Die Angelegenheit wurde weder von der Staatssekretärin noch der Senatorin JungeReyer weiterverfolgt

Auftragsvergabe bei der HOWOGE erhalten. Eine Untersuchung der Ausschreibungs- und Vergabepraxis, die sie daraufhin bei dem damaligen HOWOGE-Geschäftsführer Dr. Baum angeregt hatte, wurde allerdings nicht von externen Prüfern, sondern der Innenrevision der HOWOGE vorgenommen. Auffälligkeiten in der Vergabe stellte die Innenrevision in ihrem abschließenden Bericht nicht fest. Schließlich waren bei diesem Prüfergebnis die HOWOGEinternen Organisationsanweisungen maßgeblich, die ­ entgegen der ausdrücklichen Position der Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und Finanzen und der aktuellen Rechtsprechung - davon ausgingen, dass es sich bei der HOWOGE um keinen öffentlichen Auftraggeber handelt. Dieser Aspekt fand weder bei SenFin noch bei SenStadt noch dem Aufsichtsrat der HOWOGE Beachtung.

Die Angelegenheit wurde weder von der Staatssekretärin noch der Senatorin Junge-Reyer weiterverfolgt. Vor dem Untersuchungsausschuss skizzierte sie ihre Erwartungshaltung an die Geschäftsführung einer landeseigenen Gesellschaft: „Die Sache ist klar. Die Rechtslage ist klar, daran hat man sich zu orientieren.

Da gibt es eigentlich überhaupt keinen Entscheidungsspielraum. Ich sage Ihnen nur, was ich von Geschäftsführungen erwarte, nämlich dass sie sich nicht ständig die Frage stellen: Muss ich mich hier an die Verdingungsordnung oder an sonst was halten? ­, sondern dass sie wissen, dass sie sich dran halten müssen."

Die Rechtslage ­ die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft unterliegt den Anforderungen einer öffentlichen Auftraggeberin im Sinne des GWB (§ 98 Nr. 2) - war für Frau Junge-Reyer zweifellos „klar". Die Rechtsauffassung der Senatorin wurde jedoch nicht von der Geschäftsführung der HOWOGE geteilt, die ihre abweichende Einschätzung keineswegs verbargen. Vielmehr wurden 2002/2003 von der HOWOGE entsprechende Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse im Sinne der Geschäftsführung ausfielen - jedoch von der federführenden Beteiligungsverwaltung SenFin abgelehnt wurden. Frau Junge-Reyer, deren Senatsverwaltung im Aufsichtsrat der HOWOGE vertreten war, konnten diese Aktivitäten nicht verborgen geblieben sein.

Ihr Verweis auf die eindeutige Rechtslage ist nachvollziehbar. Nicht nachvollziehbar ist dagegen, dass sie nach dem wenig aussagekräftigen Innenrevisionsbericht zur Vergabepraxis von 2003 und angesichts der fortwährenden Bemühungen der HOWOGE, sich den rechtlichen Bestimmungen einer öffentlichen Auftraggeberin zu entziehen, auf entsprechende Nachfragen verzichtete und das Interesse an dem Thema verlor.

Auf entsprechende Nachfragen zu der Vergabepraxis in dem von ihr kontrollierten Unternehmen verzichtete auch die dem Aufsichtsrat der HOWOGE seit Anfang 2003 vorsitzende Monika Kuban. Frau Kuban, im Hauptberuf stellvertretende Hauptgeschäftsführerin des Deutschen Städtetages, der im Rahmen ihrer Tätigkeit bei der HOWOGE ebenfalls die Intentionen ihrer Geschäftsführer nicht entgangen sein konnten, sah sich in ihrer Interpretation der Aufgaben von Aufsichtsräten nicht in der Pflicht zur Kontrolle und erklärte dem Ausschuss: „...im Übrigen ist das auch ganz normal, dass Aufsichtsräte unterschiedliche Auffassungen davon haben, was Kontrolle ist. Kontrolle ist nicht ­ Kontrolle durch den Aufsichtsrat ist auch zu verstehen in dem eher modernen Begriff „Controlling". Das heißt Steuerung im Sinne der Ziele des Gesellschafters, denn von dem wird man da hingesandt, Vorgaben machen, an die sich die Geschäftsführer zu halten haben. Und das bedeutet für mich nur in der Ausnahme das operative Geschäft, ..."

Das von der Zeugin Kuban und ihrem Aufsichtsrat praktizierte „Controlling" beinhaltete offenbar keinen genaueren Blick in den Prüfbericht des Jahresabschlusses von 2003. Dort hätten die Kontrolleure dem Fragenkreis 14: „Auftragsvergabe" unschwer entnehmen können, dass die HOWOGE nach externen Rechtsgutachten nicht öffentliche Auftragnehmerin nach § 98 GWB sei und dementsprechend bei der Auftragsvergabe verfahren würde.

Was im Klartext hieß, dass oberhalb der Schwellenwerte vergaberechtswidrig Aufträge erteilt wurden.

Weder der Aufsichtsrat noch die Vertreter der Senatsverwaltungen reagierten auf diese Passage des Prüfberichts.

