Es gibt eine Vielzahl von Konzepten zur Armutsmessung

Materialband zum 3. Thüringer Sozialbericht66 zum früheren Bundesgebiet leicht nach links gestaucht sind. Daraus lässt sich folgern, dass nicht nur die höheren Einkommen fehlen, sondern auch der mittlere Einkommensbereich in den neuen Ländern etwas weniger verdient. Man sollte sich daher der etwas vorsichtigeren Formulierung in Hanesch et al. (2000) anschließen, die darauf hinweisen, dass die Hauptursache der bestehenden Unterschiede bei den Einkommensmittelwerten allen voran in einer geringen Präsenz höherer Einkommen in den neuen Ländern und erst in zweiter Linie in entsprechenden Unterschieden im unteren Einkommensbereich zu suchen ist. Einen deutlichen Hinweis darauf lässt sich auch in einer anderen Datenquelle finden: der Anteil der Sozialhilfeempfänger war Ende des Jahres 2000 in Thüringen mit 2,7% der Bevölkerung geringer als im früheren Bundesgebiet mit 4,8%.

Einkommensarmut und -reichtum

Armutskonzepte und ihre methodische Umsetzung

Zur Messung von Armut oder Reichtum müssen jeweils Schwellenwerte festgelegt werden. Die Wahl dieser Schwellenwerte kann jedoch nur mehr oder weniger willkürlich erfolgen und beruht immer auf subjektiven Werturteilen. Angesichts des breiten öffentlichen und politischen Interesses kann man sich mit jeder Grenzziehung dem Vorwurf der Verharmlosung oder Dramatisierung aussetzen. Deswegen werden verschiedene Maße dargestellt, um die einzelnen Definitionen transparent zu machen. Zumindest für die Messung von Einkommens- und Vermögensarmut bzw. -reichtum werden einmalig die aggregierten Ergebnisse verschiedener Definitionen dargestellt, zur Wahrung der Übersichtlichkeit bei weitergehenden Auswertungen aber jeweils nur eine oder zwei Definitionen weitergeführt.

Es gibt eine Vielzahl von Konzepten zur Armutsmessung. Die bekanntesten Gegensätze werden nach dem absolutem und dem relativem Ansatz unterschieden. Absolute Armutskonzepte definieren normativ eine Grenze, ab der Bedürftigkeit unterstellt wird. Relative Ansätze hingegen setzen Armut ins Verhältnis zum durchschnittlichen Lebensstandard der Bevölkerung.

Abbildung 44: Vergleich der abgeschnittenen Einkommensverteilungen 1998

Lesebeispiel: Wenn man nur die Haushalte mit einem Äquivalenzeinkommen von maximal 1.000 /Monat betrachtet, dann müssen in Thüringen knapp 40% der betrachteten Haushalte mit 500-750 /Monat auskommen und etwa 55% mit 750­1.000 /Monat (dicke, durchgezogene Linie); Verglichen mit dem früheren Bundesgebiet liegen die Verteilungen sehr nahe beieinander. Wenn man dagegen die Haushalte mit einem Äquivalenzeinkommen von bis zu 2.000 /Monat betrachtet, dann müssen in Thüringen z. B. 10% der betrachteten Haushalte mit 1.500-1.750 /Monat auskommen; Verglichen mit dem früheren Bundesgebiet sind die Verteilungen aber sehr unterschiedlich.

Anmerkung: Die Summe der Haushalte auf jeder Linie addieren sich zu 100%, weil jeweils nur die Haushalte mit Äquivalenzeinkommen von weniger als x /Monat betrachtet werden.

Quelle: Eigene Berechnungen aus EVS 1998 empirica Materialband zum 3. Thüringer Sozialbericht 67

Im Folgenden kommt ein modifiziertes Armutskonzept zur Anwendung und wird als Armutsschwelle die inflationierte Schwelle nach dem relativem Armutskonzept aus einem Basisjahr herangezogen. In der Regel werden zur Berechnung der Armutsschwellen zudem die Äquivalenzeinkommen zugrunde gelegt, um die unterschiedlichen Bedarfe einzelner Haushaltstypen bzw. -größen zu berücksichtigen. Außerdem werden sowohl gesamtdeutsche Armutsschwellen als auch getrennte Armutsschwellen für die neuen Länder und das frühere Bundesgebiet (ost-west-spezifische Schwellen) betrachtet.

Oft wird kritisiert, dass Armut nur anhand materieller Ressourcen gemessen wird. Diesem Einwand wird mit dem so genannten Lebenslagenansatz begegnet, indem auf multiple Dimensionen von Armut abgestellt wird: Neben dem Einkommen, dem Vermögen und der Überschuldung werden deswegen auch die Wohnsituation (vgl. Kapitel III.8) sowie die Ausstattung mit langlebigen Konsumgütern und luxuriöse Konsumgewohnheiten dargestellt (vgl. Kapitel III.6.4). Statistische Messprobleme

Die Messung der Einkommen von Geringstverdienern ist sehr schwierig. Das statistisch erfasste Einkommen ist irreführend, weil z. B. Sachleistungen wie Gesundheitsfürsorge oder Mietsubventionen nicht berücksichtigt werden. Außerdem sind manche nur vorübergehend arm und können deswegen nicht ohne weiteres als arm klassifiziert werden (z.B. Studenten). Ähnliche Probleme ergeben sich bei der Messung von Reichtum, weil die betreffenden Personen in den statistischen Erhebungen immer unterrepräsentiert sind. In der Folge sind etwa Untersuchungen von Einkommensverteilungen dann am erfolgreichsten, wenn man sich auf die mittleren Einkommen konzentriert. Leider wären aber gerade Untersuchungen der Einkommen von armen bzw. reichen Haushalten interessanter. Eine Ausnahme bildet die Einkommensteuerstatistik, wobei hier nur wenige soziodemographische Informationen bekannt sind. Trotzdem wurde diese Statistik berücksichtigt.

