Rechtsstaatsprinzip

Das Rechtsstaatsprinzip gebietet es, dass von der materiellen Präklusion Betroffene auf diesen Umstand vorher hingewiesen werden (Hinweisgebot nach Absatz 3 Satz 2). Absatz 4 Satz 1 entspricht § 73 Abs. 4 LBO 1996. Im Hinblick auf die fakultative Nachbarbeteiligung nach Absatz 1 Satz 2 ist die Zustellung der Baugenehmigung aufgenommen. Die Begründungspflicht ist nunmehr in § 73 Abs. 2 geregelt. Satz 2 stellt das Verhältnis der Regelungen des § 71 zu den Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes klar. Die in § 73 Abs. 5 LBO 1996 enthaltenen Erleichterungen der Nachbarbeteiligung konnte im Hinblick auf die Präklusion nach Absatz 3 nicht übernommen werden.

Zu § 72 (Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens)

Die Vorschrift ist neu.

Durch das Bau- und Raumordnungsgesetz 1998 wurde in § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB eine Regelung für die Ersetzung eines rechtswidrig versagten Einvernehmens der Gemeinde durch die nach Landesrecht zuständige Behörde eingeführt. § 1 Abs. 4 der Verordnung über Zuständigkeiten nach dem Baugesetzbuch vom 29. Januar 1998

(Amtsbl. S. 134) bestimmt die Kommunalaufsichtsbehörde als zuständige Behörde im Sinne von § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB. Die Genehmigungsbehörden (Bauaufsichtsbehörden oder sonstige Genehmigungsbehörden, wenn über die baurechtliche Zulässigkeit von Vorhaben in einem anderen Verfahren zu entscheiden ist) und die Widerspruchsbehörden konnten in der vorgenannten Rechtsverordnung nicht als zuständige Behörden bestimmt werden, da dem der Grundsatz der Einheit der Aufsicht nach § 137 des höherrangigen Kommunalselbstverwaltungsgesetzes entgegenstand. Dieser Grundsatz kann aber durch eine spezialgesetzliche Regelung durchbrochen werden.

Dies ist zweckmäßig, da die Genehmigungsbehörden und die Widerspruchsbehörden die Voraussetzungen für die Ersetzung des Einvernehmens in der Regel besser beurteilen können als die Kommunalaufsichtsbehörden und die Integration des Ersetzungsverfahrens in das Genehmigungs- bzw. Widerspruchsverfahren außerdem zur Beschleunigung beiträgt.

Über die bereits nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB mögliche Ersetzung des nach den §§ 31, 34 und 35 BauGB erforderlichen Einvernehmens hinaus ermöglicht Absatz 1 Satz 1 auch die Ersetzung des nach anderen städtebaurechtlichen Vorschriften vorgeschriebenen Einvernehmens. Es handelt sich dabei um das Einvernehmen zur Ausnahme von der Veränderungssperre nach § 14 Abs. 2 Satz 2 BauGB und das Einvernehmen zur Wohnungseigentumsgenehmigung in Fremdenverkehrsgebieten nach § 22 Abs. 5 Satz 1 BauGB. Eine landesrechtliche Regelung über die Ersetzung des bundesrechtlich vorgeschriebenen Einvernehmens ist nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 07.02.1986 ­ 4 C 43.83 -, NVwZ 1986, 556) grundsätzlich zulässig.