Intern gab es in der Folgezeit bei der HOWOGE zwar einen Warnhinweis und die Anregung, dass im Zusammenhang mit der Vergabepraxis ein wirtschaftliches Risiko entstehen könne und dies in den Risikobericht aufgenommen werden solle. Die Geschäftsführung lehnte dies jedoch ab, da bislang noch niemand gegen ihre praktizierte Vergabe geklagt habe: Zeuge Bernd Kirschner: „Diesen einen Warnhinweis haben wir aus diesem Grund verworfen, der langjährigen Praxis der Vorgängergeschäftsführung und von uns, dass es dieses Risiko gar nicht gab, weil es sich nie bewahrheitet hatte.

Nicht ein einziges Mal ist das eingetreten. Ein theoretisches Risiko ist es, klar, das ist unstrittig. Wenn jemand sein Honorar einklagt, dann könnte er gewinnen.

Fraglich ist, ob er es überhaupt tut. Das ist auch in diesem Fall, der jetzt anhängig ist, völlig offen. Ob das Gericht so entscheidet, weiß keiner hier am Tisch, aber wir hatten keinerlei Erfahrung damit, dass sich irgendjemand mal eingeklagt hätte. Das ist nicht passiert."

Die Interessen des Gesellschafters Berlin wurden maßgeblich von der Beteiligungsverwaltung SenFin vertreten, die zwar die Ergebnisse der von der HOWOGE initiierten Rechtsgutachten abgelehnt hatte ­ aber in der Folgezeit keine Nachfragen zur aktuellen Vergabepraxis der HOWOGE stellte. Dies spiegelt die Interessenlage des damaligen zuständigen Senatsmitglieds, des Senators Dr. Sarrazin, der zu Protokoll gab, sich erst nach Bekanntwerden der Regelverstöße mit dem Thema „Vergabe oberhalb der Schwellenwerte" beschäftigt zu haben: Vorsitzender Nicolas Zimmer: „Sie sagten ja, dass Sie sich auch mit der Frage, inwieweit die Notwendigkeit öffentlicher Auftragsvergaben bestehe, im Rahmen Ihrer Tätigkeit als Staatssekretär für Finanzen und Bauen auseinandergesetzt hätten. Aus Ihrer insofern auch sachverständigen Sicht: Findet denn das europäische Vergaberecht oder Vergaberecht insgesamt auf die Ausschreibung von Planungsleistungen durch Wohnungsbaugesellschaften, deren Eigentümer das Land Berlin ist, Anwendung ­ ja oder nein?" Zeuge Dr. Thilo Sarrazin: „Ich habe mich, nachdem die Vorgänge um die HOWOGE bekannt wurden, natürlich für die Sachen interessiert und von Anwälten dahin gehend belehren lassen, dass sie Anwendung finden. Bis dahin habe ich über diese Frage, offen gestanden, gar nicht nachgedacht."

Über die Bestimmungen bezüglich der Vergabe eines öffentlichen Auftraggebers unterhalb der Schwellenwerte hatte Senator Dr. Sarrazin dagegen durchaus nachgedacht und eine von der hiesigen Rechtsprechung abweichende Einschätzung: „Ich habe gesagt, dass ich der Meinung war, dass es nicht zielführend ist, das öffentliche Baurecht, die VOB, für Nichtzuwendungsempfänger verbindlich zu machen. Ich habe aber akzeptiert, dass man dies in Berlin anders sah, und meine Verwaltung hat ja durch den Brief vom Oktober 2002, den Sie zitiert hatten, gegenüber den Unternehmen klargestellt, dass die VOB für die Wohnungsbauunternehmen des Landes verbindlich ist."

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Vergaberechtsverstöße zwar der Geschäftsführung der HOWOGE anzulasten sind. Allerdings stehen sowohl die Senatorin JungeReyer (SPD, SenStadt) wie der verantwortliche Senator Dr. Sarrazin (SPD, SenFin) in der politischen Verantwortung, dies durch nicht erfolgte Nachfragen begünstigt zu haben ­ wie auch dem Aufsichtsrat vorzuwerfen ist, hier Kontrollaufgaben und Erkundigungspflichten ungenügend erfüllt zu haben.

Keine konkreten Anweisungen, keine Abstimmung und keine gesetzliche Regelung unterhalb der Schwellenwerte

Als die damalige Staatssekretärin Junge-Reyer 2002 anonym über Auffälligkeiten bei der Vergabe der HOWOGE in Kenntnis gesetzt wurde, gab sie sich damit zufrieden, dass die HOWOGE ihre Vergabepraxis durch die eigene Innenrevision untersuchen ließ und beschränkte sich schließlich in einem Schreiben Ende Juli 2002 auf eine Empfehlung an die Geschäftsführungen der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, das Vergaberecht anzuwenden. Die spätere Aufsichtsratsvorsitzende Kuban bemerkte zu dem Schreiben der Staatssekretärin, dass weitere Hinweise zur Vergabepraxis von den Senatsverwaltungen nicht eingegangen seien: „... will ich auch noch einmal darauf hinweisen, dass es die erwähnte Weisung der seinerzeitigen Staatssekretärin Junge-Reyer vom 31. 7. 2002 gab, der zufolge die städtischen Wohnungsgesellschaften öffentlicher Auftraggeber seien und an das europäische Vergaberecht gebunden seien. Ansonsten hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung über eine Einschätzung der Vergabepraxis nicht weiter informiert. Gleiches gilt nach meinem Kenntnisstand auch in Richtung der Senatsverwaltung für Finanzen."

Für den damaligen HOWOGE-Geschäftsführer Adam (SPD) hatte die Empfehlung von Frau Junge-Reyer keinen hohen Stellenwert und war deshalb auch nicht handlungsleitend: