Integration

Mit Kroatien und Mazedonien haben zwei weitere südosteuropäische Staaten ihr Interesse an einer EU-Mitgliedschaft bekundet und im Falle Kroatiens bereits mit einem Beitrittsantrag dokumentiert. Mazedonien hat seinerseits einen Beitrittsantrag angekündigt. Die Frage nach der geographischen Finalität der europäischen Integration bleibt also offen und wird wohl auch in den kommenden Jahren fester Bestandteil der Debatte über die Zukunft Europas sein.

I.2 Verfassungsgebender Prozess Erweiterung und Vertiefung sind als zwei Seiten derselben Medaille zu verstehen.

Die Ausweitung der EU auf nahezu 30 Mitglieder zwingt die Gemeinschaft zu Reformen ihrer auf weitaus weniger Mitgliedstaaten ausgelegten Institutionen. Anderenfalls droht der erweiterten EU eine Beschluss- und Handlungsunfähigkeit. Darüber hinaus erfordern neue Herausforderungen in der Außen- und Sicherheitspolitik ebenso wie in der Innen- und Rechtspolitik neue Antworten auf der europäischen Ebene.

Nicht zuletzt ist vor dem Hintergrund verbreiteter Europaskepsis in der Bevölkerung eine klarere Trennung der gemeinschaftlichen und mitgliedstaatlichen Zuständigkeiten sowie eine bessere Sichtbarmachung der Rechte der einzelnen Unionsbürgerinnen und ­bürger geboten.

Mit der Einberufung des 105 Mitglieder umfassenden Verfassungskonvents unter der Leitung des früheren französischen Staatspräsidenten Valery Giscard dEstaing im Februar 2002 verabschiedete sich die Gemeinschaft bewusst von der bisherigen Praxis, Vertragsänderungen nur in einem geschlossenen Kreis von Regierungsvertretern zu verhandeln. Gewünscht war statt dessen eine breit angelegte, Legislative und Exekutive, jetzige und neue Mitgliedstaaten und die Zivilgesellschaft umfassende Debatte. Die Vielzahl an Stellungnahmen, Beiträgen und Änderungswünschen, die den Konvent erreichten und in Arbeitsgruppen bzw. in Plenarsitzungen beraten wurden, haben eindrucksvoll unterstrichen, dass die Diskussion über eine Europäische Verfassung längst überfällig war.

Am 13.6.2003 einigte sich der Konvent auf die wesentlichen Elemente einer Europäischen Verfassung. Der Europäische Rat, der am 20.6.2003 im Beisein von Giscard dEstaing in Thessaloniki tagte, begrüßte den Verfassungsentwurf als eine gute Ausgangsbasis für den Beginn der in Aussicht genommenen Regierungskonferenz. Der Konvent trat vom 9.-11.7.2003 erneut zusammen, um die noch nicht beratenen Teile III und IV des Verfassungsentwurfes zu beschließen. Somit lag der im Oktober 2003 unter italienischer Ratspräsidentschaft beginnenden Regierungskonferenz ein Entwurf für eine Europäische Verfassung mit insgesamt vier Teilen vor: Teil I Grundlagen (59 Artikel) Teil II Charta der Grundrechte (54 Artikel) Teil III Politikbereiche und Arbeitsweise der Union (342 Artikel) Teil IV Allgemeine und Schlussbestimmungen (10 Artikel)

Die deutschen Länder einschließlich Berlin haben den verfassungsgebenden Prozess maßgeblich gefordert und gefördert (Bundesratsentschließung „Kompetenzabgrenzung im Rahmen der Reformdiskussion zur Zukunft der Europäischen Union" vom 20.12.2001, Drs. 1081/01 (Beschluss) sowie „Bundesratsentschließung zu den

Themen des Konvents zur Zukunft der Europäischen Union" vom 12.7.2002, Drs. 586/02 (Beschluss). Verlauf und Ergebnis des Konvents waren aus deutscher Sicht sehr positiv. In einer ersten politischen Bewertung würdigte die Ministerpräsidentenkonferenz am 26.6.2003 in einem Beschluss den Verfassungsentwurf als „einen wichtigen Fortschritt für die Weiterentwicklung der Europäischen Integration und für bessere Wahrnehmung der berechtigten Interessen von Bund, Länder und Gemeinden." Aus Sicht der deutschen Länder waren insbesondere folgende Elemente des Verfassungsentwurfes zu begrüßen:

· Eingliederung und damit Rechtsverbindlichkeit der Grundrechtecharta

· Einheitliche Rechtspersönlichkeit und Aufhebung der Säulenstruktur

· Klare Kompetenzordnung durch Definition von Kompetenzkategorien (ausschließlich, geteilt, ergänzend)

· Beschränkung der Zahl der Rechtsinstrumente

· Erhöhung der demokratischen Legitimation europäischer Rechtsetzung durch Mitentscheidungsverfahren als Regelfall

· Ausweitung von Mehrheitsentscheidungen im Rat sowie Einführung der sog. „doppelten Mehrheit"

· Schutz der regionalen und lokalen Ordnung als Bestandteil der nationalen Identität der Mitgliedstaaten von der EU geachtet

· Stärkung der Kontrollrechte der nationalen Parlamente einschließlich der zwei Kammern durch Einführung eines „Frühwarnsystems" zur Subsidiaritätskontrolle sowie das Klagerecht der zweiten Kammern der nationalen Parlamente bei Verletzung des Subsidiaritätsprinzips

· Weiterentwicklung der Rechte des Ausschusses der Regionen (klageberechtigt bei Verstößen gegen das Subsidiaritätsprinzip und bei Verletzung eigener Rechte). Nachbesserungsbedarf sahen die Länder u.a. hinsichtlich der Mitwirkungsmöglichkeit von Länderministern im Rat sowie im Bereich der Daseinsvorsorge und der Einwanderung von Drittstaatsangehörigen.