Satz 2 regelt die Fälle, in denen die Gemeinde selbst Genehmigungsbehörde ist. In diesen Fällen der Identität zwischen Gemeinde und Genehmigungsbehörde besteht keine Möglichkeit, formell-rechtlich das Einvernehmen zu erklären. Dass eine gesonderte Erklärung des Einvernehmens als formell-rechtlicher Akt entfällt, berührt aber nicht das in § 14 Abs. 2 Satz 2, § 22 Abs. 5 Satz 1, § 36 Abs. 1 Satz 1 und 2 BauGB und § 68 Abs. 3 enthaltene materielle Mitwirkungsrecht der Gemeinde. Ihre Rechtsposition gegenüber der Widerspruchsbehörde ist daher dieselbe wie diejenige einer sonstigen - Gemeinde gegenüber Baugenehmigungs- und Widerspruchsbehörde, wenn sie die Erteilung der bauaufsichtlichen Genehmigung aus Gründen ablehnt, die ansonsten - prinzipiell zu einer Versagung des Einvernehmens geeignet wären oder sie sich insoweit auf ihre Planungshoheit beruft. Durch diese Regelung wird sichergestellt, dass nur jeweils die erste nicht gemeindliche Behörde, die sich mit dem Bauantrag befasst, auch das Einvernehmen der Gemeinde ersetzen kann.

Absatz 2 stellt klar, dass es sich bei § 72 um eine gegenüber der kommunalrechtlichen Ersetzungsregelung eigenständige Regelung handelt. „Genehmigung" im Sinne von Absatz 3 ist jede bauaufsichtliche Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben. Dies sind neben der Baugenehmigung auch die Teilbaugenehmigung, der Vorbescheid sowie die isolierte Ausnahme oder Befreiung nach § 31

BauGB, die isolierte Abweichung nach § 68, die Ausnahme von der Veränderungssperre nach § 14 Abs. 2 Satz 2 BauGB, die Genehmigung nach § 22 Abs. 5 Satz 1 BauGB.

Die Begründungspflicht ist hinsichtlich der Ersetzung des Einvernehmens durch die Baugenehmigung wegen § 70 Abs. 1 Satz 1 gesondert anzuordnen. Im Rahmen der nach Absatz 3 Satz 3 vorgesehenen Anhörung erhält die Gemeinde die Möglichkeit, binnen angemessener Frist erneut über die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens zu entscheiden. Dies entspricht der Zweistufigkeit des kommunalaufsichtlichen Verfahrens, so dass die Rechtsposition der Gemeinde durch die Neuregelung nicht geschwächt wird.

Absatz 4 bestimmt, dass Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Genehmigung bei Entfall der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder 4 VwGO auch hinsichtlich der in der Genehmigung enthaltenen Ersetzung des Einvernehmens keine aufschiebende Wirkung haben.

Absatz 5 ordnet die entsprechende Anwendung der Absätze 1 bis 4 an, wenn über die städtebaurechtliche Zulässigkeit oder die Zulässigkeit von Abweichungen nach § 68 nicht im bauaufsichtlichen Verfahren sondern in einem anderen Verfahren, z. B. im Genehmigungsverfahren nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz, zu entscheiden ist. Die Genehmigungsbehörde entscheidet nach Anhörung der unteren Bauaufsichtsbehörde, da diese regelmäßig die größere Sachkunde für die Beurteilung der baurechtlichen Zulässigkeit besitzt.

Zu § 73 (Baugenehmigung und Baubeginn)

Die Vorschrift fasst die §§ 77 und 81 LBO 1996 zusammen.

Absatz 1 entspricht § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 LBO 1996. Die Beschränkung in Satz 1 auf öffentlich-rechtliche Vorschriften, „die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind", öffnet die Regelung gegenüber den in den §§ 64, 65 und 67 enthaltenen Prüfbeschränkungen. Satz 2 ist neu. Er schreibt zur Umsetzung der Projekt-UVP-Richtlinie, vergleichbar § 20 Abs. 1 b Satz 3 9. BImSchV, vor, dass die durch eine Umweltverträglichkeitsprüfung vorgenommene Bewertung oder Gesamtbewertung der Umweltauswirkungen bei der Erteilung der Baugenehmigung nach Maßgabe der hierfür geltenden Vorschriften zu berücksichtigen ist. Das Baurecht ist hinreichend offen, um die Ergebnisse der UVP zu berücksichtigen. Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans erlaubt § 15 BauNVO jedenfalls teilweise die Berücksichtigung der Ergebnisse der UPV. Für Vorhaben im nichtbeplanten Innenbereich erlaubt § 34 BauGB bei der Anwendung des Tatbestandsmerkmals „einfügen" eine teilweise Berücksichtigung der Ergebnisse der UVP. Dasselbe gilt für § 35 BauGB; die Ergebnisse der UVP können als öffentliche Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 berücksichtigt werden. Darüber hinaus bleiben nach § 29 Abs. 2 BauGB die Vorschriften des Bauordnungsrechts und andere öffentlich-rechtliche Vorschriften unberührt; sie sind neben den §§ 29 ff. BauGB anzuwenden. UVP-pflichtige Vorhaben fallen unter das Baugenehmigungsverfahren nach § 65, in dem die Einhaltung der einschlägigen umweltrechtlichen Fachgesetze (z.B. § 22 BImSchG, Naturschutzrecht, Wasserrecht) geprüft wird.

