Wohnungsbau

Im Ergebnis kann der Auffassung nicht zugestimmt werden, dass die HOAI einen Preiswettbewerb ausschließe, so dass dieses Argument auch nicht herangezogen werden kann, um die freihändige Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen (unter Umgehung des Vergaberechts) zu rechtfertigen.

b) Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Vergabepraxis?

Zu klären war für den Ausschuss weiterhin, ob die Kenntnis Dr. Sarrazins von der freihändigen Vergabe von Planungsleistungen auch die Rechtwidrigkeit der Vergabepraxis einschloss, insbesondere also, ob Dr. Sarrazin seinerzeit wusste, dass auch Planungsleistungen oberhalb der Schwellenwerte, bei denen zwingend eine Ausschreibung vorgesehen ist, direkt und ohne Ausschreibung durch die HOWOGE vergeben wurden.

In dem bereits zuvor genannten Brief von Dr. Sarrazin vom 8. September 2010 an den Geschäftsführer Kirschner, der sich zur Vergabepraxis u. a. auch von Planungsleistungen an Architekten und Ingenieure durch die HOWOGE äußert, heißt es: „Dabei war auch erkennbar, dass die Schwellenwerte nach europäischem Vergaberecht mindestens in einem Falle deutlich überschritten wurden."

Dies sprach vom Wortlaut zunächst für eine positive Kenntnis des ehemaligen Finanzsenators von der Rechtswidrigkeit auch bereits zum Zeitpunkt der damaligen Vergabepraxis.

Hierzu in seiner Zeugenvernehmung befragt, relativierte Dr. Sarrazin jedoch diesen Satz: „Dass die Schwellenwerte überschritten wurden", so Dr. Sarrazin, „war mir erst bekannt, nachdem ich mich dann im vergangenen Jahr mit diesen Fragen vor meinem Brief noch mal intensiver beschäftigte."

Hierbei sei ihm klar geworden: „Wenn ich sie gekannt hätte, wäre erkennbar gewesen, dass sie überschritten wurden."

Damals hingegen, so der Zeuge weiter, habe er sich „für Schwellenwerte überhaupt nicht interessiert, und ich habe sicherlich über diese auch nicht nachgedacht";284 sie seien ihm „auch gar nicht so präsent" gewesen,285 schließlich sei in seiner Zeit als Senator die Überschreitung der Schwellenwerte nie Gegenstand einer Diskussion gewesen. Für ihn sei es damals allein darauf angekommen „dass man sich kompetente Planer aussucht ­ die kann man sich ruhig nach ihrem Renommee und den gemachten Erfahrungen freihändig aussuchen ­ und dass man dann, nachdem die Planungsleistungen vernünftig abgegrenzt sind, in ein zielführendes Preisgespräch eintritt und eine Verhandlungslösung anstrebt.

Das war für mich die wirtschaftlich sinnvolle Vorgehensweise. Das ist sie für mich auch aus heutiger Sicht. Ob diese Vorgehensweise irgendwie sich damit kreuzt, dass an bestimmten Punkten ein Schwellenwert die Notwendigkeit einer Zweifel an dieser Darstellung hatte der Ausschuss nicht nur wegen der Fachkompetenz, die der Zeuge Sarrazin für sich selbst in diesem Bereich in Anspruch nahm. Konkret formulierte er nach Schilderung seiner zahlreichen Tätigkeiten auf diesem Gebiet: „[...] so dass ich letztlich die vergangenen 15 Jahre weitgehend auch mit Baufragen verbracht hatte."

Vor diesem Hintergrund erscheint wenig plausibel, dass er tatsächlich keinerlei Kenntnis von den Schwellenwerten hatte.

Auch die Formulierung in seinem Brief bietet kaum Spielraum für Interpretationen. Wenn es dort heißt: „Dabei war auch erkennbar, dass die Schwellenwerte nach europäischem Vergaberecht mindestens in einem Falle deutlich überschritten wurden", deutet das auf Erkennbarkeit und Kenntnis zum damaligen Zeitpunkt hin. Als einziger interpretatorischer Ausweg bleibt nur die ­ wenig überzeugende ­ Variante, die der Zeuge in seiner Vernehmung vor dem Ausschuss wählte, es sei die Schwellenüberschreitung zwar objektiv erkennbar gewesen, aber

­ jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt ­ nicht für ihn, Dr. Sarrazin.

Es war zudem auffällig, dass der Zeuge sein Schreiben gerade in diesem einen, wohl brisantesten Aspekt relativierte: Verstöße gegen das europarechtlich geprägte Vergaberecht vollumfänglich gekannt und als Beteiligungsverwaltung und Finanzsenator auch in ihrer Rechtswidrigkeit über viele Jahre gebilligt zu haben, wäre ein ernst zu nehmender Vorwurf gewesen.

Im Ergebnis verblieben dem Ausschuss daher erhebliche Zweifel an der Einlassung des Zeugen Dr. Sarrazin, dass er die Schwellenwerte erst im Nachhinein zur Kenntnis genommen hat.

