Bildung

Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofes zum Thüringer Finanzausgleichsgesetz

Grundzüge des Urteils

Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hat am 21.06.2005 das Urteil in dem abstrakten Normenkontrollverfahren zu Vorschriften des Thüringer Finanzausgleichsgesetzes verkündet (AZ. 28/03).

Darin wurden Teile der Regelungen zum Kommunalen Finanzausgleich für unvereinbar mit Art. 93 Abs. 1 S. 1 der Thüringer Verfassung erklärt. Dies betrifft die Bildung und Verwendung der Finanzausgleichsmasse und insbesondere die nach Maßgabe des Landeshaushaltes zu gewährenden besonderen und investiven Finanzzuweisungen (§§ 3 Abs. 2 und 3, 4 S. 1, 7 Abs. 1, 19 a, 21, 22 und 26 Insofern hat das Gericht diese Vorschriften bis längstens 31.12.2007 für weiter anwendbar erklärt und dem Gesetzgeber aufgegeben, spätestens für das Ausgleichsjahr 2008 den Kommunalen Finanzausgleich neu zu regeln.

Die Regelungen über den Mehrbelastungsausgleich bei der Übertragung staatlicher Aufgaben auf die Gemeinden und Landkreise (§§ 1 Abs. 2 und 23 Abs. 1 sowie diejenigen, die Finanzzuweisungen außerhalb des zulassen (§§ 1 Abs. 1 und 6 Abs. 3 S. 2 hält das Gericht für vereinbar mit Art. 93 Abs. 1 S. 2

Der Verfassungsgerichtshof trifft in seinem Urteil keine Aussage dazu, welchen Betrag der Freistaat seinen kommunalen Gebietskörperschaften im Rahmen des Kommunalen Finanzausgleichs insgesamt zur Verfügung stellen muss bzw. ob die derzeit gewährten Finanzzuweisungen angemessen sind. Die Höhe der Finanzausgleichsmasse sei der direkten verfassungsgerichtlichen Überprüfung nicht zugänglich, da sie auf Erwägungen beruht, welche der Gesetzgeber in Ausnutzung eines breiten Abwägungs- und Einschätzungsspielraumes getroffen hat.

Das Gericht hat die strittigen gesetzlichen Regelungen allein daran gemessen, ob die konkreten Anforderungen an eine rationale und nachvollziehbare Finanzausgleichsgesetzgebung erfüllt sind, die sich aus dem von der Verfassung vorgegebenen System des Kommunalen Finanzausgleichs ergeben. Dazu gehört nach Ansicht des Gerichtes insbesondere, dass sich der Gesetzgeber einen Überblick über den kommunalen Finanzbedarf verschafft. Dies setzt eine Ermittlung der Kosten der Aufgabenerfüllung sowohl im eigenen als auch im übertragenen Wirkungskreis voraus.

Das Gericht gelangt dabei zu dem Ergebnis, dass der nach der geschützte Kernbereich des Selbstverwaltungsrechts den Kommunen eine finanzielle Mindestaus7 stattung sichert, damit Personal- und Sachausgaben für Pflichtaufgaben im eigenen und übertragenen Wirkungskreis bestritten werden können, und über dieses absolute Minimum hinaus ein gewisser finanzieller Spielraum für freiwillige Selbstverwaltungsangelegenheiten verbleibt. Dabei ist die finanzielle Mindestausstattung leistungskraftunabhängig zu gewähren; die Leistungsfähigkeit des Landes darf ausschließlich bei der über den Kernbereich hinausgehenden Finanzausstattung gewürdigt werden (anders: Urteil des Landesverfassungsgerichtes Mecklenburg-Vorpommern vom 11.05.2006; AZ. 1/05, 5/05, 9/95). Der erlegt dem Land auf, die Kommunen gegebenenfalls von Aufgaben und Standards zu entlasten.

Wie hoch die freie Spitze sein muss, hat das Gericht nicht festgelegt.

Der ist der Auffassung, dass der Gesetzgeber den Finanzbedarf der Kommunen, der vor allem durch die Wahrnehmung eigener Pflichtaufgaben entsteht, nicht hinreichend berücksichtigt habe. Die Regelungen des zur Deckung des allgemeinen Finanzbedarfs lassen nicht erkennen, dass der Gesetzgeber bei der Bildung der Finanzausgleichsmasse neben der finanziellen Leistungskraft des Landes auch den Finanzbedarf der Gemeinden und Landkreise berücksichtigt habe.

