Wohlfahrt

1. Anlass und Ziel des Gesetzentwurfs

Die Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle (ÖRA) leistet unter ihrem heutigen Namen seit 1946 als Teil der für Soziales zuständigen Behörde Rechtsberatung für einkommensschwache Hamburgerinnen und Hamburger und außergerichtliche Streitbeilegung in Form der Durchführung von Güteverfahren nach der Zivilprozessordnung, als strafrechtliche Sühnestelle und seit jüngerer Zeit auch als außergerichtliche Mediationsstelle. Die Vorgängereinrichtung der ÖRA, die Rechtsauskunftstelle, wurde bereits 1922 als Teil des damaligen Hamburgischen Wohlfahrtsamtes gegründet.

Die ÖRA leistet im Jahr ca. 33.000 Rechtsberatungen und führt ca. 2.000 Verfahren zur außergerichtlichen Streitbeilegung überwiegend im Gütebereich durch.

Die Rechtsgrundlagen für die Tätigkeit der ÖRA bilden bis zum heutigen Tag die Verordnung über die Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle vom 4. Dezember 1946 und die Geschäftsordnung für die öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle vom 15. November 1946.

Diese Bestimmungen haben lange Zeit eine hinreichende Grundlage für die Arbeit der ÖRA dargestellt, werden den Erfordernissen der Praxis aber inzwischen nicht mehr gerecht und sind teilweise unzureichend. Insbesondere fehlen Regelungen zu den Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Rechtsberatung, zur Ausgestaltung des Spannungsfeldes zwischen der Pflicht zur Amtsverschwiegenheit und möglichen die ÖRA als Behördenteil treffenden gesetzlichen Auskunftspflichten sowie zu den Verfahrensgrundsätzen, nach denen die ÖRA arbeitet und die ihre besondere Stellung im Hamburger Sozial- und Rechtswesen ausmachen. Gesetzlich geregelt werden soll auch die von der ÖRA tatsächlich bereits seit langem wahrgenommene Aufgabe der Mediation als besondere Form der außergerichtlichen Streitbeilegung. Ferner bedarf es Anpassungen an und Harmonisierungen mit eingetretenen Rechtsänderungen, insbesondere in Hinblick auf das Gesetz über Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen (Beratungshilfegesetz) vom 18. Juni 1980 (BGBl. I S. 689), zuletzt geändert am 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 586).

Die geltenden Rechtsgrundlagen sollen daher durch das Gesetz über die Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle und die neue Verordnung über die Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle, die der Bürgerschaft mit dieser Mitteilung zur Kenntnis gegeben wird, ersetzt werden. Vorgesehen ist des Weiteren ein Neuerlass der Gebührenordnung für die Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle.

2. Wesentliche Inhalte des Gesetzentwurfs § 1 ÖRA-Gesetz regelt die Aufgaben der ÖRA, nämlich Rechtsberatung als öffentliche Rechtsberatung nach § 12 Absatz 1 Beratungshilfegesetz (BerHG) für Bürgerinnen und Bürger mit geringem Einkommen sowie außergerichtliche Streitbeilegung in Sühne- und Güteverfahren. Die tatsächlich schon lange von der ÖRA wahrgenommene Tätigkeit als Mediationsstelle wird in § 1 Satz 2 erstmals ausdrücklich gesetzlich erwähnt. Einzelheiten zum Verfahren regelt die Verordnung über die Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle. Hintergrund der Regelung in § 1 Satz 2 ist, dass die ÖRA neben ihren Kernaufgaben Rechtsberatung und außergerichtliche Streitbeilegung in Sühne- und Güteverfahren auch Mediationsverfahren anbieten können soll, soweit ihr dies im Rahmen ihrer sächlichen und personellen Ressourcen möglich ist. § 1 Satz 2 schafft zugleich die rechtliche Grundlage für ein öffentliches Angebot der selbständigen außergerichtlichen Konfliktlösung, das die bestehenden Angebote gerichtlicher Mediation an Hamburger Gerichten ergänzen und zu deren Entlastung beitragen kann.

Die Leiterin bzw. der Leiter der ÖRA war bislang nach § 2 der Geschäftsordnung für die öffentliche Rechtsauskunftund Vergleichsstelle vom Senat im Benehmen mit der Justizbehörde anzustellen. Nach § 2 ÖRA-Gesetz wird die Leiterin bzw. der Leiter der ÖRA zukünftig von der für Soziales zuständigen Behörde im Benehmen mit der Justizbehörde bestellt. Die Beibehaltung der Einbeziehung der Justizbehörde trägt dem Umstand Rechnung, dass die Aufgaben der ÖRA die Zuständigkeiten sowohl der für Soziales zuständigen Behörde wie auch der für Justiz zuständigen Behörde berühren.

