Forschung

Die Bürgerschaft hat in ihrer Sitzung am 13./14. Oktober 1999 den Senat mit der Drucksache 16/3146 aufgefordert, „die bereits an den örtlichen Polizeirevierwachen/Polizeikommissariaten existierenden Pools mit ballistischen Unterziehschutzwesten so aufzustocken, dass alle dort tätigen Beamtinnen und Beamten des Streifendienstes im Dienst jederzeit eine Weste ihrer Größe zur Verfügung haben" und gleichzeitig mit der Drucksache 16/3147 ersucht, „die Entwicklung der objektiven Gefährdungslage des Polizeivollzugsdienstes anhand einschlägiger Statistiken und ggf. anderer belastbarer Informationen darzustellen."

Der Senat entspricht beiden Ersuchen mit den nachstehenden Ausführungen.

Vorbemerkung Ballistische Schutzwesten zur Gefahrenminimierung hält die Hamburger Polizei in zwei Schutzklassen mit beschussund durchstichhemmender Wirkung vor: Klasse I (Unterziehschutzwesten) und II (Überziehschutzwesten, die zusätzlich mit Stahleinlagen im Hals-, Brust-, Rücken- und Genitalbereich versehen sind), vgl. dazu Antwort des Senats auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drucksache 16/2603 „Ausstattung der Polizei mit Unterziehschutzwesten (leicht)" vom 22. Juni 1999.

Das Ausstattungskonzept der Polizei Hamburg mit insgesamt 298 Unterziehschutzwesten und 166 Überziehschutzwesten sah bislang eine ausreichende Zugriffsmöglichkeit für den Bedarfsfall vor. Die ballistischen Schutzwesten wurden dabei dezentral an örtlichen Dienststellen bereitgehalten, um so der Gefährdungslage für den Polizeivollzug zu entsprechen; an Spezialdienststellen, wie z. B. beim Landeskriminalamt (LKA) 24 ­ Mobiles Einsatzkommando ­ und LKA 85 ­ Schutzaufgaben ­ besteht aufgrund der mit einer erhöhten Gefahrenlage verbundenen besonderen Aufgabenstellung eine persönliche Schutzausstattung.

In den letzten Jahren ist bei den Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten ausgelöst durch spektakuläre Einzelfälle im gesamten Bundesgebiet das persönliche Schutzbedürfnis beim Einschreiten im täglichen Dienst gestiegen.

I. Neues Ausstattungskonzept

1. Erhöhung des Ausstattungsbestandes der örtlichen Polizeirevierwachen / Polizeikommissariate und weiterer Dienststellen mit Unterziehschutzwesten

Dem Schutzbedürfnis wird der Senat Rechnung tragen und das Ausstattungspotenzial der Polizei Hamburg auf rund 5000 ballistische Unterziehschutzwesten erweitern. Diese Zahl ergibt sich aus den bisher vorhandenen Kontingenten (298), der Berücksichtigung der bisher beantragten Zuschüsse für private Beschaffungen (1352) sowie der Bereitstellung von rd. 3400 Westen für die Ausstattung der betreffenden Dienststellen.

Eine Bedarfsanalyse im März 2000 brachte Erkenntnisse darüber, welche Mitarbeiterin / welcher Mitarbeiter während des Dienstes kontinuierlich auf eine Unterziehschutzweste zurückgreifen möchte. Es handelt sich dabei um rund 1300 Mitarbeiterinnen / Mitarbeiter an den Polizeirevierwachen / -kommissariaten, der Landesbereitschaftspolizei und sonstigen Dienststellen.

Die deutliche Erweiterung der jeweiligen Dienststellenpools wird es ermöglichen, dass alle im Streifendienst eingesetzten Polizeibeamten und -beamtinnen sowie die Angestellten im Wach- und Polizeidienst auf Wunsch auf Unterziehschutzwesten zurückgreifen können. Über die Umsetzung der von der Bürgerschaft speziell für die Polizeireviere / Polizeikommissariate geforderten Aufstockung hinaus werden zusätzlich auch Dienststellen erfasst, deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in vergleichbarer Weise zu den Ersuchen der Bürgerschaft vom 13./14. Oktober 1999

(Drucksachen 16/3146 und 16/3147)

­ Ausrüstung der Vollzugspolizei mit Unterziehschutzwesten ­

Streifendienst verrichten oder aus anderen Gründen in ähnlicher Weise betroffen sein könnten, z. B.

