Beratungsstelle

Landtag Nordrhein-Westfalen - 13. Wahlperiode Drucksache 13/1525

Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot müssen gleichzeitig angeordnet werden, wenn sich die betroffene Person beim Einschreiten der Polizei in der Wohnung aufhält.

Daneben ist aber auch die alleinige Erteilung eines Rückkehrverbotes möglich, wenn sich eine Wohnungsverweisung erübrigt hat, weil die betroffene Person im Zeitpunkt des Einschreitens der Polizei die Wohnung bereits verlassen und die Polizei - etwa auf Grund von Zeugenaussagen des Gewaltopfers oder der Nachbarn, auf Grund der (möglicherweise ärztlich attestierten) Schwere der auf Fremdverschulden zurückzuführenden Verletzungen des Opfers oder aus anderen Gründen - ausreichende Anhaltspunkte für die Annahme hat, dass auch in Zukunft Gewalttaten der betroffenen Person drohen. In praktischer Hinsicht ist allerdings erforderlich, dass der Aufenthaltsort der betroffenen Person bekannt ist, damit das Rückkehrverbot ihr gegenüber ausgesprochen werden kann. Ist der Aufenthalt der betroffenen Person nicht bekannt, empfiehlt es sich, das Rückkehrverbot durch schriftlichen Verwaltungsakt zu erteilen und diesen im Wege der Ersatzzustellung nach § 1 LZG in Verbindung mit § 11 zuzustellen.

Wohnungsverweisung und Rückverkehrverbot sind nicht auf die Wohnung beschränkt, sondern können im Interesse eines ausreichenden Schutzes für das Opfer auch auf die unmittelbare Umgebung der Wohnung ausgedehnt werden. Welche Räumlichkeiten zur unmittelbaren Umgebung zählen, ist von den örtlichen Verhältnissen (z.B. dichte oder weitläufige Bebauung) abhängig. Wesentliches Kriterium ist das Erfordernis eines wirkungsvollen Schutzes der gefährdeten Person vor erneuter Gewaltanwendung (vgl. Absatz 1 Satz 3).

Da der Begriff der Wohnung im Sinne des NW nicht nur Wohn- und Nebenräume, sondern auch Arbeits-, Betriebs- und Geschäftsräume sowie anderes befriedetes Besitztum umfasst (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 2 NW), räumt Absatz 1 Satz 2 der Polizei die Möglichkeit ein, die Maßnahmen nach Absatz 1 auf Wohn- und Nebenräume zu beschränken. Eine solche Beschränkung kann mit Blick auf die Grundrechte der betroffenen Person nach Art. 12 GG (Berufsfreiheit) und Art. 14 GG (Eigentum) insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die betroffene Person in ihrer Wohnung oder in deren näherer Umgebung ihrem Beruf nachgeht und die Anwesenheit der betroffenen Person im Betrieb für dessen Erhalt oder den Erhalt wichtiger Produktionsmittel zur Sicherung der wirtschaftlichen Existenzgrundlage (auch im Interesse der gefährdeten Person) unerlässlich ist (z.B. landwirtschaftlicher Familienbetrieb). Das setzt allerdings voraus, dass die örtlichen Verhältnisse so beschaffen sind, dass der Schutz der gefährdeten Person auch durch eine auf den reinen Wohnbereich beschränkte Verweisung der betroffenen Person gewährleistet ist.

Darüber hinaus erstrecken sich Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot nicht zwingend auch auf die unmittelbare Umgebung der Wohnung, sondern können in Fallkonstellationen wie der eben geschilderten auch auf die Wohnung beschränkt werden, sofern der Schutz der gefährdeten Person nach wie vor gewährleistet ist (das Bindewort sowie in Absatz 1 Satz 1 ist sowohl kumulativ als auch alternativ zu verstehen).

Die Polizei hat der betroffenen Person den Umgebungsbereich einer Wohnungsverweisung bzw. eines Rückkehrverbotes genau zu verdeutlichen (Absatz 1 Satz 3), um dem Bestimmtheitserfordernis nach § 37 Abs. 1 NRW Genüge zu tun.

