Forschung

Kapitel 5

Regionale Häufungen? - Beispiele kleinräumiger Analysen im Regierungsbezirk Münster

Der Verdacht, dass es in bestimmten Regionen zu einer Häufung von Krebserkrankungen kommt, gibt immer wieder Anlass zu intensiven Diskussionen in Öffentlichkeit und Politik. Den Hintergrund bilden dabei vor allem Befürchtungen, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen gegenüber vermutlich krebsauslösenden Faktoren aus Umwelt und Industrie besonders exponiert sind. In der Folge werden höhere Neuerkrankungsraten und eine höhere Sterblichkeit an Krebs als in anderen Regionen erwartet. Epidemiologische Krebsregister spielen in dieser Diskussion eine einzigartige Rolle, die sowohl aus der Beschreibung wie auch aus der Bewertung von regionalen Unterschieden in der Häufigkeit neu auftretender Krebserkrankungen resultiert. Sie alleine sind wegen ihres Bevölkerungsbezuges und der Vollständigkeit der Erfassung in der Lage, vermutete regionale Unterschiede auf der Basis objektiver und gut vergleichbarer Daten zu bestätigen oder zu widerlegen. Die letztendliche Sicherung der Auswertungsergebnisse und vor allem der Ursachen erfordert dann oftmals weitere, differenzierende epidemiologische Untersuchungen, die ebenfalls einen wichtigen Teil der Arbeit des Registers ausmachen. Sie erfolgen in der Regel in enger Kooperation mit Epidemiologischen Instituten an Universitäten und Forschungszentren. Wird der Verdacht auf das Vorliegen einer lokalen Krebshäufung (ein so genanntes Cluster) geäußert und eine Anfrage an ein Epidemiologisches Krebsregister herangetragen, erfolgt zunächst ein dreistufiger Abklarungsprozess.

Was ist eine „regionale Häufung"? Häufig werden Anfragen dadurch ausgelöst, dass hohe Raten für Krebserkrankungen im Rahmen von regionalisierten statistischen Routineauswertungen publiziert werden. In NRW zählen dazu vor allem das Statistische Jahrbuch, veröffentlicht vom Landesamt für Datenverarbeitung und Statistik, sowie die Publikationen im Rahmen der allgemeinen Gesundheitsberichterstattung („Warum hat die Stadt XY die höchste Sterberate an Krebs in NRW?"). In diesen Berichten wird die Bevölkerung in rein administrativ definierte Verwaltungsregionen eingeteilt. Diese berücksichtigen in der Regel nicht die Verteilung potenziell ursächlicher Faktoren, wie z. B. geographische Gegebenheiten, industrielle oder natürliche Expositionen und soziale Differenzierungen. Die regionale Auftrennung der Bevölkerung auf dieser Basis ist deshalb a priori wenig geeignet, Cluster von Krebserkrankten zu identifizieren. Hierzu bedarf es im Allgemeinen genauerer und differenzierterer Einteilungen.

D e s Weiteren ist zu beachten, dass das Auftreten einer Krebserkrankung in derAllgemeinbevölkerung ein relativ seltenes Ereignis ist. So erkranken im Regierungsbezirk Münster jährlich etwa vier von 1000 Personen neu an irgendeiner Form von Krebs. Für spezielle Krebsarten, die bei einer vermuteten Umweitbelastung besonders im Vordergrund stehen, wie 2.13. die Leukämien, ist die Wahrscheinlichkeit zu erkranken noch deutlich geringer. Diese Tatsache muss man berücksichtigen, wenn man Häufungen in sehr kleinen Regionen mit einer entsprechend geringen Bevölkerungszahl untersuchen möchte. Es besteht dann ein gewisser Spielraum für rein zufallsbedingte Schwankungen der Erkrankungsraten. I n der Konsequenz müssen deshalb für regionalisierte Registerauswertungen stets die Erkrankungsraten mehrerer - und nicht nur eines einzigen - Jahres betrachtet werden, und die untersuchte Region sollte von der Bevölkerungszahl her nicht zu klein sein. Hier besteht in der ersten Stufe die Aufgabe des Registers und der anfragenden Stellen darin, die Belastungsregionen entsprechend den vermuteten Expositionsquellen zu definieren und gleichzeitig die Anforderung zu überprüfen, ob eine Population ausreichender Größe für die statistischen Analysen verfügbar ist.

