Reiner Limbach Landkreistag NRW Ich möchte gerne auf die Frage von Herrn Ünal zurückkommen

Beteiligten ein Konsens hergestellt werden, mit dem die vorhanden Strukturen optimal gebündelt und ergänzende Maßnahmen ­ von mir aus auch im Rahmen der Integrationszentren ­ für alle nutzbar gemacht werden.

Reiner Limbach (Landkreistag NRW): Ich möchte gerne auf die Frage von Herrn Ünal zurückkommen. Wir wollen nicht hoffen, dass es Stellen im Land gibt ­ möglicherweise Kommunen mit Haushaltssicherungskonzept ­, die angesichts der kommunalen Integrationszentren sagen, damit sei dieses Feld abgedeckt und alle weiteren Aktivitäten seien automatisch freiwilliger Natur, weswegen sie eingestellt werden könnten. ­ Das wäre völlig kontraproduktiv.

Mindestens bis zum Beweis des Gegenteils sind wir hoffnungsfroh, dass weder Bezirksregierung noch Ministerium für Inneres und Kommunales diesen Weg gehen werden. Wir glauben das auch deshalb nicht, weil klar ist ­ ich wiederhole mich an dieser Stelle ­, dass dies nur ein Modul der Integrationsförderung ist. Aus dem Nebeneinander kommunaler Eigenbeiträge, der landesfinanzierten Struktur der kommunalen Integrationszentren sowie ­ laut Presserklärung des MAIS vom 27. Oktober ­ den beibehaltenen KOMM-IN-NRW-Mitteln wird sich ein Gesamtpaket ergeben, angesichts dessen man das mit dem Hinweis auf reine Freiwilligkeit oder Luxusstruktur nicht wird aufgeben können.

Mit der Frage von Herrn Preuß nach anonymen Bewerbungen können wir ad hoc nichts anfangen.

Vorsitzender Günter Garbrecht: Das kann möglicherweise in eine dritte Fragerunde einfließen.

Antonios Beys-Kamnarokos (Bundesarbeits-Gemeinschaft der ImmigrantenVerbände in Deutschland e. V.): Ich möchte die Frage nach der Einbindung der Migrantenselbstorganisationen in demokratische Strukturen und Prozesse beantworten. Unsere Teilorganisationen legen großen Wert darauf, dass hier Migranten- und Integrationspolitik betrieben wird. Wir bezeichnen uns als Verfassungspatrioten. Wir weigern uns, solche Organisationen aufzunehmen, die hier als verlängerte Arme der Politik der Regierungen in Herkunftsländern fungieren. Wir haben diese Erfahrung gemacht und sind zu dem Schluss gekommen, dass dies hinderlich für Integration ist.

Ansonsten stellen wir fest, dass in dem Gesetzentwurf zwar sehr viele Lobesworte über die Migrantenselbstorganisationen zu finden sind und sie unbedingt eingebunden werden sollen. Allerdings haben wir uns selbst die Frage gestellt und konnten sie nicht beantworten, wo die Migrantenselbstorganisationen in diesem Gesetzentwurf überhaupt stattfinden, ob es sie überhaupt gibt. Wir haben nur feststellen können, dass irgendwo die Rede davon ist, dass die Ausländersozialberatung, wie sie früher von Caritas, Diakonischem Werk und Arbeiterwohlfahrt geleistet worden ist, ersetzt werden soll. Wir haben das Gefühl, dass hier so etwas wie eine Neuauflage dieser alten, überholten Struktur versucht werden soll, jetzt allerdings unter staatlicher Aufsicht. Damit können wir uns nicht zufrieden geben.

Wir beanspruchen ­ was durch den Gesetzentwurf bestätigt wird; ich habe am 15. Oktober in Vertretung des Verbandes Griechischer Gemeinden an der Kultusministerkonferenz in Berlin teilgenommen und auch dort entsprechende Bewertungen vernommen ­, dass uns, den MSO, interkulturelle Kompetenz zugesprochen wird.

Da gibt es Felder zu beackern wie etwa die integrationsfördernde Kinder- und Jugendarbeit, was in dem vorliegenden Gesetzentwurf angesprochen wird. Wichtig sind auch die Frauen und deren Schlüsselrolle. Ebenfalls von Bedeutung sind junge Menschen mit Migrationshintergrund. Diese sollen laut Gesetzentwurf in ihrem Prozess unterstützt werden, sich individuell eine neue Identität in der Auseinandersetzung sowohl mit ihrer Herkunftskultur als auch der Aufnahmekultur zu schaffen.

Für uns heißt das, dass die Migrantenselbstorganisationen weiter gefördert werden sollten, vor allem bei Bildung und Ausbau ihrer Strukturen bzw. gemäß ihrer jeweiligen Spezialisierung. Wir denken, eine solche Förderung sollte im Gesetz festgeschrieben werden.

Es wurde gefragt, ob die Maßnahmen der Landesverwaltung hinsichtlich der Integration von Migranten ausreichend seien. ­ Wir würden hier nicht einer Quote das Wort reden wollen. Wir finden, dass diese Sache reif, um nicht zu sagen: überreif ist. Das heißt, Menschen mit Migrationshintergrund sollten in die Landesverwaltung aufgenommen werden. Das täte ihrem Selbstwertgefühl gut, aber auch der Gesellschaft insgesamt. Denn damit würde auch ein Signal nach außen gegeben, dass sie in die gesellschaftlichen Strukturen hineingehören.