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Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot können als Verwaltungsakte in Gegenwart der betroffenen Person mündlich angeordnet werden (§ 37 Abs. 2 Satz 1 NRW.); die Maßnahmen sind schriftlich zu bestätigen und zu begründen, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht (etwa wegen der Absicht der betroffenen Person, Widerspruch und Klage zu erheben bzw. einstweiligen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht zu erwirken) und die betroffene Person dies unverzüglich verlangt (§ 37 Abs. 2 Satz 2, § 39 NRW). Einer Anordnung der sofortigen Vollziehung der Maßnahmen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 bedarf es nicht, da es sich um unaufschiebbare Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 handelt und die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage bereits nach dieser Vorschrift entfällt. Die Maßnahmen können mit Verwaltungszwang nach den § § 50 ff. NW durchgesetzt werden, wobei insbesondere die Androhung eines Zwangsgeldes nach den § § 53, 56

NW für den Fall einer Nichtbeachtung des Rückkehrverbotes sowie unmittelbarer Zwang nach den § § 55, 57 ff. NW in Betracht kommen. Darüber hinaus kann die Polizei die betroffene Person zur Durchsetzung der Maßnahmen in Gewahrsam (§ § 35 ff. NW) nehmen (vgl. unten zu Nr. 6).

Zur Durchsetzung der Wohnungsverweisung und des Rückkehrverbotes kann die Polizei weitere Maßnahmen ergreifen bzw. veranlassen (etwa Sicherstellung von Hausund Wohnungsschlüsseln, Wechsel des Türschlosses bzw. Schlüsselzylinders). Nähere Einzelheiten hierzu sollen durch untergesetzliche Vorschriften geregelt werden.

Durch die Verpflichtung der Polizei in Absatz 2, der betroffenen Person bei oder (in Ausnahmefällen) auch noch nach der Wohnungsverweisung Gelegenheit zur Mitnahme dringend benötigter Gegenstände des persönlichen Bedarfs (z.B. Kleidungsstücke, Hygieneartikel, Papiere) zu geben, soll dem mit der befristeten Wohnungsverweisung verbundenen Eingriff in das Grundrecht der betroffenen Person aus Art. 14 GG ein Teil seiner Härte genommen werden. Allerdings ist auch hierbei der Schutz des Opfers vor erneuter Gewaltanwendung zu berücksichtigen, indem die Polizei darauf hinwirkt, dass die betroffene Person nach Möglichkeit bereits bei der Wohnungsverweisung alle dringend benötigten Gegenstände des persönlichen Bedarfs mitnimmt. Falls die betroffene Person nach der Wohnungsverweisung glaubhaft darlegt, weitere noch in der Wohnung befindliche Gegenstände im Sinne des Absatzes 2 Satz 2 dringend zu benötigen, darf sie die Wohnung zu diesem Zweck nur in Begleitung der Polizei aufsuchen; die gefährdete Person ist von der Polizei nach Möglichkeit zuvor zu benachrichtigen. Der gefährdeten Person ist von der Polizei zuvor Gelegenheit zu geben, die Gegenstände - etwa über Dritte - herauszugeben, damit eine erneute Kontaktaufnahme mit der betroffenen Person möglichst vermieden werden kann. Näheres soll in untergesetzlichen Vorschriften geregelt werden.

Die in Absatz 3 normierte Verpflichtung der Polizei, die betroffene Person zur Angabe einer Anschrift oder einer zustellungsbevollmächtigten Person zum Zwecke von Zustellungen behördlicher oder gerichtlicher Entscheidungen im Zusammenhang mit den Maßnahmen nach Absatz 1 oder dem Erwirken zivilrechtlichen Schutzes aufzufordern, soll im Interesse des Opferschutzes insbesondere sicherstellen, dass die betroffene Person ohne die Notwendigkeit einer erneuten Kontaktaufnahme mit der gefährdeten Person umgehend von allen behördlichen und gerichtlichen Entscheidungen Kenntnis erhält, Ladungen etc. ohne zeitliche Verzögerung zugestellt werden

