Antrag auf Sorgerechtsentzug, ohne den Willen und die Bemühungen von Sorgeberechtigten zu beachten?
Am 30. Januar 2003 war die Sorgeberechtigte zu einem Gespräch beim Familieninterventionsteam (FIT) geladen. Dort wurde sie aufgefordert, der Unterbringung ihres Kindes in einer betreuten Unterbringung außerhalb Hamburgs zuzustimmen. Die Sorgeberechtigte als auch das Kind wünschen jedoch zum jetzigen Zeitpunkt keine räumliche Trennung. Daraufhin soll der Sorgeberechtigten vom Leiter des FIT mitgeteilt worden sein, dass das FIT beim zuständigen Familiengericht einen Antrag auf Einschränkung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und der Übertragung des Erziehungsrechts auf die Behörde für Familie und Soziales stellen werde, wenn sie einer betreuten Unterbringung nicht zustimmen würde. Die Familie wurde bisher vom zuständigen Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) des zuständigen Bezirks betreut. Die Sorgeberechtigte soll sich nach Aussagen des ASD ihren Problemen immer stellen und wendet sich bei Problemen unverzüglich an diesen. Der ASD des zuständigen Bezirks soll eine betreute Unterbringung nicht befürwortet haben.
Die Schriftliche Kleine Anfrage behandelt den Einzelfall eines Jugendlichen, der zunächst eine erzieherische Hilfe durch Unterbringung in einer Jugendwohnung erhielt. Ziel war, ihm eine Lösung aus der seine Entwicklung belastenden häuslichen Atmosphäre und der Abhängigkeit von der in ihren Wünschen und Forderungen ambivalenten Mutter zu ermöglichen. Diese Maßnahme entsprach dem Wunsch von Mutter und Kind. Die Unterbringung wurde beendet, als deutlich wurde, dass sie erfolglos war. Der Jugendliche hat trotz zahlreicher Bemühungen der Erzieher die Schule nur unregelmäßig besucht und hielt sich häufig bei seiner Mutter auf, um sie bei der Bewältigung ihrer Probleme zu unterstützen und sich dort selbst zu versorgen. Während der Suche nach anderen geeigneten Hilfen lebte der Jugendliche danach bei seiner Mutter und beging während dieser Zeit Straftaten, die durch die Polizei an das Familien-Interventions-Team (FIT) der zuständigen Behörde gemeldet wurden.
Die Mitarbeiter des FIT sind nach Durchsicht der Akten und auf der Grundlage eines Gesprächs mit der sorgeberechtigten Mutter und dem Jugendlichen zu der Auffassung gelangt, dass die Mutter-KindBeziehung ursächlich ist für die durch die Straftaten des Jugendlichen zum Ausdruck kommende Kindeswohlgefährdung, und haben beim zuständigen Familiengericht einen Antrag auf Entzug der elterlichen Sorge nach §1666 BGB gestellt. Dieses Verfahren ist bei dem zuständigen Familiengericht zurzeit noch anhängig.
Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.
1. Ist es richtig, dass am 30. Januar 2003 ein Gespräch mit der Sorgeberechtigten beim FIT stattgefunden hat? Wenn ja, mit welchem Ziel wurde das Gespräch von Seiten des FIT geführt?
Ja. Ziel war, über die durch die Straftaten deutlich gewordene Kindeswohlgefährdung zu sprechen und einvernehmlich eine geeignete Hilfe einzuleiten.
2. Ist es richtig, dass der Sorgeberechtigten durch Mitarbeiter des FIT nahe gelegt wurde, zu unterschreiben, dass ihr Kind in einer betreuten Unterkunft untergebracht werden soll?
Wenn ja, warum?
Ja, dies wurde als eine geeignete Hilfe angesehen.
3. Ist es richtig, dass der Leiter des FIT der Sorgeberechtigten bei Nichteinwilligung zu einer betreuten Unterbringung einen Antrag des FIT auf Entzug des Sorgerechts beim zuständigen Familiengericht in Aussicht gestellt hat? Wenn ja, warum?
