Steuer

März 2009 wie folgt beantwortet:

Vorbemerkung:

Die Landesregierung sieht von Auskünften, die Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der Sicherheitsbehörden und insbesondere des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz zulassen, ab. Die nachfolgenden Angaben beziehen sich ausschließlich auf solche Erkenntnisse, die offen verwertbar sind. Für weitergehende Auskünfte steht die Landesregierung gegebenenfalls der Parlamentarischen Kontrollkommission zur Verfügung.

Organisierte Kriminalität (OK) ist die von Gewinn und Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsmäßiger Strukturen, unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken.

Der Begriff umfasst nicht Straftaten des Terrorismus.

Eine effektive Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ist nur in Verbindung mit sorgfältigen, tiefgehenden Strukturermittlungen und permanenter, aktiver Informationsbeschaffung und operativer Informationsauswertung möglich. Diese Aufgabe ist enorm zeit- und personalaufwendig und regelmäßig nur mit so genannten -verdeckten Maßnahmen- zu lösen. Die Geheimhaltung und Abschottung ist hierzu der Schlüssel zum Erfolg. Das schließt eine detaillierte Lagedarstellung und die Offenlegung der Bekämpfungsstrategien aus.

Unter diesen Aspekten wird auf eine umfängliche Bekanntgabe sensibler Daten bei der Beantwortung der Anfrage auf Angaben verzichtet. In diesem Zusammenhang wird auf die Drucksache 4/4457 verwiesen.

Die nachfolgenden Darstellungen basieren im Wesentlichen auf bundesweit vorgegebenen Erfassungsund Erhebungsrastern bei Justiz und Polizei, die auf Grund unterschiedlicher Verfahrensweisen zwangsläufig nicht immer korrespondieren. Weiterhin liegen nicht zu allen Fragenkomplexen statistische Angaben vor.

Zur besseren Verdeutlichung wird bei der Beantwortung zwischen Ermittlungsverfahren (EV) und Ermittlungskomplexen (EK)1 unterschieden. Den Ermittlungskomplexen sind in der Regel zahlreiche Einzelstraftaten bzw. Ermittlungsverfahren zugeordnet.

Der Begriff Ermittlungskomplexe ist synonym zum Begriff OK-Verfahren, der in der Pressefassung des OK-Lagebildes des Bundeskriminalamts verwendet wird.

3. April 2009

I. Allgemeine Lagedarstellung

1. Welche Deliktsgruppen zählt die Landesregierung insbesondere zur Organisierten Kriminalität?

Das Straftatenspektrum der OK ist vielfältig. Entsprechend der Gemeinsamen Richtlinie über die Zusammenarbeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei der Verfolgung der OK (Anlage E der Richtlinie für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren - erfolgt die Einteilung in verschiedene Kriminalitätsbereiche, u. a. - Rauschgifthandel/-schmuggel

- Waffenhandel/-schmuggel

- Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben

- Kriminalität im Zusammenhang mit dem Wirtschaftsleben

- Eigentums- und Fälschungskriminalität

- Gewaltkriminalität

- Schleuserkriminalität

- Umweltkriminalität

- Steuer- und Zolldelikte.

2. Wie bewertet die Landesregierung die Entwicklungen bzw. Tendenzen im Bereich der Organisierten Kriminalität in Thüringen in den vergangenen Jahren?

OK-Strukturen haben sich auch im Freistaat Thüringen etabliert.

Die Landesregierung beobachtet diese Entwicklung mit der erforderlichen Wachsamkeit und dem Ziel, derartige Strukturen frühzeitig zu erkennen und mit allen rechtlichen Möglichkeiten zu zerschlagen. Beispielhaft dafür steht die Organisierte Rockerkriminalität, die durch erheblichen polizeilichen Kontrolldruck zunehmend in Thüringen zurückgedrängt wird. So konnten im Februar 2009 weitere drei Haftbefehle gegen Mitglieder der BANDIDOS vollstreckt werden.

Die geringe Anzahl der Ermittlungskomplexe und die daraus resultierende relativ geringe Datenmenge erschweren fundierte Bewertungen und Prognosen. Festzustellen ist jedoch, dass das durchschnittliche OK-Potenzial trotz einer geringen Anzahl von OK-Verfahren stetig leicht angestiegen ist. Auch die Zusammensetzung der Tätergruppen (Nationalitäten) belegt die internationale Dimension der im Freistaat Thüringen vorhandenen OK.

3. Mit Hilfe welcher Auswertetätigkeiten gelangen die Thüringer Behörden zu Erkenntnissen und Aussagen über das Ausmaß der Organisierten Kriminalität?

Eine kontinuierliche operative und strategische Auswertung von Informationen und polizeilichen Ermittlungsergebnissen ist Grundlage von Bewertungen und Prognosen zur OK, welche im gemeinsamen Lagebild OK von Justiz und Polizei umfassend dargestellt werden.

(Auf den Antrag der Fraktion der SPD - Lagebild der Organisierten Kriminalität - Drucksache 4/4457 wird hingewiesen)

4. Wie bewertet die Landesregierung den Zusammenhang zwischen Personaleinsatz/Ermittlungskapazität und dem Umfang der Erkenntnisse im Bereich der Organisierten Kriminalität?