Landtag Nordrhein-Westfalen - 13. Wahlperiode Drucksache 13/1525 können und gerichtlicher Schutz vor erneuter Gewalt schnellstmöglich erreicht werden kann. Daneben ist durch diese Regelung aber auch gewährleistet, dass die betroffene Person, sobald nach polizeilicher oder gerichtlicher Einschätzung eine Gefahr künftiger Gewaltanwendung nicht mehr besteht, umgehend über die von der Polizei oder dem Gericht verfügte Aufhebung der Maßnahmen informiert wird. Es empfiehlt sich, die betroffene Person aufzufordern, eine Adresse auch für die Zustellung ihrer sonstigen Post (z. B. Privatbriefe) anzugeben, um einen weiteren möglichen Vorwand der betroffenen Person für eine erneute Kontaktaufnahme mit der gefährdeten Person auszuschließen.

Mit der in Absatz 4 geregelten Verpflichtung der Polizei, die gefährdete Person auf die Möglichkeit einer Beantragung zivilrechtlichen Schutzes und die Möglichkeit einer Unterstützung durch geeignete Beratungsstellen hinzuweisen, soll erreicht werden, dass die Gefahr künftiger Gewaltanwendung dauerhaft beseitigt wird. Die grundsätzlich zehntägige Wohnungsverweisung der betroffenen Person durch die Polizei nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 5 Satz 1 stellt dafür eine notwendige, aber nicht ausreichende Voraussetzung dar. In vielen Fällen wird die Gewaltbeziehung nur im Rahmen eines längerfristigen mehrmonatigen Betretungsverbots, das nur im Wege des zivilrechtlichen Schutzes verhängt werden kann, dauerhaft beendet werden können, entweder dadurch, dass sich die betroffene Person im Laufe dieses längeren Zeitraums einsichtig zeigt und ihr Fehlverhalten - ggf. mit therapeutischer Hilfe - abstellt, oder dass sich die gefährdete Person zur endgültigen Trennung oder Scheidung von der betroffenen Person entschließt und die hierzu erforderlichen Schritte in die Wege leitet, ohne erneute Gewalttätigkeiten befürchten zu müssen. In jedem Fall ist die Beendigung der Gewaltbeziehung ein längerer Prozess. Insbesondere bedürfen die Opfer, die typischerweise in die vielfach über lange Zeit gewachsene Gewaltbeziehung verstrickt und der betroffenen Person in ambivalenter Haltung verbunden sind, der Stärkung und Beratung. Es macht Sinn, dass sie über die bestehenden Hilfs- und Unterstützungsmöglichkeiten öffentlicher und nichtöffentlicher Institutionen möglichst schon in dem Moment der Krise, in dem eine besondere Offenheit erwartet werden kann, informiert werden.

Der Begriff geeignete Beratungsstellen ist vor diesem Hintergrund bewusst weit gefasst; er umfasst sowohl die Möglichkeit, anwaltliehe Hilfe zur Beantragung zivilrechtlichen Rechtsschutzes als auch das Beratungsangebot öffentlicher und nichtöffentlicher Stellen in Anspruch zu nehmen, deren spezielle Aufgabe es ist, Opfern häuslicher Gewalt in Form einer intervenierenden Sozialarbeit unterstützend zur Seite zu stehen und gemeinsam mit ihnen Lösungen zu finden, um die persönliche Situation zu verbessern und die Gewaltbeziehung zu beenden.

In Österreich wurden zu diesem Zweck besondere (nichtstaatliche) Interventionsstellen eingerichtet, denen - auch ohne ausdrücklichen Wunsch des Gewaltopfers - die polizeiliche Einsatzdokumentation übermittelt wird und die daraufhin von sich aus Kontakt mit dem (auf Grund des Verharrens in einer oft seit Monaten oder gar Jahren von Gewalt geprägten Beziehung traumatisierten) Opfer aufnehmen, um es zur Beantragung zivilrechtlichen Schutzes zu ermutigen (sog. pro-aktiver Ansatz).