JVA

B TATSACHENFESTSTELLUNG UND BEWERTUNG

I. Fall Claudia Dreyer

1. Beweismittel

Nach Auswertung der vorliegenden Akten, und zwar der Personalakte mit den Teilen A, A 1 und A 2, des Umsetzungsvorgangs (Az. JB 2010E-17.6), des Bewerbungsvorgangs Hahnöfersand (Az. 2010/8/1E-15.5), des Bewerbungsvorgangs JVA

Am Hasenberge (Az. 100.90-3/4.79,2), des Bewerbungsvorgangs Sicherheitsreferent (Az. 100.90-3/4.82,5), der Disziplinaren Ermittlungen (Az. 2030 JB E-8.11) sowie der mündlichen Vernehmung der Zeugen Claudia Dreyer, Dr. Thomas Wegner, HansPeter Strenge, Ulrich-Georg Plate, Willi Rickert, Hans-Jürgen Kamp, Katrin Stolle, Andreas Gross, Johannes Düwel, Monika Vespermann, Dr. Hans Jörg StädtlerPernice und Dr. Roger Kusch ist zum Beweisthema, der Umsetzung von Frau Claudia Dreyer als Leiterin der Justizvollzugsanstalt Vierlande zur stellvertretenden Leiterin der Untersuchungshaftanstalt, der im Folgenden unter 2.) dargestellte Sachverhalt festgestellt worden. Roger Kusch 23. Januar 2004

2. Festgestellter Sachverhalt

a) Beruflicher Werdegang Frau Claudia Dreyer hat ihren Dienst 1973 als Beamtin auf Widerruf in der Justizbehörde Hamburg begonnen. Zu Beginn absolvierte sie eine dreijährige Ausbildung zum gehobenen Vollzugs- und Verwaltungsdienst. Nachdem sie als Verwaltungsinspektorin zunächst in der Justizbehörde im Strafvollzugsamt in der Rechtsabteilung als Sachbearbeiterin tätig war, wurde sie als Sachbearbeiterin der Anstaltsleitung in die Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel umgesetzt. Nachdem sie dort die Funktion der Vollzugsleiterin, später die der stellvertretenden Anstaltsleiterin ausgeübt hatte, wurde sie 1994 in die Justizvollzugsanstalt Vierlande umgesetzt. Dort übte sie die Funktion der Vollzugsleiterin, der Verwaltungsleiterin und später die der stellvertretenden Anstaltsleiterin aus. Am 1. November 2000 wurde sie offiziell zur Leiterin der Justizvollzugsanstalt Vierlande (Anstalt XII), einem Dienstposten, der stellenplanmäßig mit Besoldungsgruppe A 15 bewertet ist, bestellt. Am 8. August 2001 schließlich wurde sie nach Anerkennung der Laufbahnbahnbefähigung für den gehobenen allgemeinen

Verwaltungsdienst und auf Grund ihrer in Beurteilungen festgestellten Qualifikation zur Oberregierungsrätin, Besoldungsgruppe A 14, ernannt.

b) Der Disziplinarvorgang

Am 26. November 2001 erschien in der Bergedorfer Zeitung ein Artikel unter der Überschrift „Spritzentausch in JVA", in dem es u. a. heißt: „In ihrem Koalitionsvertrag kündigte die neue Hamburger Regierung an, künftig die Abgabe von sterilen Drogenspritzen in Haftanstalten zu verbieten. Das ruft nun auch die Bergedorfer GAL auf den Plan, die einen Antrag für die Bezirksversammlung [...] einreichte, um den Ausgabe-Stopp zu verhindern [...]. JVA-Leiterin Claudia Dreyer hält es „nicht für nötig", diese Praxis aufzugeben: „Lieber nehmen die Leute eine saubere Spritze als alte Kugelschreiber-Minen" 4.

Dieser Artikel erreichte noch am selben Tag Senator Dr. Kusch, der „verärgert" reagierte, weil sich die Leiterin einer Justizvollzugsanstalt entgegen der Koalitionsvereinbarung „unmittelbar gegenüber der Presse und damit öffentlich zu einem für jedermann erkennbar hochpolitischen Thema geäußert" hatte466 und im Strafvollzug allgemein bekannt gewesen sei, dass der neue Senat den Spritzentausch beenden wollte. Senator Dr. Kusch war deshalb im ersten Moment der Auffassung, dass eine Bedienstete, die sich gegenüber der Presse derart äußert, „als Leiterin einer JVA nicht tragbar und abzulösen sei" 4. Senator Dr. Kusch berief deshalb noch am Nachmittag des 26. November 2001 eine Besprechung mit dem damaligen Staatsrat, Herrn Strenge, dem damaligen Leiter des Amtes für Allgemeine Verwaltung, Herrn Düwel, und Herrn Rickert, dem Leiter des Strafvollzugsamts, ein. Soweit Herr Rickert hierzu angab, dieses Treffen habe erst am 27. November 2001 und nach Einholung einer Dienstlichen Äußerung von Frau Dreyer stattgefunden, steht dies im Widerspruch sowohl zu den eindeutigen Äußerungen des Senators470 und Herrn Strenges471 als auch zu dem Umstand, dass Herr Rickert die Dienstliche Äußerung zur Kenntnisnahme an den Senator und den Staatsrat verfügte, was überflüssig gewesen wäre, wenn beide die Dienstliche Äußerung bereits vor dem Treffen in Händen gehabt hätten. Der Justizsenator war bei dieser Besprechung „in einem sehr erregten Zustand" und „sehr ärgerlich" über den nach seiner Ansicht unglaublichen Vorgang von Illoyalität seitens Frau Dreyer und hat nach Aussage Herrn Düwels, Herrn Strenges und Herrn Rickerts anfangs auf ihrer sofortigen Ablösung als Anstaltsleiterin bestanden. Es gelang dem Staatsrat und den Amtsleitern, Senator Dr. Kusch im Verlauf der Diskussion unter Hinweis auf die beamtenrechtlichen Vorschriften und einzuhaltende Verfahrenserfordernisse davon zu überzeugen, zunächst eine Dienstliche Äußerung von Frau Dreyer einzuholen, um sodann ein etwaiges Fehlverhalten in einem Disziplinarverfahren einer Würdigung zu unterziehen, anstatt sie als Anstaltsleiterin direkt abzulösen. Ob dieser zur Beruhi464

