Sachkunde

Hat ein Beauftragter, z.B. ein Rechtsanwalt, einen bestimmten Auftrag nur wegen seiner besonderen Sachkunde erhalten, muss er in aller Regel beim Auftreten von Bedenken gegen erteilte Weisungen den Mandanten beraten und ihn warnen.

Zum Sachverhalt: Der Kläger verlangt von den beklagte Rechtsanwälten Schadensersatz wegen Pflichtverletzungen bei der Verwahrung von Geld. Am 1. 11. 1978 unterzeichnete der Kläger ein Schriftstück, wonach er der V.- GmbH einen Betrag von 100000 DM zur Verfügung stellte, der mit 15% jährlich verzinst werden sollte. Am 6. 12. 1978 suchte der Kläger die Beklagte in deren Kanzlei auf und teilte ihnen seine Absicht mit, bei der V.-GmbH einen Betrag von 100000 DM zinsgünstig anzulegen. Er erklärte hierbei, er benötige vorab noch bestimmte Unterlagen über die von der V.-GmbH zu stellenden Sicherheiten, und bat die Beklagte, bis zum Eingang dieser Unterlagen die 100000 DM bei ihnen hinterlegen zu dürfen. Die Beklagte boten dem Kläger an, die Sicherheiten zu prüfen. Daraufhin schlossen die Parteien eine schriftliche Vereinbarung über die treuhänderische Hinterlegung von 100000 DM auf einem Anderkonto der Beklagte Sie vereinbarten, dass die Beklagte die Auszahlung an die Firma V. insbesondere erst nach Eingang einer selbstschuldnerischen Bürgschaft der Universalbank K. in Höhe von DM 100000 zugunsten des Klägers sowie nach Vorliegen einer schriftlichen Anweisung des Klägers an die Beklagte aufgrund einer Prüfung der Bankunterlagen erfolgen sollte. Nachdem der Betrag auf das Anderkonto der Beklagte eingezahlt worden war, überbrachte der Geschäftsführer der V.-GmbH. K, den Beklagten am 21. 12. 1978 eine vom Kläger unterzeichnete schriftliche Anweisung, das hinterlegte Geld sofort auszuzahlen.

K verlangte aufgrund dieses Schreibens die sofortige Auszahlung und erklärte, die Unterlagen über die Bankbürgschaft seien bereits dem Kläger selbst ausgehändigt worden. Die Beklagte verweigerten zunächst die Auszahlung, überließen dann aber K ein an den Kläger gerichtetes Schreiben, in dem sie diesen aufforderten, zu bestätigen, dass er die Unterlagen erhalten habe und dass entgegen der Vereinbarung vom 6. 12. 1978 sofortige Auszahlung erfolgen sollte. Nachdem der Klägerdas Schreiben unterzeichnet hatte, legte K es am 22. 12. 1978 den Beklagten wieder vor.

Nach der Behauptung der Beklagte hatte der diesem Tag noch vorher mit dem Kläger telefonisch gesprochen: der Kläger habe ihm dabei erklärt, ihm lägen die Bankunterlagen vor, und es sei alles in Ordnung. Daraufhin händigten die Beklagte an K 100000DM in bar aus bzw. gaben ihm einen Barscheck über diese Summe. K hat das Geld veruntreut. Irgendwelche Sicherheiten hatte der Kläger nicht erhalten.

