Bei jeder weiteren Person im Haushalt erhöht sich die Bruttowarmmiete

Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (z. B. Urteile vom 07.11.06 B 7b AS 10/06 R, vom 19.02.09 - B 4 AS 30/08 R sowie vom 02.07.09 - B 14 AS 36/08 R) setzt die Angemessenheitsprüfung aber eine Einzelfallprüfung voraus und hat für die Unterkunfts- und für die Heizkosten getrennt zu erfolgen.

Zur Bestimmung der abstrakten Angemessenheit der Unterkunftskosten ist das Produkt aus angemessener Wohnfläche und der Summe aus angemessener Kaltmiete und angemessenen kalten Betriebskosten je Quadratmeter zu ermitteln. Das Produkt aus Wohnfläche (Quadratmeterzahl) und Wohnstandard (Mietpreis je Quadratmeter), das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt, muss der Angemessenheit (Referenzmiete) entsprechen (sog. Produkttheorie).

Die abstrakte Angemessenheit der Heizkosten ist durch einen Abgleich mit einem Grenzwert zu bestimmen, dessen Überschreiten unwirtschaftliches Heizen indiziert.

Auch die geänderten AV-Wohnen enthalten keine derartigen Vorgaben. In den Jobcentern kam es daher zu keiner Prüfung der Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs. 1 SGB II, solange die zu leistenden Bruttowarmmieten die Richtwerte der AV-Wohnen nicht überschritten. Nach den Feststellungen des Rechnungshofs in den sechs geprüften Jobcentern war dies bei durchschnittlich 83,4 v. H. der Bedarfsgemeinschaften der Fall. Die Richtwerte wirkten nach wie vor als Höchstwerte, bis zu deren Höhe die Kostenübernahme unabhängig von Wohnungsgröße und Wohnungsstandard erfolgte.

Die Senatsverwaltung beruft sich darauf, dass die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts erst nach Inkrafttreten der neuen AV-Wohnen klar gewesen sei und sie von einer Änderung abgesehen habe, da das Bundesministerium für Arbeit und Soziales grundlegende Rechtsänderungen zu § 22 SGB II angekündigt habe.

Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Feststellung der angemessenen Miete war spätestens seit dem Urteil vom 7. November 2006 (T 116) eindeutig und beruhte zudem auf der vorangegangenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur vergleichbaren Rechtslage nach dem früheren Bundessozialhilfegesetz. Im Übrigen entbindet die Ankündigung einer Gesetzesänderung in der Zukunft nicht von der Einhaltung des geltenden Rechts bis zu einer möglichen Neuregelung.

Zu T 116 und 117: Die zur Zeit im Land Berlin gültigen Ausführungsvorschriften zur Prüfung der Angemessenheit der Leistungen für Unterkunft und Heizung nach § 22 Absatz 1 SGB II und §§ 29 und 34 SGB XII (AV-Wohnen) wurden am 10.02. vom Senat beschlossen. Richtig ist, dass - erstmalig mit Urteil vom 02.07.2009 - das Bundessozialgericht (BSG) die Zulässigkeit der Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze im Sinne einer erweiterten Produkttheorie in Frage gestellt und die grundsätzliche Trennung der Prüfung der Angemessenheit der Unterkunfts- und Heizkosten gefordert hat. Nach Bekanntgabe der schriftlichen Urteilsgründe hatte die Senatsverwaltung für Integration, Arbeit und Soziales bereits mit der Überarbeitung der AV-Wohnen begonnen, als das Bundesministerium für Arbeit und Soziales grundlegende Rechtsänderungen zu § 22 SGB II und bundesweite Vorgaben zu den Inhalten einer Satzungsermächtigung ankündigte. Daraus war bereits erkennbar, dass die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze ausdrücklich Inhalt einer gesetzlichen Neuregelung werden sollte.

