Es soll in Zukunft was die Personal und Betriebsmittel angeht ganz auf den neuen Forschungsreaktor FRM II ausgerichtet werden

Seit mehr als zwanzig Jahren existiert auf dem Garchinger Forschungsgelände das Beschleunigerlabor, unseres Wissens die einzige Institution, die von beiden Münchner Universitäten gemeinsam geführt wird. Eines der wesentlichen Merkmale der Arbeitsweise des Labors war und ist die Interdisziplinarität. Wie am Tag der offenen Tür im Oktober dieses Jahres zu erfahren war, ist eine Weiterführung des Labors unter dem Namen Maier-Leibnitz-Labor (MLL) geplant.

Es soll in Zukunft, was die Personal- und Betriebsmittel angeht, ganz auf den neuen Forschungsreaktor FRM II ausgerichtet werden. Insbesondere soll die Entwicklung und der Betrieb eines Spaltfragmentbeschleunigers (MAFF) am Reaktor vom MLL getragen werden.

Wir fragen die Staatsregierung:

1. Welche Lehrstühle der beiden Universitäten waren und sind noch an diesem Labor beteiligt?

2. Welche inhaltlichen Veränderungen hat es durch Neuberufungen auf vorhandene Lehrstühle gegeben und damit in der Nutzung des Beschleunigerlabors?

3. Welche interdisziplinäre Forschung wird derzeit am Beschleunigerlabor durchgeführt?

Mit welchem Personal- und Sachmittelaufwand soll diese in Zukunft am Tandembeschleuninger, der zentralen Forschungseinrichtung des Labors, weitergeführt werden?

Wie ist der Zeithorizont für die Arbeit am Tandembeschleuniger und MAFF-Beschleuniger?

4. Wie ist die Personalentwicklung seit 1971 verlaufen (bitte aufschlüsseln nach Besoldungsgruppen wie C4, C3, Al6, BAT 4 usw. und Lehrstuhlzugehörigkeit)?

5. Wie ist die Entwicklung der seit 1971 für Arbeiten im Beschleunigerlabor eingeworbenen Drittmittel bis heute (bitte wenn möglich jahresweise aufschlüsseln) verlaufen?

6. Welche der bisher im Beschleunigerlabor durchgeführten Arbeiten können nicht im künftigen Spaltfragmentbeschleuniger im FRM 11 durchgeführt werden?

7. Wie hoch waren die Investitions- und sind die Betriebskosten für das Beschleunigerlabor?

8. Wie hoch werden die Investitions- und die voraussichtlichen Betriebskosten für den Spaltfragmentbeschleuniger werden?

Antwort des Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst vom 21. 03. 2000

Zu 1. und 2.: Wissenschaftliche Ausrichtung des Labors

Ab 1971 wurde das Beschleunigerlabor von zunächst je vier Lehrstühlen der beiden beteiligten Universitäten getragen.

(1971: TUM: Prof. P. Kienle, LMU: Prof. Meyer-Berkhout; später hinzukommend: TUM Prof. H.J. Körner, Prof. H. Daniel, Prof. Morinaga; LMU: Prof. Skorka, Prof. Zupancic, Prof. J. de Boer) Die Forschungsrichtungen waren die Kernphysik und verwandte Gebiete. Später wurden in Kollaborationen verschiedene Experimente an Großforschungszentren wie CERN und GSI aufgebaut. Daneben wurde schon immer die Methodenentwicklung verfolgt, insbesondere die Entwicklung neuer Nachweisgeräte, Beschleunigungsmethoden wie auch die Nutzung kernphysikalischer Methoden in der Medizintechnik und Materialuntersuchung auf breiter Front.

Durch den allgemein einsetzenden Stellenabbau an den Universitäten sowie die starke Entwicklung der Physik auch in anderen Gebieten (z.B. Festkörperphysik) wurde Mitte der 90er Jahre die Anzahl der Lehrstühle in der Kern- und Teilchenphysik in beiden Hochschulen reduziert. Gleichzeitig wurde der neueren Entwicklung auf diesem Gebiet durch den Ausbau der Physik bei höheren Energien (Teilchen- und Hadronenphysik) Rechnung getragen. Dieser Prozess wird durch die Neubesetzung des Lehrstuhles Prof. Körner sowie der C3-Stelle (Nachfolge T. v. Egidy) abgeschlossen sein.

