Grundleistungen

Insofern ist von den beiden Geschäftsführern der HOWOGE auch nie bestritten worden, dass in mehreren Fällen die Schwellenwerte des § 2 VgV überschritten wurden. Noch bevor die Ergebnisse der anlässlich erster Verdachtsmomente in Auftrag gegebenen Sondergutachten bekannt waren, gaben die Geschäftsführer in einem Schreiben an den Finanzsenator vom 22. Februar 2010 zu, die Beachtung europaweiter Ausschreibungsschwellenwerte sei „zugegebenermaßen nicht der wesentliche Entscheidungsfaktor im Hause der HOWOGE" gewesen.

Da der Ausschuss insoweit keine weitere Aufklärungsleistung erbringen musste, sollen im Folgenden zur Veranschaulichung lediglich drei repräsentative Beispiele für die Schwellenüberschreitungen angeführt werden.

Die entscheidenden Schwellenwerte ergeben bzw. ergaben sich aus der jeweils gültigen Fassung von § 2 Nr. 2 VgV. Für den Prüfungszeitraum waren folgende Werte gültig:

Bei der Frage, ob dieser Wert erreicht wird, ist jeweils auf die geschätzte Gesamtvergütung einschließlich aller Optionen oder etwaiger Vertragsverlängerungen abzustellen, § 3 Abs. 1 VgV. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Schätzung ist gemäß § 3 Abs. 9 VgV der Tag, an dem die Bekanntmachung der beabsichtigten Auftragsvergabe abgesendet oder das Vergabeverfahren auf andere Weise eingeleitet wird ­ bzw. hätte eingeleitet werden sollen. Hilfsweise wird auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abgestellt.

1. Beispiel: Projekt Schulze-Boysen-Straße (Niedrigenergiehaus)

Mit Werkvertrag vom 06./12. Januar 2005 beauftragte die HOWOGE die IPB.B (Ingenieurbüro für Projektentwicklung und Baubetreuungsgesellschaft mbH, deren Geschäftsführer Abg. Ralf Hillenberg war und nach wie vor ist) und die ISB (Planungsbüro für Haustechnik Ingenieurgesellschaft Schneider & Bauer mbH) mit Planungsleistungen für die Instandsetzung und Modernisierung des Doppelwohnhochhauses Schulze-Boysen-Straße 35/37.

Das Honorar für die in diesem sogenannten Grundlagenvertrag vorgesehenen Leistungen (Planungsentwurf bis Betreuung des Bauvorhabens und Dokumentation) betrug 48.083,33 (Nr. 10 des Vertrags).

Neben diesen Grundleistungen sah der Vertrag allerdings bereits Folgebeauftragungen vor. In seiner Nr. 3 („Umfang der Beauftragung") ist geregelt, wie mit den weiteren Leistungsschritten zu verfahren sei. Unter Punkt 3.3 heißt es:

Gemeinsamer abweichender Bericht der Fraktionen der CDU, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP „Der Auftragnehmer verpflichtet sich schon jetzt, bei entsprechender Beauftragung die weiteren in Pkt. 4 genannten Leistungen zu erbringen, sofern für ihn nicht ein wichtiger Kündigungsgrund vorliegt."

Durch die Vertrags-Nachträge vom 06./07. April, 01. September 2005, 06./10. März, 20./26. Juli 2006 und 03. April 2007 wurden auch die verbleibenden Leistungsstufen erwartungsgemäß an den Auftragnehmer des Grundlagenvertrages vergeben.

Für das Gesamtvorhaben wird ein Honorar von 359.440,58 angegeben, der im Jahr 2005 bei 211.000 liegende Schwellenwert wurde demnach deutlich überschritten.

Dass das Honorar für die im Grundlagenvertrag vereinbarten Leistungsphasen nur 48.083,33 betrug, ist unerheblich, da, wie erläutert, für die Auftragsschätzung gemäß § 3 VgV (auch in der 2005 gültigen Fassung) die Gesamtvergütung für alle vorgesehenen Leistungen entscheidend ist. Es ist demnach der voraussichtliche Vertragswert aufgrund des größtmöglichen Auftragswertes unter Einbeziehung des Optionsrechts zu schätzen.

Obwohl demnach der geltende Schwellenwert überschritten wurde, wurden die Aufträge direkt, ohne Einhaltung der Regularien der VOF vergeben. Weder wurde die Auftragsvergabe europaweit bekannt gegeben, noch wurden Vergleichsangebote eingeholt. Dass das Verfahren weder dokumentiert noch die erfolgte Vergabe bekannt gegeben wurde, kann vor diesem Hintergrund nicht überraschen.