4. Ist es richtig, dass die Sorgeberechtigte in einer Dienstaufsichtsbeschwerde an die Behörde für Soziales und Familie vom 12. Februar 2003 die Behandlung durch das FIT beschrieben hat und sie die Androhung eines Sorgerechtsentzuges im Beisein des Kindes schilderte, das ja lernen soll, ohne Bedrohungen auszukommen? Wenn ja, wie und in welchem Rahmen werden die Gespräche beim FIT geführt?
Nach der fachlichen Beurteilung durch das FIT ist eine Trennung von Mutter und Sohn geboten. Es wäre unangemessen gewesen, Mutter und Kind über die Absicht, hierzu wenn notwendig eine familiengerichtliche Entscheidung herbeizuführen, im Zweifel zu lassen. Die Gespräche werden in den Räumen des FIT, grundsätzlich in einer der Sache fachlich angemessenen und an den Personen orientierten Art und Weise, geführt.
5. Ist der Antrag auf Entzug des Sorgerechts bereits beim zuständigen Familiengericht durch das FIT gestellt worden? Wenn ja, warum?
Ja. Zur Begründung siehe Antworten zu 1. und 2. sowie Vorbemerkung.
6. Ist es richtig, dass die erheblichen Straftaten, die vom FIT als Argument angeführt werden, um eine betreute Unterbringung zu erwirken, direkt in Anschluss an einen Zeitraum passiert sind, in dem das Kind allein in einer betreuten Jugendwohnung gelebt hatte?
Ja. Im Übrigen siehe Vorbemerkung.
7. Ist es richtig, dass die Sorgeberechtigte das Kind wieder zu sich nahm, nachdem deutlich wurde, dass das betreute Wohnen sich nachteilig auf die Entwicklung des Kindes auswirkte (z.B. Abbruch der Ausbildung) und die Sorgeberechtigte erkannte, dass das Kind verwirrt wirkte und die Folgen dieses Aufenthaltes auch nach der Rückkehr des Kindes deutlich wurden und die Sorgeberechtigte sich um weitere Hilfemaßnahmen kümmerte?
Wenn ja, warum befürwortet das FIT dennoch eine räumliche Trennung von der Mutter?
Der Jugendliche musste wegen seines Verhaltens die Jugendwohnung verlassen. Im Übrigen siehe Vorbemerkung und Antworten zu 1. und 2.
8. Warum hat das FIT keine umfangreichen alternativen Hilfen der Sorgeberechtigten angeboten, obwohl die Sorgeberechtigte danach fragte, nachdem deutlich wurde, dass die Sorgeberechtigte eine solche Unterbringung nicht wünsche?
Siehe Antwort zu 2. und Vorbemerkung.
9. Wieso werden von Seiten des FIT keine weiteren Vorschläge oder Hilfen angeboten, wenn deutlich wird, dass die Sorgeberechtigten dem vom FIT vorgeschlagenen Weg nicht folgen wollen?
Die Unterbringung außerhalb der Familie und die Entfernung aus dem bisherigen Umfeld zumindest aus dem bisherigen Wohnbezirk wurde als unbedingt notwendig angesehen, um weiteren Straftaten vorzubeugen.
10. Wie reagierte das FIT auf die Bitte der Sorgeberechtigten, eine kurzfristige berufliche Förderung für ihr Kind zu gewähren?
Aufgeschlossen. Im Übrigen siehe Antwort zu 9.
11. Ist es richtig, dass der ASD des vorher zuständigen Bezirks eine räumliche Trennung der Sorgeberechtigten von ihrem Kind nicht befürwortet? Wenn ja, warum?
Der ASD hat, in Abwägung der Wünsche und Vorstellungen der Beteiligten, in einer Erziehungskonferenz am 20. Januar 2003 den Hilfebedarf erörtert und die Hilfeplanung unter Berücksichtigung der für eine gelingende Hilfe erforderlichen Mitwirkung gemäß §36 SGB VIII in Form einer ambulanten Hilfe zur Erziehung nach §28 SGB VIII (Erziehungsberatung) beschlossen. Im Übrigen siehe Antworten zu
1. und 2. sowie Vorbemerkung.