0 Wie ist die vermutete krebsauslösende Exposition definiert?

Krebserkrankungen entstehen langsam und im Allgemeinen über einen längeren Zeitraum, zum Teil sogar über Jahre. Damit können vom Beginn der ersten bösartigen Veränderungen im Körper bis zum Auftreten der ersten Symptome und dem Ausbruch der klinischen Krebserkrankung Jahre vergehen. Ein möglicher Auslöser der Krebserkrankung kann deshalb weit in der Vergangenheit liegen. Wohnortbezogene Analysen, wie sie durch ein Krebsregister möglich werden, müssen deshalb versuchen, die Dauer und Intensität der örtlichen Exposition möglichst genau zu erfassen. Individuelle berufsbedingte Belastungen lassen sich dagegen durch eine Regionalanalyse nicht entdecken, hier müssen so genannte Fall-Kontroll-Studien auf der Basis der im Register identifizierten Erkrankungsfälle durchgeführt werden.

0 Was ist eine „Erhöhung der Krebsrate"?

Bei den Planungen für regionalisierte Registerauswertungen müssen des Weiteren auch verschiedene medizinische Überlegungen vorangestellt werden, die bei der Identifizierung einer vermuteten erhöhten Krebsrate berücksichtigt werden müssen.

So findet sich unter dem Oberbegriff „KrebstseineVielzahl sehr verschiedener Krankheitsbilder, die sich sehr stark in der Lokalisation (2.B. Lunge, Prostata, Magen), der Beschaffenheit des Tumors (2.B. Karzinom, Sarkom, Lymphom) sowie dem Grad der Bösartigkeit unterscheiden. Bei dieser Vielzahl der biologischen Varianten muss deshalb von vielen Wegen der Verunachung von Krebs ausgegangen werden. Für die meisten der heute bekannten krebsauslösenden Substanzen (Kanzerogene) sind Wirkungen nur in Bezug auf jeweils spezifische Organe oder Organsysteme beschrieben. Erhöhungen der Erkrankungsraten sind deshalb vor allem dann verdächtig und ein Hinweis auf eine lokal oder regional gehäufte Exposition gegenüber einem potenziellen Kanzerogen, wenn sie bösartige Erkrankungen spezifischer Organe oder Organsysteme betreffen. Die Untersuchungen eines Epidemiologischen Krebsregisters versuchen deshalb, sich auf Erhöhungen der Erkrankungsratenspezifischer Krebsarten entsprechend der vermuteten Exposition zu konzentrieren. Diese sind von einer allgemeinen Erhöhung der Krebsraten zu unterscheiden, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer spezifischen umweltbedingten Verursachung als geringer zu betrachten ist. I m letzteren Fall kommen dann eher allgemein wirksame, wie z. B. soziale oder versorgungsspezifische Faktoren ursächlich in Frage.

Schließlich muss auch bedacht werden, dass Krebs primär eine Erkrankung des mittleren und hohen Lebensalters ist. Vermeintliche Erhöhungen der Anzahl von Krebskranken in Siedlungen oder Gemeindeteilen, die einen hohen Altersdurchschnitt aufweisen, sind deshalb erst nach entsprechender Betrachtung zu bewerten.

Auswertungen des Registers beruhen deshalb in der Regel immer auf den so genannten Altersstandardisierten Raten, die eine Verzerrung durch eine besonders ungünstige Altersstruktur beseitigen.

Beispiele für kleinräumige Analysen im Regierungsbezirk Münster

Die verbesserte wahrnehmung des Epidemiologischen Krebsregisters in der öffentlichkeit steigerte nicht nur die Meldevollzähligkeit sondern auch die Zahl spezifischer Anfragen aus allen Teilen der Gesellschaft. Diese Anfragen bezogen sich auf unterschiedlichste Gegenstände. Von öffentlichen Einrichtungen wurden beispielsweise häufig Daten erbeten, die für die Planungen im Gesundheitswesen oder für die verschiedenen Ebenen der Gesundheitsberichterstattung benötigt wurden. Diese Anfragen ließen sich meistens kurzfristig und mit verhältnismäßig geringem Aufwand beantworten. Einzelpersonen oder Bürgergruppen wendeten sich in der Regel wegen des Verdachts auf ein erhöhtes Erkrankungsgeschehen in ihrem unmittelbaren Wohn- oder Arbeitsumfeld an das Epidemiologische Krebsregister. Ein Teil dieser Anfragen konnte bereits auf der Ebene der oben beschriebenen dreistufigen Abklärung für die Anfragenden zufriedenstellend beantwortet werden.