Derzeit arbeiten 5 Lehrstühle (2 an der LMU, 3 an der TU) am Beschleunigerlaboratorium (siehe Tabelle 1). Fragen im Bereich der interdisziplinären Forschung (Materialuntersuchungen) werden vor allem im Rahmen der Lehrstühle v. Feilitzsch und Körner untersucht. Sie stellen aber nur einen Teil der Forschungsaktivitäten dieser Lehrstühle dar.

Zu 3.: Interdisziplinäre Forschung am Tandem-Beschleuniger

Die Hauptaktivitäten im Bereich interdisziplinärer Forschung werden zur Zeit am Münchener Tandembeschleuniger durchgeführt. Für die interdisziplinäre Forschung werden am Münchener Tandembeschleuniger zur Zeit etwa 2/3 der zur Verfügung stehenden Messzeit genutzt, 1/3 der Zeit wird für grundlegende kernphysikalische Untersuchungen verwendet. Der kernphysikalische Anteil würde sich für den Fall der Realisierung des im 1. Bauabschnitt beim BMBF zur Finanzierung beantragten Munich Accelerator for Fission Fragments (Spaltfragmentbeschleuniger ­ MAFF) mit dessen Inbetriebnahme reduzieren.

Die interdisziplinäre Forschung kann mit zwei großen methodischen Schwerpunkten charakterisiert werden. Zum einen werden die Teilchenstrahlen, die am Münchener Tandembeschleuniger zur Verfügung stehen, für die Materialanalyse genutzt. Der zweite Bereich liegt in der Modifikation von Materie mit hochenergetischen Ionen. Diese methodischen Grundkonzepte werden auf verschiedene Themengebiete angewendet. Nach Aussage der Universität sind sie komplementär zu den Forschungsmöglichkeiten am MAFFBeschleuniger.

Ein Schwerpunkt der Forschung am Münchener Tandembeschleuniger liegt in der Materialforschung, hier vor allem die Bestimmung von Elementverteilungen in dünnen Schichten, z. B. in Elektronikmaterialien, Hartstoffschichten (Chemie, Maschinenbau), optischen Schichten. Weitere Schwerpunkte liegen in der Strahlenbiologie, Medizin, Geologie und Astrophysik. Signifikant sind folgende experimentelle Möglichkeiten:

­ Bestimmung des Gehalts leichter Elemente (z.B. Wasserstoff, Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff) mit einer Tiefenauflösung bis zu einzelnen Atomlagen,

­ ultrasensitiver (bis zu Konzentrationen kleiner 10-15) Nachweis von Radioisotopen,

­ Fokussierung hochenergetischer Ionen auf kleinste Strahldurchmesser (unter 1 µm), um mit einem solchen Strahl lateral hochauflösend Elementanalysen und Materialmodifikationen durchzuführen (Rasterionenmikroskopie).

Eine genauere Zusammenstellung der Arbeiten mit kurzer Beschreibung ist im Internet [http://www.bl.physik.unimuenchen.de/inter.html] zu finden.

Personal- und Sachmittelaufwand für die interdisziplinäre Forschung am Tandembeschleuniger

In dem Projektantrag der geplanten Neukonzeption des Beschleunigerlabors wird beschrieben, in einer 3-jährigen Übergangsphase die Arbeiten am Münchener Tandembeschleuniger vor allem auf die interdisziplinäre Forschung zu konzentrieren. Der Betrieb des Tandembeschleunigers ist mit einer Betriebsmannschaft von etwa sechs Personen und jährlich DM 250.000,- Betriebsmittel auch längerfristig möglich. Für die Planung und Durchführung von Experimenten sind vier Wissenschaftler notwendig, die an Lehrstühlen der beiden Universitäten angebunden sein sollten. Es ist geplant, wie bisher, in die Experimente vor allem auch Diplomanden und Doktoranden einzubinden und wie bisher für den Aufbau und Durchführung von Experimenten Drittmittel einzuwerben.

Zeithorizont für Arbeiten am Tandembeschleuniger sowie des MAFF-Beschleunigers

Nach dem Projektantrag ist beabsichtigt, den Experimentierbetrieb am Tandembeschleuniger für zunächst 3 Jahre weiterzuführen. Eine Fortsetzung der interdisziplinären Forschung soll nach der 3-jährigen Übergangsphase geprüft werden.

