Anforderung einer Unterhaltsvorschussakte

Aufgrund eines mündlichen Auftrags des Leiters des Rechnungsprüfungsamts holte ein weiterer Prüfer beim Amt für Jugend und Familie am 15. Juli 1999 eine Akte betreffend Unterhaltsvorschussleistungen für das minderjährige Kind der vorgenannten Thailänderin zur Einsichtnahme persönlich ab.

Auf Nachfrage des Abteilungsleiters des Amtes für Jugend und Familie zum Grund der Aktenanforderung erklärte der Prüfer, im Auftrag seines Amtsleiters gehandelt zu haben, den konkreten Prüfungsanlass jedoch nicht zu kennen.

Die Prüfung der Akte führte zu keiner Beanstandung. Der Prüfer gab die Akte ohne Prüfungsvermerk wiederum persönlich am 21. Juli 1999 zurück und informierte das Amt für Jugend und Familie mündlich über das Ergebnis. Den Leiter des Rechnungsprüfungsamts informierte er mit Vermerk vom 22. Juli 1999, den dieser am 23. Juli 1999 zur Kenntnis nahm.

Mit Antrag vom 23. Juli 1999 begehrte die Mutter des Kindes rückwirkend zum 13. Juli 1999 ­ somit zum Zeitpunkt ihres Einzugs in die Wohnung des Leiters des Rechnungsprüfungsamts ­ Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Sie gab an, seit diesem Tag nicht mehr mit ihrem Ehemann zusammenzuleben und eine eigene Wohnung in Bremerhaven bezogen zu haben. Der Bewilligungsbescheid wurde ihr am gleichen Tag ausgehändigt.

Am 26. Juli 1999 legte der Leiter des Rechnungsprüfungsamts seinem Mitarbeiter eine Kopie des Bewilligungsbescheides vor. Gleichzeitig informierte er ihn darüber, dass die thailändische Staatsangehörige bereits seit Juli 1998 von ihrem Ehemann in der gemeinsamen ehelichen Wohnung getrennt gelebt habe. Seit dem 13. Juli 1999 habe sie eine eigene Wohnung. Auf die Bitte des Amtsleiters erkundigte sich der Mitarbeiter im Amt für Jugend und Familie nach der Möglichkeit einer rückwirkenden Bewilligung von Unterhaltsleistungen. Er bekam die Auskunft, dass Unterhaltsvorschussleistungen einen Monat rückwirkend ab Antragstellung bewilligt werden könnten, wenn die Trennung der Eheleute nachweislich länger als einen Monat zurückliege. Diese Information leitete der Prüfer an den Leiter des Rechnungsprüfungsamts weiter.

Am 27. Juli 1999 wandte sich die thailändische Staatsangehörige nochmals an das Amt für Jugend und Familie und legte eine von ihr und ihrem Ehemann unterschriebene Erklärung vom 13. Juli 1999 vor, wonach die Eheleute bereits in der gemeinsamen ehelichen Wohnung getrennt gelebt und getrennt gewirtschaftet haben wollen. Daraufhin bewilligte das Amt für Jugend und Familie rückwirkend zum 1. Juni 1999 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.

Nachdem der seinerzeit zuständige Stadtrat Kenntnis von der Angelegenheit erlangt hatte, unterrichtete er mit Schreiben vom 2. August 1999 den damaligen Oberbürgermeister Richter und regte an zu prüfen, ob vorliegend Dienstpflichten durch eine mögliche Verquickung dienstlicher Obliegenheiten mit privaten Interessen verletzt worden seien. In der öffentlichen Beweisaufnahme des Untersuchungsausschusses sagte der damalige ehrenamtliche Stadtrat, Melf Grantz, aus, er habe nach seiner Erinnerung zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis gehabt, dass der Direktor der Ortspolizeibehörde den Oberbürgermeister über die Anforderung einer Ausländerakte informiert habe.

91 Protokoll der öffentlichen Beweisaufnahme am 29. August 2002, S. 20324/8 f.

cc) Staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren

Der Ausschuss hat auch die Frage untersucht, inwieweit die Einleitung und die Dauer des aufgrund der zuvor geschilderten Aktenanforderungen gegen den Leiter des Rechnungsprüfungsamts eingeleiteten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens als unzulässige Einflussnahme zu qualifizieren sind. Der zugrunde liegende Sachverhalt stellt sich wie folgt dar:

Die Ortspolizeibehörde erstattete mit Schreiben vom 4. August 1999 gegen den Leiter des Rechnungsprüfungsamts Strafanzeige wegen der Anforderung der Ausländerakte einer in Bremerhaven lebenden Thailänderin. Daraufhin leitete die Staatsanwaltschaft Bremen, Außenstelle Bremerhaven, gegen den Leiter des Rechnungsprüfungsamts sowie gegen den Prüfer, der die Ausländerakte angefordert hatte, ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Ausspähens von Daten nach § 202 a Strafgesetzbuch92 ein.

Das Ermittlungsverfahren gegen den Prüfer stellte die Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 8. Oktober 1999 mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß § 170 Abs. 2 ein, weil ein schuldhaftes Verhalten nicht nachweisbar gewesen sei und der Prüfer auf Anweisung gehandelt habe.

Nachdem die Ortspolizeibehörde die Staatsanwaltschaft Ende September 1999 auch über die Anforderung der Unterhaltsvorschussakte durch den Leiter des Rechnungsprüfungsamts informiert hatte, wurden die Ermittlungen mit Verfügung vom 8. Oktober 1999 entsprechend ausgedehnt. Darüber hinaus wurde auch wegen des Verdachtes der Verletzung eines Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimnispflicht nach § 353 b ermittelt.

