Schadensersatz

Für ärztliche Behandlungsfehler des alleinigen Chefarztes eines städtischen Krankenhauses, der den Anstaltsbetrieb in voller Eigenverantwortung leitet, haftet die Stadtgemeinde ohne Entlastungsmöglichkeit auch dann, wenn ihm rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht nicht erteilt war.

Unterläuft dem Arzt im Rahmen seiner normalen Berufstätigkeit ein Behandlungsfehler, so kann er dem Patienten nicht entgegenhalten, dass dieser seine Behandlungsbedürftigkeit selbst verschuldet habe. Der im Jahre 1944 geborene Kläger verlangt Schadensersatz wegen eines ärztlichen Behandlungsfehlers. Er erlitt am 5. 9. 1962 einen Verkehrsunfall, wobei er als Fahrer eines Kleinkraftrades mit einem Lkw des Transportunternehmers Sch. zusammenstieß. Mit erheblichen Verletzungen vor allem im Bereich des linken Beins wurde der Kläger in das Krankenhaus der Beklagten Stadt eingeliefert. Er wurde von dem: Chefarzt Dr. C. kurz in Augenschein genommen. Die weitere Behandlung einschließlich der operativen Versorgung besorgte der Oberarzt Dr. T.; sie bestand unter anderem in einer Nagelung des linken Oberschenkelknochens. -

Erst späterhin wurde noch eine Hüftgelenksverrenkung links festgestellt. Sie konnte im Zuge einer Nachbehandlung nicht voll ausgeglichen werden, hinterließ vielmehr eine Verkürzung des linken Beins um etwa 9 cm und eine erhebliche Bewegungseinschränkung. Der Kläger - ursprünglich Kfz-Mechaniker - war diesem Beruf gesundheitlich nicht mehr voll gewachsen und ist nach einem abgebrochenen Versuch der Umschulung auf den Beruf eines Kaufmannsgehilfen heute als Magazinverwalter tätig.

Mit dem durch seinen Kfz-Haftpflichtversicherer vertretenen Sch. hat der - damals seinerseits durch seine Eltern vertretene - Kläger am 16.5.1965 unter Verwendung eines Vordrucks einen außergerichtlichen Teilvergleich abgeschlossen. Bei der Berechnung der Vergleichssumme war man unstreitig davon ausgegangen, dass der Kläger im Verhältnis zu Sch. 40% seines Schadens selbst tragen müsse. Im gegenwärtigen Rechtsstreit erhebt der Kläger Schadensersatzansprüche mit der Behauptung, die Ante des Krankenhauses der Beklagten Stadt hätten seine bei rechtzeitiger Versorgung gut ausheilbare Hüftverrenkung schuldhaft übersehen. Er hat neben einem bezifferten Schadensbetrag die Feststellung begehrt, dass ihm die Beklagten Stadt für allen künftig an der Fehlbehandlung entstehenden Schaden hafte, und Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 30000 DM gefordert. Die Klage war in den Vorinstanzen erfolgreich, doch hat das Berufungsgericht das Schmerzensgeld gegenüber einem im ersten Rechtszuge zuerkannten Betrag von 45000 DM auf 30000 DM herabgesetzt. Die Rev. des Beklagten hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: I. Das Berufungsgericht hat sich aufgrund sachverständiger Beratung davon überzeugt, dass den Arzten des Krankenhauses einschließlich des Chefarztes bei der Behandlung der Hüftgelenksverrenkung des Kläger schuldhafte Versäumnisse zur Last fallen und dass bei richtiger Behandlung zwar kein voller, wohl aber ein erheblich günstigerer Heilungserfolg eingetreten wäre. Diese weithin auf tatrichterlichem Gebiet liegende Würdigung wird von der Rev, nicht angegriffen und ist rechtlich nicht zu beanstanden.

Das Berufungsgericht geht davon aus, dass dem Kläger aus der Fehlbehandlung Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten nicht nur aus dem ihn begünstigenden Behandlungsvertrag, sondern auch aus dem Rechtsgrund der unerlaubten Handlung entstanden sind, und dass diese daher auch einen Anspruch auf Schmerzensgeld umfassen. Es führt aus:

Der Chefarzt Dr. C. sei aufgrund der hervorragenden Stellung, die ihm durch Dienstvertrag und Zuständigkeitsregelung eingeräumt worden sei und nach der er im ärztlich-medizinischen Bereich die alleinige und unumschränkte Dispositionsbefugnis nach innen gehabt habe, verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten i. S. der §§ 89, 31 BGB gewesen. Nur er allein habe neben fachlicher Qualifikation auch tatsächlich die Möglichkeit gehabt, durch generelle Anweisungen und durch eine entsprechende Überwachung die Gründlichkeit der Befunderhebung unter Einsatz der vorhandenen technischen Einrichtungen - hier der Röntgenapparatur - zu organisieren und zu veranlassen. Das habe er aber nicht nur allgemein nicht getan, sondern zudem hier im konkreten Falle des Klägers bei dessen Untersuchung und Versorgung, die unter seiner unmittelbaren Kontrolle abgelaufen sei, unterlassen. Daher könne sich die Beklagten bezüglich des Chefarztes nicht nach § 831 BGB entlasten.