Die Hochschulleitungen der LMU sowie der TU München haben sich in einer Sitzung am 29.07.1999 darauf verständigt, die vom Beschleunigerlaboratorium geplanten Projekte unter Einbeziehung der vorhandenen, gegebenenfalls gekürzten Ressourcen und der sich daraus ergebenden Möglichkeiten der Realisierung begutachten zu lassen. Erst danach soll über eine eventuelle Neuorientierung des Beschleunigerlaboratoriums entschieden werden.

In der Sache wird der Aufbau des vom Forschungskollegium beim BMBF beantragten Spaltfragmentbeschleunigers MAFF durch die Inbetriebnahme der Neutronenquelle FRM II bestimmt. Erst mit dieser Inbetriebnahme wird es möglich sein, eine Entscheidung des BMBF und der Europäischen Union über Mittel für den Aufbau des Spaltfragmentbeschleunigers zu erhalten.

Der Aufbau des Niederenergiestrahls von MAFF könnte dann innerhalb von 2­3 Jahren abgeschlossen sein, die zweite Ausbaustufe (Nachbeschleunigung der Strahlen) würde ebenfalls 3 Jahre benötigen.

Experimente im Bereich der interdisziplinären Forschung benötigen nur niedere Strahlen und können bereits im Rahmen der ersten Ausbaustufe begonnen werden.

Zu 4.: Personalentwicklung seit 1971 (aufgeschlüsselt nach Besoldungsgruppen und Lehrstuhlzugehörigkeit)

Die Personalstruktur des Beschleunigerlaboratoriums setzt sich zusammen aus den Stellen, die dem Beschleunigerlaboratorium als zentraler Einrichtung (TG 74) zugeordnet sind (Betriebsstellen), und Stellen, die der Sektion Physik der LMU bzw. dem Physik-Department der TUM zugewiesen sind.

Die Zahl der Betriebsstellen (Anhang Tabelle 2) hat sich über die Jahre von 29 auf 24.5 verringert. Sie umfassen Werkstätten, Techniker, Ingenieure, Bedienungspersonal, Strahlenschutz sowie verwaltungstechnische Dienste.

Die anderen Stellen (Anhang Tabelle 3) dienen der Nutzung des Beschleunigers sowie der Weiterentwicklungen auf dem Gebiet der Beschleunigertechniken. Sie sind von ursprünglich 33 im Gründungsjahr auf 21 reduziert worden, was teilweise auf die verwaltungstechnische Eingliederung dieser Stellen in die Fakultäten zurückzuführen ist, daneben aber auch an der zahlenmäßigen Reduktion der am Beschleunigerlaboratorium arbeitenden Lehrstühle liegt. Zusätzlich zu diesen Stellen gehen in die Arbeiten im Rahmen des Beschleunigerlabors noch die Lehrstühle und die ihnen zugeordneten Stellen (C3-C4) ein. Die Tabelle zeigt das Personal, das konkret mit Projekten am Beschleunigerlaboratorium befasst ist. Eine institutionelle Zuordnung zum Beschleunigerlaboratorium ist mit Ausnahme der Professuren (C3 und C4) nicht gegeben.

Zu 5.: Drittmittelförderung der Aktivitäten am Beschleunigerlabor

Eine Übersicht über die eingeworbenen Drittmittel seit 1971 kann leider nicht gegeben werden, da die Aufbewahrungspflicht für Unterlagen nur 10 Jahre umfasst und nach erfolgten Lehrstuhl-Neubesetzungen die älteren Unterlagen nicht vollständig aufgefunden werden konnten. Die im Anhang beigegebenen Aufstellungen erstrecken sich daher nur über die Jahre 1990­2000, können aber wohl als repräsentativ gelten.

Die Drittmittelförderung für die verschiedenen Projekte, welche im Rahmen des Beschleunigerlabors durchgeführt werden, erfolgt fast ausschließlich über die DFG und die EU sowie direkt durch das BMBF über die Verbundforschung.

Weitere Drittmittel werden im Sonderforschungsbereich Teilchen- und Astroteilchenphysik (DFG) eingeworben. Eine genauere Übersicht über die eingeworbenen Drittmittel geben die Tabellen im Anhang.