Die ehrenamtlichen Beraterinnen und Berater und die Vorsitzenden in Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung, die nach § 3 Absatz 2 ÖRA-Gesetz unabhängig in der Anwendung des Rechts sind, sollen nach § 3 Absatz 3 ÖRAGesetz nicht mehr wie bislang vom Senat im Benehmen mit der Justizbehörde bzw. von der Justizbehörde im Benehmen mit dem Senat, sondern aus Praktikabilitätserwägungen von der Justizbehörde auf Vorschlag der Leitung der ÖRA bestellt werden. Die Vorschrift definiert auch den Personenkreis, aus dem die Beraterinnen und Berater sowie Vorsitzenden in Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung bestellt werden, und regelt deren erforderliche Qualifikation sowie eine Altersgrenze (fünf Jahre nach Erreichen der gesetzlichen Ruhestandsgrenzen). Eine Altersbeschränkung hat sich in der Praxis wegen des notwendigen engen Bezugs zum Rechtsalltag angesichts der Schnelligkeit der Rechtsentwicklung als sinnvoll erwiesen und wird bereits seit Jahren praktiziert.

§ 4 ÖRA-Gesetz regelt den Anspruch auf Rechtsberatung und ersetzt die bisherige Bestimmung in § 1 Absatz 2 der Geschäftsordnung, wonach Rechtsauskunft und Rechtsbeistand nur Minderbemittelte erhalten, durch die Aufzählung der Anspruchsvoraussetzungen in Anlehnung an § 1

BerHG. Die Voraussetzung, nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen die erforderlichen Mittel für die Beratung durch einen Rechtsanwalt nicht aufbringen zu können, erfüllen nach § 4 Absatz 1 Satz 2 Personen, deren monatliches Einkommen den dreifachen Regelsatz eines Haushaltsvorstands nach § 28 SGB XII in Verbindung mit der Regelsatzverordnung in den jeweils geltenden Fassungen nicht übersteigt und denen ein einzusetzendes Vermögen nicht zur Verfügung steht.

§ 5 ÖRA-Gesetz regelt die Rechtsberatung bei Streitigkeiten im grenzüberschreitenden Verkehr entsprechend der Regelung in § 10 BerHG, die in Umsetzung der Richtlinie 2002/8/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen (ABl. EU Nr. L 26 S. 41, ABl. EU Nr. L 32 S. 15) eingeführt worden ist.

§ 6 ÖRA-Gesetz regelt die Zuständigkeit der ÖRA für außergerichtliche Streitbeilegung. Mit der Einschränkung in § 6 Absatz 1 „soweit die Angelegenheit Bezug zum deutschen Rechtsraum hat" soll verhindert werden, dass die ÖRA für Streitigkeiten z. B. zwischen ausländischen Firmen zuständig ist, wenn diese eine entsprechende Gerichtsstandsvereinbarung getroffen haben, ohne dass zugleich die Anwendung deutschen Rechts vereinbart worden ist.

Solche Streitigkeiten sprengen den Rahmen des von der ÖRA organisatorisch und fachlich Leistbaren. Eine entsprechende Regelung enthält auch § 2 Absatz 3 BerHG. § 7 Absatz 1 nennt die allgemeinen Grundsätze der Arbeit der ÖRA, nämlich das Recht auf ein faires Verfahren, den in Artikel 103 Absatz 1 GG normierten Grundsatz des rechtlichen Gehörs, Neutralität und Unabhängigkeit von Interessengruppen, den Vorrang der vermittelnden Konfliktlösung gegenüber dem streitigen Verfahren sowie die Unparteilichkeit der Beraterinnen und Berater und insbesondere der Vorsitzenden in den Verfahren der außergerichtlichen Streitbeilegung.

Die §§ 8 und 9 regeln die Verschwiegenheitspflicht der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ÖRA und die Rechte auf Einsicht in und Auskunft aus den bei der ÖRA geführten Akten unter Berücksichtigung des besonderen Vertrauensverhältnisses, das Ratsuchende und Antragstellerinnen und Antragsteller mit der ÖRA begründen.

§ 10 enthält die Verordnungsermächtigung für den Senat zum Erlass der Verordnung über die Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle.

Nähere Einzelheiten sind der Gesetzesbegründung zu entnehmen.

3. Weitere vorgesehene wesentliche Rechtsänderungen

Die nach Inkrafttreten des ÖRA-Gesetzes vom Senat zu erlassende Verordnung über die Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle enthält folgende wesentliche Regelungen bzw. Rechtsänderungen: § 6 Absatz 10 ermöglicht es, das Scheitern eines Güteverfahrens nach § 794 Absatz 1 Ziffer 1 ZPO auch im schriftlichen Verfahren festzustellen. Nach der bisherigen Regelung in der Geschäftsordnung für die Öffentliche Rechtsauskunftund Vergleichsstelle war die Feststellung des Scheiterns des Güteversuchs nur im Rahmen einer Güteverhandlung möglich, was für Antragsteller die Konsequenz hatte, dass sie u. U. trotz bekannter fehlender Einigungsbereitschaft der Gegenseite persönlich zum Termin zu erscheinen hatten (siehe § 10 Absatz 2 der Geschäftsordnung für die Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle). Ebenfalls im schriftlichen Verfahren soll der Abschluss eines Vergleichs möglich sein (§ 6 Absatz 8). Auch die Verfahrensordnungen der Gerichte sehen die schriftliche Erledigung von Verfahren vor. Die Übernahme entsprechender Regelungen für die ÖRA bedeutet eine wichtige Entbürokratisierung und Verschlankung von Verfahren ohne Einschränkungen in der Qualität.