Einkommensreichtum Einkommensteuerstatistik und EVS-Daten nicht vergleichbar. Einkommensreichtum kann mit Datensätzen wie der EVS oder dem Mikrozensus, die auf Stichprobenverfahren beruhen, nicht repräsentativ dargestellt werden. Deswegen wird im Folgenden die Einkommensteuerstatistik 1995 ausgewertet.45 Der Nachteil dieser Statistik besteht jedoch darin, dass nur Personen und nicht der Haushaltszusammenhang bekannt ist.46 Darüber hinaus ist die Einkommensabgrenzung der Einkommensteuerstatistik nicht vergleichbar mit Box 2: Armutskonzepte

Das relative Armutskonzept

Das relative Armutskonzept bezeichnet diejenigen als einkommensarm, die mit weniger als der Durchschnittshaushalt auskommen müssen (z.B. weniger als 50% oder weniger als 60% im Vergleich zum Median oder im Vergleich zum arithmetischen Mittelwert aller Haushalte). Der Nachteil dieses relativen Armutskonzeptes liegt darin, dass es solange Armut gäbe, wie nicht alle Haushalte gleich hohe Einkommen beziehen ­ selbst in einem Volk von Millionären. Insbesondere bei Zeitvergleichen der Armutsquoten wird deswegen mehr die Änderung der Einkommensverteilung und weniger die Änderung des absoluten Wohlstandes gemessen. Begründet wird das Konzept damit, dass ein Abweichen vom typischen Lebensstandard immer zu Ausgrenzungen führt ­ unabhängig vom Niveau des absoluten Lebensstandards.

Das absolute Armutskonzept

Die Kritik am relativen Armutskonzept wird im absoluten Armutskonzept aufgenommen, indem ein absolutes Maß (normativ) gesetzt wird. Beispielsweise wird dann derjenige als einkommensarm bezeichnet, der mit weniger als dem doppelten der Sozialhilferegelsätze auskommen muss.44 Für Zeitvergleiche können diese Sätze inflationiert werden, so dass sich ein konsistentes Maß für eine absolute Armutsschwelle ergibt. In der Folge würde z. B. die Armutsquote bei steigendem absoluten Wohlstand der unteren Einkommensschichten fallen, insbesondere auch dann, wenn die Einkommensungleichheit sich nicht vermindern würde.

Weniger als der einfache Sozialhilfesatz hat de iure kein Haushalt, weil jedem zumindest ein Anspruch auf Sozialhilfe zusteht.

Aktueller Steuerstatistiken liegen leider nicht zur Auswertung bereit.

Insbesondere ist die Einkommenshöhe weiterer Haushaltsmitglieder unbekannt. Denkbar ist demnach, dass in einem Mehrpersonenhaushalt jeder einzelne ein Einkommen bezieht, das unterhalb einer Reichtumsschwelle liegt, in der Summe aller Haushaltsmitglieder diese Schwelle aber überschritten wird.

Materialband zum 3. Thüringer Sozialbericht68 den Abgrenzungen aus der EVS.

Folglich ist die Analyse der Einkommensreichen isoliert von den anderen Analysen in dieser Studie zu betrachten und liefert lediglich eine sehr spezielle quantitative Darstellung von Einkommensreichtum.

47 Der betrachtete Gesamtbetrag der Einkünfte ist zwar in etwa vergleichbar mit dem Bruttoeinkommen, zum Vergleich der relevanteren Nettoeinkünfte fehlen in der Einkommensteuerstatistik aber Informationen über Sozialversicherungsbeiträge.

Tabelle 21: Einkommensreiche Personen in Deutschland 1995

Anmerkung: Gesamtbetrag der Einkünfte hier als Summe der positiven Einkünfte

Verteilung der Steuerpflichtigen Personen fast zehnmal größer als die Anzahl der DM-Einkommensmillionäre, der Anteil an allen Steuerpflichtigen ist aber auch zehnmal kleiner als im früheren Bundesgebiet. Definiert man Einkommensreichtum sehr großzügig ab einer Schwelle von 100 Tsd. DM, dann ergibt sich eine Reichtumsquote von rund 6% in Thüringen und den neuen Ländern; demgegenüber sind im früheren Bundesgebiet mit über 11% immer noch fast doppelt so viele Einkommensreiche zu finden.

Einkommensarmut

Neben den Armutsquoten nach dem relativen Armutskonzept werden für Zeitvergleich im Folgenden auch Armutsquoten nach einem modifizierten Armutskonzept berechnet. Dabei wurde als Armutsschwelle für 1998 die preisbereinigte Armutsschwelle nach dem relativen Armutskonzept aus dem Jahr 1993 herangezogen. Diese modifizierte Größe gibt also an, welche Haushalte nach Maßstäben des Jahres 1993 heute noch einkommensarm sind, wenn lediglich die zwischenzeitliche Preisentwicklung berücksichtigt wird.

Vor allem in Analysen einer Übergangsgesellschaft spielen solche Verbesserungen des Lebensstandards eine wichtige Rolle.