Ebenso überschreite die Normierung zweckgebundener (finanzkraftunabhängiger) Finanzzuweisungen verfassungsrechtliche Grenzen. Der Gesetzgeber beeinträchtige bei potenziell selbstverwaltungsfeindlichen Verteilungsinstrumenten die kommunale Autonomie, wenn deren Summe im Verhältnis zu den allgemeinen Finanzzuweisungen von erheblicher finanzieller Bedeutung sei.

Im Rahmen des Mehrbelastungsausgleichs werden bei den Thüringer Kommunen regelmäßig die durch übertragene Aufgaben anfallenden Kosten ermittelt und die angemessenen Durchschnittskosten im Wege der Auftragskostenpauschale vergütet. Die Zahlung wird durch Rechtsverordnung geregelt. Diese Vorgehensweise, bei der auch eine Interessenquote berücksichtigt wird, hält das Gericht für verfassungskonform.

Die Formulierung angemessener finanzieller Ausgleich in Art. 93 Abs. 1 S. 2 hat der als striktes Konnexitätsprinzip interpretiert. Im Urteil wurde betont, dass der Mehrbelastungsausgleich eine selbständige Teilmenge im Rahmen der Finanzausgleichsmasse darstellt, die durch einen eigenen Ansatz vorab zu bestimmen ist und sich unabhängig von der Entwicklung der vorrangig finanzkraftabhängig zu verteilenden Finanzausgleichsmasse verhält.

Konsequenzen und Umsetzung

Die Thüringer Landesregierung hat nun die Aufgabe, das entsprechend den Vorgaben des zu novellieren. In seiner Entscheidung hat das Gericht neue Grenzen gezogen und neue Anforderungen an den Gesetzgeber gestellt, die über die bislang von ihm und anderen Verfassungsgerichten gemachten Vorgaben deutlich hinausgehen.

Vom Verfahren her soll die tatsächliche durchschnittliche Kostenbelastung durch die Wahrnehmung der Aufgaben des eigenen und übertragenen Wirkungskreises ermittelt, auf ihre Angemessenheit hin bewertet und den originären kommunalen Einnahmen und Landeszuweisungen gegenübergestellt werden.

Kernpunkt ist zunächst die Ermittlung des Finanzbedarfes der Thüringer Kommunen.

Schwierig ist, dass jede Kommune von den eigenen Spielräumen der Aufgabenerfüllung im eigenen Wirkungskreis unterschiedlich Gebrauch macht und im Gegensatz zu übertragenen Aufgaben keine einheitlichen Standards bei der Erfüllung der Pflichtaufgaben des eigenen Wirkungskreises existieren. So werden im Zuge der kommunalen Selbstverwaltung unterschiedliche Prioritäten gesetzt. Das trifft umso mehr auf den Bereich der freiwilligen Aufgaben zu, über die sich der Gesetzgeber auch einen ungefähren Überblick verschaffen soll.

Auch die Aufgabenstruktur ist aufgrund der unterschiedlichen Gemeindegrößen sehr differenziert und einer pauschalen Kostenermittlung schwer zugänglich. Deshalb werden neben den Ausgaben für die übertragenen staatlichen Aufgaben auch die Ausgaben für die pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben einzeln bei den kommunalen Gebietskörperschaften erhoben. Gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden und den Fachministerien wurden zwei Aufgabenkataloge entwickelt, die die Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises und des pflichtigen eigenen Wirkungskreises enthalten.

Die Erhebung hat nach einer Testphase im Mai 2006 begonnen und wurde Ende September 2006 abgeschlossen. Zur Zeit wird mit Hilfe des Statistischen Landesamtes die Auswertung vorgenommen.

Nach der Feststellung der aufgabenspezifischen durchschnittlichen Ausgabenbelastung wird man anschließend Maßstäbe für die Angemessenheit von Ausgaben finden müssen. Das Gericht hat bei der Bedarfsbemessung Typisierungen und Pauschalierungen ausdrücklich zugelassen. Es verweist auf das Verfahren beim Mehrbelastungsausgleich für übertragene Aufgaben, wonach die angemessenen Durchschnittskosten die Grundlage für die Erstattung sind.