Repressive Maßnahmen zur Bekämpfung der offenen Drogenszene

Um Drogensucht, Beschaffungskriminalität und Drogenhandel zu bekämpfen, setzt Hamburg seit jeher auf vier, sich gegenseitig stützende Säulen: Prävention und Aufklärung, Überlebenshilfen und gesundheitsbezogene Basisversorgung, Suchttherapie und sozial-integrative Hilfen sowie Repression und Gewährleistung der öffentlichen Ordnung. Die repressive Säule umfaßt die polizeirechtliche Gefahrenabwehr und die konsequente Strafverfolgung gegen Drogendealer.

Der nach dem drogenpolitischen Konzept des Senats bestehende Auftrag zur Verhinderung der Verfestigung offener Drogenszenen ist seit Jahren einer der wichtigsten Bereiche polizeilicher Arbeit. Seit Beginn des polizeilichen Handlungskonzeptes St.Georg im Juni 1995 hat die Polizei ihre Maßnahmen ständig überprüft und aktualisiert.

Polizeiliche Maßnahmen haben im Rahmen des Handlungskonzeptes in den vergangenen Jahren zu einer deutlichen Dezentralisierung der Drogenszenen in St.Georg und in der Sternschanze geführt. Mit den seit 1998 ergänzend dazu durchgeführten Maßnahmen nach dem Konzept für mehr Sicherheit in der Innenstadt konnten darüber hinaus die Probleme an den übrigen Brennpunkten der offenen Drogenszene in St.Pauli, Altona, im Umfeld der alten Flora und an den innerstädtischen S-Bahnhöfen reduziert werden. Im Zuge der dauerhaften und umfangreichen polizeilichen Intervention zur Verhinderung der Verfestigung offener Drogenszenen änderte sich das Verhalten der Straßendealer. Um der polizeilichen Präsenz zu entgehen, wechselten sie Ort und Zeitpunkt ihrer illegalen Aktivitäten häufig. Dies führte und führt zu einem zusätzlichen polizeilichen Kräftebedarf, der die polizeiliche Leistungsfähigkeit in hohem Maße fordert.

In Anpassung an die aktuelle Situation im Bereich der offenen Drogenszene wird seit dem 6. September 2000 das modifizierte Handlungskonzept St.Georg von der Polizei im Zusammenwirken mit der Bundesgrenzschutzinspektion Hamburg umgesetzt. Polizei und Bundesgrenzschutz nehmen in Hamburg vom Grundsatz her jeweils eigenständige Aufgaben im Bereich der Inneren Sicherheit wahr.Hierbei gibt es Schnittstellen, die eine Zusammenarbeit erforderlich machen. Der Präses der Behörde für Inneres der Freien und Hansestadt Hamburg und der Bundesminister des Innern haben am 5. Juli 1999 eine Vereinbarung über die Bildung eines gemeinsamen Sicherheitskooperationssystems zwischen der Hamburger Polizei und dem BGS abgeschlossen, in dem der Wille zur Zusammenarbeit in geeigneten Fällen im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten und unter Wahrung der jeweiligen Zuständigkeiten betont wird. Im Rahmen dieser Sicherheitskooperation finden auch auf der Basis des modifizierten Handlungskonzeptes St.Georg koordinierte Einsätze der Hamburger Polizei und des BGS zur Verhinderung der Verfestigung offener Drogenszenen bzw. zur Verfolgung des illegalen Handels mit Betäubungsmitteln statt. In jüngster Zeit wird aufgrund der verstärkten Präsenz der Polizei Hamburg an den Brennpunkten der offenen Drogenszene ein häufigeres Ausweichen von Dealern und Konsumenten auf die S-Bahnen und S-Bahnhöfe festgestellt; vor diesem Hintergrund wird eine noch engere Kooperation mit dem BGS gesucht.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

1. Konzept der Polizei Hamburg und des Bundesgrenzschutzes zur Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität

Um auf aktuelle Entwicklungen in der offenen Drogenszene und dem gestiegenen Sicherheitsbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger angemessen zu reagieren, wird das 1995 entwickelte, sogenannte Handlungskonzept St.Georg ständig aktualisiert. Der Wechsel der Bundesregierung hat zudem eine noch engere Zusammenarbeit der Hamburger Polizei mit dem für die S-Bahn zuständigen Bundesgrenzschutz ermöglicht, die Anfang September 2000 in ein gemeinsames Konzept zur Bekämpfung der offenen Drogenszene mündete.

