig sind, und Herrn Tazil Hyseni, den zuständigen Referenten für Minderheitenfragen im Kreis Vushtrri. Die Gesprächspartner führten die Delegation durch ein Wohngebiet, in dem Unterkünfte für die Angehörigen der Ashkali-Minderheit nach den Zerstörungen im März wieder aufgebaut werden.

Herr Hyseni erklärte der Delegation, dass während des Krieges im Kosovo sehr viele Häuser der Angehörigen von Minderheiten zerstört worden waren. Nach dem Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen seien Anfang des Jahres 2000 ca. 80 Familien verschiedener Minderheiten in die Region zurückgekehrt. Nachdem diese zunächst in Flüchtlingslagern untergebracht worden seien, sollten sie in neu erstellte Unterkünfte umgesiedelt werden. Die zu diesem Zweck errichteten Unterkünfte seien während der März-Unruhen jedoch erneut zerstört worden.

Die politische Führung der Kosovo-Albaner hat die Ausschreitungen nach Aussagen der Begleiter verurteilt und sich dazu bekannt, die vertriebenen Minderheiten im Kosovo wieder aufzunehmen und einen für alle ethnischen Gruppen akzeptablen Modus des Zusammenlebens zu finden. Sie habe diesen Willen durch die Bereitstellung von Mitteln für den Wiederaufbau der zerstörten Häuser unterstrichen. Der UNHCR habe ebenfalls finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, um den Wiederaufbau voranzutreiben. Die von der Delegation besichtigten Neubauten waren in der Regel kleine zweistöckige Gebäude, die jeweils zur Unterkunft für zwei Familien dienen sollen. Der UNHCR hat nach Angaben von Herrn Hyseni die Bereitstellung finanzieller Mittel zur Versorgung der zurückkehrenden Familien mit Bedarfsgegenständen zugesagt.

Nach der Besichtigung der Neubausiedlung folgte die Delegation einer Gesprächseinladung von Rückkehrern aus Deutschland, die nach der Zerstörung ihrer Unterkünfte bis zur Fertigstellung der Neubauten in einem ehemaligen Hotelgebäude untergebracht sind. Die Delegation traf auf mehrere Familien, die in Einzelgesprächen ihre Lebenssituation nach der Rückkehr ins Kosovo schilderten. Aus den Gesprächen wurde insbesondere deutlich, dass die Kinder wenig bis gar keine albanische Sprachkenntnisse haben. Aufgrund dieses Umstands und der damit verbundenen Furcht weigern sich viele Kinder, eine Schule zu besuchen. In Deutschland sind sie nach eigenen Angaben jedoch regelmäßig zur Schule gegangen und waren sozial integriert. Die Eltern erzählten den Delegationsmitgliedern, dass sie im Kosovo keine Arbeit fänden und dass sie von den geringen Sozialhilfezahlungen leben müssten. Nach den Unruhen im März fühlten sich viele nicht mehr ausreichend gesichert.

Nach dem Gespräch fuhr die Delegation in das Flüchtlingslager Plementina, um dort in Begleitung von Herrn Hyseni Gespräche mit den Bewohnern, u. a. mit einer Familie, die 1999 aus Hamburg ins Kosovo zurückgekehrt war, zu führen. Im Lager leben rund 400 Flüchtlinge, die Angehörige der Volksgruppe der Roma sind. Die Unterkünfte waren aus Wellblechwänden errichtet worden und mit Planen notdürftig abgedeckt worden. Die meisten Familien leben in einer Unterkunft, die aus zwei bis drei Räumen mit einer eigenen Toilette besteht. Die Bewohner berichteten, dass es im Lager einen Kindergarten und eine Grundschule gäbe. Viele Kinder könnten aber das Angebot der Schule nicht wahrnehmen, da die für den Schulbesuch notwendigen Materialien nicht erworben werden könnten. Den Besuch weiterführender Schulen könnten sich die Bewohner ebenfalls in der Regel nicht leisten. Arbeitsplätze gäbe es (auch im benachbarten Kohlekraftwerk) nicht.

Herr Hyseni erklärte der Delegation, dass die Bewohner des Flüchtlingslagers nach und nach in die neuen Unterkünfte nach Vushtrri umgesiedelt werden sollen. Er betonte jedoch, dass dann das größte Problem die hohe Arbeitslosigkeit im Kosovo (70 %) sei. Es sei diesbezüglich geplant, ein System der Berufausbildung zu etablieren, um so der jüngeren Generation bessere Chancen zu eröffnen. Der vormals gute Lebensstandard sei nach dem Krieg nicht mehr erreicht worden, die Mehrheit der Kosovaren beziehe Sozialhilfe. Diese betrage 34 Euro monatlich für eine alleinstehende Person, 64 Euro für eine Familie.