Vgl. zum Werdegang Personalakte Dreyer, Teil A, Bl. 89 u. vor Bl. 1; Personalakte Dreyer, Teil A 1, Bl. 24 ff.; Dreyer, Wortprotokoll 17/5, S. 11. Rickert, Wortprotokoll 17/6, S. 74.

Düwel, Wortprotokoll 17/8, S. 11, 12, 20, 21; Strenge, Wortprotokoll 17/6, S. 11, 22; Rickert, Wortprotokoll 17/6, S. 61, 72, 74, 75; im Ergebnis auch Dr. Kusch, Wortprotokoll 17/13, S. 38 f. gung der Situation gedachte Vorschlag477 von Herrn Düwel oder Herrn Rickert kam, konnte nicht abschließend geklärt werden.

In der am 27. November 2001 bei Herrn Rickert eingegangenen Dienstlichen Äußerung führte Frau Dreyer aus, dass ihr eine Redakteurin der Bergedorfer Zeitung am 23. November 2001 erklärt habe, es läge eine Erklärung der GAL vor, in der für die Beibehaltung des Spritzentausches plädiert werde. Die Redakteurin habe sich erkundigen wollen, wie der aktuelle Stand der Dinge sei und nach ihrer persönlichen Meinung zu dem Thema gefragt, worauf sie erklärt habe, dass sie zur Zeit keine Notwendigkeit zur Abschaffung sehe. Persönlich stehe sie zu dieser Äußerung nach wie vor, habe aber nicht absehen können, dass aus diesem „small talk" mit der Redakteurin ein Zeitungsartikel entstehen würde, da sie darum gebeten habe, eine offizielle Stellungnahme zu dem Thema von der Justizbehörde einzuholen.

Nach Eingang dieser Dienstlichen Äußerung, die den beanstandeten tatsächlichen Sachverhalt bestätigte, ordnete Herr Rickert am 28. November 2001 die Aufnahme disziplinarer Ermittlungen gegen Frau Dreyer an und bestimmte seinen Stellvertreter, Herrn Kamp, zum Ermittlungsführer. Ziel der Prüfung sollte sein, ob Frau Dreyer mit ihrer Äußerung möglicherweise gegen das Loyalitätsgebot und gegen die Pflicht, Anordnungen und allgemeine Richtlinien zu befolgen ­ hier: die Allgemeinverfügung „Auskünfte an die Presse" ­ verstoßen hatte.

Am 30. November 2001 erfolgte eine Anhörung Frau Dreyers durch Herrn Kamp, in der Frau Dreyer angab, sich nach anwaltlicher Beratung schriftlich äußern zu wollen. Am 3. Dezember 2001 informierte Herr Kamp den Senator über den Sachstand des Disziplinarverfahrens und führte aus, dass die schriftliche Äußerung Frau Dreyers abzuwarten sei. Diese schriftliche Äußerung, mit der Frau Dreyer die gegen sie erhobenen Vorwürfe durch ihren Rechtsanwalt zurückweisen ließ, ging am 27. Dezember 2001 beim Ermittlungsführer Herrn Kamp ein. Dieser begann erst am 4. Februar 2002, das wesentliche Ergebnis der Ermittlungen zu formulieren, wobei es sich nach seiner Aussage aber zunächst um eine reine Faktensammlung und nicht um die Abfassung eines endgültigen Abschlussberichts handelte, da er sich zu diesem Zeitpunkt des Verfahrens noch nicht in der Lage gesehen habe, eine klare Sachverhaltsschilderung nebst abschließender Bewertung abzugeben. Ebenfalls am 4. Februar 2002 baute Senator Dr. Kusch in der Justizvollzugsanstalt Vierlande im Rahmen einer Pressekonferenz den letzten Spritzenautomaten ab. Am Rande dieser Pressekonferenz führte er mit Frau Dreyer ein längeres Gespräch unter vier Augen über das Disziplinarverfahren, wobei er davon ausging, dass ein Verstoß Frau Dreyers offenkundig vorlag. In diesem Gespräch gewann der Senator für sich den Eindruck, dass Frau Dreyer die Pressewirkung ihrer Mitteilung an die Zeitung Leid tue und sie zu erkennen gegeben habe, dass derartige Äußerungen künftig nicht wieder vorkommen würden, wohingegen Frau Dreyer lediglich versichert haben will, sich ihm gegenüber auch künftig loyal zu verhalten. Da aus seiner Sicht jedenfalls kein Bedarf einer Disziplinierung im Rahmen eines Disziplinarverfahrens mehr bestand, erklärte ihr der Senator, dass das Verfahren „eingestellt" bzw. „nicht weiter verfolgt" werde und er davon ausgehe, dass sie „die Intention des Disziplinarverfahrens verstanden" habe.