Rückrufpflicht

Hat der Aussteller eines Dienstleistungserzeugnisses nachträglich erkannt, dass dieses grob unrichtig ist, und dass ein bestimmter Dritter durch Vertrauen auf dieses Zeugnis Schaden zu nehmen droht, dann haftet er für den durch die Unterlassung einer Warnung entstandenen Schaden nach vertraglichen bzw. vertragsähnlichen Grundsätzen.

Anmerkung: Schon der Oberbegriff der Auskunftshaftung ist seit Generationen ein Sorgenkind der Rechtsprechung. Die Spezialvorschrift des § 676 BGB hat zwar auch heute noch ihren guten Sinn, doch mehren sich die Fälle, für die sie nicht so recht passen will. Der vielleicht schon allzu sehr strapazierte Tatbestand des § 826 BGB erscheint in diesem Zusammenhang oft nicht weniger gewaltsam als die Konstruktion eines echten Auskunftsvertrages.

Das Unbehagen vermehrt sich bei der Auskunftsform der Bescheinigung, die als Urkunde Vertrauen in Anspruch nimmt, häufig ohne dass dem gerade eine Bitte des später als Adressaten in Frage Kommenden zugrunde läge. Vielmehr pflegt der Aussteller zur Abgabe dieser schriftlichen Erklärung, die mindestens für den Nichtjuristen den Charakter der Verbindlichkeit trägt, eigene Motive zu haben. Sie können in seinen persönlichen Interessen liegen oder aber auch in einer einem Dritten gegenüber übernommenen Verpflichtung; letzteres kommt vor allem bei den Attesten von Banken, Steuerberatern etc. in Frage. In diesen Fällen liegt die Schaffung einer berufsspezifischen Haftung durch die Rechtsprechung vielleicht nicht fern. Ferner liegt dies aber bei den hier gegebenen Fällen eines objektiv unrichtigen Dienstzeugnisses.

Im gegebenen Falle hatte die Beklagten einem Bediensteten bei seinem Ausscheiden ein Dienstzeugnis ausgehändigt, in dem er als zuverlässiger und verantwortungsbewusster Buchhalter gekennzeichnet wurde. Nachträglich stellte sich heraus, dass er Unterschleife in der Größenordnung von Hunderttausenden begangen hatte. Die Beklagten bemühte sich um die Rückerstattung dieser Beträge durch den Ausgeschiedenen, von dem sie wusste, dass er inzwischen bei der Klägerin unter Vorlage des Dienstzeugnisses wiederum in verantwortlicher Position tätig geworden war. Von einer Richtigstellung des Zeugnisses gegenüber der Klägerin sah die Beklagten, angeblich auf Rat ihres Anwalts, zunächst ab, so dass dieser Gelegenheit hatte, auch bei der Kläger umfangreiche Veruntreuungen zu begehen. Deren Schadensersatzanspruch war im Wesentlichen erfolgreich.

Während das Berufsgericht wegen eines Teilbetrags den Tatbestand des § 826 BGB feststellte, vermochte es sich bezüglich des Rests nicht vom Schädigungsvorsatz der Beklagten zu überzeugen, weil sie mit einer Benachrichtigung der Kläger durch ihren Anwalt habe rechnen können. Auch insoweit hat das Berufsgericht aber den Anspruch bejaht und der Beklagten das Verschulden ihres Anwalts gemäß § 278 BGB zugerechnet. Der BGH hat die zugrunde liegende tatrichterliche Würdigung trotz Bedenken respektiert, die Entscheidung aber trotzdem auch insoweit im Ergebnis bestätigt. Er hat damit auf eine weitere gewaltsame Dehnung des § 826 BGB verzichtet und ist für Fälle der gegebenen Art einen neuen Weg gegangen. Dass dieser neue Weg - nicht nur vorläufig - in bewusst sehr engen Grenzen eröffnet wird, sollte man darüber nicht übersehen.