Die dem Ausschuss vorliegenden Hinweise (Wortlaut seines Schreibens, seine Fachkompetenz) genügten jedoch umgekehrt nicht, um es als zweifelsfrei erwiesen anzusehen, dass Dr. Sarrazin die Vergabepraxis der HOWOGE in Kenntnis der Schwellenwerte und damit in bewusster Kenntnis der Rechtwidrigkeit in seiner Amtszeit als Finanzsenator billigte.

Es bleibt jedoch der Vorwurf an Dr. Sarrazin, dass er die ­ auch seinerzeit bereits objektiv erkennbar ­ rechtswidrige HOWOGE-Vergabepraxis nicht nur kannte, sondern auch billigte und befürwortete. Zwar äußerte sich der Zeuge hierzu in seiner Zeugenanhörung wie folgt: „Angeordnet habe ich nichts, geduldet habe ich auch nichts, sondern die Unternehmen haben ihre Planungsprozesse selbstständig gestaltet, und ich war zu jeder Zeit der Ansicht, dass es in vielen Fällen vernünftig ist, sich einen kompetenten Planer freihändig auszusuchen."

An anderer Stelle formulierte er dies so: „Also, in dem Sinne, dass ich gefragt worden wäre: Dürfen wir das? ­ und ich gesagt habe: Jawohl, ihr dürft das! ­, gab es nie eine Billigung. Wahlperiode ­ Drucksache 16/4350

Gemeinsamer abweichender Bericht der Fraktionen der CDU, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP

Billigung in dem Sinne, als mir die Prozedur bekannt war, über die ich mich auch mannigfach auseinandergesetzt hatte [...] und dass ich diese Prozedur billigte als ein vernünftiges Vorgehen [...]. In diesem Sinne heißt das, es war ein mir bekanntes Vorgehen, und dieses mir bekannte Vorgehen traf nicht auf meinen Widerspruch. In dem Sinne war das Wort Billigung hier gemeint."

Diese Einlassungen können ihn jedoch nicht entlasten. Denn mit seinem Verhalten und seinen Äußerungen hat er die Geschäftsführer in ihrem Vorgehen wiederholt bestärkt.

2. Fazit

Auch wenn nach den zuvor getroffenen Feststellungen es nicht als erweisen angesehen werden kann, dass der ehemalige Finanzsenator eine vollumfängliche Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Vergabepraxis der HOWOGE hatte, so bleibt doch festzuhalten, dass er aufgrund seiner Haltung zumindest de facto diese Vergabepraxis bestärkt hat.

Bei der gebotenen Aufmerksamkeit wäre für ihn erkennbar gewesen, dass die HOWOGE bei Planungsleistungen gegen das Vergaberecht verstößt. Es kann für einen Finanzsenator, der jahrelang nach eigenem Bekunden mit Baufragen befasst war, als selbstverständliche Kenntnis vorausgesetzt werden, dass er weiß, dass Planungsleistungen wie auch andere Leistungen durch einen öffentlichen Auftraggeber nicht per se und bei jedem Volumen stets freihändig vergeben werden können. Dies gilt auch dann, wenn man zugutehält, dass ihm die konkreten Schwellenwerte nicht im Einzelnen bekannt waren. Bei dieser Sachlage hätte es nahe gelegen, eine Nachfrage bzw. eine Überprüfung durch das eigene Haus, das die Beteiligungsverwaltung innehatte, zu veranlassen.

Dass hier im Interesse einer strikten Wirtschaftlichkeitsmaxime, die für Dr. Sarrazin im Vordergrund stand, nach Überzeugung des Ausschusses auch eine „Laisser-faire"-Haltung mit eine Rolle gespielt haben dürfte, die die Geschäftsführer der HOWOGE in ihrem Verhalten bestärkt hat, lässt sich auch aus den folgenden Zitaten ableiten:

So wurden den Geschäftsführern aller Wohnungsbaugesellschaften zu Beginn der Tätigkeit Dr. Sarrazins als Finanzsenator von diesem weitreichende Freiheiten zugestanden: „Solange Sie drei Dinge liefern", ließ er sich damals nach eigenem Bekunden als Finanzsenator vernehmen, „­ fallende Personalkosten, steigende Mieten und fallende Schulden [...] haben Sie völlige Freiheit."

Nimmt man dies zusammen mit der Befürwortung der Vergabe von Planungsleistungen nach Vertrauensgesichtspunkten und seinem strikten Sanierungskurs, ist nicht völlig von der Hand zu weisen, dass die Geschäftsführer sich in ihrer Auffassung zumindest vermeintlich bestärkt sahen, die „Beachtung europaweiter Ausschreibungsschwellenwerte" müsse nicht der „wesentliche Entscheidungsfaktor im Hause der HOWOGE" sein.

Auch im Rahmen seiner Zeugenvernehmung durch den Ausschuss hat der Zeuge Dr. Sarrazin dieses Verständnis nochmals deutlich gemacht: „Eine Geschäftsführung wird deshalb besser bezahlt als ein normaler Mitarbeiter und hat deshalb befristete Verträge, weil man weiß.