Gesetz zum Schutz von Patientenrechten bei klinischen und anatomischen Sektionen

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Die Bürgerschaft möge das folgende Gesetz beschließen: Gesetz zum Schutz von Patientenrechten bei klinischen und anatomischen Sektionen (Sektionsgesetz)

A. Klinische Sektionen § 1 Geltungsbereich

Die klinische Sektion ist die letzte ärztliche Handlung im Rahmen der medizinischen Behandlung der Patienten. Klinische Sektion (innere Leichenschau) ist die ärztliche, fachgerechte Öffnung einer Leiche, die Entnahme und Untersuchung von Teilen sowie die äußere Wiederherstellung des Leichnams.

Die klinische Sektion dient der Qualitätskontrolle und Überprüfung ärztlichen Handelns im Hinblick auf Diagnose, Therapie und Todesursache, der Lehre und Ausbildung, der Epidemiologie, der medizinischen Forschung sowie der Begutachtung.

§ 2 Sektionsantrag:

(1) Die klinische Sektion wird von dem behandelnden Arzt/der behandelnden Ärztin beim Institut für Pathologie unter Angabe von Gründen vorgeschlagen. Er/Sie hat gemäß § 3 die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer klinischen Sektion dem Antrag schriftlich beizufügen.

(2) Die klinische Sektion kann auch auf begründeten Wunsch der nächsten Angehörigen durchgeführt werden, sofern Persönlichkeitsrechte des/der Verstorbenen dabei nicht verletzt werden.

(3) Die Entscheidung, ob eine klinische Sektion durchgeführt wird, trifft der leitende Arzt/die leitende Ärztin des Instituts für Pathologie oder Gerichtsmedizin oder ein von ihm/ihr beauftragte(r) Arzt/Ärztin mit abgeschlossener Weiterbildung im Fach Pathologie oder Gerichtsmedizin.

(4) Im Sektionsantrag soll ausgeführt werden, ob die klinische Sektion zur Klärung der Todesursache, zur Überprüfung der Diagnose- und Therapieverfahren (Qualitätskontrolle) dient; oder ob ein besonderes, dem Fortschritt der Medizin dienendes wissenschaftliches Interesse in Lehre, Forschung und Epidemiologie besteht; oder ob die Fürsorge für die Hinterbliebenen, z. B. im Gutachterwesen, im Versicherungsrecht, bei Erb- und Infektionskrankheiten, die klinische Sektion erfordert.

§ 3 Voraussetzung der klinischen Sektion

Der klinischen Sektion hat die Leichenschau nach §§ 1 und 2 des Hamburgischen Gesetzes über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen (Bestattungsgesetz) vom 14. September 1988 (Sammlung hamburgischen bereinigten Rechts 2128-1) vorauszugehen. Anhaltspunkte für einen nichtnatürlichen Tod (§ 2 des Bestattungsgesetzes) dürfen sich dabei nicht ergeben haben.

Antrag der Abg. Peter Zamory, Dr. Dorothee Freudenberg, Norbert Hackbusch, Heide Simon, Heike Sudmann (GAL) und Fraktion

Betreff: Gesetz zum Schutz von Patientenrechten bei klinischen und anatomischen Sektionen (Sektionsgesetz) § 4 Zustimmung zur klinischen Sektion:

(1) Eine klinische Sektion ist nur zulässig, wenn

1. der/die Verstorbene oder seine/ihre nächsten Angehörigen nach Aufklärung und Information über die Sektion in die Sektion eingewilligt haben.

2. Die Aufklärung/Information über den Sektionsantrag ist von dem/der zuständigen Arzt/Ärztin in der Regel schriftlich festzuhalten und ­ vor dem Tod ­ von dem/der Verstorbenen oder seinen/ihren nächsten Angehörigen zu unterschreiben. Eine telefonische Einwilligung ist dann ausreichend, wenn sie von der zuständigen Ärztin/dem zuständigen Arzt genau dokumentiert wird.

(2) Die klinische Sektion ist nicht zulässig, wenn

1. sie erkennbar dem letzten Willen des/der Verstorbenen widerspricht,

2. der/die Verstorbene aufgrund seines/ihres Glaubens oder seiner/ihrer Weltanschauung die innere Leichenschau ablehnte oder wenn Angehörige dieses mitteilen,

3. Meinungsverschiedenheiten über die Durchführung einer Sektion unter den Angehörigen gleichen Grades bestehen.

(3) Nächste Angehörige sind der Reihe nach

­ der Ehegatte oder die Ehegattin oder die Person, mit der der/die Verstorbene in einer auf Dauer angelegten Lebensgemeinschaft gelebt hat,

­ die volljährigen Kinder,

­ die Eltern,

­ volljährige Geschwister.

Als vorrangig gilt/gelten der/die Angehörige/n, der/die im Falle des Ablebens ­ entsprechend den Angaben im Behandlungsvertrag ­ benachrichtigt werden soll/en. Auf Wunsch der vorrangig zu benachrichtigenden Angehörigen soll Bericht erstattet werden über die Sektion.

§ 5 Durchführung der klinischen Sektion:

(1) Klinische Sektionen dürfen nur in Einrichtungen durchgeführt werden, die dazu vom Senat bevollmächtigt werden.

(2) Nach der klinischen Sektion ist das äußere Erscheinungsbild des Leichnams in Achtung vor dem/der Verstorbenen in einer ärztlichen Sorgfaltspflichten entsprechenden Weise wiederherzustellen.

(3) Für die klinischen Sektionen dürfen die zur Untersuchung erforderlichen Organe und Gewebe entnommen werden.

