Rainer Schmeltzer SPD Sie tun Ihre Pflicht und nicht mehr Ja ich tue meine Pflicht

(Beifall von der CDU ­ Lachen von der SPD

­ Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie schmücken sich mit Federn, die Ihnen gar nicht stehen, Herr Minister! Das ist der Punkt!)

­ Wissen Sie, Herr Schmeltzer... (Rainer Schmeltzer [SPD]: Seien Sie mit Ihrer CDA jetzt konsequent und unterstützen Sie den gesetzlichen Mindestlohn!)

­ Wissen Sie, Herr Schmeltzer... (Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie als Vorsitzender machen doch das Kreuz gegen Ihre eigene Organisation!)

­ Herr Schmeltzer, ein Landesminister, der in den letzten acht Wochen für über 200.000 Beschäftigte Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt (Rainer Schmeltzer [SPD]: Auf deren Antrag!) und den Prozess, dass man sich an einen Tisch gesetzt hat, eingeleitet hat, der braucht keine Belehrungen von Ihnen. Der braucht wirklich keine Belehrungen von Ihnen!

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Sie tun Ihre Pflicht und nicht mehr!)

­ Ja, ich tue meine Pflicht. Aber: Als ich ins Amt kam, war das Blatt „Allgemeinverbindlichkeiten" leer. Also hat wohl ­ um es mal so zu formulieren ­ jemand anders seine Pflicht nicht getan.

(Beifall von der CDU) Jetzt will ich Ihnen einen weiteren Punkt nennen:

Wir sollten ­ so unschön, wie es vielleicht sein mag ­ zur Kenntnis nehmen, dass auf dem Arbeitsmarkt ein Niedriglohnsektor existiert. Wir haben in Nordrhein-Westfalen Tarifverträge, die für Lagerarbeiter Stundenlöhne von 6,50 ausweisen. Wir müssen uns sehr viel Mühe geben, diesen Niedriglohnbereich in einer Ordnung zu halten. Wir brauchen ihn im Übrigen, damit nicht so qualifizierte Menschen überhaupt einen Zugang zum Arbeitsmarkt finden.

Eines sage ich allerdings auch ganz deutlich: Diese Landesregierung steht dafür, dass Arbeit ihre Würde hat. Und Arbeit hat nur dann ihre Würde, wenn man auch mit einer normalen Arbeit von seiner Arbeit leben kann.

(Beifall von der CDU) Deswegen hat in unserer Politik Lohndrückerei keinen Platz. Wir wollen nicht zu dem Mechanismus greifen, dass der Staat die Löhne festlegt; wir setzen vielmehr auf die Tarifvertragsparteien. Ich werde versuchen, diese Politik in den nächsten Wochen und Monaten in weiteren Bereichen durchzusetzen. Eines räume ich dabei ein: Das ist nicht einfach.

Ich greife als Beispiel das Frisörgewerbe in Nordrhein-Westfalen auf, in dem es seit mehreren Jahren keinen Tarifvertrag mehr gibt. Versuchen Sie einmal, die beiden Seiten an einen Tisch zu bringen, um über dieses Thema zu reden!

Manchmal wird die eine Seite unter Umständen auch fragen: Was soll das überhaupt? Warum brauchen wir überhaupt einen Tarifvertrag? ­ Ich bin der Meinung, dass wir auch in diesen Bereichen über die tariflichen Bedingungen reden müssen. Ich verstehe meine Arbeit so, dass es zu meiner Pflicht gehört, sehr auf die Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen in den Niedriglohnbereichen zu drängen. Was man allerdings letztendlich hinbekommt, hängt immer von zwei Seiten ab.

Ich glaube, dass ich damit eine reale Politik für kleine Leute mache. Denn beispielsweise kann die Frau in der Spülküche, die in Nordrhein Westfalen unter 900 verdient, ihre 900 jetzt einklagen. Das ist eine ganz praktische Politik, um zu fairen Bedingungen zu kommen.

Einen weiteren Punkt möchte ich ansprechen. ­ Gott sei Dank leben wir in einem Land mit Grundsicherung.

Ich glaube, dass der Staat immer dann verliert, wenn er glaubt, staatlich garantierte Löhne festlegen zu müssen. Wir müssen vielmehr darauf setzen, (Rainer Schmeltzer [SPD]: Wir sind hier nicht bei Glaubensfragen!) die Tarifautonomie zu wahren, und die Tarifvertragsparteien sind dafür da, Löhne festzusetzen ­ nicht der Staat. Der Staat wird sich an dieser Aufgabe am Ende verheben.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Da haben Sie noch viel Überzeugungsarbeit in der CDA zu leisten!)

