Altersfeststellungen und Strafverfolgung

Betreff: Altersfeststellungen und Strafverfolgung. Jugendlichen Flüchtlingen wird seitens der zuständigen Behörden häufig nicht geglaubt, wenn sie ein Lebensalter angeben, das unter 16 bzw. 18 Jahren liegt.

Wenn Mitarbeiter bzw. Mitarbeiterinnen der Ausländerabteilung des Einwohner-Zentralamtes Zweifel an der Altersangabe haben, setzen sie ein fiktives Alter fest. Die Angaben zum Alter in den Papieren lauten dann „mindestens 16" bzw. „mindestens 18".

In diesen Fällen haben die Betroffenen die Möglichkeit, innerhalb von zehn Tagen ein ärztliches Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin über ihr Lebensalter einzuholen. Seit dem 1. Juli 2002 werden die Kosten dafür nicht mehr vom Sozialamt übernommen. Die Betroffenen ­ die in aller Regel ausschließlich Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz vom Sozialamt erhalten ­ müssen diese Kosten selbst aufbringen. Sie sind gestaffelt nach dem Lebensalter, das seitens der Ausländerabteilung in die Ausweispapiere eingetragen wurde: 75 EUR bei „mindestens 16"; 150 EUR bei „mindestens 18" angenommenem Alter.

Die fiktive Altersfestsetzung hat regelmäßig die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen „mittelbarer Falschbeurkundung" (§ 271 StGB) zur Folge. Bei denjenigen jungen Leuten, deren Alter auf „mindestens 16" festgesetzt wird und die als so genannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge Asyl beantragt haben, hat es unter anderem außerdem zur Folge, dass sie in andere Bundesländer verteilt werden. In einigen Fällen werden diese Jugendlichen wieder nach Hamburg zurückgeschickt, da die dortigen zuständigen Behörden die Auffassung vertreten, dass sie „unter 16" und daher Hamburg für ihre Unterbringung zuständig sei.

Von der fiktiven Altersfestsetzung sind vor allem neu eingereiste Flüchtlinge betroffen. Zunehmend wird aber auch bei jungen Flüchtlingen, die sich bereits seit längerer Zeit hier aufhalten, zum Teil nach mehreren Jahren, die Altersangabe angezweifelt und es wird ihnen ein fiktives Alter zugeordnet sowie ein Ermittlungsverfahren nach § 271 StGB gegen sie eingeleitet.

Auch Jugendliche, gegen die Ermittlungs- bzw. Strafverfahren eingeleitet wurden, sind Altersfeststellungen unterzogen worden. Soweit in diesen Fällen die medizinischen Gutachten ein Alter von „über 18" bzw. „über 21" Jahren ergeben, hat dies zur Folge, dass statt des Jugendstrafrechts das Erwachsenenstrafrecht zur Anwendung kommt und dass inhaftierte Jugendliche von Jugendhaftanstalten in den Erwachsenenvollzug verlegt werden.

Es sollen auch Jugendliche, die sich nach einer Verurteilung im Jugendstrafvollzug befanden, Altersgutachten unterzogen und anschließend in den Erwachsenenvollzug verlegt worden sein.

Dies vorausgeschickt, frage ich den Senat:

I. Fiktive Altersfestsetzung durch die Ausländerabteilung des Einwohner-Zentralamtes

1. In wie vielen Fällen seit dem 1. Juli 2002 wurde bei neu eingereisten Flüchtlingen von der Ausländerabteilung des Einwohner-Zentralamtes ein fiktives Alter festgesetzt?

a) In wie vielen dieser Fälle haben die Betroffenen ein ärztliches Gutachten des rechtsmedizinischen Instituts eingeholt?

b) In wie vielen der unter 1.a) genannten Fälle hat das ärztliche Gutachten die Altersfestsetzung der Ausländerabteilung bestätigt?