Diese Erwägungen, die durch die Bezugnahme auf die ausführlicheren Feststellungen und Darlegungen im Urteil des Landgerichts ergänzt werden, greift die Rev, ohne Erfolg an. Der von der Gemeindevertretung gewählte Chefarzt hatte nach seinem Anstellungsvertrag und der von dem Verwaltungsausschul3 der Beklagten am 24. 9. 1947 erlassenen Zuständigkeitsregelung die volle Verantwortung für den ganzen Betrieb des Krankenhauses. Er war lediglich zu enger Fühlungnahme mit dem seinerseits dem Stadtdirektor unterstellten Krankenhausverwalter gehalten. In fachlicher Hinsicht unterlag er - abgesehen von der allgemeinen Aufsicht durch das staatliche Gesundheitsamt - keinerlei Kontrolle. Andererseits unterstand ihm das gesamte Personal einschließlich des ärztlichen, bei dessen Anstellung er entscheidend beteiligt war. Auch bei der Zulassung von Belegärzten war er zu hören.

Bei dieser Sachlage steht es im Einklang mit den in neuerer Zeit vor allem in der Entscheidung BGHZ 49, 19 = vorstehend Nr. 14 = NJW 68, 391 ausgesprochenen Grundsätzen, wenn das Berufungsgericht davon ausgeht, dass dem Chefarzt in dem ihm zugewiesenen Bereich die Stellung eines verfassungsmäßig berufenen Vertreters zukam. Die Notwendigkeit, die Haftungsvorschrift des § 31 BGB ausdehnend auszulegen, wurde schon frühzeitig erkannt und von der Rechtsprechung zunehmend beherzigt.

Da es der juristischen Person nicht freisteht, selbst darüber zu entscheiden, für wen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften, will, kann es nicht entscheidend auf die Frage ankommen, ob die Stellung des Vertreters in der Satzung der Körperschaft vorgesehen ist. Für die Bejahung der Vertretereigenschaft ist es auch nicht wesentlich, sondern allenfalls ein Hinweis, dass dem Betreffenden rechtsgeschäftliche Vertretungs- macht eingeräumt ist. Vielmehr genügt es, dass dem Vertreter durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, er also die juristische Person s,uf diese Weise repräsentiert. Diese Voraussetzungen sind hier nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erfüllt.

Daher hat das Berufungsgericht zu Recht auf den mit umfassenden Befugnissen ausgestatteten alleinigen Chefarzt die Vorschrift des § 31 BGB angewandt. Dem steht das Urteil BGHZ 1, 383 Nr. 2 zu § 328 BGB = NJW 51, 798 L nicht entgegen. Die Rev, übersieht, dass dort zwar von einem Chefarzt die Rede ist, eine über den Umfang des § 831 BGB hinausgehende Haftung aber nicht geltend gemacht war und demgemäß dem RevGer. auch keine Feststellungen unterbreitet waren, die den Schluss auf die Vertretereigenschaft ermöglicht hätten. Soweit sich die Rev. ferner auf gegenteilige Stellungnahmen. im Schrifttum beruft sind diese Meinungen mit dem dargestellten Stand der Rechtsprechung nicht vereinbar.

Nicht zu entscheiden ist, wieweit diese Grundsätze auch für einen Chefarzt einer mehr oder weniger selbständigen Fachabteilung oder einer in eine größere Krankenhausorganisation eingegliederten Anstalt gelten müssten.

Dass das schadensursächliche Handeln des Chefarztes auch in den ihm anvertrauten Funktionsbereich der Beklagten fiel, ist nicht zweifelhaft; dazu gehört auch die eigene ärztliche Tätigkeit des Chefarztes, nicht nur seine Tätigkeit im Bereich der Organisation und Aufsicht. Auf Bestand und Umfang einer rechtsgeschäftlichen Vertretungsmacht kommt es insoweit, da nur ein tatsächliches Verhalten in Frage steht, ohnehin nicht an .