Wohn- und Arbeitsverhältnisse

Besondere städtebauliche Rechtfertigung (Gründe) zur Unterschreitung der Abstandsflächen nach BauO Bln

Die besondere städtebauliche Rechtfertigung zur Unterschreitung der Abstandsflächen, die im Geltungsbereich dieses Bebauungsplans aufgrund folgender besonderer örtlicher Verhältnisse und der besonderen planerischen und baulichen Situation ­ wie nachfolgend begründet wird ­ liegt vor

Die Notwendigkeit zur Unterschreitung der Abstandsflächenregelungen gemäß § 6 BauO Bln ergeben sich im wesentlichen aufgrund der gleichen städtebaulichen Zielstellungen, welche eine Überschreitung der baulichen Dichte gemäß § 17 BauNVO erforderlich machen (siehe Kapitel 2.3.3.1). Grundsätzlich ist hiernach für alle Mischgebiete die Unterschreitung der Abstandsflächen durch diese ausdrücklichen Festsetzungen zur Umsetzung der städtebaulichen Ziele für das Plangebiet, insbesondere einer Rekonstruktion des Quartiers in Anlehnung an das historische Vorbild inklusive Gasse, erforderlich (ehemals Altstadtquartier mit geschlossenen Blockrändern und schmalen Straßenquerschnitten). Die Umsetzung des daraus entwickelten städtebaulichen Konzeptes im Sinne des Planwerk Innenstadt, als insbesondere zu berücksichtigende städtebauliche Planung im Sinne des § 1 Abs. 6 Nr. 11 BauGB sowie der Entwicklungsmaßnahme im Sinne des § 165 f. BauGB, erfordert die Unterschreitung der Abstandsflächen zu den Nachbargrundstücken und innerhalb des Plangebietes.

Die gleichzeitige Nutzungskonzeption als Mischgebiet erfordert Baufeldtiefen, die gleichwertig für Wohnen und Gewerbe geeignet sein müssen. Dies, in Verbindung mit der geringen Größe der Baufelder und den städtebaulichen Zielen bezüglich der Blockrandbebauung, bedingt, dass ein Zurückweichen der Bebauung zugunsten größerer Abstände nicht möglich ist. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass ein erheblicher Teil der oben beschriebenen Abstandsflächenunterschreitungen durch die schmalen historischen Straßenquerschnitte bedingt ist.

Die Abstandsflächenunterschreitungen außerhalb des Plangebietes ergeben sich im Wesentlichen aus der unveränderlichen Lage der straßenbegleitenden Blockränder und der zum Teil geringen, historisch gewachsenen Straßenbreiten und die damit einhergehenden eingeschränkten möglichen Gebäudehöhen bezogen auf die Straßenmitte. Ziel ist jedoch eine an die Traufhöhen der Umgebung angepasste homogene Höhenentwicklung. Wesentliche Bezugspunkte sind hierbei das Opernpalais in der Oberwallstraße mit einer Traufhöhe (TH) von 52,8 m über NHN, das Auswärtige Amt in der Straße Werderscher Markt mit einer TH 56,6 m über NHN, die Friedrichswerdersche Kirche mit einer TH von 59,4 m über NHN. Hierbei werden z.T. bereits durch die Bestandsgebäude die vorgeschriebenen Abstandsflächen bezogen auf die Mitte der öffentlichen Verkehrswege im Osten und Westen des Plangebietes nicht eingehalten.

Ebenso ist zu beachten, dass ein wesentlicher Anteil der Abstandsflächenüberdeckungen innerhalb des Plangebietes aufgrund der Bebauung im Mischgebiet G resultiert. Ohne diese eingeschossige Bebauung würden gemäß § 6 BauO Bln die notwendigen Abstandsflächen weitestgehend eingehalten, da es sich um ein Grundstück handelt, die Gebäude in einem Winkel von mehr als 75 Grad zueinander stehen und sich die Abstandsflächen somit gemäß § 6 Abs. 3 Nr. 1 BauO Bln überdecken dürfen. Lediglich Teile der Abstandsflächen des Mischgebietes C sowie des Mischgebietes E und F würden sich in diesem Fall auf einer Fläche von ca. 35 m2 unzulässig überdecken.