Von Juli 2002 bis April 2003 wurde bei 313 unbegleiteten Personen, die im Rahmen ihrer ersten Meldung in der Abteilung Ausländerangelegenheiten des Einwohner-Zentralamtes ein Lebensalter von unter 18 Jahren angaben, wegen Zweifeln an der Richtigkeit dieser Altersangabe der weiteren ausländerbehördlichen Bearbeitung ein fiktives Lebensalter zugrunde gelegt.

Bei 97 Personen wurde ein fiktives Alter von 16 Jahren und bei 216 Personen ein fiktives Alter von 18 Jahren festgesetzt. Von den 313 Personen haben 20 von der Möglichkeit einer medizinischen Altersuntersuchung durch das Institut für Rechtsmedizin Gebrauch gemacht. Die übrigen sind gegen die Festsetzung des fiktiven Alters nicht vorgegangen. Die Ergebnisse stellen sich im Einzelnen wie folgt dar: Ausländerbehördliche Festsetzungen eines fiktiven Lebensalters Juli 2002 bis April 2003

2. Auf welche Weise wird denjenigen Flüchtlingen, die die Kosten für ein ärztliches Gutachten nicht aufbringen können, der Beweis der Richtigkeit ihrer Altersangabe ermöglicht?

Die Kosten für eine Altersuntersuchung durch das Institut für Rechtsmedizin werden aus Mitteln des Asylbewerberleistungsgesetzes erstattet, wenn die Angaben der Betroffenen bestätigt werden. Nur in den Fällen, in denen die Angaben der Betroffenen nach dem Ergebnis der medizinischen Altersuntersuchung falsch sind, haben die Betroffenen die Kosten selbst zu tragen (vgl. jeweils Vorbemerkungen zu den Antworten des Senats auf die Schriftlichen Kleinen Anfragen Drucksachen 17/1119 und 17/1144).

Im Übrigen können die Betroffenen die Richtigkeit ihrer Altersangaben durch die Vorlage eines entsprechenden amtlichen Ausweises mit Lichtbild oder einer durch die zuständige deutsche Auslandsvertretung im jeweiligen Herkunftsland legalisierten Geburtsurkunde glaubhaft machen.

3. In wie vielen Fällen seit dem 1. Juli 2002 wurden Jugendliche/Heranwachsende, die nach der fiktiven Altersfestsetzung durch das Einwohner-Zentralamt in andere Bundesländer „verteilt" wurden, aufgrund der dortigen Altersfestsetzung wieder nach Hamburg zurückgeschickt und wie wird in diesen Fällen mit den Jugendlichen verfahren?

Trägt eine auswärtige Aufnahmeeinrichtung die asylverfahrensrechtliche Weiterleitungsentscheidung aufgrund der Festsetzung eines fiktiven Lebensalters nicht mit und erkennt sie dementsprechend die dortige Zuständigkeit nicht an, wird in jedem Einzelfall Kontakt mit der auswärtigen Ausländerbehörde aufgenommen, um Einvernehmen zu erzielen.

In wie vielen Fällen die Festsetzung eines fiktiven Lebensalters von auswärtigen Aufnahmeeinrichtungen nicht anerkannt wurde, wird statistisch nicht erfasst und kann in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Aufwand nicht ermittelt werden. 4. In wie vielen Fällen seit dem 1. Juli 2002 wurde bei jungen Flüchtlingen, deren Altersangaben zunächst für zutreffend erachtet wurden, von der Ausländerabteilung des Einwohner-Zentralamtes nachträglich ein fiktives Alter festgesetzt, ohne dass es zuvor zu Ermittlungsverfahren gegen diese Personen gekommen ist (Verfahren im Zusammenhang mit der Altersfestsetzung wegen § 271 StGB ausgenommen)?

Die zur Beantwortung dieser Fragen erforderlichen Daten werden statistisch nicht gesondert erfasst und können in der für die Beantwortung einer Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Aufwand nicht ermittelt werden.

4. a) Welche Möglichkeiten haben die Betroffenen in diesen Fällen, die Richtigkeit ihrer Altersangabe zu beweisen?

Siehe Antwort zu I.2.