Ein Vollstreckungsversuch des Klägers aus einem gegen K erwirkten Titel verlief ergebnislos.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, das Oberlandesgericht stattgegeben. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: I. Das Berufungsgericht legt die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung vom 6. 12. 1978 dahingehend aus, dass es danach Aufgabe der Beklagte war, vor einer Auszahlung des bei ihnen hinterlegten Geldes zu prüfen, ob spätestens bei dessen Eingang auf dem Konto der V.-GmbH eine unbefristete, unbedingte und uneingeschränkte Verpflichtung der Universalbank K. aus der dem Kläger gegenüber einzugehenden selbstschuldnerischen Bürgschaft begründet wurde, und gegebenenfalls dem Kläger von der Durchführung des Geschäfts mit der V.-GmbH abzuraten, falls sich aus der Bürgschaftsurkunde Zweifel an einer uneingeschränkten Verpflichtung der Universalbank ergaben. Das Berufungsgericht unterstellt die Behauptung der Beklagte als richtig, der Zweitbeklagte habe am 22. 12. 1978 vor der Auszahlung des Geldes noch mit dem Kläger telefoniert; dabei habe ihm der Kläger bestätigt, er habe sowohl die Bestätigung der Universalbank K. über die Einrichtung eines Kontos zugunsten der V.-GmbH als auch eine selbstschuldnerische Bürgschaft dieser Bank über 100000 DM vorliegen: außerdem habe er erklärt, es sei alles in Ordnung, und habe den Zweitbeklagte erneut angewiesen, die Auszahlung an die V.-GmbH sofort vorzunehmen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts sind die Beklagte von ihrer Beratungspflicht weder dadurch befreit worden, dass der Kläger mit der Unterzeichnung des Schreibens vom 21. 12. 1978 einer Änderung der Vereinbarung vom 6. 12. 1978 zugestimmt hat, noch durch die fern- mündliche Erklärung des Klägers vom 22. 12. 1978. Die Zustimmung zu dieser Änderung habe der Kläger nämlich nur erteilt, weil er von den Beklagten schuldhaft pflichtwidrig unzureichend beraten worden sei. Hätten die Beklagte den Kläger richtig beraten, wäre es nicht zu einer Auszahlung des Geldes gekommen. Da der Kläger von den Beklagten nur die Zahlung von 3100 DM verlangt, hat das Berufungsgericht offen gelassen, ob ihn ein Mitverschulden trifft: nach Meinung des Berufungsgerichts überwiegt das Verschulden der Beklagte jedenfalls bei weitem ein etwaiges Mitverschulden des Klägers

II. Die Revision ist nicht begründet.

1. Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht davon aus, dass sich die Beklagte trotz der Unterzeichnung ihres Schreibens vom 21. 12. 1978 seitens des Klägers und trotz des vom Berufungsgericht unterstellten Telefongesprächs vom 22. 12. 1978 zwischen dem Kläger und dem Zweitbeklagte nicht darauf berufen können, der Kläger habe sie davon entbunden, die Bestätigung der Universalbank K. über die Einrichtung eines Kontos zugunsten der V.-GmbH sowie insbesondere die selbstschuldnerische Bürgschaft dieser Bank zu überprüfen, und habe sie angewiesen, ohne Prüfung die 100000 DM sofort an die V.-GmbH auszuzahlen.

a) Die Revision weist zwar zutreffend darauf hin, dass es in der freien Disposition eines Mandanten liegt, einem zuvor von ihm beauftragten Anwalt das erteilte Mandat wieder zu entziehen. Ein Rechtsanwalt hat - wie das Berufungsgericht nicht verkennt - grundsätzlich auch während eines bestehenden Mandats die Weisungen seines Mandanten zu befolgen, selbst wenn dies zu Nachteilen für den Mandanten führen kann. Dies folgt schon daraus, dass für den Anwaltsvertrag gemäß § 675 BGB die Vorschrift des § 665 BGB entsprechende Anwendung findet (vgl. Senat, VersR 1968, 792 [794]). Die Beklagte konnten deshalb dem Kläger ihre Dienste nicht aufdrängen und durften auch das bei ihnen hinterlegte Geld nicht zurückhalten, wenn der Kläger ernsthaft dessen Auszahlung ohne Prüfung der Bürgschaftserklärung wünschte. Es ist jedoch rechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht von einem Rechtsanwalt, der von seinem Mandanten von der Vornahme bestimmter Prüfungs und Beratungspflichten im Zusammenhang mit einer Bürgschaftserklärung freigestellt wird, verlangt, den Mandanten vor Befolgung einer derartigen Weisung eingehend über die damit verbundenen Risiken zu belehren. In der Rechtsprechung ist es seit langem anerkannt, dass ein Rechtsanwalt nicht blindlings den Weisungen seines Mandanten Folge zu leisten hat (BGH, VersR 1977, 421 [422] = LM § 665 BGB Nr. 11). Selbst wenn er den Willen des Mandanten klar erkennt und den Sinn der erteilten Weisung ermitteln kann (vgl. dazu ebenfalls BGH, VersR 1977, 421 [422] = LM § 665 BGB Nr. 11), treffen ihn vielfach noch weitere Pflichten.

aa) Wie die Revision selbst einräumt, muss sich ein Rechtsanwalt bei allen Weisungen, deren Befolgung für den Mandanten schädlich sein kann, über die Ernsthaftigkeit und Endgültigkeit der Weisung vergewissern. Dieser Verpflichtung sind die Beklagte allerdings nach gekommen. Damit erschöpften sich jedoch entgegen der Ansicht der Revision ihre Pflichten nicht.

