Jugendarbeit

Ich frage die Landesregierung:

1. In welchen Orten ist nach Auffassung der Landesregierung die Zahl rechtsorientierter Jugendlicher und ein Projekt zur Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen eingerichtet wurde (bitte nach Ort, Projekt, Anzahl rechter Jugendlicher und rechtsextrem motivierter Straftaten vorher und seitdem aufschlüsseln)?

2. In welchen Orten ist nach Auffassung der Landesregierung die Zahl rechtsorientierter Jugendlicher und insbesondere die Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten durch Jugendliche gleichgeblieben oder sogar gestiegen, obwohl dort ein Projekt zur Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen eingerichtet wurde (bitte nach Ort, Projekt, Anzahl rechter Jugendlicher und rechtsextrem motivierter Straftaten vorher und seitdem aufschlüsseln)?

3. Gibt es Projekte zur Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen, die seit 1994 deshalb geschlossen wurden, weil dort von rechtsextremen Gruppen, Organisationen und Funktionären/Funktionärinnen zu werden drohten (bitte nach Ort und Projekt aufschlüsseln)?

Das Thüringer Ministerium für Soziales und Gesundheit hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 7. Mai 1997 wie folgt beantwortet:

Zu 1. und 2.: Rechtsextremistisch motivierte Straftaten Jugendlicher werden durch die Staatsanwaltschaften Thüringens - bezogen auf ihren jeweiligen Geschäftsbereich - quartalsweise erfaßt und statistisch ausgewertet. Eine über die vorliegenden Auswertung der Einzelvorgänge von 1994 bis 1996 wäre mit einem unvertretbaren Verwaltungsaufwand verbunden, auf die im Interesse der uneingeschränkten Funktionsfähigkeit der Staatsanwaltschaften verzichtet wurde.

Aus polizeilicher Sicht werden Aussagen dahin gehend getroffen, dass in Thüringen insgesamt die Entwicklung rechtsextremistisch motivierter Straftaten keinen Rückgang der Fallzahlen aufweist.

Insbesondere bei Propagandadelikten, wie Hakenkreuzschmierereien, Verwenden anderer nazistischer Symbole, wie SS-Runen, ist territorial unterschiedlich eine ansteigende Tendenz erkennbar.

Die Anzahl rechtsorientierter Jugendlicher in Thüringen hat sich seit 1994 insgesamt erhöht, jedoch auch territorial unterschiedlich. Schwerpunkte bilden nach Einschätzung örtlicher Polizeibehörden Altenburg, Apolda, Erfurt, der Eichsfeldkreis, Gotha, Hermsdorf, Jena, Kahla, Meiningen, Nordhausen, Pößneck, Saalfeld/Rudolstadt, Sonneberg, Suhl, Tautenhain und Weimar.

Im Sinne vorbezeichneter Fragestellungen haben nach polizeilichen Erkenntnissen

- ein Streetworkerprojekt seit 1994 im Jugendklub Hugo (ehemals Winzerclub) in Jena-Winzerla,

- ein seit 1993 langfristig abgestimmtes Vorgehen von Kommune, freien Trägern der Jugendarbeit und Polizei in Arnstadt sowie

- seit mehreren Monaten die von der örtlichen Polizei unterstützte Sozialarbeit im Jugendklub Blaues Wunder in Ilmenau die Zahl rechtsorientierter Jugendlicher in diesen Bereichen zurückgedrängt und rechtsextremistisch motivierten Straftaten entgegengewirkt. Darüber hinaus liegen keine detaillierten statistischen Angaben vor.

Mit dem seit 1992 etablierten Bundesprogramm gegen Aggression und Gewalt war beabsichtigt, gezielte Maßnahmen und Angebote im Bereich der Jugendhilfe in den neuen Bundesländern aufzubauen. Das Programm hatte die Aufgabe, gewaltpräventiv und deeskalierend zu wirken.

Im Rahmen des wurde in Thüringen eine breite Palette pädagogischer Angebote in den Regionen Eisenach, Maßnahmen u. a. in nachstehenden Arbeitsfeldern wie z. B.

· Straßensozialarbeit,

· offene Jugendklubarbeit und

· Straffälligenhilfe entwickelt.

Mit sport- und erlebnisorientierten Angeboten und Maßnahmen im Bereich der Jugendsozialarbeit, der Jugendarbeit, der Einzelfallhilfe, der Beratung und der Jugendbegegnung erreichen die Projekte Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 13 bis 27 Jahren.