2. Beispiel: Projekt „Rupprechtsblöcke"

Die Vergabe verlief nach demselben Muster, das beim ersten Beispielsfall erläutert wurde. Mit Grundvertrag vom 30. Januar 2006 beauftragte die HOWOGE erneut die IPB.B mit Planungsleistungen, hier für die Instandsetzung und Modernisierung des denkmalgeschützten Komplexes „Rupprechtsblöcke."

Durch Nachträge vom April, 31. Mai, 22. Dezember 2006 und 30. Januar 2007 wurde der Gesamtauftrag sukzessive an denselben Vertragspartner vergeben.

Auch in diesem Fall wurde, da bei der Schätzung des Auftragsvolumens von der Vergütung für die vorgesehene Gesamtleistung auszugehen ist, mit einem Gesamthonorar von 603.448,28 der im Jahr 2006 geltende Schwellenwert von 200.000

Gemeinsamer abweichender Bericht der Fraktionen der CDU, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP überschritten; erneut erfolgte die Beauftragung der IPB.B direkt, ohne Bekanntmachung und ohne dass Vergleichsangebote eingeholt worden wären.

3. Beispiel: Projekt „Pfarrstraße 119, 119 LSF, Kaskelstraße 31 VH"

Der Beispielsfall „Pfarrstraße" weicht in einem Punkt von den vorhergehenden Fällen ab: Während bislang schon im Grundlagenvertrag ein Gesamthonorar genannt wurde, bis zu dem sich die Teilbeauftragungen addieren würden, ist im Vertrag zwischen der HOWOGE und der IPB.B über Planungsleistungen verschiedener Gebäude vom 5. März 200732 lediglich ein Honorar für die in diesem Vertrag vereinbarten Leistungsphasen genannt (146.923,00). Da sich jedoch auch in diesem Vertrag die oben erläuterte Optionsregelung findet, sich das vereinbarte Honorar schon durch den ersten Nachtrag vom 1./5. Oktober 2007 auf 246.926,68 summierte (durch die weiteren Nachträge auf insgesamt 425.401,08) und schon im Grundlagenvertrag von Gesamtbaukosten von ca. 5,3 Mio. ausgegangen wird, musste der Auftraggeber davon ausgehen, dass der bei Auftragsvergabe gültige Schwellenwert von 200.000 deutlich überschritten werden würde. Denn ausschlaggebend ist allein, dass eine Prognose ex ante zu dem Ergebnis kommen muss, dass die Planungskosten insgesamt die Schwellenwerte überschreiten werden. Anhaltspunkt hierfür ist insbesondere der Betrag der geplanten Gesamtbaukosten, aus dem sich auch dann ohne weiteres auf die vermutlich anfallenden Planungskosten rückschließen lässt, wenn noch nicht im Einzelnen festgelegt ist, welche weiteren Leistungsphasen wann und durch wen ausgeführt werden sollen. Wenn für das Projekt „Pfarrstraße etc." im Grundlagenvertrag von Baukosten in Höhe von 5.360.611 ausgegangen wird, wird das Honorar für Planungsleistungen, das üblicherweise 8 bis 12 % der Gesamtkosten beträgt, nicht unter dem Schwellenwert von 200.000 liegen können.

Dieser Gesamtbetrachtung steht auch nicht entgegen, dass es sich vorliegend um Arbeiten an verschiedenen Objekten handelte. Da sich die Gebäude in unmittelbarer Nähe befanden, die Arbeiten im Grundlagenvertrag und sämtlichen Nachträgen immer gemeinsam genannt und die Leistungsphasen ohne abweichende Vorgaben für einzelne Gebäude vereinbart wurden, muss davon ausgegangen werden, dass die Vertragspartner von nur einem Projekt ausgingen.

Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die HOWOGE oberhalb der vergaberechtlichen Schwellenwerte fortgesetzt rechtswidrig bis in das Jahr 2010 gehandelt hat.

3. Vergaben unterhalb der Schwellenwerte

Anders als für den Bereich oberhalb der Schwellenwerte sind für den Unterschwellenbereich keine abschließenden Feststellungen durch den Untersuchungsausschuss getroffen worden.

Die Rechtslage ist hier weit weniger eindeutig, was hauptsächlich daran liegt, dass unter den Schwellenwerten keine zwingenden europarechtlichen Vorgaben zu beachten sind.

Eine völlige Freistellung eines öffentlichen Auftraggebers hat das allerdings nicht zur Folge.

Zum einen muss auch hier ­ zumindest bei einem grenzüberschreitenden Interesse ­ das primäre Europarecht beachtet werden, insbesondere das Gleichbehandlungs- und Transparenzgebot sowie das Diskriminierungsverbot,33 zum anderen sind Vorgaben der Länder zu Werkvertrag HOWOGE ­ IPB.B vom 05.03.2007, Aktenordner H 15, Bl. 6338-6351.