Wir erleben zurzeit dass ein Einstellungserlass den anderen jagt

Diese Problematik ist nicht über Nacht entstanden, sondern schon seit Jahren zu erkennen. Ich frage mich, ob das nicht auch damit zusammenhängt, dass der Lehrerberuf in den letzten Jahren, vielleicht sogar in den letzten zwei Jahrzehnten, eine systematische Entwertung erfahren hat. Das beginnt schon mit den gesunkenen Realeinkommen. Darüber hinaus ist die Arbeitsbelastung massiv gestiegen; das müssen wir deutlich erkennen. Es gibt auch Berufe ohne Nachwuchssorgen. Der Lehrerberuf scheint nicht mehr dazuzugehören. Ein ehemals halbwegs attraktiver Beruf ist entwertet worden. Diese Situation kann man meiner Meinung nach nicht kurzfristig ändern, sondern nur langfristig.

Wir erleben zurzeit, dass ein Einstellungserlass den anderen jagt. Die Einstellungsanforderungen werden von Erlass zu Erlass gesenkt. Daher dürfen wir uns nicht wundern, wenn die Qualität des Unterrichts bei den einzustellenden Personen leiden wird. Dieses Vorgehen widerspricht allen Qualitätsvorgaben, die wir in den letzten Jahren immer wieder hören.

Einen kleinen Hoffnungsschimmer mag es geben. So traurig es auch klingt, dürfte die Krise des Arbeitsmarkts dazu führen, dass die Lehrerzimmer sich wieder füllen.

Das ist aber nicht auf eine besonnene Lehrerausbildungspolitik zurückzuführen, sondern auf die Wirtschaftssystemkrise.

Konrad Großmann (Rheinische Direktorenvereinigung): Zunächst will ich Ihnen ein Kompliment machen. Sie haben ganz konkrete Fragen gestellt, die sehr interessant sind und die Probleme auf den Kopf treffen. ­ Ein Zurückschauen unter dem Aspekt der Fragestellung, woran es liegt, dass wir in einer solchen Situation sind, hilft nicht. Man sollte allerhöchstens gucken, wie man aus den Dingen, die in der Vergangenheit nicht so gut oder sogar falsch gelaufen sind, die richtigen Schlüsse für die Zukunft ziehen kann.

Frau Schäfer, ich darf Ihre Fragen als Einstieg nehmen, um dann genau wie Herr Klinger ganz sauber zu trennen. In meiner Stellenberechnung bin ich jetzt bei einer Besetzung von 103 % angekommen. Rein rechnerisch stehen mir bei der Größe meiner Schule damit 43 volle Stellen zur Verfügung. Wenn die Bezirksregierung mir sagt: „Um diese 43 Stellen zu besetzen, dürfen Sie jetzt drei Stellen ausschreiben, weil durch Pensionierungen usw. einige Lehrerinnen und Lehrer weggefallen sind", kann ich das tun.

Herr Kaiser, in Bezug auf Ihre Frage bestätige ich das von Herrn Dr. Maerz Gesagte.

Mir ist nicht bekannt, dass eine Stelle aus haushaltsrechtlichen Gründen nicht besetzt werden konnte. Im Gegenteil: Die Bezirksregierung Düsseldorf arbeitet hier reibungslos. Die Zusammenarbeit ist insofern perfekt geworden. Wenn wir Lehrer brauchen, bekommen wir den entsprechenden Hinweis. Man ist auch in allen Bereichen bemüht, uns die geeigneten Lehrkräfte zur Verfügung zu stellen, und schaut immer wieder im Computer nach, wer überhaupt auf dem Markt ist.