Welche Maßnahmen beinhaltet das am 6. September 2000 vorgestellte Konzept der Polizei Hamburg und des Bundesgrenzschutzes zur Bekämpfung der Betäubungsmittelkriminalität?

Mit dem modifizierten Handlungskonzept St.Georg wurde der veränderten Situation im Bereich der offenen Drogenszene Rechnung getragen. Die bereits erfolgreich angewandten Maßnahmen in St.Georg und im Bereich Sternschanze wurden hiermit fortgeführt und ergänzt. Darüber hinaus wurde das Konzept wie folgt aktualisiert:

­ Einrichtung einer Drogeneinsatzgruppe (DEG) als mobile Präsenz- und Reaktionseinheit in Uniform, um zeitnah auf Ansätze von Szenebildungen in der erweiterten Innenstadt und auf entsprechende Hinweise von Bürgerinnen und Bürgern zu reagieren,

­ Aufklärung an örtlichen Brennpunkten der offenen Drogenszene zur Feststellung von Ansammlungen durch Polizeikräfte in Zivil,

­ Unterstützung des Polizeikommissariats 11 (St.Georg) und des Polizeireviers 17 (Sternschanze) mit Verstärkungskräften in täglich lageangepaßter Stärke von bis zu 15 (PK 11) bzw.sechs (PR 17) Polizeibeamtinnen und -beamten für aktive uniformierte Präsenz sowie andere Maßnahmen zur Eindämmung offener Drogenszenen,

­ verstärkte Einbindung des Reviereinzeldienstes in die Präsenz im Bereich offener Drogenszenen,

­ lageorientierter Einsatz von Diensthundeführern in Zusammenarbeit mit der DEG,

­ Aufnahme von Hinweisen aus der Bevölkerung über ein speziell eingerichtetes Bürgertelefon bzw. Weiterleitung von Hinweisen durch die Polizeieinsatzzentrale und die jeweiligen Polizeikommissariate/Polizeireviere direkt an die DEG,

­ Einbindung der Bundesgrenzschutzinspektion Hamburg in die Maßnahmen am Hauptbahnhof einschließlich der S-Bahn-Strecken und -Stationen unter Ausschöpfung der „Vereinbarung über die Bildung eines gemeinsamen Sicherheitskooperationssystems zwischen der Hamburger Polizei und dem Bundesgrenzschutz" (siehe auch Antwort des Senats auf die Schriftliche Kleine Anfrage Drucksache 16/3729),

­ Intensivierung der polizeilichen Öffentlichkeitsarbeit im Bereich offener Drogenszenen. In diesem Rahmen werden unter anderem kurzfristig Bürgersprechstunden vor Ort eingerichtet, um die Ansprechbarkeit der Polizei an wechselnden Orten niedrigschwellig herzustellen,

­ Durchführung von Schwerpunkteinsätzen an wechselnden Tagen und an unterschiedlichen Orten mit besonderer Öffentlichkeitswirkung unter Einbindung anderer beteiligter Institutionen (z.B. Bundesgrenzschutz, Hamburger U- und S-Bahn-Wache, Ausländerbehörde) sowie

­ Bündelung von Zuständigkeiten in der Polizeidirektion Mitte zum Zwecke der Intensivierung der zeitnahen Lagebilderhebung, der zeitnahen Steuerung des Kräfteansatzes sowie der Koordination aller Maßnahmen der Polizei im Bereich offener Drogenszenen.

Inwiefern unterscheiden sich die jüngst vereinbarten Maßnahmen von den Maßnahmen der zuvor verfolgten Konzeption?

Mit dem modifizierten Handlungskonzept St.Georg soll im Rahmen des zeitnäheren und flexibleren Einsatzes der polizeilichen Ressourcen an den Brennpunkten der offenen Drogenszene der Bildung von Ansammlungen von Konsumenten und Dealern wirkungsvoller entgegengewirkt werden. Zur Erreichung dieses Zieles dient insbesondere die Einrichtung der uniformierten DEG, die mit Kräften in einer Größenordnung von bis zu 20 Polizeibeamtinnen und -beamten ausgestattet ist, darunter zwei Beamtinnen und Beamte in ziviler Kleidung, die Aufklärung betreiben, um eigenverantwortlich sich bildende Ansammlungen erkennen und mit den schon bisher erfolgreichen Maßnahmen dagegen vorgehen zu können. Im übrigen siehe Antwort zu 1.1.