bb) Ein Rechtsanwalt hat darüber hinaus auch noch Warn- und Hinweispflichten, wenn sich ihm Bedenken gegen die Ausführung einer Weisung seines Mandanten aufdrängen. Jeder Beauftragte kann unter besonderen Umständen dazu verpflichtet sein, seinen Auftraggeber von etwaigen Bedenken gegen dessen Weisungen zu unterrichten (BGH, VersR 1960, 491 [492]; BB 1960, 1267 = LM Allg. Geschäftsbedingungen der Banken Nr. 14 = NJW 1961, 169 L), sofern dem Auftraggeber diese Bedenken nicht bekannt sind (RG, JW 1912, 910). Hat ein Beauftragter, wie z. B. ein Rechtsanwalt oder Steuerberater, einen bestimmten Auftrag nur wegen seiner besonderen Sachkunde erhalten, muss er sogar in aller Regel beim Auftreten von Bedenken gegen erteilte Weisungen den Mandanten beraten und ihn warnen (vgl. Steffen, in: RGRK 12. Aufl., § 665 Rdnr. 6; Seiler, in: MünchKomm § 665 BGB, Rdnr. 15). Dies gilt sowohl bei Weisungen für die Prozessführend (RGZ 161, 280 [282]; Senat, VersR 1965, 763 [764]) als auch für andere Anwaltstätigkeiten, wie z. B. die Verwahrung von Geld. Auch insoweit hat der Rechtsanwalt - ebenso wie ein Notar, der eine entsprechende Betreuungstätigkeit übernommen hat (vgl. dazu Senat, VersR 1978, 247 [248] = LM § 23 BNotO Nr. 2) - bei unsachgemäßen und für den Auftraggeber möglicherweise nachteiligen Anweisungen vor deren Ausführung auf die entstehenden Gefahren hinzuweisen und die Antwort des Mandanten abzuwarten, vor allem wenn für ihn erkennbar wird, dass der Mandant, der bei ihm Geld hinterlegt oder auf Anderkonto eingezahlt hat, durch Auszahlung des Geldes einen Schaden erleiden könnte.

b) Das Berufungsgericht hat diese Grundsätze rechtsirrtumsfrei auf den Streitfall angewendet.

aa) Rechtlich einwandfrei ist das Berufungsgericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Eile, mit welcher der Geschäftsführer K der V.-GmbH die Auszahlung des Geldes betrieb, ohne einen plausiblen Grund dafür darzutun, für die Beklagte in höchstem Grade verdächtig sein musste, und dass die der vertraglichen Vereinbarung vom 6. 12. 1978 widersprechende Auszahlung in bar bzw. die Erteilung eines Barschecks in Anbetracht der hohen Summe ungewöhnlich war. (Wird ausgeführt.)

bb) Es ist rechtlich aber auch nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht davon ausgeht, die Beklagte hätten erkennen müssen, dass für den Kläger ein besonderes Risiko darin bestand, wenn er selbst beurteilte, ob die ihm vorgelegten Unterlagen wirklich eine formwirksame, unbefristete, unbedingt und inhaltlich uneingeschränkte selbstschuldnerische Bürgschaftserklärung enthielten.

cc) Das Berufungsgericht hat es deshalb bei dieser Sachlage mit Recht als Pflicht der Beklagte angesehen, den Kläger eindringlich noch einmal auf die Risiken einer Auszahlung des Geldes ohne zureichende Sicherheit hinzuweisen und ihm klarzumachen, dass nur ein Rechtskundiger zuverlässig beurteilen kann, ob tatsächlich eine wirksame und alle Risiken absichernde selbstschuldnerische Bürgschaft vorliegt. Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagte hat selbst der Zweitbeklagte in seinem Telefongespräch vom 22. 12. 1978 nicht einmal Zweifel anklingen lassen, ob K dem Kläger eine wirksame Bürgschaftserklärung der Universalbank K. übergeben hatte.