§ 8 regelt für den Bereich der ÖRA erstmalig das Verfahren in Mediationssachen und hier insbesondere die wesentlichen Verfahrensgrundsätze.

Die vorgesehene Neufassung der Gebührenordnung für die Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle beinhaltet die folgenden Neuregelungen:

Die bisherige an der Überschreitung des Eckregelsatzes gemäß § 28 SGB XII orientierte Staffelung der Gebühren für Rechtsberatung und praktische Rechtshilfe von Null über 5 bis 10 Euro einschließlich einer Ermäßigung der Gebühr für Schülerinnen und Schüler sowie für Studierende auf 5 Euro soll abgeschafft werden. Stattdessen soll eine Regelgebühr von 10 Euro erhoben werden, die bei Personen, deren Einkommen den einfachen Eckregelsatz gemäß § 28 SGB XII nicht überschreitet, auf 3 Euro ermäßigt wird. Auf eine vollständige Befreiung von der Gebühr soll zukünftig verzichtet werden, um den Ratsuchenden den Wert der erbrachten Leistung aufzuzeigen und Fälle gänzlich mutwilliger Inanspruchnahme der ÖRA zu minimieren. Berücksichtigt wird bei der beabsichtigten Neuregelung auch, dass die Gebühr nicht pro Beratungstermin anfällt, sondern auch Folgeberatungen in derselben Angelegenheit und gegebenenfalls auch praktische Rechtshilfe umfasst. In der Praxis der ÖRA soll zudem sichergestellt werden, dass die Beratungsgebühr grundsätzlich auch dann nur einmal erhoben wird, wenn eine Angelegenheit Berührungspunkte zu unterschiedlichen Rechtsgebieten aufweist. Der Verzicht auf eine vollständige Befreiung von der Beratungsgebühr erscheint auch vor dem Hintergrund eines regelhaften Eigenanteils der Ratsuchenden von 10 Euro in den Flächenländern, in denen Beratungshilfe nach dem Beratungshilfegesetz gewährt wird, sachgerecht.

Vorgesehen ist ferner, die mit Eingang des Antrags bei der ÖRA entstehende Antragsgebühr für Güteverfahren nach § 794 Absatz 1 Ziffer 1 ZPO von 20 Euro auf 30 Euro zu erhöhen.

4. Kosten

Bei einer Änderung der Gebührenordnung für die Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichstelle wie vorgesehen entstehen beim Haushaltstitel 4010.111.11 „Gebühren" Mehreinnahmen in Höhe von rund 30.000 Euro durch den Fortfall des Tatbestandes für Gebührenbefreiungen für Rechtsberatung und rund 20.000 Euro durch die Erhöhung der Antragsgebühr für Güteverfahren, insgesamt also rund 50.000 Euro.

5. Petitum:

Der Senat beantragt, die Bürgerschaft wolle

1. von den Ausführungen in dieser Drucksache und den anliegenden Entwürfen der Verordnung über die Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle sowie der Gebührenordnung für die Öffentliche Rechtsauskunftund Vergleichsstelle Kenntnis nehmen und

2. das anliegende Gesetz über die Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle beschließen.

Gesetz über die Öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle (ÖRA-Gesetz) Vom..........

§ 1:

Aufgaben:

(1) Aufgabe der Öffentlichen Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle (ÖRA) ist es, im Gebiet der Freien und Hansestadt Hamburg die folgenden Dienstleistungen zu erbringen:

1. Rechtsberatung in allen Rechtsgebieten als öffentliche Rechtsberatung gemäß § 12 Absatz 1 des Beratungshilfegesetzes (BerHG) vom 18. Juni 1980 (BGBl. I S. 689), zuletzt geändert am 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586, 2700), in der jeweils geltenden Fassung und, soweit erforderlich, Vertretung außerhalb gerichtlicher Verfahren,

2. außergerichtliche Streitbeilegung als

a) Vergleichsbehörde im strafrechtlichen Sühneverfahren gemäß § 380 der Strafprozessordnung (StPO),

b) anerkannte Gütestelle in zivilrechtlichen Angelegenheiten gemäß § 794 Absatz 1 Nummer 1 der Zivilprozessordnung (ZPO).

(2) Daneben kann die ÖRA die Durchführung von Mediationsverfahren zur Unterstützung von Konfliktparteien bei dem Bemühen um eine den Konflikt beendende einvernehmliche Vereinbarung anbieten.

§ 2:

Leitung

Der ÖRA steht eine hauptamtliche Leiterin bzw. ein hauptamtlicher Leiter vor. Sie bzw. er wird von der für Soziales zuständigen Behörde im Benehmen mit dem Präses der Justizbehörde auf unbestimmte Zeit bestellt und abberufen.

§ 3:

Ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter:

(1) Die ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter leisten Rechtsberatung, außergerichtliche Streitbeilegung und die Verwaltungstätigkeiten in den Bezirksstellen der ÖRA. Die Leitung der ÖRA entscheidet über Beginn, Ende und Einsatzort der ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.