Diese weitgehende Handlungsfreiheit der Geschäftsführer wird flankiert von einer umfassenden Berichtspflicht an den Aufsichtsrat

Gemeinsamer abweichender Bericht der Fraktionen der CDU, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP sofern bei der Vergabe eines Auftrages insgesamt ein Volumen von 2.000.000 überschritten wird. In diesem Fall bedarf es gemäß § 15 Abs. 1 Ziff. 5 des Gesellschaftsvertrags der Zustimmung des Aufsichtsrats zu diesem Vorgang.

Diese weitgehende Handlungsfreiheit der Geschäftsführer wird flankiert von einer umfassenden Berichtspflicht an den Aufsichtsrat. Damit dieser seiner Überwachungsfunktion gerecht werden kann, muss die Geschäftsführung gemäß § 8 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrages i.V.m. § 53 GmbHG und § 90 AktG in regelmäßigen Abständen Bericht ablegen, unter anderem über:

- die beabsichtigte Geschäftspolitik und andere grundsätzliche Fragen der Unternehmensplanung (insbesondere die Finanz-, Investitions- und Personalplanung), wobei auf Abweichungen der tatsächlichen Entwicklung von früher berichteten Zielen unter Angabe von Gründen einzugehen ist

- den Gang der Geschäfte, insbesondere den Umsatz, und die Lage der Gesellschaft

- Geschäfte, die für die Rentabilität oder Liquidität der Gesellschaft von erheblicher Bedeutung sein können

Außerdem ist dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats aus sonstigen wichtigen Anlässen zu berichten. Auch gelöst von Vorlagefristen kann der Aufsichtsrat gemäß § 90 Abs. 3 AktG jederzeit einen Bericht „über Angelegenheiten der Gesellschaft" verlangen. Die Berichte, so bestimmt es Abs. 4 der Norm, „haben den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft zu entsprechen".

Auch nach der „Geschäftsanweisung für die Geschäftsführung der HOWOGE" und dem Berliner Corporate Governance Kodex,157 auf den die Geschäftsanweisung in § 1 Abs. 1 Bezug nimmt, stehen die Berichtspflichten an den Aufsichtsrat im Vordergrund. Gemäß § 4 Abs. 1 der Geschäftsanweisung hat die Geschäftsführung „mit dem Aufsichtsrat eng zusammenzuarbeiten. Dies bedingt die Offenlegung aller für eine sachgemäße Beurteilung über den Gang der Geschäfte erforderlichen Informationen und Kenntnisse". § 7 Abs. 2 bestimmt, § 90 AktG spezifizierend, dass die Geschäftsführung „grundsätzliche und wichtige Angelegenheiten unverzüglich der bzw. dem Vorsitzenden des Aufsichtsrats mitzuteilen" hat. In ähnlicher, etwas erweiterter Formulierung heißt es unter Punkt I. 4. des Corporate Governance Kodex, dass die Geschäftsführung den Aufsichtsrat „regelmäßig, zeitnah und umfassend über alle für das Unternehmen relevanten Fragen der Planung, der Geschäftsentwicklung, der Risikolage, des Risikomanagements und der Compliance zu unterrichten" habe.

Danach befragt, ob und auf welche Weise sich diese gesetzlichen und gesellschaftsvertraglichen Anforderungen in der praktischen Zusammenarbeit mit dem Aufsichtsrat wiederfanden, erläuterte der Zeuge Kirschner: „Es gab regelmäßig vor den Aufsichtsrats- oder Ausschusssitzungen ein Vorgespräch. Das war fast immer einen Tag davor, manchmal auch zwei Tage davor

­ mit der Aufsichtsratsvorsitzenden, teilweise auch mit dem Stellvertreter oder mit beiden. Der Aufsichtsrat hatte zwei Ausschüsse, die jeweils zweimal tagten.

Das war einmal der Personalausschuss und später, verkürzt gesagt, der Wirtschaftsausschuss. Der Aufsichtsrat selber tagte viermal im Jahr. Dazu gab es in einzelnen Fällen auch Einzelgespräche und als besonders wichtiger Termin einmal im Jahr das Senatorengespräch mit den beiden zuständigen Senatoren. Informell gab es natürlich auch noch etliche Kontakte bei Veranstaltungen, Tagungen, Festen, Empfängen."

Des Weiteren, so auch der Zeuge Adam, habe man der Aufsichtsratsvorsitzenden Kuban, als sie im Jahr 2003 die Nachfolge von Dr. Riebschläger antrat, das Angebot gemacht, einen Jour fixe einzurichten.

Man sei dies von Dr. Riebschläger gewohnt gewesen: „Alle vier, sechs, sieben Wochen", so der Zeuge Adam, „haben wir uns mal informell zusammengesetzt und die Lage des Unternehmens diskutiert und auch den Rat eingeholt, wenn das erforderlich gewesen ist. ­ Der Aufsichtsrat muss ja auch beraten."

Dieses Angebot habe Frau Kuban allerdings abgelehnt.