­ Wasserschutzpolizeireviere/- kommissariate

­ Zentrale Dienste der Polizeidirektionen (z. B. Verkehrsstaffeln und Einsatzzüge)

­ Landesbereitschaftspolizei

­ Kriminalkommissariate der Polizeidirektionen und Landeskriminalamt.

Im Reviervollzugsdienst und soweit sinnvoll auch in anderen Bereichen werden die Westen auf Dauer an diejenigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausgegeben, die einen Bedarf erklärt haben. Für Pflege und Zustand sind die Beamtinnen und Beamten selbst verantwortlich. Eine generelle Tragepflicht ist nicht vorgesehen. Für den Einzelfall bleibt die Möglichkeit der anlassbezogenen Anordnung des Tragens bestehen.

Die seit dem 14. November 1996 bestehende Möglichkeit, Unterziehschutzwesten privat zu beschaffen, ist durch die Gewährung eines Zuschusses von 400 DM jetzt in Form einer Einmalzahlung ­ bis 31. Juli 1999 vier Jahresraten und höchstens die Hälfte des Anschaffungspreises ­ forciert worden. Bis zum 31. Juli 1999 hatten davon 414 Beamtinnen und Beamte Gebrauch gemacht, bis zum 1. September 2000 sind insgesamt 1352 Anträge gestellt.

Die Gesamtkonzeption, bestehend aus den Komponenten „Dezentrale Bereithaltung von Schutzwesten in Dienststellenpools" und „Bezuschussung bei einer privaten Beschaffung", wird durch die Ausstattungserweiterung fortentwickelt. Sie trägt sowohl der persönlichen Gefährdungseinschätzung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Rechnung als auch der Beurteilung der objektiven Gefährdungslage, wie sie aus heutiger Sicht ­ vorbehaltlich vertiefender wissenschaftlicher Untersuchungen ­ möglich ist.

2. Kosten

Bei einem derzeit angenommenen Anschaffungspreis von ca. 500 DM pro Weste ist bei dem vorgesehenen Beschaffungsprogramm von rund 3400 Schutzwesten einschließlich der Wechselhüllen mit einem voraussichtlichen Kostenvolumen von 1,75 Mio. DM zu rechnen.

Neben den Beschaffungskosten entstehen Folgekosten durch Reinigungsbedarf bei Mehrfachnutzung, mögliche Nachbeschaffungen bei Personalfluktuation sowie durch Anpassung von Dienstkleidung, die sich aktuell nicht beziffern lassen.

3. Realisierungszeitpunkt

Die Beschaffung der ersten Tranche von 1305 Westen erforderte ein europaweites Ausschreibungsverfahren; nach dessen Abschluss sind rund 800 Stück am 12. Juli 2000 in den Standardgrößen S­XL bereits beschafft und ausgeliefert.

Die Bestellung der zweiten Rate (Standard- und Sondergrößen) von rund 500 Westen ist bereits erfolgt. Für die weiteren 2100 Unterziehschutzwesten ist ein erneutes Ausschreibungsverfahren erforderlich, das umgehend durchgeführt wird.

4. Finanzierung

Die Kosten für die jetzt zu beschaffenden Unterziehwesten (einschl. zusätzlicher Wechselhüllen) betragen 1750 TDM.

Davon sollen 950 TDM durch Umschichtungen innerhalb der Titelgruppe 8500 Z 70 „Einsatz der Polizei, Verbrechensbekämpfung und Sonderdienste" finanziert werden.

Die darüber hinaus benötigten 800 TDM fordert der Senat hiermit nach.