Welche Auswirkungen hat das seit September des Jahres verfolgte Konzept auf die offene(n) Drogenszene(n)?

Mit den polizeilichen Maßnahmen des aktualisierten Konzeptes und dem damit verbundenen dauerhaft hohen Personaleinsatz von im Tagesdurchschnitt insgesamt 100 Polizeibeamtinnen und -beamten der Polizei Hamburg sowie durchschnittlich 15 Beamtinnen und Beamten des BGS (Quelle: tägliche Lagemeldung BGSI Hamburg) konnten die sichtbaren Belastungen aus der Drogenszene an den verschiedenen Brennpunkten weiter reduziert werden. Insbesondere ist es gelungen, durch die gefahrenabwehrenden Maßnahmen der uniformierten Polizeibeamtinnen und -beamten Ansammlungen zügig zu reduzieren, die Szene zu dekonzentrieren und damit die Situation für Anwohner und Besucher der betroffenen Stadtteile zu verbessern.

Trotz dieser Maßnahmen des modifizierten Handlungskonzeptes konnte und kann die Drogenszene an den Brennpunkten weder beseitigt noch unsichtbar gemacht werden; dies obwohl die Polizei von den rechtlichen Möglichkeiten intensiv Gebrauch gemacht hat, wie folgende Zahlen über Art und Anzahl der polizeirechtlichen und strafprozessualen Maßnahmen für den Zeitraum vom 1.September 2000 bis zum 30. November 2000 belegen:

­ 12 679 Festnahmen,

­ 12 691 Ingewahrsamnahmen,

­ 12 295 Platzverweise.

Welchen praktischen Problemen sieht sich die Polizei bei der Bekämpfung des Drogenhandels gegenüber?

Polizeiliche Maßnahmen im Bereich offener Drogenszenen sind mit Problemfeldern verbunden, die das gewöhnliche Maß im Zusammenhang mit polizeilichen Tätigkeiten auf den Gebieten der Gefahrenabwehr und Strafverfolgung übersteigen. Der Rauschgifthandel in offenen Drogenszenen in Hamburg ist durch zunehmend konspiratives Täterverhalten gekennzeichnet. Dieses erfordert allein zur Strafverfolgung einen hohen polizeilichen Kräfteeinsatz. Rauschgiftgeschäfte werden überwiegend durch mehrere Täter arbeitsteilig abgewickelt, um Tatbeteiligungen zu verschleiern. Zu diesem Zweck nutzen sie intensiv die Möglichkeiten moderner Kommunikation. Darüber hinaus beweisen Rauschgifthändler ein hohes Maß an Mobilität, indem zunehmend die günstigen verkehrsinfrastrukturellen Möglichkeiten Hamburgs genutzt werden, um die kriminellen Aktivitäten auszuüben. Die Tendenz, polizeilicher Intervention auszuweichen, um illegale Drogen an Konsumenten zu verkaufen, ist je nach polizeilichem Kräfteeinsatz in diesem Bereich stark ausgeprägt.Vielfach werden Bahnhöfe und Verkehrsmittel des öffentlichen Personennahverkehrs für die Kontaktaufnahme bzw. den Verkauf von Rauschgift genutzt. Aber auch in das jeweilige Umfeld einzelner Brennpunkte weichen Dealer und Konsumenten vermehrt aus.

Insgesamt leiten sich daraus folgende Probleme ab: Trotz erheblicher Anstrengungen der Polizei mit einem hohen Polizeieinsatz auf der Basis differenzierter Handlungskonzepte konnte und kann die Drogenszene in St.Georg, der Sternschanze sowie in den anderen Brennpunktbereichen der erweiterten Innenstadt weder vollständig beseitigt noch unsichtbar gemacht werden. Ziel polizeilicher Maßnahmen ist daher die Verhinderung der Verfestigung der offenen Drogenszene bzw. das Vorgehen gegen sich bildende Ansammlungen an anderen Orten. Einzelne Belästigungen werden jedoch auch zukünftig unvermeidbar sein.

Personelle Ressourcen

­ Das zunehmend konspirative und arbeitsteilige Verhalten von Rauschgifthändlern erfordert einen hohen polizeilichen Kräfteeinsatz, um beweiserhebliche Festnahmen durchführen zu können.

