Im Verteiler der Protokolle sind auch die Geschäftsführer zu finden

Auch wenn im Rahmen der Vernehmung des Zeugen Mutscher, der in diesem Fall für den Hinweis verantwortlich war, der Hintergrund und genaue Ablauf des Vorgangs nicht aufgeklärt werden konnte, steht doch fest, dass im insoweit auch mündlich durch den Zeugen Mutscher bestätigten Protokoll der Arbeitsberatung der Rechtsabteilung vom 29. August 2007, festgehalten ist: „Herr Mutscher hat in der Arbeitsberatung vom 01.08.2007 ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 18.07.2007 erläutert, demzufolge öffentliche Auftraggeber, die das Vergabeverfahren nicht beachten bzw. ein solches gar nicht durchführen, obwohl dies angezeigt ist, verpflichtet sind, vergaberechtswidrig geschlossene Verträge wieder aufzuheben, auch wenn sie zivilrechtlich dazu nicht befugt sind. Unterlassen sie dies, so setzt die Europäische Kommission Zwangsgelder in nicht unbeträchtlicher Höhe fest."

Gemäß am 27. September 2007 berichtigtem Protokoll lautet der letzte Absatz dieser Passage: „Herr Eichert und Herr Mutscher regen in Auswertung aktueller Rechtsprechung an, die Organisationsanweisung 3/2005 konsequent anzuwenden und bei Überschreitung der Schwellenwerte Architektenleistungen auszuschreiben."

Im Verteiler der Protokolle sind auch die Geschäftsführer zu finden. Auch dieser Hinweis auf die Rechtslage führte zu keinen Konsequenzen für die Vergabepraxis.

Laut Aussage des Zeugen Eichert blieben die beiden dargestellten Fälle nicht die einzigen Anlässe, um in der HOWOGE über die Vergabepraxis zu diskutieren. So habe man im Jahr 2008 über das ­ oben angeführte ­ Urteil des OLG Karlsruhe gesprochen, das eine vom Kammergericht abweichende Meinung zu vertreten schien: „Als es herauskam, haben wir es natürlich mit Interesse gelesen und auch diskutiert und uns die Frage gestellt: Hat das jetzt Auswirkungen für uns? ­, sind aber zu dem Ergebnis gekommen, dass sich für Berlin nichts ändert."

Im Protokoll der Arbeitsberatung der Rechtsabteilung vom 20. August 2008 heißt es hierzu unter dem Punkt „Kommunale Wohnungsbaugesellschaften als öffentlicher Auftraggeber": „Das Land Berlin wie das Kammergericht sehen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften als öffentliche Auftraggeber im Sinne von §§ 98 ff. GWB an, mit der Folge, dass die Bestimmungen für EU-weite Ausschreibungen zu beachten sind. Anderer Auffassung ist das OLG Karlsruhe in einer Entscheidung vom 17.04.2008, die die GBG Mannheim betrifft. Das OLG Karlsruhe nimmt an, dass kommunale Gesellschaften sich im Wettbewerb untereinander und mit privaten befinden, mithin gewerblich tätig sind und also dem Anwendungsbereich des GWB nicht unterfallen. Die Entscheidung hat keine unmittelbare Auswirkung auf die Vergabepraxis der HOWOGE, könnte aber die Diskussion über die Eigenschaft kommunaler Gesellschaften als öffentlicher Auftraggeber wieder anregen".

Im Jahr 2009 schließlich wurde erneut aus Mitarbeiterkreisen auf die Problematik der Vergabepraxis der HOWOGE hingewiesen. In diesem Fall kam der Vermerk nur mittelbar aus der Rechtsabteilung, unmittelbar aus der Abteilung für Betriebswirtschaft und Controlling, die, zuständig für Risikomanagement, den jährlichen Risikobericht zu verantworten hat, der als Teil des Jahresabschlusses mit diesem geprüft und veröffentlicht wird. Laut dem Zeugen Thierschmann, Mitarbeiter dieser Abteilung, gehört zu seinen Aufgaben die „Risikoidentifikation, eine Risikoanalyse und -bewertung, das Risikocontrolling und eben auch die Risikodokumentation. Das ist dann die Erstellung des Risikoberichts für den Aufsichtsrat. Ziel ist [...], dass wir möglichst frühzeitig Einflüsse identifizieren wollen, die dann Einfluss haben auf unsere unternehmerischen Ziele, um entsprechend gegensteuern zu können und entsprechend steuern zu können. Dazu werden wir von der Geschäftsführung der HOWOGE zweimal im Jahr aufgefordert, um Zuarbeit gebeten, den Risikobericht zu erstellen. [...] Das Ziel ist, dass wir den Aufsichtsrat über die wesentlichen Risiken, die wir im Konzern HOWOGE sehen, regelmäßig informieren wollen. [...] Den Prozess der Risikoberichtserstattung oder der Erstellung des Risikoberichts kann man sich dreigeteilt am besten vorstellen. Das heißt, wir starten mit der Risikoidentifikation. In diesem Prozessschritt ist es so, dass wir die Abteilungen und Bereiche der HOWOGE auffordern, Risiken zu identifizieren. Ich als Mitarbeiter Risikomanagement unterstütze diesen Prozess durch umfangreiche Unterlagen, die es dann möglich machen, Risiken strukturiert zu erfassen. In diesem Prozessschritt ist die HOWOGEGeschäftsführung beteiligt derart, dass wir Gespräche mit ihr suchen. Häufigst wird da der vorangegangene Risikobericht noch mal rekapituliert, die Themenbereiche von diesem Risikobericht noch mal durchgegangen und dann die Geschäftsführung gefragt, ob weitere Themenbereiche, weitere Risiken von ihr aus gesehen werden, die wir dann in die Abteilungen und Bereiche tragen zur Bewertung. Bewertung und Analyse ist der zweite Schritt in diesem Prozess.