5. In wie vielen der unter 1. und 2. genannten Fälle wurde gegen die Betroffenen ein Ermittlungsverfahren wegen mittelbarer Falschbeurkundung eingeleitet?

6. In wie vielen der unter 3. genannten Fälle kam es zu einer Verurteilung

a) nach Jugendstrafrecht?

b) nach Erwachsenenstrafrecht?

II. Altersfeststellung im Rahmen der Strafverfolgung

1. In wie vielen Fällen seit dem 1. April 2002 wurden jugendliche/heranwachsende Flüchtlinge erst im Rahmen eines Ermittlungs- bzw. Strafverfahrens wegen anderer Straftaten als § 271 StGB einer Altersfeststellung unterzogen?

2. In wie vielen dieser Fälle befanden sich die Jugendlichen/Heranwachsenden in Untersuchungshaft?

3. Um welche strafrechtlichen Vorwürfe handelte es sich bei diesen Ermittlungs- bzw. Strafverfahren (bitte aufschlüsseln)?

4. Wurde in diesen Fällen stets ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts einer Straftat gemäß § 271 StGB eingeleitet?

a) Wenn ja, aufgrund welcher Verdachtsmomente wurde es eingeleitet bzw. wer bezweifelte jeweils das Alter der Jugendlichen/Heranwachsenden?

b) Wenn nein, welche Rechtsgrundlage lag der Altersfeststellung zugrunde, soweit kein Verdacht des Verstoßes gegen § 271 StGB herangezogen wurde?

5. In wie vielen Fällen ergab das Altersgutachten abweichend von zu Beginn des Verfahrens angenommenem Alter ein Lebensalter der Beschuldigten

a) über 16 Jahre?

b) über 18 Jahre

c) über 21 Jahre?

6. In wie vielen dieser Fälle hatte das Ergebnis des Altersgutachtens „über 18 Jahre" die Anwendung von Erwachsenenstrafrecht zur Folge?

7. In wie vielen Fällen seit dem 1. April 2002 wurde gegen jugendliche/heranwachsende Flüchtlinge ein Ermittlungsverfahren ausschließlich wegen ausländerrechtlicher Straftatbestände („illegale Einreise"; Verstoß gegen die „Residenzpflicht") in Verbindung mit dem Verdacht der mittelbaren Falschbeurkundung wegen falscher Altersangaben eingeleitet?

8. In wie vielen dieser Fälle befanden sich die Jugendlichen/Heranwachsenden in Untersuchungshaft?

9. In wie vielen dieser Fälle wurden die Ermittlungen eingestellt? In wie vielen Fällen erfolgte eine Verurteilung?

III. Vollzug der Untersuchungshaft und des Strafvollzuges

1. In wie vielen der in II.2. und II.8. genannten Fälle fand der Vollzug der Untersuchungshaft aufgrund eines ärztlichen Gutachtens, mit dem ein Alter „über 18" festgestellt wurde, im Erwachsenenvollzug statt?

2. In wie vielen dieser Fälle wurden die Betroffenen von Haftanstalten für Jugendliche in Haftanstalten für Erwachsene verlegt?

3. In wie vielen Fällen seit dem 1. April 2002 wurden Jugendliche/Heranwachsende im Strafvollzug einem Altersgutachten unterzogen?

4. Aufgrund welcher Feststellungen welcher Personen (Funktion) wurde in diesen Fällen das von den Betroffenen selbst angegebene bzw. zuvor angenommene Lebensalter bezweifelt?

5. Auf welcher Rechtsgrundlage fand die Einholung der entsprechenden ärztlichen Altersgutachten statt?

III. 6. In wie vielen dieser Fälle ergab das Altersgutachten ein Lebensalter „über 18" bzw. „über 21"?

7. In wie vielen der in 6. genannten Fälle wurden die Betroffenen aufgrund des Altersgutachtens vom Jugendstrafvollzug in den Erwachsenenvollzug verlegt?

8. In wie vielen dieser Fälle wurden Heranwachsende („über 18") in den Erwachsenenvollzug verlegt?

Siehe Antwort zu I.4.