dd) Die Beklagte liefen, wenn sie diese Pflicht erfüllten, auch nicht Gefahr, dem Kläger gegenüber wegen verzögerlicher Auszahlung des Geldes schadensersatzpflichtig zu werden. Die Überprüfung der dem Kläger vorgelegten Unterlagen durch die Beklagte musste die Geldauszahlung nicht verzögern. Die Beklagte hätten sich, worauf das Berufungsgericht zutreffend hinweist, schnelle und hinreichende Gewissheit über den tatsächlichen Sachverhalt entweder dadurch verschaffen können, dass sich der Zweitbeklagte anlässlich des Telefongespräches vom Kläger den Inhalt der angeblichen Bürgschaftserklärung vorlesen ließ, oder dass sie den Geschäftsführer K baten, ihnen diese Erklärung kurzfristig zu überlassen.

ee) Ohne Bedeutung ist es schließlich, worauf die Revision zusätzlich abstellen will, dass der Geschäftsführer K dem Kläger nur ein von der Universalbank K. an die V.-GmbH gerichtetes Schreiben vom 20. 12. 1978 vorgelegt hat, während sich die Beklagte vom Kläger durch Unterzeichnung ihres Schreibens vom 22. 12. 1978 bestätigen ließen, der Kläger habe diese Unterlagen erhalten, womit sie sowohl eine Bestätigung dieser Bank über die Kontoerrichtung zugunsten der V.-GmbH als auch die Bürgschaftserklärung zugunsten des Klägers verstanden. Es ist schon fraglich, ob der Kläger erkannt hat, damit den Beklagten eine falsche Information gegeben zu haben. Entscheidend kam es jedenfalls auf die Bürgschaftserklärung an. Insoweit waren aber die Beklagte zur Warnung verpflichtet, und zwar selbst dann, wenn das Konto bestanden hätte.

2. Vergeblich wendet sich die Revision auch gegen die Annahme des Berufungsgerichts, die Pflichtverletzung der Beklagte sei schuldhaft gewesen.

a) Es ist keineswegs, wie die Revision meint, verfehlt, wenn das Berufungsgericht ausführt, das Verschulden ergebe sich schon daraus, dass eine an sich selbstverständliche Beratung unterblieben sei. Zu diesem Ergebnis konnte das Berufungsgericht aufgrund der besonderen Umstände dieses Falles ohne Rechtsfehler gelangen. Die Revision beurteilt die Schuldfrage nur deshalb anders, weil sie die Beklagte schon objektiv nicht für verpflichtet gehalten hat, den Kläger zu warnen.

b) Das Verschulden der Beklagte entfällt entgegen der Annahme der Revision auch nicht dadurch, dass das Landgericht sie für verpflichtet gehalten hat, am 22. 12. 1978 die Anweisung des Klägers zu befolgen und den bei ihnen hinterlegten Betrag an die V.-GmbH auszuzahlen. Nach der Rechtsprechung des RG (RGZ 106, 406 [4101) und des BGH kann allerdings gegen Beamte und Notare dann ein Schuldvorwurf entfallen, wenn ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Kollegialgericht nach mündlicher Verhandlung ihre Auffassung geteilt hat (BGHZ 27, 338 [343] =- LM § 839 [Fi] BGB Nr. 7 = NJW 1959, 35; BGHZ 73, 161 [164] = NJW 1979, 653; BGH, VersR 1983, 399 [400]). Abgesehen davon, dass dies selbst bei der Beamten- und der Notarhaftung nicht als fester Grundsatz, sondern nur als allgemeine Richtlinie für die rechtliche Würdigung des einzelnen Sachverhaltes anerkannt ist (vgl. RGZ 164, 15 [41]; BGH, VersR 1961, 176; NJW 1962, 793 = LM § 839 [B] BGB Nr. 20) und diese Richtlinie bisher noch nicht zugunsten von Rechtsanwälten angewendet wurde (vgl. BGHZ 46, 221 [227] = LM § 76 ZVG Nr. 1 = NJW 1967, 568 m. w. Nachw.), gilt sie auch zugunsten von Beamten und Notaren nur, wenn diese eine wirklich zweifelhafte und nicht einfach zu lösende Rechtsfrage unrichtig beantwortet haben (RGZ 156, 34 [51]; BGHZ 17, 153 [158] = LM StraftilgungsG Nr. 1 = NJW 1955, 988; BGH, VersR 1963, 628 [630 li. Sp.]). Schon diese Voraussetzung war im Streitfalle jedoch nicht erfüllt. Damit kann auch hier dahinstehen, ob die vorerwähnte Richtlinie auch bei der Anwaltshaftung Geltung beanspruchen kann.