Er wird sich am Ende auch deswegen verheben, weil ein einheitliches Mindestlohnsystem in Deutschland nicht funktionieren kann. Dafür sind die Unterschiede zu groß. (Karl-Heinz Haseloh [SPD]: Und warum macht es ganz Europa?)

­ Dazu sage ich Ihnen eines: Was ist denn der Unterschied zwischen dem Arbeitsmarkt in Deutschland und zum Beispiel dem in Frankreich oder England? ­ Deutschland hat einen Arbeitsmarkt... (Rainer Schmeltzer [SPD]: England hat einen Mindestlohn, sinkende Arbeitslosenzahlen und mehr Kaufkraft!)

­ Herr Schmeltzer, hören Sie mir doch einen Moment zu.

(Zuruf von der CDU: Kann er nicht!)

Wir haben in Deutschland wie in Nordrhein Westfalen durch die große gemeinsame Grenze mit den Niederlanden, mit Belgien und mit Frankreich einen westlich orientierten Arbeitsmarkt.

Diese Grenze bedingt aber keinen großen Lohnunterschied in den einzelnen Ländern.

Das gleiche Deutschland hat aber auch eine gemeinsame Grenze mit Polen; das ist nicht das nordrhein-westfälische Problem. Zwischen Polen und Deutschland ­ also vor und hinter der Grenze

­ gibt es den höchsten Lohnunterschied auf der ganzen Erde.

(Barbara Steffens [GRÜNE]: Ja und?)

Das macht unseren Arbeitsmarkt nun einmal anders als den Arbeitsmarkt von Frankreich oder England. Dort gibt es eine solche Grenze nicht.

Die Wahrheit ist doch, dass heute schon beispielsweise in Berlin, 80 km von der polnischen Grenze entfernt, keine Wäsche mehr gewaschen wird. Sie wird nachts nach Polen gefahren und am nächsten Morgen gereinigt wiedergebracht. Die europäischen Gesetze von Freizügigkeit erlauben es uns gar nicht, das zu verhindern.

Denn Europa bedeutet Freizügigkeit. Europa bedeutet, dass wir ab 2011 einen freizügigen Arbeitsmarkt haben. 2009 läuft der Vertrag aus; die Bundesregierung kann noch einmal bis 2011 verlängern.

Das sind doch ganz andere Situationen als beispielsweise in England oder Frankreich. Sie werden 100 oder 150 km von der polnischen Grenze entfernt keine Spedition mehr mit Mindestlöhnen, von denen der eine oder andere hier schwadroniert, finden. Das ist leider die Wahrheit!

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist nicht die Wahrheit!)

­ Das ist sehr wohl die Wahrheit!

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist Ihre Wahrnehmung!)

­ Herr Schmeltzer, Sie wissen ganz genau, dass die SPD bis heute keine Summe beim Mindestlohn nennt. Sie sagen nur, dass wir einen brauchen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Lesen Sie die Texte ganz! Dann wissen Sie, warum! Das sind Halbwahrheiten!)

Wir müssen ­ und da müssten wir uns einig sein ­ die Entwicklung hin zu Lohndrückerei und sittenwidrigen Löhnen gemeinsam bekämpfen. Denn es geht um die Würde von Arbeit. Deswegen aus meiner Sicht die Allgemeinverbindlichkeit und die Bekämpfung von sittenwidrigen Löhnen, die wir regional ermitteln müssen.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: 30 % unter Tarif!)

­ Nein, das muss nicht „30 % unter Tarif" sein.

Das kann man gesetzlich auch anders definieren.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist doch definiert!) Aber dass die Lohnuntergrenze in Düsseldorf anders sein muss als in Höxter und in Höxter eine andere als in Eichsfeld, sollten Sie einfach einmal zur Kenntnis nehmen.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Minister, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Sie wissen das.

Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales: Ich mache jetzt auch Schluss. ­ Herr Schmeltzer, ich will mich bei Ihnen ganz herzlich für Ihren Antrag bedanken.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist doch schon etwas! ­ Norbert Killewald [SPD]: Das hört sich ganz anders an!)

Eine bessere Zeit für eine arbeitsmarktpolitische Debatte gibt es nicht. Man hat mich gestern Abend schon danach gefragt, was ich Ihnen dafür gezahlt hätte, dass Sie diese Debatte angezettelt haben. Ich darf mich bei Ihnen noch einmal herz lich für diese Debatte bedanken, weil Sie mir die Möglichkeit gab, die äußerst erfolgreiche Arbeitsmarktpolitik der Landesregierung von Nordrhein Westfalen darzustellen. ­ Schönen Dank.