12. Ist es richtig, dass der ASD des vorher zuständigen Bezirks diese Position auch vor dem Familiengericht bestätigt hat?
Der ASD hat vor dem Familiengericht Abläufe in der Beratungsarbeit und die bisherige Zusammenarbeit mit der Mutter sowie fachliche Begründungen zu der in der Erziehungskonferenz entwickelten Hilfemaßnahme erläutert.
13. Welche weiteren Maßnahmen schlägt der ASD des vorher zuständigen Bezirks für das Kind und die Familie vor?
Siehe Antwort zu 11.
14. Auf welche Akten (z.B. ASD-Akten, Schulakten usw.) hat der ASD in diesem Fall ein Zugriffsrecht?
Der ASD hat kein Zugriffsrecht auf Akten anderer Dienststellen.
15. Welche Maßnahmen (z.B. Beschulung, Ausbildung, Therapie) hat die Sorgeberechtigte bereits ergriffen, um die Situation des Kindes zu verändern?
Der ASD war über diesbezügliche Absichten und Pläne der Mutter informiert, nicht aber darüber, ob die Pläne auch umgesetzt wurden.
16. Am 4. Januar 2003 hat ein normverdeutlichendes Gespräch mit einem Polizeibeamten, der Sorgeberechtigten und dem Kind stattgefunden, in dessen Verlauf unter anderem eine Straftat genannt wurde, bei der das Verfahren gegen das hier betroffene Kind bereits eingestellt worden ist. Wie kommt es, dass sich in diesem Gespräch unter anderem auf eine Straftat bezogen wurde, die eingestellt worden ist?
Der Umstand, dass eine Straftat wegen Strafunmündigkeit nicht gerichtlich verfolgt wird, macht es umso notwendiger, sie im Rahmen eines insgesamt angezeigten normenverdeutlichenden Gesprächs zu thematisieren.
17. In einem Schreiben der Rechtsanwältin der Sorgeberechtigten an die zuständige Polizeiwache fordert die Rechtsanwältin den zuständigen Beamten auf, zukünftig Aufforderungen an die Mandantin, sie solle „den Mund halten", zu unterlassen. Solche Aussagen sind nach Aussagen der Rechtsanwältin im Beisein des Kindes „pädagogisch hochgradig kontraproduktiv". Wie bewertet der Senat oder die zuständige Behörde diese Aussage und in welcher Form wurde der Beamte auf sein Verhalten hingewiesen?
Aufgrund einer bei der zuständigen Behörde eingereichten Beschwerde wurde dieser Vorwurf geprüft.
Ein Fehlverhalten des Beamten konnte nicht festgestellt werden.
18. Wie und in welchem Rahmen sollten Polizeibeamte, die normverdeutlichende Gespräche in einer schwierigen und ggf. angespannten Situation durchführen, reagieren? Wie und durch wen und wie häufig werden sie darin geschult?
Die Gespräche sollen immer im Beisein der Erziehungsberechtigten durchgeführt werden. Die Teilnahme am Gespräch ist freiwillig und damit ein Angebot der Polizei an den jugendlichen Tatverdächtigen, sich noch einmal mit der Tatsituation und den Folgen auseinander zu setzen.
Von den Beamten, die die norm- und hilfeverdeutlichenden Gespräche durchführen, wird erwartet, dass sie auch in schwierigen und angespannten Gesprächssituationen souverän und mit der entsprechenden Distanz reagieren.
Die professionelle Planung und Durchführung norm- und hilfeverdeutlichender Gespräche wird den mit dieser Aufgabe betrauten Polizeibeamten in Seminaren an der Landespolizeischule unter maßgeblicher Beteiligung des polizeipsychologischen Dienstes vermittelt. Die weitere Fortbildung erfolgt in den Polizeidirektionen durch fachliche Praxisbegleitung durch die Jugendbeauftragten.