Im Anschluss an die Gespräche mit den Bewohnern des Flüchtlingslagers fuhr die Gruppe über Fushe Kosove, einem Wohngebiet der Ashkali mit einem höheren Lebensstandard, in die Unterkunft nach Prishtina. Sie folgte dann einer Einladung des Leiters des Deutschen Verbindungsbüros, Herrn Jürgen Engel, zu einem Empfang anlässlich des deutschen Nationalfeiertags. Der Empfang bot den Delegationsmitgliedern erneut die Gelegenheit, in Einzelgesprächen weitere Informationen über die aktuelle Lage im Kosovo zu erhalten. Unter den Gästen befanden sich Vertreter verschiedener staatlicher und nichtstaatlicher Hilfsorganisationen, ebenso wie Mitarbeiter von Privatunternehmen, insbesondere von solchen, die im Bereich der Erstellung von Infrastruktur tätig sind.

Zum Abschluss des Tages hatte das Deutsche Verbindungsbüro ein Treffen mit Herrn Dr. Erich Rabitsch, Koordinator für Deutsch beim Bundesverwaltungsamt, Zentralstelle für das Auslandsschulwesen sowie Schülerinnen und Schülern und Studentinnen und Studenten, die Deutsch lernen bzw. studieren, arrangiert. Herr Dr. Rabitsch unterrichtet Deutsch in Prishtina und hat eine Gruppe von Schülern auf die Deutsche Sprachdiplomprüfung II der Deutschen Kultusministerkonferenz vorbereitet, die im Kosovo erstmals im Frühjahr 2004 stattgefunden hat. Er schilderte der Delegation die Umstände, unter denen er im Kosovo den Unterricht gestalten müsse. Insbesondere die Ausstattung der Schulen mit Lehrmitteln und geeigneten Unterrichtsräumen wurde von ihm bemängelt.

Die teilnehmenden Schülerinnen und Schüler und Studentinnen und Studenten hatten im Verlauf des Kosovo-Krieges zeitweilig in Deutschland Zuflucht gefunden und waren nach Beendigung der Auseinandersetzungen zumeist freiwillig mit ihren Familien ins Kosovo zurückgekehrt. Ein gemeinsames Abendessen bot wiederum die Gelegenheit, in Einzelgesprächen die persönlichen Erfahrungen der Rückkehrer zu hören. Vielfach wurde der schlechte Lebensstandard im Kosovo beklagt, insbesondere die medizinische Versorgung und die infrastrukturellen Bedingungen seien nicht ausreichend. Die meisten der jungen Gesprächspartner hatten nach wie vor enge Verbindungen und Kontakte nach Deutschland, viele hofften, zum Studium nach Deutschland zurückkehren zu können. Unterschiedlich waren die damit verbundenen Zukunftspläne. Einige der Studenten versprachen sich von einem Auslandsstudium die Möglichkeit, dauerhaft ins westliche Ausland auswandern zu können, andere sahen die Möglichkeit, die durch ein Studium im Ausland erlangten Erfahrungen für den Wiederaufbau ihres Heimatlandes nutzen zu können.

Am nächsten Morgen hatte die Delegation ihren ersten Gesprächstermin im Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt. Als Gesprächspartner stand der politische Berater des Ministers, Herr Blerim Burjani, der Delegation zur Verfügung. Zunächst erläuterte er, dass die kosovarische Regierung aufgrund der Verwaltung des Kosovos durch die VN nur geringe Kompetenzen habe. Das Ministerium für Arbeit und Wohlfahrt sei zuständig für den Arbeitsmarkt, die Suche nach Investoren zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und für einige soziale Fragen. Problematisch sei, dass das Ministerium nur sehr wenige personelle Kapazitäten habe, ebenso wie die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel sehr gering seien.

Herr Burjani sprach sich dafür aus, dass die Flüchtlinge zurückkehren sollten. Problematisch sei gegenwärtig noch die angemessene Unterkunft der Rückkehrer. Derzeit existierten drei Projekte zur Erstellung neuer Unterkünfte für die Flüchtlinge. Die genaue Anzahl der aus Deutschland zurückkehrenden Flüchtlinge sei unbekannt. Diesbezüglich rügte Herr Burjani die mangelhafte Information durch die VN-Verwaltung.

Aufgrund der fehlenden Informationen könnten derzeit noch keine Angebote zur Unterstützung der Integration der Rückkehrer gemacht werden.