Das Umweltfachrecht bietet ausreichenden Raum für die Berücksichtigung der Ergebnisse der UVP. Absatz 2 Satz 1 entspricht § 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2. Satz 2 ist neu. Er beinhaltet die bisher in § 73 Abs. 4 LBO 1996 geregelte Begründungspflicht, geht aber über diese hinaus. Bei der Beschränkung der Begründungspflicht auf Abweichungen nach § 68 von nachbarschützenden Vorschriften werden die oft rechtlich und tatsächlich schwierigeren Fälle einer möglichen Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme nicht erfasst. Von einem Eingehen auch auf solche Einwendungen kann einer Verbesserung der Befriedungsfunktion der Baugenehmigung erwartet werden. Außerdem unterstützt der Begründungszwang die Selbstkontrolle der Verwaltung. Eine mögliche Mehrbelastung der Bauaufsichtsbehörden wird durch die erleichterte Behandlung von Widersprüchen ausgeglichen. Halbsatz 2 stellt klar, dass es einer Begründung nicht bedarf, wenn der Nachbarschaft die Auffassung der Bauaufsichtsbehörde bereits bekannt ist (§ 39 Abs. 2 Nr. 2 SVwVfG), beispielsweise wenn sie ihr in einer im Vorfeld der Genehmigungserteilung geführten Korrespondenz bereits dargelegt worden ist. Die bisherigen Sätze 2 und 3 sind im Hinblick auf die Regelungen des Bundesberggesetzes nicht übernommen.

Absatz 3 entspricht unverändert § 77 Abs. 3 LBO 1996. Absatz 4 entspricht § 77 Abs. 2 Satz 1 LBO 1996. Die Regelung des § 77 Abs. 2 Satz 2 LBO 1996 ist nunmehr in § 57 Abs. 5 enthalten.

Absatz 5 entspricht dem § 77 Abs. 4 LBO 1996. Die Unterrichtung über Ausnahmen und Befreiungen ist in Satz 1 wegen des Verweises in § 72 Abs. 3 Satz 3 nicht mehr erwähnt. In Satz 2 ist klargestellt, dass der Gemeinde nicht nur der Bauschein, sondern auch eine Ausfertigung der Bauvorlagen zu übersenden ist. Die Bestätigung der Bauaufsichtsbehörde im Freistellungsverfahren ist entfallen.

Die Absätze 6 bis 8 ersetzen § 81 LBO 1996.

Da Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens nach § 212 a BauGB keine aufschiebende Wirkung haben, ist Voraussetzung für den Baubeginn nach Absatz 6 Nr. 1 nunmehr nur noch die Bekanntgabe der Baugenehmigung bzw. Teilbaugenehmigung.

Absatz 6 Nr. 2 ist neu. Er stellt klar, dass die bautechnischen Nachweise, die nach § 69 Abs. 2 Satz 3 nachgereicht werden können, rechtzeitig vor Baubeginn vorliegen müssen. Dies gilt auch für die ggf. erforderlichen Bescheinigungen nach § 67 Abs. 3.