Insgesamt wurden von BL-Mitgliedern beider Fakultäten in den Jahren 1992­1999 etwa 50 Mio. DM an Drittmitteln eingeworben. Die Zahlen für die Jahre 1990/91 sind nur insoweit angegeben, als verlässliche Unterlagen vorgelegen haben, sie liegen insgesamt wohl etwas höher als aufgelistet.

Zu 6.: Welche der bisher im Beschleunigerlabor durchgeführten Arbeiten können nicht am künftigen Spaltfragmentbeschleuniger im FRM II durchgeführt werden?

Der geplante Spaltfragmentbeschleuniger MAFF übertrifft in allen wesentlichen Eigenschaften (bis auf die Energieschärfe des Strahles) den bisherigen Tandem-Beschleuniger.

Am Spaltfragmentbeschleuniger kann eine Vielzahl von Experimenten im Bereich der Kernphysik, der Atomphysik, der Festkörperphysik und der interdisziplinären angewandten Forschung durchgeführt werden, wobei sich durch die im Hinblick auf Vielfalt und Intensität weltweit einmaligen Strahlen ganz neue Möglichkeiten ergeben. Gegenwärtig gibt es in Europa nur zwei Einrichtungen mit niedrigenergetischen radioaktiven Strahlen: ARENA S3 in Leuven und ISOLDE (CERN) in Genf. MAFF soll im Vergleich zu diesen Einrichtungen ca. 1000-mal größere Strahlintensitäten, ein sehr viel breiteres Spektrum an Strahlenergien und bessere Strahlqualität mit Hilfe des Neutronenflusses des FRM II liefern. Dies bietet die Voraussetzung für eine erfolgreiche Synthese neutronenreicher, schwerer Kerne mit größter Lebensdauer, anhand derer neue Grenzbedingungen zum Verständnis des Aufbaus von Kernen und Atomen getestet werden können. Auch können die rein radioaktiven Isotopenstrahlen ohne Nebenelemente zur Weiterentwicklung von Radiopharmaka für die Anwendung in der Medizin genutzt werden. Ferner werden bei MAFF Hochleistungs-Ionenquellen für die Produktion der radioaktiven Strahlen und modernste Techniken zur Massen- und Isotopen-Trennung, Strahlkühlung und zum Ladungsbrüten angewendet.

MAFF unterscheidet sich vom Tandem-Beschleuniger im Wesentlichen dadurch, dass er das Spektrum der zu beschleunigenden Ionen von einer kleinen Zahl stabiler Ionen um eine große Zahl neutronenreicher instabiler Ionen erweitert. Die Stromstärken bei MAFF sind um einen Faktor 100 bis 1000 größer, MAFF liefert für alle Ionen bis zu Uran voll variable Energien bis 6 während der Tandem-Beschleuniger bei mittelschweren Kernen nur die halbe Energie liefert.

Eine bloße Fortführung der bereits am Tandem-Beschleuniger durchgeführten Experimente am MAFF erscheint in der Regel nicht sinnvoll, da so die beschriebenen spezifischen Eigenschaften und vielfältigen Möglichkeiten des Spaltfragmentbeschleunigers nicht genutzt würden. Die meisten am Tandem-Beschleuniger bearbeiteten Gebiete im Bereich Kernphysik, Atomphysik, Festkörperphysik und interdisziplinärer Forschung können aber mit Hilfe von MAFF Erfolg versprechend weiterentwickelt werden.

Verschiedene Experimente zur Materialanalyse sollen allerdings nicht am MAFF fortgeführt werden. Sie können teilweise an anderen europäischen Beschleunigern durchgeführt werden, allerdings nur unter zusätzlichen experimentellen Erweiterungen. Es handelt sich im Einzelnen um folgende Experimente:

· hochauflösende Tiefenprofilanalyse leichter Elemente in dünnen Schichten

· Beschleuniger-Massenspektrometrie (BMS) mit höchster Sensitivität

· Experimente mit dem Mikrostrahl zum zielgenauen Bestrahlen von Festkörpern

· Bestrahlungen biologischer Proben mit Protonen, deren Energie größer als 6 ist

· Rasterionenmikroskopie (am MAFF nur sehr eingeschränkt möglich).

Hinsichtlich der Weiterführung dieser Experimente am Tandembeschleuniger wird auf die Antwort zu Frage 3 (Abschnitt 3.1) verwiesen.