Inzwischen ist das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch in Kraft getreten, das mit den §§ 22

a-c SGB II eine Satzungsermächtigung beinhaltet, mit der die Kommunen ermächtigt werden, durch Satzung zu bestimmen, welche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in ihrem Gebiet angemessen sind. Die Bildung der Gesamtangemessenheitsgrenze ist mit § 22 b SGB II nunmehr gesetzlich normiert. Das Land Berlin beabsichtigt von der Satzungsermächtigung Gebrauch zu machen und die gesetzliche Möglichkeit entsprechend umzusetzen. Die erforderliche Offenlegung eines schlüssigen Konzepts wird mit der Begründung zu einer zu erlassenden Rechtsverordnung erfolgen. Die Grundsätze der Produkttheorie werden dabei weiterhin zu Grunde gelegt. Die Behauptung, die Produkttheorie wurde in der Vergangenheit nicht beachtet, ist unzutreffend, wie auch bereits dem nachfolgenden Inhalt der Stellungnahme zum Jahresbericht 2007 zu entnehmen war: „Die Bewertung des Rechnungshofes zu der Stellungnahme unserer Senatsverwaltung steht mit der Rechtslage und der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht in Einklang. Die Produkttheorie bedeutet, dass bei der Zusammenführung der in die Angemessenheitsbetrachtung einfließenden Faktoren auf die Angemessenheit der tatsächlichen Aufwendungen im Ergebnis, insbesondere das Produkt aus angemessener Wohnfläche und angemessenem Quadratmeterzins abzustellen ist. Maßgebend ist danach die Kostenangemessenheit im Ergebnis und nicht die Angemessenheit der einzelnen Faktoren. Bei Kostenangemessenheit im Ergebnis kann ein Hilfeempfänger bei einem besonders günstigen Quadratmeterpreis auch eine größere Wohnung nehmen oder bei Beschränkung in der Fläche Ausstattungs- oder Lagepräferenzen verwirklichen. Die Richtwerte nach Ziffer 4 Abs.2 AV-Wohnen regeln insoweit die für die Leistungsbewilligung nach § 22 Abs.1 SGB II maßgebende Kostenangemessenheit im Ergebnis. Für die Leistungsbewilligung nicht entscheidend sind die einzelnen Faktoren, die bei der verwaltungsinternen Ermittlung der Richtwerte zugrunde gelegt wurden. Deshalb enthält die AV-Wohnen im Einklang mit der Produkttheorie der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Angaben zu Wohnungsgrößen."

Diese Ausführungen haben weiterhin Bestand.

Nach § 22 Abs. 1 SGB II werden unangemessene Kosten der Unterkunft in der Regel längstens für sechs Monate übernommen. Die Vorgaben der für Soziales zuständigen Senatsverwaltung sehen jedoch eine Ausweitung auf zwölf Monate vor, sofern Berechnungen ergeben, dass die mit einem Umzug verbundenen Kosten höher sind als die Übernahme überhöhter Unterkunftskosten für zwölf Monate. Die in den AV-Wohnen vorgegebenen verpflichtenden Wirtschaftlichkeitsberechnungen finden in § 22 Abs. 1 SGB II nach wie vor keine Rechtsgrundlage.

Zusätzlich hat der Rechnungshof beanstandet, dass die AV-Wohnen keine Regelungen darüber enthalten, wie mit Leistungsfällen umzugehen ist, die sich am 1. März 2009 bereits im laufenden Leistungsbezug befanden. Dieser Mangel führte dazu, dass die Jobcenter Wirtschaftlichkeitsberechnungen auch dann durchführten, wenn der überhöhte Leistungsbezug bereits seit mehreren Jahren bestand.

Zu T 118: Eine Wirtschaftlichkeitsberechnung verfolgt das Ziel, nachvollziehbar feststellen zu können, ob beabsichtigte Ausgaben zu Lasten des Landeshaushaltes notwendig und gerechtfertigt sind. Der Rechnungshof bemängelt, dass dieses Ziel nicht explizit in § 22 SGB II formuliert ist. Abgesehen von der Frage, ob dadurch wirklich eine Rechtsgrundlage für ein ausgabebewusstes Handeln der Verwaltung fehlt, hat der Bundesgesetzgeber mit der Änderung des § 22 SGB II eine entsprechende Klar67 stellung herbeigeführt. Nach § 22 Abs.1 Satz 4 SGB II muss eine Absenkung unangemessener Aufwendungen nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre. Dies entspricht den Regelungen der AV-Wohnen und verdeutlicht, dass es sich bei einer Wirtschaftlichkeitsberechnung um ein kostenbegrenzendes Instrument handelt. Der Rechnungshof hingegen lässt bei seinen Ausführungen die durch einen Umzug entstehenden Kosten zu Lasten des Landeshaushaltes (ohne Bundesbeteiligung), nach wie vor außer acht.