Gleichwohl ist die Bebauung des Mischgebiet G jedoch notwendig, um die Falkoniergasse räumlich zu fassen. Die öffentlich zugängliche Falkoniergasse ist mit ihren angestrebten Besatz an Läden und Gastronomie sowie ihrer besonderen räumlichen Lage, ein maßgeblicher Teil der städtebaulichen Gesamtkonzeption für das Plangebiet, die insbesondere auch auf eine Belebung des Umfelds im Sinne der Entwicklungsmaßnahme zielt. Um einerseits die Gasse baulich zu fassen, andererseits die abstandsrechtlichen Konflikte auf das notwendige Maß zu reduzieren, wurden die zulässigen Gebäudehöhen auf das erforderliche Mindestmaß von einem Vollgeschoss und einer maximalen Höhe von 5 m über Gehweg reduziert.

Ferner wird das Plangebiet durch die Falkoniergasse gegliedert und intime (Wohn-)Innenbereiche für die Wohnnutzungen im Mischgebiet E und F durch die bauliche Trennung gewährleistet; die direkte Einsicht von der öffentlichen Gasse aus wird unterbunden.

Im Zuge der Planungen wurden die Überdeckungen und Erstreckungen der Abstandsflächen durch die Modifikation von Gebäudestellungen, die Staffelung der zulässigen Oberkanten baulicher Anlagen (Mischgebiete A, C, D, E und F) die Reduktion der Zahl der Vollgeschosse in den Mischgebieten D, E und F und G sowie der Verzicht auf eine Bebauung im Mischgebiet H, auf das im geänderten städtebaulichen Konzept städtebaulich notwendige Maß reduziert. Im Ergebnis stellt die planerische Konzeption einer öffentlich zugänglichen Gasse zur Belebung des Gebietes und seines Umfeldes, bei gleichzeitiger Sicherstellung der Privatsphäre der Blockinnenbereiches und die Integration von Nutzungen, die nicht negativ von der Abstandsflächenüberdeckung betroffen sind, sondern von ihr vielmehr profitieren kann, die planerisch optimierte Variante dar und ist notwendig, um die in Kap. 2.3.3.1 dargestellten städtebaulichen Ziele zu erreichen.

Berücksichtigung der durch § 6 BauO Bln geschützten Rechtsgüter

Die zulässigen Gebäudehöhen des Mischgebietes B betragen ebenfalls 5,1 m über Gehweg. Dadurch, dass östlich der Falkoniergasse die hohen Gebäude (Mischgebiete A, C und D) jeweils direkt an niedrigere (eingeschossige) Teilflächen (Mischgebiete B) grenzen, sowie aufgrund der Abstände zur gegenüber liegenden Bebauung an der Falkoniergasse, ist eine ausreichende Belüftung innerhalb der Baugebiete gewährleistet. Gleichzeitig besteht für diese Wohnungen im zweiten Vollgeschoss ein direkter Zugang zu einer Terrasse auf den Dächern der Teilflächen Mischgebietes B, so dass auch in den unteren Vollgeschossen attraktive Wohnungszuschnitte möglich sind. Die Belange des Brandschutzes werden durch die Unterschreitung der Abstandsflächen nicht beeinträchtigt.