Wenn die Risiken identifiziert sind, erfolgt die Analyse und Bewertung der Risiken in den Bereichen und Abteilungen. [...] Was dort dann dabei rauskommt, das heißt, die gewonnenen Erkenntnisse, fließen dann ein in diesen dritten Prozessschritt. Das ist dann die eigentliche Risikodokumentation. Das heißt, es wird von uns, von mir ein Entwurf des Risikoberichts erstellt, der wird mit der Geschäftsführung besprochen und später dann natürlich auch bestätigt, von der Geschäftsführung freigezeichnet und von ihr dann an den Aufsichtsrat versandt."

In einem Vermerk vom 27. Juli 2009, verfasst vom Zeugen Thierschmann, heißt es: „für den Risikobericht identifizierten wir das Thema der Vergabe von Planungsleistungen für die Modernisierung unserer Ankaufbestände in BerlinBuch (siehe hierzu auch Organisationsanweisung Nr. 3/2005, Ausschreibung und Vergabe von Leistungen). Zu prüfen wäre hier inwieweit diese Planungsleistungen öffentlich/europaweit hätten ausgeschrieben werden müssen.

Auf Wunsch des Herrn Kirschner (im Rahmen der Nachbesprechung zur Teilarbeitsgruppe BSC ­ Perspektive Mehrwert am 24.07.2009) wird dieses Thema im Risikobericht nicht erfasst."

Die Verteiler-Zeile ist handschriftlich ergänzt, dort heißt es: „27.07. in Besprechung AR-Vorlage auf Nachfrage durch GF bestätigt". Darum gebeten, die Vorgänge rund um diesen Vermerk zu erläutern, gab der Zeuge Thierschmann an, das Thema sei aus dem Bereich Recht und Versicherung als Risiko genannt worden; zu einer näheren Auseinandersetzung mit Vergabefragen sei es dann deshalb nicht mehr gekommen, weil die Geschäftsführung den oben vom Zeugen Thierschmann geschilderten, dreistufigen Prozess schon sehr früh, im ersten Stadium, dem der Risikoidentifikation, habe abbrechen lassen.

Herr Kirschner habe sich, so der Zeuge Thierschmann, in einer Besprechung dahingehend geäußert, „dass ihm dieses Thema bekannt sei und dass er eben nicht wünsche, dass es in den Risikobericht mitaufgenommen wird. Ich habe auf dieses Gespräch hin diesen Vermerk dann erstellt, adressiert an meinen direkten Vorgesetzten, den Herrn Tersch, Leiter der Abteilung Betriebswirtschaft und Controlling, und habe ihn auf diesen Sachverhalt eben hingewiesen."

In der darauffolgenden Woche habe man ein weiteres Gespräch, nun auch mit Herrn Adam geführt, in dem Herr Kirschner seine Haltung bekräftigt, Herr Adam sich nicht geäußert habe.

Hierauf habe Herr Tersch den Vermerk um die zitierte handschriftliche Notiz ergänzt.

Ein derart früher Abbruch des Prozesses der Risikoberichterstattung sei „nicht üblich" gewesen ­ schließlich sei man noch nicht einmal in jene zweite Phase eingetreten, in der ein erkanntes Risiko bewertet und analysiert werde.

Der Zeuge Kirschner, angesprochen auf die verschiedenen Hinweise aus dem eigenen Hause, äußerte sich wie folgt zu dem Vorwurf, nicht reagiert und die Praxis umgestellt zu haben: „Erst einmal ist das vereinzelt. Es ist nicht so, dass jemand zu uns reingegangen ist und gesagt hat: Das könnt ihr auf gar keinen Fall machen, diese Protokolle der Rechtsabteilung. Wir hatten die Organisation, dass alle Abteilungen über alles, was sie machen, Protokolle führen. Die haben wir als Geschäftsführer alle gekriegt, und das waren viele. Nun können Sie mir natürlich vorwerfen, man muss alles lesen. Ich kann Ihnen nicht einmal sagen, ob ich das explizit so rausgelesen habe ­ ich weiß es einfach nicht mehr. Es existieren aber solche Papiere, rudimentär über die Jahre verteilt, aber in sehr weiten Abständen ­ wie Sie erkennen können ­ und auch nicht permanent, dauerhaft: Hier ist ein Dauerproblem, das brennt, und das müssen wir klären.

Noch mal zu dem Satz, was im Wirtschaftsleben so ist: Dann muss eben jemand, der so erhebliche Bedenken hat, sich darüber hinwegsetzen und sagen:

Ich kann das nicht mehr vertreten und melde das höheren Stellen.