Ich habe also die Möglichkeit, drei Lehrer einzustellen. Wenn ich jetzt Lehrer mit Fächern wie Deutsch, Geschichte und Erdkunde einstellen würde, hätte ich auch kein Problem. Über diese Fächer könnte ich meine 43 Stellen sofort besetzen. In der Ver gangenheit habe ich das nicht getan, weil ich Lehrer mit den Fächern Mathematik, Physik und Latein brauche. Früher bekam ich auch diese Lehrer noch. Damit war das Problem gelöst. Jetzt bekomme ich diese Lehrer nicht mehr. Ich habe zwar die Stellen, kann sie aber nicht besetzen, weil die entsprechenden Fachkräfte nicht vorhanden sind.

Um langfristig nach Möglichkeit Unterrichtsausfall zu vermeiden und den Druck der Eltern in irgendeiner Weise abzufedern, gehen mittlerweile immer mehr Schulen dazu über, zu sagen: Meine Priorität liegt zwar beim Fachbereich Physik. Solche Lehrer bekomme ich aber nicht. Daher stelle ich einen Biologen ein, auch wenn ich ihn eigentlich nicht brauche. Der Biologe könnte aber vielleicht ein affines Fach unterrichten; ich kann versuchen, ihn mir aufzubauen, damit er den Physikunterricht übernimmt. ­ Man arbeitet also mit Notlösungen. Unter dem Strich führt das dazu, dass die vorhandenen Stellen vielleicht auch besetzt sind. Sie sind aber nicht mit den Lehrkräften besetzt, die man von der Unterrichtsverteilung her wirklich benötigt. Das ist ein Problem.

Die Anstrengungen der Landesregierung sind ­ so haben wir das empfunden ­ insgesamt gesehen eindeutig zu bemerken. Die Stellen werden zur Verfügung gestellt.

Das bestehende Problem ist von uns als Lehrern und Schulleitern aber nicht zu meistern. Nach meinem Eindruck ist es auch von der Politik nicht zu meistern; denn wir schieben eine Lücke vor uns her. Wir müssen uns darauf einstellen, dass wir in drei oder vier Jahren vor dieser Lücke stehen. Daher müssen wir uns die Frage stellen, was wir tun können, um nach Möglichkeit zu verhindern, dass die Problematik noch schwieriger wird. In diesem Zusammenhang müssen wir darüber nachdenken, ob wir auch alle zur Verfügung stehenden Kapazitäten ausschöpfen.

Frau Beer, Sie haben gefragt, was man am Einstellungsverfahren konkret ändern kann. Insgesamt begrüßen die Kolleginnen und Kollegen in Nordrhein-Westfalen das schulscharfe Einstellungsverfahren schon ­ mit kleinen Ausnahmen. Diejenigen, die in der Regel keine Probleme mit der Lehrerbesetzung haben ­ wie ich hier in der Landeshauptstadt ­, finden es klasse. Bei der Attraktivität der Städte Düsseldorf, Köln, Bonn, Münster usw. bekommen sie ja auch ihre Lehrer ­ bis auf die von mir gerade geschilderten Ausnahmen. Die Kolleginnen und Kollegen, deren Schulen in der Peripherie liegen, bewerten das schulscharfe Einstellungsverfahren dagegen etwas anders; denn sie bekommen die Lehrer nicht. Daher sollte man einmal darüber nachdenken, zumindest einen Teil der Stellen wieder in einer Art Listenverfahren zu besetzen. Aber bitte nicht alle im Listenverfahren! Das wäre grottenschlecht. An sich ist das schulscharfe Einstellungsverfahren super.

Herr Kaiser, die beiden Einstellungstermine zum 1. Februar und zum 1. August sind in Ordnung. Bitte nicht mehr! Diese Einstellungstermine sind gut. Damit kommen wir hervorragend aus.