Im Rahmen der Ermittlungen forderte die Kriminalpolizei Bremerhaven auf Ersuchen der Staatsanwaltschaft die betreffende Ausländerakte sowie die Unterhaltsvorschussakte an und vernahm mehrere Zeugen.

Die thailändische Staatsangehörige gab anlässlich ihrer polizeilichen Vernehmung am 3. November 1999 an, mit dem Leiter des Rechnungsprüfungsamts in einer Lebensgemeinschaft zu leben. Sie habe vom Leiter des Rechnungsprüfungsamts keine Informationen aus irgendwelchen Akten, die bei der Stadtverwaltung Bremerhaven über sie und ihr Kind geführt werden, erhalten. Im Nachgang zu ihrer Vernehmung erklärte sie, ihren Lebensgefährten zur Akteneinsichtnahme bevollmächtigt zu haben.

Mit Vermerk vom 8. November 199997 stellte der zuständige Sachbearbeiter der Kriminalpolizei Bremerhaven fest, dass nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen der Tatbestand des § 353 b Abs. 1 S. 1 nicht erfüllt sei. Zum einem könne dem Leiter des Rechnungsprüfungsamts keine unbefugte Offenbarung nachgewiesen werden, zum anderen sei selbst eine missbräuchliche Verwertung des Geheimnisses ohne Offenbarung, die nicht nach § 353 b, sondern nach § 204 strafbar sei, nicht gegeben, weil die thailändische Staatsangehörige ihre Einwilligung zur Akteneinsicht gegeben habe.

Die Staatsanwaltschaft Bremen, Zweigstelle Bremerhaven, beantragte am 19. Mai 2000 auf dem Dienstwege beim Senator für Justiz und Verfassung die Erteilung der Ermächtigung zur Strafverfolgung gemäß § 353 b Abs. 4 Nr. 3.

Mit Schreiben vom 9. Juni 2000, bei der Zweigstelle Bremerhaven eingegangen am 20. Juni 2000, teilte der Generalstaatsanwalt mit, der Einholung der vorgenannten Ermächtigung bedürfe es nicht, da das Verfahren einstellungsreif und ein genügender Anlass für die Erhebung der öffentlichen Klage nicht gegeben sei. Aus Rechtsgründen sei auszuschließen, dass sich ein solcher nach Durchführung weiterer Ermittlungen ergeben werde. Zur Begründung führte die Generalstaatsanwaltschaft aus, der Tatbestand der Verletzung des Dienstgeheimnisses nach § 353 b setze voraus, dass der Täter ein Geheimnis, das ihm als Amtsträger sonst bekannt geworden sei, unbefugt offenbare und dadurch wichtige öffentliche Interessen gefährdet habe. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt. Der Nachweis, dass der Leiter des Rechnungsprüfungsamts ein konkretes Geheimnis unbefugt offenbart habe, lasse sich nicht führen. Darüber hinaus könne dem Beschuldigten nicht nachgewiesen werden, durch sein Handeln wichtige öffentliche Interessen gefährdet zu haben. Eine Verfolgung wegen Verletzung von Privatgeheimnissen nach § 203 scheitere bereits am fehlenden Strafantrag der Antragsberechtigten.

Mit Verfügung vom 27. Juni 2000 stellte die Staatsanwaltschaft Bremen, Zweigstelle Bremerhaven, das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts nach § 170 Abs. 2 ein. Die Ortspolizeibehörde erhielt mit Datum vom selben Tag eine Einstellungsnachricht. Die Benachrichtigung des Verteidigers des Beschuldigten erfolgte erst mit Verfügung vom 25. Juli 2000, nachdem dieser sich schriftlich nach dem Sachstand erkundigt hatte.

dd) Ordnungswidrigkeitenverfahren

Mit Schreiben vom 25. Juli 2000 übersandte die Staatsanwaltschaft Bremen, Zweigstelle Bremerhaven, die Akten an den Landesbeauftragten für den Datenschutz mit der Bitte, in eigener Zuständigkeit zu prüfen, ob eine Ordnungswidrigkeit nach dem Bundesdatenschutzgesetz oder nach den Vorschriften des Bremischen Datenschutzgesetzes vorliege. Einige Tage später bat das Personal- und Organisationsamt der Stadt Bremerhaven unter Hinweis auf die bevorstehende Entscheidung darüber, ob die disziplinarrechtlichen Vorermittlungen gegen den Leiter des Rechnungsprüfungsamts fortzuführen sind, um eine beschleunigte Behandlung des Vorgangs.

Mit Schreiben vom 11. Dezember 2000 übersandte der Landesbeauftragte für den Datenschutz den Vorgang zuständigkeitshalber an den Senatskommissar für den Datenschutz.

Die Stadt Bremerhaven erhielt eine diesbezügliche Mitteilung.

Nach entsprechender Prüfung stellte der Senatskommissar für den Datenschutz fest, dass der Senator für Justiz und Verfassung für die Prüfung zur Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens zuständig sei.

Ausweislich eines handschriftlichen Vermerks vom 21. Februar 2001 verzichtete der Senator für Justiz und Verfassung auf die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens.

Eine entsprechende Mitteilung an die Stadt Bremerhaven unterblieb. Nach der Aussage des zuständigen Referenten war eine solche Mitteilung aber auch nicht notwendig, da kein Ordnungswidrigkeitenverfahren eingeleitet worden war. Er konnte sich nicht mehr erinnern, ob sich die Stadt Bremerhaven mündlich oder schriftlich nach dem Verfahrensstand erkundigt hatte.

ee) Einleitung disziplinarrechtlicher Vorermittlungen

Mit Verfügung vom 13. Oktober 1999 leitete der Oberbürgermeister der Stadt Bremerhaven gegen den Leiter des Rechnungsprüfungsamts disziplinarische Vorermittlungen unter anderem mit dem Vorwurf ein.