Der Senat teilt die - übrigens überwiegende - Auffassung, dass der bisher fast allein herangezogen § 826 BGB nicht immer ausreicht, und dass andererseits auch der auf Gefälligkeitsverhältnisse zugeschnittene § 676 BGB, der eine Haftung ausschließt, hier meist fehl am Platze ist. Er hält hier die vertragliche oder doch vertragsähnliche Übernahme einer Einstandspflicht für denkbar und mitunter gegeben. Dass diese bewusst allgemein gehaltene Formulierung den dogmatischen Zeigefinger der Wissenschaft herausfordern würde, wurde in Kauf genommen. Zu solchen Unbestimmtheiten zwingt im Interesse einer alsbaldigen, als richtig empfundenen Entscheidung mitunter nicht nur die pluralistische Struktur eines Fünferkollegiums; es erschien möglich und notwendig, in solchen Fällen dem betonten Vertrauensanspruch der Bescheinigung in einer über die Tatbestände des Deliktsrechts hinausgehenden Weise Rechnung zu tragen und damit in dem notwendigen Rahmen auch einen Schutz für reinen Vermögensschaden und unabdingbare Haftung für Hilfskräfte zu erreichen. Dies deshalb, weil das ganze in einem Spannungsfeld möglicher schuldrechtlicher Konstruktionen liegt, das etwa durch die Positionen Angebot eines Auskunftsvertrags, einseitige auslobungsähnliche Verpflichtung oder aber Vertrag zugunsten des dritten Adressaten ansteckbar ist. Vielleicht hätte eine Anlehnung an letztere Konstruktion am nächsten gelegen, denn die Bedenken des Urteils dagegen schaffen wohl ein Scheinproblem.

Der Anspruch des Arbeitnehmers geht auf ein richtiges, vom Kredit des Arbeitgebers gedecktes Zeugnis, denn nur ein solches hat für ihn Verkehrswert. Die gelegentliche Hoffnung, durch beschönigende Unrichtigkeiten Vorteile zu erschleichen, sollte man in den Bereich der rechtsunerheblichen Mentalreservation verweisen.

Das Urteil beschränkt die „Wahrheits- und Berichtigungspflicht auf Dienstzeugnisse:

In diesem Rahmen postuliert es eine Rückrufpflicht für im Kern als falsch erwiesene Zeugnisse. Dass sich das ganze auf eine Rückrufpflicht beschränkt, bemerkt vom Bar, a. a. 0. mit Recht. Aber das wesentliche ist ja wohl, dass diese im Gegensatz zu derjenigen des Produzenten auch außerhalb einer unmittelbar evidenten Vertragsbeziehung gegen reinen Vermögensschaden sichern soll. Insoweit hat das Urteil eine jedenfalls im weiteren Sinne vertragsähnliche Selbstbindung als Anspruchsgrundlage für erforderlich gehalten. Und es zieht auch die Grenzen dort, wo eine solche Selbstverpflichtung zur Schadensabwehr nicht mehr ohne Zwang unterstellt werden kann. Es stellt daher in seinen Ausführungen, die hier nicht im einzelnen wiederholt werden sollen, vor allem darauf ab, dass die offenbar gewordene Unrichtigkeit einen Kernpunkt betrifft, dass der Aussteller auch die von ihr einem Dritten drohende Gefahr erkannt hat, und dass die Abhilfe zumutbar ist. Über diese engen Grenzen hinaus könnte die hier angenommene Gewährsverpflichtung ebenso künstlich und hinsichtlich des Haftungsrisikos ebenso untragbar werden wie ein allzu leichtfertig unterstellter echter Auskunftsvertrag, bei dem die Auskunft weder gegen Entgelt noch im Rahmen einer unmittelbaren Berufsleistung erteilt wird.

Auch so bleibt dieses Risiko, soweit es sich demnach auch über die Unzuverlässigkeit von Hilfspersonen, oder über das nicht böswillige Vernachlässigen einer erkannten Rückrufpflicht verwirklichen kann, ernst genug. Und es bleibt zu hoffen, dass auch die ihm korrespondierende arbeitsrechtliche Rechtsprechung dafür Verständnis haben wird.