Die Erstreckungen der Abstandsflächen auf das Nachbargrundstück Friedrichswerdersche Kirche resultieren einerseits aus der angestrebten Blockrandbebauung im historischen Grundriss. Im Vergleich zum Vorkriegsbestand erhöht sich der Abstand zur Friedrichswerderschen Kirche von damals 4 auf 5 m und entspricht der im Bebauungsplan I-208 bereits festgesetzten Lage. Der erforderliche Brandschutzabstand zur Friedrichswerderschen Kirche (5 m) ist gewährleistet. Lediglich auf Höhe des südwestlichen Kirchturmaufganges wird dieser Abstand unterschritten. In diesem kurzen Abschnitt zwischen der Friedrichswerderschen Kirche und dem Mischgebiet wird der Feuerüberschlagsweg von mindestens 5 m unterschritten. In diesem Bereich sind die Fassaden im Mischgebiet entsprechend den bauordnungsrechtlichen Regelungen als Brandwand (vgl. auch § 30 der Bauordnung für Berlin) auszubilden, da sich im Kirchengebäude an dieser Stelle Fenster befinden. Zwar wird auch auf Höhe der Pfeiler der Friedrichswerderschen Kirche ein Abstand von 5 m geringfügig unterschritten, eine Brandwand ist hier voraussichtlich jedoch nicht erforderlich, da sich in diesen Mauervorsprüngen keine Fenster befinden. Die abschließende Entscheidung hierzu trifft die Baugenehmigungsbehörde im Rahmen des bauordnungsrechtlichen Verfahrens.

Durch die im oberen Bereich aufgelockerte Bebauung wird ein zusätzlicher Lichteinfall begünstigt.

Durch die geplante Bebauung, insbesondere die stark aufgelockerte Kammstruktur zur Friedrichswerderschen Kirche hin wird eine optimale Belüftung des Gebiets gewährleistet. Des Weiteren sind im Rahmen der Gebäudeplanung, z. B. durch eine geeignete Grundrissgestaltung, alternative Durchlüftungsmöglichkeiten sowie die Anordnung von Loggien weitere Maßnahmen möglich, um eine ausreichende Belichtung von Wohnungen und Aufenthaltsbereichen von gewerblichen Einrichtungen zu gewährleisten. Diese Maßnahmen können jedoch nicht detailliert festgesetzt werden, da sie abhängig von der Verteilung der Wohnnutzung im Gebiet sind und zudem im Bebauungsplan nicht regelbar sind. Auch ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der Festsetzungen die Vollgeschosse deutlich höher sein können als üblich (zwischen 3,5 und 4,5 m). Die Festsetzungen ermöglichen damit eine Vollgeschosshöhe, die eine hohe Wohnqualität und eine gute Belichtung gewährleistet und gleichzeitig eine hohe städtebauliche Qualität ermöglicht. Dieses trägt im Zusammenhang mit angemessenen Fensterhöhen mittelbar zu einer weiteren Kompensation der geringeren Abstandsflächen bei.

Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass neben dem Abstand der Gebäude eine Vielzahl anderer Faktoren Einfluss auf die Beleuchtung der Innenräume mit Tageslicht haben, die weder planungs- noch bauordnungsrechtlich beeinflussbar sind. Hierzu zählen unter anderem die Verwendung Licht reflektierender oder Licht absorbierender Mobiliar-, Wand- und Fußbodenoberflächen, Vorhänge und Gardinen sowie Bäume. Insofern muss auch durch größere Abstände die Belichtung nicht zwangsläufig besser werden.

Allgemeine Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse Bezüglich der Belichtung, Besonnung und Belüftung ist gemäß der geltenden Rechtsprechung davon auszugehen, dass bei einer Einhaltung der Abstandsflächen in der Regel auch die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt sind, während bei einer Unterschreitung der an sich einzuhaltenden Abstände die Auswirkungen insbesondere auf Belichtung im Einzelnen zu prüfen sind und nachzuweisen ist, dass trotz der Unterschreitung die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht beeinträchtigt werden.

Grundsätzlich gibt es somit keinen Automatismus, dass im Falle einer Unterschreitung der Anforderungen der Abstandsflächen gemäß § 6 BauO Bln ein städtebaulicher Missstand abzuleiten ist. So sind z. B. gemäß § 6 Abs. 3 BauO Bln, der eine Überdeckung von Abstandsflächen (also eine Überlagerung auf dem eigenen Grundstück) ausdrücklich zulässig, wenn die Gebäude in einem Winkel größer als 75 Grad zueinander stehen. Demnach sind nach Auffassung des Gesetzgebers in diesem Fall die Belichtung und Belüftung ausreichend (Wilke/Dageförde/Knuth/Meyer/Broy-Bülow, Bauordnung für Berlin, Kommentar, 6. Aufl. 2008, § 6 RN 38).