Von den Vorbesprechungen mit Frau Kuban zeigte sich der Zeuge Adam enttäuscht: „Wir sind dann zu ihrem Dienstsitz an der Straße des 17. Juni gefahren, allerdings mussten wir feststellen, dass die Aufsichtsratsvorsitzende sehr häufig die Vorlagen schlicht und einfach nicht gelesen hatte und mein Kollege und ich dann die Aufgabe hatten, in den meistens 60 bis 70 Minuten, die für diese Gespräche angesetzt waren, Frau Kuban zu vermitteln, wo wir Diskussionsbedarf sehen, wo wir Schwierigkeiten sehen und wo unter Umständen besondere Problematiken bei den einzelnen Aufsichtsratsvorlagen zu sehen waren."

Die Aufsichtsratsvorsitze Frau Kuban beschrieb die Zusammenarbeit zwischen Aufsichtsrat und Geschäftsführung in ihrer Zeugenvernehmung vor dem Ausschuss ­ im Wesentlichen übereinstimmend mit den Angaben der Geschäftsführung ­ wie folgt: „Es ist so gewesen, dass die Kooperation und Kommunikation mit der Geschäftsführung sich in einem normalen Rahmen bewegt hat, Besprechungen jeweils vor den Aufsichtsräten bezüglich der Tagesordnung, nach Aufsichtsräten bezüglich der Abarbeitung der Tagesordnung und bei besonderen Anlässen auch Termine zwischen diesen immer im Zusammenhang mit den Aufsichtsratssitzungen stattfindenden Besprechungen."

Gemeinsamer abweichender Bericht der Fraktionen der CDU, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP

II. Positives Wissen des Aufsichtsrats um die Vergabepraxis?

Die Aufsichtsratsvorsitzende Kuban betonte stets, der Aufsichtsrat habe keine Kenntnis von der rechtswidrigen Vergabepraxis gehabt. Vielmehr sei der Aufsichtsrat selbst von der Geschäftsführung getäuscht worden. In ihrer Zeugenvernehmung äußerte sich Frau Kuban wie folgt: „Wir haben als Aufsichtsrat, und auch ich, erst durch den Zwischenbericht von Deloitte Ende Februar im Rahmen der Sonderprüfung von diesen Vergaberechtsverstößen Kenntnis erlangt. Der Zwischenbericht datiert ­ wie Sie wissen ­ vom 26.02. (2010) und wurde in der Sondersitzung des Aufsichtsrats am 2.3. behandelt. Zumindest bis dahin musste und konnte der Aufsichtsrat davon ausgehen, und natürlich auch ich als Vorsitzende, dass sich die Geschäftsführung an die EU-rechtlichen Bestimmungen für das Vergaberecht hält, insbesondere vor dem Hintergrund, dass mit dem Schreiben vom 31.07.2002 die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die Wohnungsbaugesellschaften des Landes Berlin entsprechend angewiesen hatte."

Dem standen zum einen die Aussagen der Geschäftsführer Adam und Kirschner gegenüber, die sich darauf beriefen, dass sie eine „Rückendeckung" ihrer Vergabepraxis durch den Aufsichtsrat und den Senat gehabt hätten, dass also der Aufsichtsrat von ihrer Vergabepraxis gewusst und diese geduldet habe.

Zum anderen gab es durch ein Schreiben des früheren Finanzsenators Dr. Sarrazin Hinweise auf das sog. Gesellschaftergespräch vom 9. Juni 2006, wonach in diesem Gespräch auch die Vergabepraxis der HOWOGE erörtert worden sei. An diesem Gespräch hatte auch die Aufsichtsratsvorsitzende Kuban teilgenommen, die demzufolge auch Kenntnis von der Vergabepraxis gehabt hätte.

Diese beiden Punkte, insbesondere das Gesellschaftergespräch, das von Beginn an einer der zentralen Punkte in den Ermittlungen des Ausschusses war, sollen nachfolgend näher beleuchtet werden.

1. Die Aussagen der Geschäftsführer Adam und Kirschner

Die ehemaligen Geschäftsführer der HOWOGE, Adam und Kirschner, beriefen sich darauf, eine „Rückendeckung" ihrer Vergabepraxis durch den Aufsichtsrat und den Senat gehabt zu haben.

Im Ergebnis konnten sie jedoch keine konkreten Belege oder Tatsachen benennen, aus denen sich eine positive Kenntnis des Aufsichtsrates hätte ableiten lassen. Vielmehr beschränkten sich ihre Aussagen auf ­ nicht belegte ­ Behauptungen und allgemeine Vermutungen:

So gab der Zeuge Kirschner an, es sei ihnen „eigentlich bewusst" gewesen, dass es (die konkrete Vergabepraxis) „eigentlich alle kennen (müssen)."

Und der Zeuge Adam antwortete auf die Frage, ob der Aufsichtsrat „ausdrücklich oder stillschweigend" die Praxis der Auftragsvergabe gebilligt habe, in ähnlich vager Weise.