Man sollte schauen, wie man erreichen kann, dass auch die Schulen in den Gegenden, in die die Bewerber, aus welchen Gründen auch immer, nicht ohne Weiteres gehen, im Sinne einer Chancengleichheit für unsere Schülerinnen und Schüler ­ dazu sind wir ja verpflichtet ­ die entsprechenden Lehrer bekommen. Was könnte man also tun? Beispielsweise sollte man darüber nachdenken, einem Kollegen zu sagen: Wenn du jetzt in die Peripherie XY gehst, obwohl du eigentlich gar nicht dorthin möchtest, bekommst du eine Art Bonus. Auf diese Art und Weise können wir dir garantieren, dass du nicht dein Leben lang an diesem Ort bleibst. Wenn du drei Jahre dort gewesen bist ­ welche Zeit man hier wählt, ist mir egal; es ist nicht meine Aufgabe, das festzulegen ­, hast du dadurch so viele Punkte erworben, dass deine Chance, an deinen ursprünglichen Wunschort versetzt zu werden, optimal ist. ­ Man sollte also ein Anreizsystem schaffen; denn wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer in andere Bundesländer abwandern.

Herr Dr. Hachen, Sie haben eine Frage zur Verbeamtungsgrenze gestellt. Ein Maßstab könnte zum Beispiel sein, zu verhindern, dass die Kolleginnen und Kollegen im südlichen Teil unseres Bundeslandes verstärkt nach Rheinland-Pfalz und Hessen wechseln und die Kolleginnen und Kollegen im Norden nach Niedersachsen gehen.

Dass wir Lehrerinnen und Lehrer nur bis zu einem Alter von 35 Jahren verbeamten, während andere Bundesländer diese Grenze teilweise bei mehr als 50 Jahren ansetzen, führt möglicherweise in der Tat zu einer Abwanderung aus Nordrhein-Westfalen.

So etwas können wir uns überhaupt nicht erlauben.

Bei dieser Problematik muss die Landesregierung meines Erachtens stärker steuernd eingreifen und Lehrer zuweisen. Die Randgebiete, die unter dem extremen Fachlehrermangel leiden, können das Ganze nicht selbst handeln. Das schaffen sie nicht. Wie ein solches Eingreifen aussehen kann und wie das Belohnungssystem gestaltet werden kann, müssen Sie sich überlegen; das ist Ihre Aufgabe. In dieser Richtung muss aber sicherlich etwas geschehen.

Frau Hendricks, Sie haben die Laufbahnwechsler angesprochen, die beispielsweise von den Haupt- und Realschulen zu den Gymnasien gehen. Diese Möglichkeit nutze ich auch. Zum Beispiel versuche ich, sehr gute Lehrerinnen und Lehrer von angrenzenden Gesamtschulen zu bekommen, die schon immer versucht haben, zum Gymnasium zu wechseln. Wenn ich ihnen dann eine Beförderungsstelle anbieten kann, klappt das nach meinen Erfahrungen auch. Die Gesamtschulen machen das Ganze so lange mit, wie sie damit nur Überhänge abbauen. Allerdings sehen sie es auch nicht gerne, wenn ihre besten Leute zur Schulform Gymnasium wechseln. Das verstehe ich voll und ganz. Umgekehrt hätte ich als Schulleiter auch Riesenprobleme damit. So aber nutze ich das aus und baue auf der anderen Seite in den Gesamtschulen vielleicht einen Überhang ab. Allerdings könnte es in der Tat auch sein, dass ich dort Löcher reiße. Diese Erfahrung habe ich aber noch nicht gemacht, weil sich die Gesamtschulleiterinnen oder Gesamtschulleiter in diesem Fall gegen eine Versetzung aussprechen würden. In der Regel wird der Versetzung zu meiner Schulform dann nicht stattgegeben.

Das Ganze ist aber natürlich ein Problem. Wir dürfen nicht dahin kommen, dass die Schulformen sich untereinander die knapper werdenden qualifizierten Lehrkräfte abwerben. Das fände ich fatal. Auch die Hauptschulen, die Realschulen und die Gesamtschulen brauchen ihre qualifizierten Lehrkräfte. Der Versuch, dort bestimmte Damen und Herren abzuwerben, wäre nicht der richtige Weg.