Um die Auswirkungen der Festsetzung des Bebauungsplans in Hinblick auf die Belichtung und Besonnung beurteilen zu können, wurden zwei Besonnungsstudien erstellt. Hieraus ergibt sich, dass in Verbindung mit der textlichen Festsetzung 1.2 gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse auch im Falle der Unterschreitung der Abstandsflächen gemäß § 6 BauO Bln gewahrt werden können (siehe Kap 2.3.3.3). Auch die Belüftung und Sozialabstände sind ausreichend.

Besonnungsstudie

In einer Besonnungsstudie wurde die Besonnungssituation bezogen auf die geplante Bebauung untersucht. Der Besonnungsstudie liegt eine Bebauungskonzeption mit Stand vom 19.07.2011 zugrunde. Durch die nachfolgenden Änderungen wurden die Geschossflächen und die Gebäudehöhen in Teilen reduziert, jedoch nicht erweitert. Damit kann konstatiert werden, dass gegenüber dem Stand der Besonnungsstudie keine Verschlechterungen, sondern vielmehr Verbesserungen der Besonnungsverhältnisse erreicht wurden. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf den Stand vom 19.07.2011.

Ein Grenz- oder Mindestwert, wann ein städtebaulicher Missstand bzw. die Beeinträchtigung der allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse aufgrund fehlender Besonnung zu erwarten ist, wurde bisher in rechtlichen Vorschriften nicht festgelegt.

In der Begründung zur BauO Bln wird als Belichtungsziel für Aufenthaltsräume eine Ausleuchtung, die "das Lesen und Schreiben im fensternahen Bereich bei bedeckten Himmel" ermöglicht, angestrebt.

Zur Beurteilung ob dies gegeben ist, lehnt sich die amtliche Begründung zum § 6 Abs. 5 BauO Bln an die DIN 5034-1 an, nach der eine Belichtung in der Regel ausreichend ist, wenn am 17. Januar mindestens 1 Stunde direkte Besonnung sichergestellt wird (Boeddinghaus in: Baurecht, April 2009, 40.

Jahrgang, S. 591).

Eine weitere Orientierung, wann ein städtebaulicher Missstand in der Regel ausgeschlossen werden kann, bietet ein Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 24. Oktober 2004: "Ein städtebaulicher Missstand ist regelmäßig nicht gegeben, solange zur Tag- und Nachtgleiche (21. März bzw. 21. September) eine direkte Besonnung von mindestens zwei Stunden sichergestellt ist."

Ferner ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Helligkeit in allen Wohnungen ausreichend ist, wenn die Abstandsregelungen der Bauordnung eingehalten werden (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.10.2009 ­ 10 S 26/09). Die Argumentation des Gerichts zielt darauf ab, dass ein Bauwerk immer mit Auswirkungen auf den Nachbarn verbunden ist, das Abstandsrecht jedoch das Maß dessen definiert, was der Nachbar an Beeinträchtigungen hinzunehmen habe (Boeddinghaus in: Baurecht, April 2009, 40. Jahrgang, S. 593). Gleichzeitig erfolgt jedoch flächendeckend auch eine Überschreitung der Obergrenzen gemäß § 17

BauNVO. Diese ist ebenfalls nur dann zulässig, wenn die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nicht beeinträchtigt sind. Hierzu bedarf es einer zweiten Prüfung, denn diese Norm fußt nicht primär auf dem Abstandsflächenrecht, sondern zielt auf eine geordnete städtebauliche Entwicklung ab. Ebenso hat das OVG Berlin-Brandenburg in einem Urteil 2007 (Urteil 2 A