Altersbestimmung von Tätern

­ Durch unkorrekte Altersangaben undVerschleierung der Herkunft gegenüber Ausländerbehörde und Polizei versuchen insbesondere die überwiegend ausländischen Rauschgifthändler die Einbeziehung in den Geltungsbereich des Jugendstrafrechts zu erreichen und ggf. ihre Abschiebung zu verhindern. Polizei und Ausländerbehörde veranlassen in derartigen Fällen ggf. die Anfertigung von Altersgutachten und führen langwierige und aufwendige Feststellungen der Staatsangehörigkeit durch.

Bundesweites System zur Verteilung von Asylbewerbern

­ Die Tatsache, dass minderjährige unbegleitete Flüchtlinge, soweit sie Asylbewerber sind, nicht im Rahmen des Verteilungssystems bundesweit verteilt werden, führt zu ihrer weit überproportionalen Konzentration in Hamburg.

Spruchpraxis des Amtsgerichtes Hamburg

­ Anträge der Polizei auf Anordnung der Fortdauer der Ingewahrsamnahme eines Rauschgifthändlers zu vergleichbaren Sachverhalten werden nach dem Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) zur Unterbindung eines erneuten Drogenhandels oder zur Durchsetzung eines Platzverweises durch Richter des Amtsgerichtes unterschiedlich behandelt (vgl. Antwort zu 3.2.). Der Anteil ablehnender Entscheidungen hat sich tendenziell erhöht. Aufgrund der Rechtsprechung des Landgerichts und des Oberlandesgerichts, die die Maßnahmen der Polizei bestätigt hat, ist die Handlungssicherheit der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten jedoch gewährleistet.Gleichwohl entstehen bei einzelnen Beamtinnen und Beamten Motivationsprobleme, die durch eine starke Aufklärungs- und Führungsleistung immer wieder neu überwunden werden.

Welche Auswirkungen hatte die Schließung des Tunnels unter dem Hachmannplatz auf die Situation in der Gegend um den Hauptbahnhof?

Der sogenannte Ringtunnel wurde bis zu seiner teilweisen Schließung im Mai 1999 von Heroinabhängigen vielfach als Treffpunkt und Aufenthaltsort genutzt. Hinzu kamen Nordafrikaner, die dort weiche Drogen und vereinzelt ­ erst kurz vor der Schließung ­ Crack verkauften bzw. konsumierten. Die Schließung fiel zeitlich mit dem Beginn der wärmeren Jahreszeit und einer dadurch erfahrungsgemäß steigenden Zahl von in der Öffentlichkeit sichtbaren Personen der Drogenszene sowie mit einer zahlenmäßig deutlichen Ausweitung der Crack-Szene im Bereich Hansaplatz und Bremer Reihe zusammen.Eine Kausalität zwischen der teilweisen Schließung derTunnelanlagen unter dem Hachmannplatz und dem Ansteigen der Szene im Bereich Hansaplatz/Bremer Reihe ist anhand polizeilicher Lageerkenntnisse allerdings nicht nachweisbar.

2. „AllgemeineVerfügungen der Justiz- und der Innenbehörde" vom 1. September 1999

Zum 1. September 1999 sind zwei „Allgemeine Verfügungen der Justiz- und der Innenbehörde" in Kraft getreten, die der wirksameren Bekämpfung von Straßendealern und des organisierten Drogenhandels dienen sollen.

Mit der Allgemeinen Verfügung zur Anwendung des §31a Absatz 1 BtMG wird „das Ziel verfolgt, durch Entlastung der Staatsanwaltschaft und der Polizei bei der Verfolgung von Erwerb oder Besitz geringer Mengen zum Eigengebrauch die Möglichkeit zu eröffnen, sich auf die Bekämpfung des organisierten Betäubungsmittelhandels zu konzentrieren und dadurch zugleich die bloße Verfolgung des therapiebedürftigen Eigenkonsums zu vermeiden" (Drucksache 16/2912). Sinn und Zweck der „Allgemeinen Verfügung der Behörde für Inneres und der Justizbehörde zur Anwendung des §31a Absatz 1 des Betäubungsmittelgesetzes" und der „Allgemeinen Verfügung der Behörde für Inneres und der Justizbehörde zur wirksameren Bekämpfung von Straßendealern" liegen