(Beifall von CDU und FDP ­ Rainer Schmeltzer [SPD]: Es wäre schön gewesen, wenn Sie auch noch zum Antrag gesprochen hätten!) Vizepräsident Oliver Keymis: Vielen Dank, Herr Minister Laumann. ­ Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Garbrecht das Wort.

Günter Garbrecht (SPD): Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Man könnte viel sagen, und der Minister hat ja auch seine Redezeit ein wenig überzogen. Dennoch ist mein Zeitkontingent eingeschränkt.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Entschuldigung!) Herr Minister, gehen Sie davon aus, dass wir die Vereinbarung aus Berlin kennen und der Kombilohn in Nordrhein-Westfalen natürlich nicht 1:1 umgesetzt wird, sondern um notwendige und wichtige Qualifizierungsbausteine ergänzt worden ist. Sie erwecken hier den Eindruck, als hätten Sie sich an dieser Stelle durchgesetzt. Es handelt sich dabei aber um eine gemeinsame Arbeit.

(Rainer Schmeltzer [SPD]: Das ist die Wahrheit!)

Wir unterstützen Sie in der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen. Das Regularium hat der Kollege Schmeltzer aufgezeigt. Dringenden Handlungsbedarf gibt es aber nicht nur an der polnischen Grenze, sondern auch in Nordrhein Westfalen selber. Schauen Sie sich einmal an, was in Ostwestfalen in der Fleischindustrie gezahlt wird. Lesen Sie die Zeitung von heute: Bei Westfleisch werden Stundenlöhne von 3,53 bezahlt. ­ Und Sie behaupten, in dieser Frage gäbe es für eine nordrhein-westfälische Landesregierung keinen Handlungsbedarf. In dieser Branche aber existiert keine Allgemeinverbindlichkeitserklärung wie in anderen. Sie machen sich insofern leicht aus dem Staub.

(Beifall von SPD und GRÜNEN)

Es gibt einen Grund, sich zu freuen. Darin stimmen wir mit Ihnen überein. Die robuste Konjunktur schlägt auf den Arbeitsmarkt durch. Wir freuen uns, dass bundesweit die Grenze von 4 Millionen Arbeitslosen und in Nordrhein-Westfalen von 900.000 Arbeitslosen unterschritten ist.

Frau Schönefeld kommentiert das so: Von einer echten Trendwende sind wir natürlich noch weit entfernt. Sie sagt aber auch: Die Arbeitsmarktreform und die Konjunktur werden auch in den kommenden Monaten für weitere Verbesserungen sorgen.

Jetzt zitiere ich Ihre eigene Erklärung. Sie haben anerkennend konstatiert, dass nicht die nordrheinwestfälische Landesregierung für diesen Erfolg verantwortlich ist, sondern sich diesen Erfolg die nordrhein-westfälischen Tarifparteien aufgrund moderater Lohnabschlüsse und die Politik, die die Reformen auf dem Arbeitsmarkt vorangetrieben hat, ans Revers stecken können. Das ist Ihre Aussage, die ich hier noch einmal zitiere.

Das ist wohl wahr, Herr Minister. Aber vor noch nicht allzu langer Zeit klang das noch völlig anders. Damals haben Sie den Zusammenhang mit Arbeitsmarktreformen vehement bestritten und Häme über all diejenigen ausgeschüttet, die diesen Zusammenhang genannt haben. Mit Gelächter haben Sie das quittiert. Ihre Forderung war eine Generalrevision. Und heute sonnen Sie sich mit dieser Begründung in den Arbeitsmarktzahlen.

Ich will Ihnen Ihr Eigenlob nicht streitig machen.

Sie haben Ihren Anteil am Erfolg der Arbeitsmarktreform in Ihrer früheren Funktion erworben.

Die nordrhein-westfälische Landesregierung aber hat keinen Beitrag zum Gelingen der Arbeitsmarktreform geleistet, sondern hat immer nur quergeschossen.

(Beifall von der SPD)

In einem Punkt sind wir uns einig: Wir brauchen in der Arbeitsmarktpolitik eine ständige Weiterentwicklung, die aber nicht hektisch erfolgen darf, sondern auf unseren Erfahrungen in Nordrhein Westfalen und anderen Bundesländern sowie europäischen Ländern aufbauen muss. Wir brauchen den Mut, neue Wege zu gehen. Diese neuen Wege müssen wir regional erproben, bevor wir sie in einen endgültigen Gesetzesrahmen gießen.

An dieser Gelassenheit hat es in der Vergangenheit gemangelt. Wir bringen jetzt zwei Vorschläge ein.

Vizepräsident Oliver Keymis: Herr Garbrecht, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Dr. Romberg?

Günter Garbrecht (SPD): Bitte, gerne.

Vizepräsident Oliver Keymis: Bitte sehr, Herr Romberg.