Zentralisierung der Leitstellen

Sowohl bei Polizeifachleuten als auch bei den für die Bereiche Feuerwehr und Rettungsdienst zuständigen Kommunen ist dieses Konzept, für das der Innenminister vergeblich auf regionalen Leitstellenkonferenzen geworben hat, auf überwiegende Ablehnung gestoßen.

Fachleute sowie Bürgerinnen und Bürger befürchten bei einer übermäßigen Zentralisierung der Leitstellen einen unwiederbringlichen Verlust an Ortskenntnis in den Leitstellen.

Mangelnde Ortskenntnis kann jedoch bei der Disposition von Polizei-, Feuerwehr- und Rettungsdiensteinsätzen wertvolle Zeit kosten, die schlimmstenfalls im wahrsten Sinne des Wortes über Leben und Tod entscheidet. Ein Sicherheitsgewinn wird durch die Reduzierung der Zahl der Leitstellen nicht zu erzielen sein.

II. Der Landtag fordert die Landesregierung auf, bei der Neukonzeption der Leitstellenstruktur in Niedersachsen folgende Eckpunkte zu beachten:

1. Die Organisationsstrukturen der Leitstellen müssen auch künftig gewährleisten, dass die Disponenten über das nötige Wissen über die örtlichen Gegebenheiten verfügen.

2. Die Polizeiinspektionen müssen im Einsatz- und Notrufmanagement handlungsfähig bleiben.

3. Die unterschiedlichen „Führungskulturen" müssen berücksichtigt werden: Die Polizei führt den Einsatz in aller Regel aus der Leitstelle, während bei der Feuerwehr die Leitstelle ausführt, was die Einsatzleitungen vor Ort anordnen.

4. Ein Zusammenführen der polizeilichen Leitstellen mit den integrierten Leitstellen der Kommunen ist lediglich im Bereich einer gemeinsamen Techniknutzung sinnvoll. Nur im Einzelfall - abhängig von den individuellen örtlichen Gegebenheiten - können auch engere Kooperationen in so genannten kooperativen Leitstellen machbar sein. Dieses aber muss bei den lokal Verantwortlichen wachsen und darf nicht von oben verordnet werden.

5. Das Vorhalten und die Organisation integrierter Leitstellen für Brandschutz und Rettungsdienst bleibt kommunale Aufgabe. Insofern akzeptiert das Land die Entscheidungen kommunaler Gebietskörperschaften.

III. Der Landtag fordert die Landesregierung daher auf, sich für die folgende Neuordnung des Leitstellenwesens in Niedersachsen einzusetzen:

1. Polizeiliche Leitstellen werden am Standort jeder Polizeiinspektion eingerichtet.

2. Das Land bietet den Kommunen Anreize zur Intensivierung der freiwilligen interkommunalen Kooperation mit dem Ziel, die im Land Niedersachsen derzeit vorhandene Zahl der Leitstellen der Feuerwehren und des Rettungsdienstes auf höchstens 27 zu reduzieren.

3. Der freiwillige Zusammenschluss kommunaler Leitstellen wird nicht durch die Grenzen der sechs Flächenpolizeidirektionen vorstrukturiert.

Begründung:

Im Zuge der von ihm angestoßenen Leitstellendebatte hat der Innenminister vorgeschlagen, die Zahl der Leitstellen in Niedersachsen auf zehn bis zwölf zu reduzieren. Dabei sollten nach der Konzeption der Landesregierung pro Zuständigkeitsbereich einer Polizeidirektion grundsätzlich zwei Leitstellen eingerichtet werden, jedoch im Bereich der Polizeidirektion Braunschweig versucht werden, mit nur einer Leitstelle auszukommen. Diese Konzeption sah vor, grundsätzlich nur noch einige wenige „bunte" Leitstellen einzurichten. Dieses Konzept ist jedoch sowohl bei der Polizei als auch bei den Kommunen auf massive Vorbehalte gestoßen.

Aus Sicht der Polizei geht eine Zentralisierung der Leitstellen mit einem Verlust an Ortskenntnis und damit im Endeffekt mit einem Verlust an Sicherheit einher. Ein Bürger, der den Notruf der Polizei wählt, erwartet schnelle kompetente Hilfe. Erforderlich dazu ist, dass sich der Gesprächspartner in der Leitstelle sowohl örtlich, wie auch inhaltlich mit der unmittelbaren Situation des Bürgers auskennt. Dazu gehören gute Ortskenntnisse, zumindest ebenso wichtig sind jedoch Personenkenntnisse im polizeilichen Alltagsgeschäft (Straftaten und Verkehrslage), aber auch zur lokalen tageszeitlichen Lage vor Ort. Die Bürgerinnen und Bürger erwarten von ihrer Polizei, dass dieses auf das örtliche Geschehen bezogene Wissen auch in den Leitstellen vorhanden ist. Gerade bei Straftatenmeldungen (Raub-, Banküberfall oder auch Körperverletzungsdelikten) ist schon während der Gesprächsführung das Einleiten von Fahndungsmaßnahmen und deren aktiver Steuerung erforderlich. Das Grundwissen der Kollegen vor Ort kann in einer ortsfernen zentralen Leitstelle (wenn überhaupt) nur mit hohem Personal- und Arbeitsaufwand geschaffen werden. Die zentralisierte Leitstelle kann als anonyme nicht mehr im Alltagsgeschäft verwurzelte Dienststelle lediglich CallCenter-Funktionen übernehmen.

Polizeiliche Einsätze sind zu mehr als 90 % regional klar eingegrenzt und überschreiten im Alltagsgeschäft eher selten die Grenzen der zuständigen Polizeidienststellen. Auch im Kriminalitätsgeschehen hat es die Polizei mit mindestens 70 % örtlichen Tätern zu tun. Daher ist Polizeiarbeit Basisarbeit und bei dezentralen Leitstellen ist die Chance deutlich größer, dass z. B. Mehrfach- und Intensivtäter dem Leitstellenpersonal mit ihren Eigenheiten persönlich bekannt sind. Dieses Wissen geht i. d. R. weit über die Informationen in den polizeilichen Auskunftssystemen hinaus. Negativ wirkt sich bei Großdienststellen die fehlende Identifikation mit dem Einsatzraum aus. Der Gesichtspunkt der Anonymität, aber auch der fehlenden internen Kenntnisse wären bei einer zentralen Leitstelle ein erheblicher Nachteil. Das bisherige effektive Zusammenspiel mit vielfältigen persönlichen Kontakten des Leitstellenpersonals mit den Beamtinnen und Beamten des Einsatz- und Streifendienstes ist ein wichtiges Qualitätsmerkmal polizeilicher Arbeit.

Doch nicht nur aus der Polizei, sondern auch von Seiten der Feuerwehren mehren sich die Stimmen derer, die für integrierte Feuerwehr- und Rettungsleitstellen bei Beibehaltung einer Trennung zur Polizei eintreten, zumal hierdurch eine in Krisenzeiten nicht zu unterschätzende weitere Rückfallebene für die BOS-Organisation aufrechterhalten wird. Für die kreisfreien Städte und Landkreise muss der Freiraum erhalten werden, um Lösungen vor Ort anzustreben, die aus der Verantwortung vor Ort gefunden werden, zumal sie für Katastrophenschutz zuständig bleiben und auch künftig auf örtlich nahe Leitstellen für den Katastrophenschutz und bei Großschadenslagen angewiesen sein werden.