Knebelverträge und Schmiergeldzahlungen bei der Weitergabe von

Knebelverträge und Schmiergeldzahlungen bei der Weitergabe von Kassenarztsitzen?

Hamburg gilt gemäß Sozialgesetzbuch V als ärztlich überversorgt. Somit bestehen für Kassenärzte Zulassungsbeschränkungen und die Zulassung von Vertragsärzten ist in § 95 ff., insbesondere in § 103 SGB V im Detail geregelt. Neu zu besetzende Vertragsarztsitze sind danach auszuschreiben und der paritätisch mit Vertretern der Ärzteschaft und der Krankenkassen besetzte Zulassungsausschuss entscheidet über die Vergabe der begehrten Kassenarztsitze.

Nach unseren Informationen werden diese Regeln nicht immer eingehalten und es soll zu Schmiergeldzahlungen und aufgezwungenen „Knebelverträgen" kommen.

Die Vertragsarztzulassung, einschließlich der Ausschreibung und Vergabe von Vertragssitzen nach § 103 SGB V fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der Selbstverwaltung von Krankenkassen und Ärztinnen/Ärzten.

Dies vorausgeschickt, beantwortet der Senat die Fragen wie folgt.

1. In welchen ärztlichen Fachgebieten bestehen in Hamburg Zulassungsbeschränkungen und in welchen besteht Zulassungsfreiheit? Wie sieht es insbesondere für Hausärzte und für Psychotherapeut/innen und Kinderpsychotherapeut/innen aus?

Der Landesausschuss Ärzte und Krankenkassen in Hamburg hat, mit Ausnahme der Hausärzte, derzeit für alle der Bedarfsplanung unterliegenden Arztgruppen eine Überversorgung festgestellt (Versorgungsgrad über 110 Prozent) und Zulassungsbeschränkungen angeordnet.

Für überwiegend oder ausschließlich psychotherapeutisch tätige Ärzte/Ärztinnen bestehen aufgrund des gesetzlich bis zum Jahr 2008 geregelten Versorgungsanteils von mindestens 40 Prozent noch Zulassungsmöglichkeiten.

2. Wie umfangreich sind in den verschiedenen Fachrichtungen die Wartelisten, die vom Zulassungsausschuss zu berücksichtigen sind, und wie viele Ärzt/innen bzw. Psychotherapeut/innen bewerben sich durchschnittlich auf einen ausgeschriebenen Kassenarztsitz?

Nach Auskunft der Geschäftsstelle des Zulassungsausschusses sind die Wartelisten in allen Fachbereichen sehr umfangreich (z.B. Radiologie: 51; Gynäkologie: 157). Auf eine Ausschreibung bewerben sich im Durchschnitt unter fünf Ärzte/Ärztinnen um eine Praxisnachfolge; bei Psychologischen Psychotherapeuten/Psychotherapeutinnen sind es in der Regel ca. 20 Bewerbungen.

3. Wird das gesamte hamburgische Stadtgebiet als ein einheitlicher Planungsbereich betrachtet oder gibt es eine regionale Differenzierung der Niederlassungsmöglichkeiten, so wie es ja auch eine unterschiedliche Facharztdichte in den Hamburger Stadtteilen gibt?

Nach den Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte ist das gesamte hamburgische Staatsgebiet ­ als das Gebiet der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg ­ als ein Planungsbereich definiert.

4. Wie wird der Verkehrswert einer Praxis ermittelt? Wie sieht dies speziell für psychotherapeutische Praxen aus, bei denen je weder Patientendateien noch teure Apparate übergeben werden?

Die Ermittlung des Verkehrswertes einer Praxis ist rechtlich nicht geregelt. Im Bedarfsfall wird auf die so genannte Bundesärztekammer-Methode zurückgegriffen (veröffentlicht im Deutschen Ärzteblatt), die vom Bundesgerichtshof als zulässig anerkannt wurde (Az. BGH XII ZR 101/89). Diese Methode baut im Kern auf den Umsätzen der drei Jahre vor Praxisabgabe auf und wird um weitere Kriterien (z.B. Praxis- und Patientenstruktur, Behandlungsfälle, aktuelle Umsatzentwicklung) ergänzt. Die Besonderheiten psychotherapeutischer Praxen können dabei berücksichtigt werden.