OK ist kein abgrenzbarer Straftatbestand, sondern vielfältig und damit eine komplexe Kriminalitätserscheinung. Äußere und innere Abschottung sind der OK immanent. Ein wesentlicher Teil der OK ist als so genannte Kontrollkriminalität zu verstehen, d. h. das Erkennen dieser Kriminalität korreliert mit dem Ausmaß und der Intensität der Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden. Eine kontinuierliche Personalzuführung allein führt aber nicht zwangsläufig zu umfangreicheren Erkenntnissen. Der Umfang der Erkenntnisse hängt maßgeblich von der Qualität der Informationsprozesse zwischen den Behörden mit Sicherheitsaufgaben sowie der Zusammenarbeit mit anderen staatlichen und nichtstaatlichen Bereichen ab. Aus diesem Grunde wurden in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, den Informationsaustausch auch unter Einsatz technischer Mittel weiter zu optimieren.

5. Welche Erkenntnisse hat die Landesregierung über den Umstand, dass Verbrechen aufgrund mangelnder personeller Kapazitäten und Sachausstattung unentdeckt bzw. unaufgeklärt bleiben?

Der Freistaat Thüringen verfügt über gut ausgebildete Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter und modern ausgestattete Sicherheitsbehörden. Durch komplexe und abgestimmte Maßnahmen wird die Kriminalitätsbekämpfung ständig weiter optimiert und den gesellschaftlichen Erfordernissen angepasst, was seinen Niederschlag auch in einer überdurchschnittlich hohen Aufklärungsquote auch bei der Schwerstkriminalität findet.

Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes unterliegen gem. § 163 dem Legalitätsprinzip.

Das Legalitätsprinzip verpflichtet die Strafverfolgungsbehörden (Staatsanwaltschaft und Polizei), ein Ermittlungsverfahren zu eröffnen und die erforderlichen Maßnahmen einzuleiten, wenn sie Kenntnis von einer Straftat erlangt haben. Die Landesregierung stellt hierfür die erforderlichen personellen und logistischen Ressourcen bereit.

Darüber hinaus hat das Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz im Jahr 2002 die Aufgabe erhalten, Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität im Geltungsbereich des Grundgesetzes zu beobachten. Damit kann der Staat bei der Bekämpfung der OK bereits im Vorfeld tätig werden, d. h. schon dann, wenn noch keine konkrete oder abstrakte Gefahr vorliegt, wie das Polizeirecht es verlangt.

Im Übrigen wird auf die Beantwortung der Frage 4 verwiesen.

6. Wie bewertet die Landesregierung das Dunkelfeld der Organisierten Kriminalität in Thüringen insgesamt?

OK zeichnet sich durch eine besonders hohe Abschottung gegenüber Außenstehenden aus. Zur Begehung von Straftaten werden zum Beispiel beliebig austauschbare Randfiguren eingesetzt, deren Festnahme die kriminellen Aktivitäten der Gesamtorganisation nicht stört. Daher bestehen objektive Schwierigkeiten, konkrete und beweisverwertbare Erkenntnisse über die wirklichen Strukturen, Arbeitsweisen und Beteiligten zu gewinnen. Eine konkrete Aussage zum Dunkelfeld der OK ist daher nicht möglich.

Auf die Antwort zur Frage 15, Komplex II, wird hingewiesen.

7. Konnten bei den in den vergangenen zehn Jahren bearbeiteten OK-Verfahren Verbindungen zu ausländischen Organisationen festgestellt werden? Wenn ja, in wie vielen Fällen, zu welchen Organisationen in welchen Ländern?

OK ist geprägt von einem hohen Grad an Internationalisierung. Insofern konnten in nahezu allen Verfahren internationale Bezüge ermittelt werden. Grundsätzlich überwiegt die Beteiligung deutscher Gruppierungen gefolgt von Tatverdächtigen aus den ehemaligen Mitgliedstaaten der Sowjetunion (GUS-Staaten).

8. Wie bewertet die Landesregierung die personellen und sachlichen Ressourcen, die den Ermittlungsbehörden für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität zur Verfügung stehen?

Die materiell-technische Ausstattung der OK-Bekämpfung ist grundsätzlich ausreichend und konnte bei spezifischen Belastungen flexibel lageabhängig angepasst werden.

Auf die Antwort zur Frage 5, Komplex I, wird verwiesen.

9. Welche Entwicklungstendenzen erwartet die Landesregierung im Bereich der Organisierten Kriminalität hinsichtlich der Quantität und Qualität der Deliktsbegehung?

Sowohl die Qualität als auch die Quantität der OK hat sich durch den europäischen Einigungsprozess und die voranschreitende Globalisierung, die zunehmende Organisation und Arbeitsteilung sowie die steigende Professionalität der Täter weiter entwickelt. Für Planung, Durchführung und Verschleierung von Straftaten kommen zunehmend moderne Informations- und Kommunikationsmittel zum Einsatz, die sowohl offen als auch verdeckt eingesetzt werden.

Bekämpfungsschwerpunkt ist seit einigen Jahren, wie in anderen Bundesländern auch, der Bereich Rauschgiftkriminalität. In Thüringen dominiert daneben derzeit die Bekämpfung der Rockerkriminalität, was verschiedene der unter Frage 1 genannten Kriminalitätsfelder belegen. Dem bundesweiten Trend folgend ist davon auszugehen, dass auch im Freistaat die OK zunehmend das Wirtschaftsleben durchdringen wird.