Im Übrigen wird auf die Stellungnahme des Berliner Senats zum Jahresbericht 2007 zu T 151 und 152 verwiesen, aus der u.a. hervorgeht, dass bereits die vorangegangenen Fassungen der AV-Wohnen Regelungen zur Wirtschaftlichkeitsberechnung ebenso enthielten, wie Regelungen zur Prüfung der Angemessenheit der Wohnkosten.

Bei Inkrafttreten der letzten Fassung der AV-Wohnen am 1.3.2009 wurde demzufolge damit nicht neu begonnen, sondern die Leistungsgewährung einschließlich der Angemessenheitsprüfung der Wohnungskosten fortgesetzt. Sofern allerdings eine Prüfung der Angemessenheit unterblieben ist, entspricht dies nicht den rechtlichen Vorgaben der AV-Wohnen.

In begründeten Einzelfällen können nach der AV-Wohnen die vorgegebenen Richtwerte bei bestehendem Wohnraum um bis zu 10 v. H. überschritten werden, so z. B. bei Alleinerziehenden, längerer Wohndauer (mindestens 15 Jahre) oder über 60-jährigen Hilfeempfangenden. Da die Richtwerte nicht mit § 22 Abs. 1 SGB II in Einklang stehen, ist auch eine pauschale Erhöhung dieser Richtwerte um bis zu 10 v. H. nicht rechtmäßig. Nach den Feststellungen des Rechnungshofs überschritten in sechs Jobcentern insgesamt 11 102 Bedarfsgemeinschaften die Richtwerte um bis zu 10 v. H. mit einer finanziellen Mehrbelastung des Landeshaushalts von ca. 2,8 Mio. jährlich.

Zu T 119: Der Rechnungshof leitet die behauptete Rechtswidrigkeit der Bestimmung der individuellen Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung aufgrund bestimmter Härtefallkonstellationen aus der angenommenen Rechtswidrigkeit des zur Bestimmung der allgemeinen Angemessenheit gebildeten Richtwerts in Form der Bruttowarmmiete ab. Damit wird weder die Sinnhaftigkeit noch die Notwendigkeit von Härtefallregelungen an sich in Frage gestellt. Diese sind auch in der Neufassung des SGB II enthalten. So sollen gemäß § 22 b Abs. 3 SGB II in den Satzungen ausdrücklich Sonderregelungen für Personen mit einem besonderen Bedarf für Unterkunft und Heizung getroffen werden. Dies schließt nach der Gesetzesbegründung auch Abweichungen vom typischen Bedarf aus allgemeinen sozialen Gründen (z. B. für Alleinerziehende) ein. Damit erkennt der Gesetzgeber die Notwendigkeit derartiger Regelungen an und folgt damit auch den Empfehlungen des Deutschen Vereins Nr. 21/09 vom 10.03.2010. Die daraus resultierende finanzielle Belastung ist Konsequenz der gesetzlichen Regelung, an der sich der Bund entsprechend beteiligt.

Im Rahmen seiner Prüfungen hat der Rechnungshof die Fälle näher betrachtet, die die Richtwerte um mehr als 10 v. H. überschritten. In den sechs geprüften Jobcentern waren dies insgesamt 12 734 Bedarfsgemeinschaften mit einer finanziellen Mehrbelastung des Landeshaushalts von ca. 19,2 Mio. jährlich.

Nach den stichprobenweisen Aktenprüfungen hatten die sechs Jobcenter bei den Ein-PersonenBedarfsgemeinschaften in durchschnittlich 18 v. H. der geprüften Vorgänge mit einer Überschreitung von mehr als 10 v. H. keine Prüfung der Angemessenheit vorgenommen, wobei der Zeitraum der bisherigen überhöhten Leistungen bei durchschnittlich 30 Monaten lag.