Ich habe mir noch eine Frage zu Flüchtlingen notiert. Wir begrüßen es, dass in Bezug auf Flüchtlinge im Gesetzentwurf bildungsfördernde Leistungen sowie die Sicherung eines ungehinderten Bildungszugangs vorgesehen sind. Wir halten es aber nicht für ausreichend, wenn nur die gesundheitliche Versorgung von Menschen mit Flüchtlingsstatus angestrebt wird. Für eine zivilisierte Gesellschaft wie die deutsche sollten Flüchtlingen und speziell Flüchtlingskindern entsprechende Leistungen unbedingt zur Verfügung gestellt werden.

Andreas Johnsen (Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW): Frau Dr. Butterwegge und Herr Ünal hatten die Frage der Einbeziehung der Mehrheitsgesellschaft angesprochen, die auch Gegenstand unserer Stellungnahme war. Das bezieht sich konkret auf eine Formulierung im Gesetz, nämlich in Art. 1 § 3 Abs. 1.

Im ersten Referentenentwurf war als möglicher Adressat „jeder" angegeben. Es war also nicht allein auf die Landesbehörden bezogen, wie es in der aktuellen Fassung der Fall ist. Die Freie Wohlfahrtspflege hatte seinerzeit angeregt, das Wort „jeder" zu differenzieren und die gesellschaftlichen Akteure beispielhaft zu nennen, um die Regelung deutlicher zu machen. Ich empfinde es im Vergleich zum Referentenentwurf als Rückschritt, dass in § 3 Abs. 1 nur noch die Behörden des Landes angesprochen sind und nicht mehr die Bewohner und Bewohnerinnen bzw. die Bürger und Bürgerinnen dieses Landes, egal ob mit oder ohne Migrationshintergrund. Daher kann ich nur auf den konkreten Formulierungsvorschlag verweisen, den wir in unserer schriftlichen Stellungnahme zum Referentenentwurf gemacht haben.

Es wurde zudem gefragt, wie man die kommunalen Integrationszentren alternativ nennen könnte. Ich bin weder Deutschlehrer oder Germanist. In der Gesetzesbegründung finden sich mit „Koordinierung" und „Vernetzung" zwei Begriffe, die sich meines Erachtens in einer alternativen Bezeichnung wiederfinden sollten. Ohne den Anspruch zu erheben, dass das der einzig mögliche Begriff ist, wäre denkbar: kommunale Vernetzungsagenturen oder kommunale Koordinierungsstellen oder zentrale kommunale Koordinierungsstellen. Die Koordinierung soll ja tatsächlich zentral erfolgen. Diese Namen habe ich jetzt aber relativ schnell aus dem Hut gezaubert. Germanisten und Deutschlehrer können die sicherlich noch ergänzen. Es wäre hilfreich, wenn man dazu noch mal in die Gesetzesbegründung hineinschauen würde.

Außerdem wurden die Angebote der Freien Wohlfahrtspflege angesprochen. Hierbei geht es im Wesentlichen um die Formulierung in Art. 1 § 9, wo unter den Ziffern 1 bis 4 Integrationsangebote genannt werden, unter anderem die Sozialraumorientierung, die interkulturelle Öffnung, das bürgerschaftliche Engagement und die Antidiskriminierungsarbeit. Da werden also genau die Arbeitsfelder dargestellt, in denen nach den entsprechenden Richtlinien Integrationsagenturen der Freien Wohlfahrtspflege heute tätig sind ­ es gibt noch weitere Punkte in diesem Paragrafen ­, ohne jedoch die Freie Wohlfahrtspflege zu benennen. Im Referentenentwurf wurde die Freie Wohlfahrtspflege im Gesetzestext noch ausdrücklich genannt. Heute steht sie ­ das sei zugestanden ­ noch in der Gesetzesbegründung.

Sie können sich vorstellen, dass es uns als Vertretern der Freien Wohlfahrtspflege lieber wäre, das im Gesetzestext festgeschrieben zu haben. Denn die jetzt fehlende Nennung macht diese Struktur insgesamt ein wenig beliebiger. Natürlich entstehen da auch Begehrlichkeiten. Es ist versucht worden, Dinge festzuschreiben, ohne dabei für alle Zeiten Ausschließlichkeitsregelungen zu treffen oder Bereiche zu schaffen, die nicht mehr verändert werden können. Aber eine Nennung würde widerspiegeln ­ es sind auch andere Akteure benannt gewesen ­, wer diese Strukturen in den letzten Jahrzehnten mit geschaffen hat. Offenkundig sind diese Strukturen ja auch weiterhin mit ebendiesen Akteuren ­ unter anderem der Freien Wohlfahrtspflege ­ gewollt.

Reiner Limbach (Landkreistag NRW): Hinsichtlich der anonymen Bewerbung und der damit verbundenen Frage von Herrn Solf möchte ich etwas nachtragen. Die Frage bezieht sich auf § 6 in Art. 1 des Entwurfs des Integrations- und Teilhabegesetzes. Zum Stichwort „interkulturelle Öffnung der Landesverwaltung" heißt es in der Begründung des Gesetzentwurfs, diese beinhalte „beispielsweise die Erprobung anonymisierter Bewerbungen bei Einstellungsverfahren".

Aus kommunaler Sicht kann ich an dieser Stelle das Signal geben, das wir gerne bereit wären, ein solches Verfahren in der Kommunalverwaltung mit zu erproben.

Dass die interkulturelle Öffnung auch der Kommunalverwaltung und der kommunalen Einrichtungen geboten ist, hat zuletzt auch ein Forschungsprojekt gezeigt, das Städte- und Gemeindebund sowie der Landkreistag auf Bundesebene durchgeführt haben. Dabei handelt es sich um das Forschungs-Praxis-Projekt „Integrationspotenziale in kleinen Städten und Landkreisen".