Zum Ausgleich der Nachforderung sollen bei den folgenden Titeln die Ansätze um die dort genannten Beträge reduziert werden:

Da 2000 keine allgemeine Prämienerhöhungen eingetreten sind und Gebäudezugänge in dem erwarteten Umfang nicht angezeigt wurden, sind die hierfür vorsorglich veranschlagten Mittel entbehrlich.

5. Vorbehalt Nachbesserungskonzeption Unabhängig von der aktuellen deutlichen Verbesserung des Ausstattungsbestandes der Polizei mit Schutzwesten hat die Innenministerkonferenz (IMK) ihren Arbeitskreis II „Innere Sicherheit" (AK II) am 5. Mai 2000 mit der Prüfung und weltweiten Erkenntnissammlung beauftragt, ob sich der Stichschutz in Klasse I verbessern lässt, ohne dass wie bisher der Tragekomfort allein schon wegen der Gewichtszunahme um 2­3 kg leidet. Mit weiteren Beschlüssen vom 19. Juni und 28. Juni 2000 hat sie aufgrund der jüngsten Gewalthandlungen gegenüber Polizeibeamten dem AK II ebenfalls den Auftrag erteilt, aktuelle Erkenntnisse aus der Gewaltforschung im Hinblick auf ihre Auswirkung auf Polizeibeamte, Möglichkeiten der Bekämpfung ihrer Ursachen, die technische Ausstattung und Methoden der Eigensicherung der Polizei, zusätzliche rechtliche Maßnahmen zur Eindämmung illegalen Waffenbesitzes sowie Maßnahmen der Fürsorge für polizeiliche Opfer von Gewalt und ihre Angehörigen zu überprüfen und begrüßt alle Initiativen, die auf eine systematische Auswertung lebensbedrohlicher Angriffe auf Polizeibeamtinnen und -beamte gerichtet sind. Hamburg hat diese Beschlüsse unterstützt.

Aus diesen Aufträgen kann sich weiterer Modifizierungsbedarf bei Ausstattung und Beschaffung in Hamburg ergeben. Die gegenwärtige Konzeption steht daher unter dem Vorbehalt einer Nachbesserung aufgrund der dortigen Ergebnisse.

II. Entwicklung der objektiven Gefährdungslage im Polizeivollzugsdienst

Dem Ziel des weiteren Ersuchens, die Entwicklung der objektiven Gefährdungslage anhand einschlägiger Statistiken und ggf. anderer belastbarer Informationen darzustellen, kann mangels einschlägiger Statistiken über Angriffe und Angriffsarten gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte sowie über dabei entstandene Verletzungen nur in begrenztem Umfang entsprochen werden. Bei Auswertung der Literatur fand sich lediglich eine Studie der Polizeiführungsakademie Hiltrup (PFA) aus dem Jahr 1992. Die PFA führte eine bundesweite schriftliche Befragung von Polizisten durch, die aufgrund eines gewalttätigen Angriffs mehr als 7 Tage dienstunfähig geschrieben waren. Die häufigsten Angriffe waren: Schlagen (225 Verletzte), Treten (161 Verletzte), Stoßen (56 Verletzte), Schießen (16 Verletzte), Stechen (8 Verletzte).

Weitere bundesweite abgeschlossene Studien oder Publikationen zu diesem Themenkomplex sind der Polizei nicht bekannt. Zwar hat sich die IMK zwischenzeitlich mit der Thematik „Gewalt gegen Polizeibeamte" befasst und in ihrem Beschluss vom 28. Juni 2000 den Auftrag für eine systematische Auswertung lebensbedrohlicher Angriffe auf Polizeibeamtinnen und -beamte erteilt, Ergebnisse liegen aber noch nicht vor.

Zusätzliche Aussagen lassen sich in begrenztem Umfang aus den nachfolgend dargestellten statistischen Erkenntnissen gewinnen:

1. Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS)

Die bundeseinheitlich geführte PKS erfasst alle der Polizei bekannt gewordenen Vorgänge, die den Verdacht eines Vergehens oder Verbrechens oder strafbaren Versuches begründen. Nicht enthalten sind Staatsschutz- und die meisten Verkehrsdelikte.