Aus der Sicht der Projektmitarbeiter haben sich in vergangenen Jahren Veränderungen innerhalb der rechten Szene vollzogen.

Die öffentliche Bekennung zu rechtsextremen Einstellungen nahm spürbar ab. Kurzgeschorene Haare, Bomberjacken Ausnahme, jedoch kam es immer wieder zu brutalen gewalttätigen Auseinandersetzungen. Teilweise sind die Jugendlichen mit Unterstützung der Projektarbeit aus der Szene herausgewachsen und nehmen eine Betreuung nicht mehr wahr, oder sie haben sich in anderen Lebensräumen verortet. Nach Beobachtungen und Aussagen zur fachlichen Beratung machte sich seit 1995 unter den Jugendlichen zunehmende Lethargie breit; teilweise waren die Jugendlichen durch sozialpädagogische Angebote kaum noch zu motivieren. in den städtischen Randgebieten (Plattenbausiedlungen), marginalisieren immer mehr Jugendliche. Die individuellen Problemlagen der Kinder und Jugendlichen gewinnen, bedingt durch die sozialen Umschichtungen, größere Bedeutung für die Projektarbeit. Eine steigende Zahl von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen befindet sich in gefährdeten Lebenslagen und hat nicht die nötige Kompetenz, sich selbständig und gezielt um Hilfestellungen zu bemühen. Konflikte im Elternhaus, Schul- und Ausbildungsprobleme, Arbeitslosigkeit, Suchtprobleme sowie Delinquenz der Kinder und Jugendlichen kennzeichnen den Kontext der Projektarbeit.

Ergänzend und parallel zum Bundesprogramm wurde in den Jahren 1992 bis 1996 zu ähnlichen Problemlagen ein Landesprogramm Gegen Gewalt unter Jugendlichen entwickelt. Innerhalb des Landesprogramms konnten nach den entsprechenden Richtlinien Projekte mit Sachmitteln bezuschußt werden.

Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Jugendszenen eindeutig zurückgegangen. Den Projekten ist es Gewaltbereitschaft, zur Entwicklung von gewaltfreien Konfliktlösungsstrategien und zur aktiven Freizeitgestaltung beigetragen haben. Darüber hinaus wurde in den Regionen das Thema Jugendgewalt öffentlich diskutiert und auf Ursachen sowie veränderte Lebenslagen Jugendlicher hingewiesen. Damit konnte ein entscheidender Beitrag zur Versachlichung der Diskussion von Jugend und Gewalt geleistet werden. Mit Hilfe gezielter sozialpädagogischer Handlungsansätze konnten die Projekte soziale Ausgrenzungsprozesse auffangen und gemeinsam mit Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen neue Formen der Lebensführung und Lebensbewältigung entwickeln.

Spezifizierte Aussagen anhand der etablierten Projekte im Bundesprogramm bzw. Landesprogramm zur qualitativen Entwicklung rechtsorientierter Jugendlicher bzw. rechtsextremistisch motivierter Straftaten sind an dieser Stelle nicht möglich.

Zu 3.: Dem Thüringer Ministerium für Soziales und Gesundheit ist aufgrund eigener Erfahrungen und Rücksprachen mit den Jugendämtern lediglich die Schließung des Jugendklubs Dichterweg in Weimar bekannt.

Das ursprüngliche Projekt Jugendklub Dichterweg hatte als Zielgruppe rechtsorientierte und gewaltbereite Jugendliche im Alter zwischen 14 und 20 Jahren, die ab 1990 das ehemalige Vereinshaus im Weimarer Neubaugebiet am Dichterweg besetzt hatten.

Ab 1992 wurde in Trägerschaft der Stadt Weimar ein mit zwei Sozialarbeitern an diesem Standort etabliert, um gezielt sozialpädagogische Maßnahmen anzubieten. sich das Konzept zunehmend als nicht umsetzungsfähig.

Die verstärkte Einflußnahme rechtsradikaler Gruppierungen aus verschiedenen Regionen Thüringens und anderer ein tätlicher Angriff auf einen Sozialarbeiter führten 1994 zur Schließung des Jugendklubs durch die Stadt Weimar.

Daraufhin zerbrach die bisherige Gruppenstruktur.

Um sich dennoch verstärkt den jungen Mitläufern widmen zu können, wurde das ursprüngliche Konzept überarbeitet und als Projekt im Rahmen der stadtteilbezogenen Jugendsozialarbeit seit April 1995 fortgeführt.