So erfreulich das Ergebnis des Konvents aus deutscher Sicht war, so ernüchternd gestaltete sich der Verlauf der Regierungskonferenz. Zwar konnten die vom Bundesrat beauftragten Vertreter (Ministerpräsident Teufel, Baden-Württemberg, Justizminister Gerhards, Nordrhein-Westfalen) einige der Forderungen der deutschen Länder durchsetzen (u.a. Betonung, dass Daseinsvorsorge vorrangig in mitgliedstaatlicher Kompetenz liegt, sowie Sicherung der Mitwirkung von Länderministern im Rat). Dennoch scheiterte die Regierungskonferenz auf ihrer abschließenden Tagung am 12./13.12.2003 letztlich am Dissens zwischen Polen und Spanien einerseits sowie der Mehrheit der übrigen Mitgliedstaaten andererseits über die Einführung der doppelten Mehrheit im Rat.

Auch wenn alle beteiligten Staaten im Anschluss an den gescheiterten Brüsseler Gipfel ihr Interesse und ihre Bereitschaft zur Einigung auf eine Europäische Verfassung bekundet haben, ist offen, wann es zu einer Wiederaufnahme der Beratungen in der Regierungskonferenz kommt. Der Einigungsdruck, der durch den vom Konvent vorgelegten Verfassungsvorschlag auf der Regierungskonferenz lastet, spricht dafür, dass das Projekt „Europäische Verfassung" nicht endgültig gescheitert ist, sondern nach einer entsprechenden „Denkpause" in den Mitgliedstaaten wieder aufgegriffen und einem Konsens zugeführt wird. Trotzdem kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass die nationalstaatlichen Interessen eine Einigung weiterhin verhindern. In diesem Fall dürfte der gesonderte Weg zu einer vertieften Integration der dazu bereiten Mitgliedstaaten vorgezeichnet sein („Europa der zwei Geschwindigkeiten"), wobei offen bleibt, wie dieser Weg inhaltlich und formal (innerhalb oder außerhalb der Verträge) beschritten würde.

Der Senat tritt auch weiterhin für einen EU-weiten Konsens über eine Europäische Verfassung ein. Sie liegt im deutschen wie im Berliner Interesse, weil sie den Rahmen sowohl für eine Stärkung der europäischen Institutionen und Politiken als auch für eine stärkere Identifikation der Unionsbürgerinnen und ­bürger mit der europäischen Integration bildet. Die Europäische Verfassung bleibt ein elementarer Baustein zur Absicherung des Integrationsprozesses und somit eine zentrale europapolitische Forderung des Senats von Berlin.

I.3 Strukturfondsreform

Mit der Vorlage des 2. Kohäsionsberichts durch die Kommission Anfang 2001 hat die Diskussion um die Zukunft der Strukturfonds ab dem Jahr 2007 begonnen. Die EU muss in dieser neuen Förderperiode den Erfordernissen einer dann erweiterten Union mit 25 Mitgliedern Rechnung tragen. Bereits jetzt ist absehbar, dass Berlin eine Fortsetzung der Förderung im bisherigen Umfang über das Jahr 2006 hinaus nicht mehr erwarten kann. Die Europäische Kommission, Generaldirektion Regionalpolitik, hat 2003 ihre breite Debatte über die künftige Regional- und Strukturpolitik intensiv fortgeführt, um die verschiedenen Beiträge in erste Vorschläge einzuarbeiten, die mit dem Dritten Kohäsionsbericht am 18.02.2004 bekannt gegeben wurden. 2003 war in diesem Sinne ein Weichen stellendes Jahr.

Die Berliner Position zur Zukunft der Strukturfondsförderung (Senatsbeschluss vom 17.12.2002) wurde in die Debatte der Länder eingebracht, die in den Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz vom 23.05.2003 in Berlin mündete. Berlin hat sich weiterhin aktiv in die Europaministerkonferenz, Ministerpräsidentenkonferenz-Ost sowie in Bund-Länder-Gespräche zur Vorbereitung einer gemeinsamen deutschen Verhandlungsposition eingebracht, die jedoch Anfang 2004 noch ausstand. Durch enge Abstimmungen zwischen der Senatskanzlei und den Senatsverwaltungen konnte zudem gesichert werden, dass Berlin auch in anderen Fachministerkonferenzen, wie z. B. der Wirtschaftsministerkonferenz und der Bauministerkonferenz, eine kohärente Position vertritt.

Als Mitglied des Deutschen Städtetages brachte Berlin seine Interessen in die Erarbeitung des Positionspapiers „Position der deutschen Städte zur Zukunft der Kohäsionspolitik nach 2006" vom Juli 2003 ein. Dieses Positionspapier war ebenfalls Grundlage der Abschlusserklärung der gemeinsamen Konferenz des Deutschen Städtetages und des Netzwerkes EUROCITIES „Europäische Strukturfonds: Zwischenbilanz und Perspektiven der Großstädte" am 25./26.09.2003 in Dortmund.

Auch hier hat Berlin, sowohl im Vorfeld über die deutsche Sektion von EUROCITIES als auch während der Konferenz, seine Interessen aktiv vertreten.