Entwicklung des Betreuungsrechts im Freistaat Bayern

Mit der Neuordnung des Betreuungsrechts in den 90er-Jahren sollte eine wirksamere Unterstützung der zu Betreuenden und mehr Transparenz erreicht werden.

Zwischenzeitlich wird berichtet, dass auch im Freistaat Bayern in einzelnen Bereichen Anwälte bereits wieder über 150

Betreuungen wahrnehmen. Damit ist die ursprüngliche Zielsetzung der Rechtsänderung nicht mehr in jedem Fall gegeben.

Ich frage daher die Staatsregierung:

1. Ist der Bayerischen Staatsregierung bekannt, dass es Anwälte mit über 150 Betreuungen gibt, und wie stellt sich die Gesamtsituation gegenwärtig dar?

2. Teilt die Bayerische Staatsregierung meine Auffassung, dass eine solche Anhäufung von Betreuungsfällen den Zielsetzungen des Betreuungsrechts widerspricht?

3. Welche Maßnahmen der Abhilfe sind aus Sicht der Bayerischen Staatsregierung in diesem Zusammenhang möglich?

Antwort des Staatsministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz vom 16.12.

Zu 1.: Zur Zahl der im Geschäftsbereich des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz von Berufsbetreuern geführten Betreuungen wurde die betreuungsgerichtliche Praxis befragt. Dem Ergebnis der Befragung ist vorauszuschicken, dass Berufsbetreuer ­ wie dies in der Praxis auch geschieht ­ in der Zuständigkeit mehrerer Amtsgerichte ­ Betreuungsgerichte ­ tätig sein können. Auf der Grundlage der Praxisbefragung sind jedoch nur Angaben zur Zahl der von einem Berufsbetreuer im Bezirk eines Amtsgerichts geführten Betreuungen möglich. Dies vorausgeschickt, hat die bayernweite Praxisanfrage ergeben, dass es derzeit im hiesigen Geschäftsbereich keine Berufsbetreuer gibt, die in einem Amtsgerichtsbezirk mehr als 150 Betreuungen führen. Vereinzelt führen Berufsbetreuer in einem Amtsgerichtsbezirk zwischen 70 und 100 Betreuungen, in keinem bekannten Fall jedoch mehr als 100 Betreuungen.

Angaben zum statistischen Durchschnitt der von einem Berufsbetreuer geführten Betreuungen sind insoweit nur begrenzt aussagekräftig, als Berufsbetreuer ihre Tätigkeit häufig als Teilzeitbeschäftigung ausüben. Bei Rechtsanwälten kommt hinzu, dass diese Berufsbetreuungen teilweise zusätzlich zu ihrer sonstigen Anwaltstätigkeit ausüben. Das vom Bundesministerium der Justiz mit einer Evaluation des Betreuungsrechts beauftragte Otto-Blume-Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik e.V. (ISG) in Köln hat eine bundesweite Erhebung zur Durchschnittsanzahl der von einem Berufsbetreuer geführten Betreuungen durchgeführt.

Dabei hat sich für selbstständige Berufsbetreuer im Jahr 2006 ein Durchschnittswert von 31 geführten Betreuungen ergeben. Im Rahmen seiner Erhebungen hat das ISG auch nach der Wochenarbeitszeit von Berufsbetreuern differenziert. Bei Berufsbetreuern, die wöchentlich mehr als 38 Stunden für ihre Betreuertätigkeit aufwenden, wurde für das Jahr 2006 eine Durchschnittsanzahl von 44 Betreuungen pro Berufsbetreuer festgestellt. Die Studie des ISG Rechtliche Betreuung in Deutschland ­ Evaluation des Zweiten Betreuungsrechtsänderungsgesetzes wurde 2009 im Bundesanzeiger-Verlag veröffentlicht.

Zu 2.: Gemäß § 1897 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs bestellt das Betreuungsgericht zum Betreuer eine natürliche Person, die geeignet ist, in dem gerichtlich bestimmten Aufgabenkreis die Angelegenheiten des Betreuten rechtlich zu besorgen und ihn in dem hierfür erforderlichen Umfang persönlich zu betreuen. Entscheidendes Kriterium für die Bestellung zum Betreuer ist somit dessen Eignung für diese verantwortungsvolle Tätigkeit. Es ist anerkannt, dass sich die fehlende Eignung eines Betreuers im Einzelfall auch daraus ergeben kann, dass dieser eine zu große Zahl von Betreuungen führt und deswegen Zweifel bestehen, ob er den Aufgaben, die mit der Übernahme einer weiteren Betreuung verbunden sind, gerecht werden kann.

Vor diesem Hintergrund achten sowohl die Betreuungsbehörden im Rahmen ihrer Betreuervorschläge als auch die Betreuungsgerichte bei der Bestellung von Betreuern auf die Anzahl der bereits geführten Betreuungen und nehmen eine deutlich überdurchschnittliche Zahl von Betreuungen grundsätzlich nur in solchen Fällen hin, in denen Berufsbetreuer einen gut organisierten Bürobetrieb mit ausreichendem Personal führen. Es ist jedoch auch zu beachten, dass allein von der Zahl der von einem Berufsbetreuer geführten Betreuungen nicht ohne Weiteres auf die Qualität der rechtlichen Betreuung geschlossen werden kann. Denn einerseits gibt es Betreuungen, bei denen beispielsweise eine sehr arbeits- und zeitaufwendige Immobilien- und Vermögensverwaltung geführt werden muss, während sich der Aufwand in anderen Fällen ­ etwa bei geordneten Verhältnissen und begrenztem Regelungsbedarf ­ in Grenzen hält. Zu berücksichtigen ist auch, dass bei einem gut geführten Büro auch bei einer größeren Zahl von Betreuten mehr Zeit für den unmittelbaren Kontakt mit den Betreuten verbleiben kann als bei ungenügender Büroorganisation und einer geringeren Zahl von Betreuten.

Die gerichtliche Bewertung der Eignung eines Betreuers sowie dessen Bestellung durch gerichtlichen Beschluss erfolgt im Rahmen der durch Art. 97 Abs. 1 des Grundgesetzes und Art. 85 der Verfassung des Freistaates Bayern verfassungsrechtlich gewährleisteten richterlichen Unabhängigkeit. Für das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz ist es entscheidend, dass den bei den Betreuungsgerichten eingesetzten Richterinnen und Richtern die oben dargestellten Zusammenhänge bekannt sind. Die vom Bayerischen Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz organisierten Fortbildungsveranstaltungen leisten insoweit einen wichtigen Beitrag.

Zu 3.: Da eine auffällige und nicht mehr angemessene Häufung von Betreuungsfällen bei Berufsbetreuern bislang nicht in relevantem Umfang festgestellt werden konnte, bedarf es nach Bewertung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz gegenwärtig keiner gezielten Maßnahme der Abhilfe. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Strukturen und Kosten des Betreuungsrechts insbesondere als Folge der vom ISG vorgelegten Studie einer gründlichen Überprüfung bedürfen. Daher hat das Bundesministerium der Justiz unter Beteiligung des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe zur Überprüfung des Betreuungsrechts eingerichtet. Die Arbeitsgruppe wird sich neben weiteren Fragen auch mit der Zahl der von Berufsbetreuern geführten Betreuungen befassen. Mit ersten Ergebnissen ist in diesem Zusammenhang erst im weiteren Verlauf des Jahres 2010 zu rechnen.