5. Wie wird kontrolliert, dass gemäß § 103 Absatz 4 Satz 6 der Kaufpreis den Verkehrswert einer Praxis nicht übersteigt, d.h., dass kein zusätzliches „Schmiergeld" fließt?

Die Auswahlentscheidung des Zulassungsausschusses erfolgt nach § 103 SGB V; hierbei wählt der Zulassungsausschuss unter mehreren Bewerbern eine Praxisnachfolgerin oder einen Praxisnachfolger nach pflichtgemäßem Ermessen aus. Bei der Auswahl sind unter anderem die berufliche Qualifikation und Dauer der ärztlichen Tätigkeit, ggf. auch die Dauer der Eintragung in der Warteliste für diesen Planungsbereich und die Interessen der in einer Gemeinschaftspraxis verbleibenden Partner zu berücksichtigen; die wirtschaftlichen Interessen der bisherigen Praxisinhaberin bzw. des bisherigen Praxisinhabers oder der jeweiligen Erben sind nur im Rahmen des Verkehrswertes der Praxis zu berücksichtigen (§ 103 Absatz 4 und 5 SGB V). Nach § 103 Absatz 4 Satz 6 SGB V ist der Kaufpreis einer abzugebenden Praxis nur dann zu berücksichtigen, wenn der/die Nachfolger/in unter mehreren Bewerbern auszuwählen ist. Sozialrechtlich ist es nicht unzulässig, dass der zivilrechtlich vereinbarte Kaufpreis den Verkehrswert einer Praxis übersteigt. Auswahlentscheidungen des Zulassungsausschusses können von den Verfahrensbeteiligten vor dem Berufungsausschuss angefochten werden und unterliegen dann der sozialgerichtlichen Kontrolle.

6. Wie wird versucht zu verhindern, dass ein Facharzt, der seinen Vertragsarztsitz z. B. aus Altersgründen bald aufgeben möchte, als gekaufter Strohmann seinen Praxissitz in eine bestehende Gemeinschaftspraxis verlegt, wodurch sich diese Gemeinschaftspraxis vergrößern kann und ein anderer Praxisstandort wegfällt?

An die Verlegung eines Vertragsarztsitzes innerhalb eines Planungsbereiches sind keine besonderen Voraussetzungen geknüpft. Einem/einer zugelassenen Vertragsarzt/ärztin ist es freigestellt, den Praxissitz innerhalb Hamburgs zu verlegen.

7. Wie kann verhindert werden, dass insbesondere in Fachgebieten mit hohem Investitionsbedarf wie z. B. Radiologie, Kardiologie und Labormedizin den neu in eine Gemeinschaftspraxis kommenden Ärzten ausbeuterische „Knebelverträge" aufgezwungen werden?

Der Zulassungsausschuss prüft die vorgelegten Gemeinschaftspraxisverträge. Bei Verstößen gegen das Kassenarztrecht wird die angestrebte Genehmigung zur Bildung einer Gemeinschaftspraxis nicht erteilt.

8. Wie kann der Aufbau von Praxisnetzen verhindert werden, die von einem zugelassenen Kassenarztsitz aus beherrscht und finanziell ausgenutzt werden?

Bei genehmigungspflichtigen Praxisveränderungen (z.B. Bildung einer Gemeinschaftspraxis) sind die entsprechenden Verträge dem Zulassungsausschuss vorzulegen und werden dort geprüft. Die Bildung von Apparate- oder Praxisgemeinschaften ist lediglich anzeigepflichtig.

9. Sind dem Senat Fälle bekannt, die den unter 5. bis 8. geschilderten Konstellationen entsprechen? Wenn ja, was folgt aus dieser Kenntnis? Wenn nein, liegt dies möglicherweise an einer raffinierten Vertragsgestaltung, die den geschädigten Ärzten den Rechtsweg aussichtslos erscheinen lassen?

10. Sieht der Senat Handlungsbedarf, um zu verhindern, dass das Geld der Versicherten in dunkle Kanäle fließt, statt ihrer Gesundheitsversorgung zugute zu kommen?

Nein. Siehe Vorbemerkung.