§ 6 Unentgeltlichkeit der Einwilligung in die klinische Sektion

Für die Einwilligung in eine klinische Sektion darf keine Gegenleistung verlangt oder gewährt werden.

B. Anatomische Sektion § 7 Geltungsbereich Anatomische Sektion ist die Zergliederung von Leichen oder Leichenteilen in anatomischen Instituten zum Zwecke der Lehre und Forschung über den Aufbau des menschlichen Körpers.

§ 8 Zulässigkeit der anatomischen Sektion:

(1) Die anatomische Sektion wird unter ärztlicher Aufsicht/Leitung bzw. unter Aufsicht/Leitung von Hochschullehrern der Anatomie vorgenommen, wenn

1. eine anatomische Sektion zur Aus-, Fort- und Weiterbildung in den medizinischen Berufen unumgänglich ist und

2. der/die Verstorbene oder die nächsten Angehörigen nach dokumentierter Information über die anatomische Sektion gemäß § 4 dieses Gesetzes zugestimmt haben und

3. die Leichenschau nach §§ 1 und 2 des Bestattungsgesetzes stattgefunden hat, ein natürlicher Tod vorliegt und eine Todesbescheinigung gemäß § 3 Bestattungsgesetz erteilt worden ist. An Stelle der Todesbescheinigung gemäß § 3 Bestattungsgesetz tritt bei nach Hamburg verbrachten Leichen die andernorts erstellte Todesbescheinigung.

(2) Bei Verstorbenen ohne Angehörige und ohne erkennbare Willensbekundung ist die anatomische Sektion unzulässig, wenn sie erkennbar dem Willen des/der Verstorbenen widerspricht.

§ 9 Verfahren:

(1) Der/Die für die anatomische Sektion verantwortliche Arzt/Ärztin bzw. der/die Hochschullehrer/in fertigen eine Niederschrift über das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 9 an.

(2) Nach Beendigung der anatomischen Sektion haben der/die verantwortliche Arzt/Ärztin bzw. die Hochschullehrer der Anatomie für die Bestattung zu sorgen und fertigen darüber eine Niederschrift an.

(3) Soweit es im Hinblick auf den Zweck der anatomischen Sektion erforderlich ist, dürfen Leichenteile zurückbehalten werden.

§ 10 Ordnungswidrigkeiten:

(1) Ordnungswidrig handelt, wer

1. eine klinische Sektion ohne vorausgehende Leichenschau gemäß § 3 durchführt,

2. eine klinische Sektion ohne Zustimmung gemäß § 4 durchführt,

3. eine klinische Sektion in Einrichtungen durchführt, die keine Zulassung gemäß § 5 besitzen,

4. die Entnahme und Weitergabe von Geweben ohne Zustimmung nach § 7 durchführt,

5. Gewebe ohne ärztlichen Begleitbrief gemäß § 8 Absatz 3 annimmt,

6. eine anatomische Sektion ohne die Zulässigkeitskriterien nach § 10 durchführt.

(2) Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldstrafe bis zu 20 000 DM geahndet werden.

C. Inkrafttreten § 11 Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung im Gesetz- und Verordnungsblatt in Kraft.

Begründung:

Die Selbstbestimmungsrechte der Patientinnen und Patienten oder, nach dem Tode, die Rechte der nächsten Angehörigen werden bei Sektionen bisher nicht ausreichend gesetzlich geschützt. Auch der Deutsche Ärztetag hat deshalb ein Obduktionsgesetz gefordert. In Berlin ist kürzlich weitgehend konsensual ein Gesetz (Gesetz- und Verordnungsblatt für Berlin, A 3227 A, 26. Juni 1996) beschlossen worden, das diesen Zielen entspricht. Wir haben dies zur Grundlage unseres Entwurfs genommen.

Zur Zeit werden die Patientenrechte in den „Allgemeinen Aufnahmebedingungen" der Krankenhausaufenthalts- und -behandlungsverträge nur unzureichend berücksichtigt. Die Patienten unterschreiben mit den Allgemeinen Geschäftsbedingungen neben einer Vielzahl von Routineangelegenheiten auch oftmals eine Einwilligung in eine ggf. beabsichtigte Obduktion. Eine derartige Unterschrift im Zusammenhang mit anderen ­ aus Patientensicht ­ vorrangigeren Dienstleistungen kann nicht die Rechtsgrundlage für ein derart weitgehend in die Persönlichkeitsrechte eingreifendes Verfahren wie die Sektion darstellen. Darüber hinaus findet in der Regel keine Aufklärung über die Sektion statt.

Mit diesem Gesetz werden die Verfahrensschritte im einzelnen festgelegt. Das Gesetz geht von der „Einwilligungslösung" aus, indem es die klinische Sektion gleichstellt mit jeder anderen ärztlichen Handlung im Rahmen der medizinischen Versorgung.

Falls mit dem Patienten/der Patientin vor dem Ableben keine Aufklärungsgespräche geführt werden können, so wird mit diesem Gesetz das Verfahren der Zustimmung auf die nächsten Angehörigen übertragen. Die klare gesetzliche Grundlage gibt allen Beteiligten genügend Handlungsfreiheit und preßt sie nicht in ein starres Konzept. Allerdings wird auch klar ausgeschlossen, dass ohne vorliegende Einwilligung eine Sektion ausgeführt werden darf.

Dieses Gesetz schafft somit Rechtssicherheit für die Beteiligten, fördert das Vertrauen der Patienten in die Medizin und wird damit zur Verbesserung des Ansehens der Pathologie und der Medizin in der Gesellschaft beitragen. Schließlich wird die Möglichkeit geschaffen, Übertretungen als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße zu belegen.